Entstehung und Entwicklung des Siedlungsgebietes Ahrbrück
VON ROBERT P A R S C H A U
Es war wie der Auszug der Kinder Israels, als in den Jahren von 1937 bis 1939 vierhundert Familien mit 2400 Menschen gezwungen wurden, ihre Heimat, die Dörfer Denn, Weidenbach, Herschbach, Lederbach, Cassel, Watzel, Fronrath, Blasweiler, Beilstein, Ober= und Niederheckenbach und Kaltenborn, aufzugeben. Die Dörfer Kesseling und Staffel entgingen der vorgesehenen Aussiedlung wie durch ein Wunder. Bald Schossen Flakbatterien von der Teufelsley auf Luftoäcke, und die Dörfer versanken in Trümmer. Um ein ideales Jagdgebiet zu schaffen, forstete die Luftwaffe einen Großteil des Kulturlandes auf. Sechs Jahre nach dem Chaos lag das Gelände im Schweigen; flüchtig durchkämmt von amerikanischen Truppen, kümmerte sich von den Besatzungen kaum einer darum, bis Hettier de Boislambert, General=Gouverneur von RheinIand=Pfalz, am 13. November 1946 das Gelände zur Besiedlung freigab. Dieser Tag ist die Geburtsstunde für einen großen Siedlungsplan, wie er seinesgleichen nicht in der Landbesiedlung der Nachkriegszeit hat. Es war ein großgeplantes und großangelegtes Unternehmen, das Gelände von 10000 Hektar — ein Viertel davon landwirtschaftlich genutzt — wieder mit Leben zu erfüllen. Zehn Kriegs= und Nachkriegsjahre hatten vollends alles zerstört. So war von den elf Ortschaften nichts mehr übrig geblieben als Ruinen, Wald, Hecken, Gestrüpp. Was war geplant? Vor allem eine vorbildliche Flurbereinigung durch das Kulturamt in Adenau, damals von dem inzwischen verstorbenen Oberregierungsrat Dr. Dr. R i e d e r geleitet, der seine ganze Kraft und sein Wissen für dieses Projekt einsetzte. Im Jahre 1945 hatte sich ein ungeheuer großer Flüchtlingsstrom aus den von den russischen Armeen mit Mord und Feuer bedrohten Ostgebieten in das industrielose Land Schleswig=Holstein ergossen. Die Flüchtlinge wurden bei Bauern und in großen Lagern sehr notdürftig untergebracht und fanden kaum Arbeit. In diesem großen Flüchtlingsstrom waren Verhältnismäßig viele Bauern aus dem Ermland (die Kreise Heilsberg, Rößel, Braunsberg und Allenstein), dem Teil Ostpreußens, der auch nach der Reformation katholisch geblieben war.
Auf dem Katholikentag 1949 in Bochum erfuhr durch Zufall der Karitas=Direktor von Schleswlg=Holstein, Herr Pfarrer Preuß, auch ein Ermländer, von diesem Projekt in der Eifel, und sofort wurden Verhandlungen mit den zuständigen Behörden von Rheiniand=Pfalz aufgenommen, um einen kleinen Teil der ermländischen Bauern dort anzusetzen. Die Verhandlungen schritten gut voran, und am 5. Februar 1950 wurden der Karitas=Direktor Herr Pfarrer Preuß, der Geschäftsführer der siedlungswilligen Bauern beim Karitasverband in Neumünster, Herr Kluckert, Herr Ferdinand Groß, jetzt Siedler in Lederbach, und ich von den Behörden in RheinIand=Pfalz eingeladen, das Siedlungsgebiet von Ahrbrück zu besichtigen. Ich muß schon sagen, daß die Kommission vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens stand, ob man auf dem vorgesehenen Gelände siedeln sollte oder nicht. Die Höhenlage wurde uns bis zu 600 m. ü.M. mit einer Niederschlagsmenge von 600—700 mm angegeben. Die Erträge des Bodens schätzte man pro Morgen auf 8—10 Ztr. Roggen, 10—12 Ztr. Sommerung und 80—100 Ztr. Kartoffeln, die Jahresleistung einer Kuh auf 2000 Liter Milch. In der Verhandlung wurde über eine Verrentung von 8—10 DM pro Morgen gesprochen.
Neusiedlung Ahrbrück
Foto: Walter Vollrath
Inzwischen sind jedoch die Getreidepreise um fast 100% gestiegen, so daß die Rente höher ist. Die Probezeit sollte drei Jahre betragen. Es wurden Inventarkredite von 5000—10000 DM zugesagt, in Wirklichkeit betragen dieselben heute 15 ooo—23 ooo DM mit größtenteils zweiprozentiger Tilgung. Die drei Freijahre und zwei Schonjahre mit halber Verrentung sind durch fünf volle Freijahre ersetzt worden. Nach der hoffentlich baldigen Einigung über die Eigentumsverhältnisse zwischen Bund und Rheinland=Pfalz werden die Siedler endgültig Eigentümer des Grund und Bodens. Im Anfang traten zu diesen wirtschaftlichen Nöten seelische Beklemmungen. Die Berge flößten uns Menschen aus dem Flachlande Schrecken ein. Am Abend hörten wir in unserem Quartier im Rundfunk einen Bericht der Forstverwaltung von Rheinland=Pfalz über den Luftwaffenübungsplatz Ahrbrück. Hierin wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Luftwaffenübungsplatz schon vor der Aussiedlung ein Notstandsgebiet gewesen sei, daß die Einwohner dort nicht leben und nicht sterben konnten, und nachdem der größte Teil des Gebietes jetzt aufgeforstet sei, wäre es ein Verbrechen, dieses Gebiet wieder zu besiedeln und erneut zu einem Notstandsgebiet zu machen.
Trotz der Berge mit ihrer Höhenlage, der sehr geringen Erträge des Bodens und der ungeheuer niedrigen Milchleistung der Kühe, trotz der niedrigen Niederschlagsmenge und des vernichtenden Urteils der Forstverwaltung im Rundfunk entschlossen wir uns im Hinblick auf die drückende Notlage unserer Landsleute in Schleswig=Holstein, die geradezu nach Land schrien, das Gebiet zu besiedeln. (Heutzutage würde man wohl kaum noch Siedler finden, die bereit wären, solch eine Wildnis zu besiedeln!) Wir fuhren nach Holstein zurück und luden die siedlungswilligen Landsleute zu einer Versammlung nach Neumünster ein. Auf dieser Versammlung, die sehr stark besucht war, gaben wir Bericht über unsere Verhandlungen und den Zustand des Landes und dessen Erträge, ohne etwas zu beschönigen; ja, wir versuchten, es noch schlechter zu machen, als es war, damit niemand enttäuscht würde. Auf unsere Frage, wer unter den gegebenen Umständen bereit sei, in der Eifel zu siedeln, meldeten sich sofort so viele, daß nur etwa die Hälfte berücksichtigt werden konnte.
Dies war die Geburtsstunde der einzigen geschlossenen landsmannschaftlichen Siedlung in der Bundesrepublik. Am 13. April 1950 traft bereits der Transport mit 65 ermländischen Familien auf dem Bahnhof Brück/Ahr ein. Der gesamte Hausrat — soweit man überhaupt von Hausrat sprechen kann, besaß doch selten eine Familie ein Bettgestell, an Tische, Schränke etc. war gar nicht zu denken — wurde in 22 Waggons untergebracht, die aber in der Hauptsache 12 Pferde, Brennmaterial, alle landwirtschaftliche Geräte usw. enthielten. (Sollten heute diese Familien in die Heimat zurückbefördert werden, so würden 250 Waggons kaum reidien!) Drei Baracken der früheren Luftwaffe, die hervorragend hergerichtet waren, namen 35 Familien auf, die übrigen wurden in benachbarten Ortschaften untergebracht. Sehr dankbar empfanden wir, daß für jedes Familienmitglied ein Bettgestell und ein Stuhl, für jede Familie ein Herd, ein Ofen und ein Schrank vom Sozialministerium als unser Eigentum in den vorbereiteten Wohnungen stand. Herrn Amtsbürgermeister Kreuzberg, Altenahr, der dafür sorgte, daß wir die Möbel erhielten, gilt unser ganz besonderer Dank. Herr Amtsbürgermeister Kreuzberg war es auch, der uns als Willkommenstrunk siebenhundert Flaschen Wein überreichte, den die Winzer der Ahr gestiftet hatten. So sehr wir uns über den so herzlichen Empfang gefreut hatten, so war das Stimmungsbarometer doch erheblich unter Null gesunken. Schon auf der Fahrt ab Remagen hatten unsere Bauern nach gutem Ackerland Ausschau gehalten. Was sie sahen, waren steile Berge! Sie zerbrachen sich die Köpfe, was die vielen weißen Pfähle (Rebstöcke) darauf zu bedeuten hätten, und als dann noch etliche Tunnels kamen, glaubten sie, am Ende der Weit zu sein. Bei der Begrüßung auf dem Bahnhof Brück fragten uns die Männer: „Wo habt ihr uns nur hingeführt?“ Die Frauen dagegen hatten Angst, von den Bergen erdrückt zu werden. Da war ein reichlicher Schluck Wein schon angebracht, um die Stimmung zu heben.
Heutzutage sagen mir Siedler, die von der Viehauktion von Münster kommen, daß die Ebene zwar schön sei, aber richtig zu Hause fühlten sie sich doch erst, wenn sie wieder die Berge sehen. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier! Nach drei Tagen, als die Siedler ihre Wohnungcn eingerichtet und sich mit der sehr zuvorkommenden einheimischen Bevölkerung angefreundet hatten, fuhren Schlepper mit Anhängern der Landsiedlung Rheinland=Pfalz vor, um die Siedler, etwa hundert Mann, zur Rodungsarbeit nach dem 15 km entfernten Cassel zu fahren. Als die Siedler infolge der sehr schlechten Wege stark durchgerüttelt und erfroren dort ankamen und nicht als Ruinen des ehemaligen Dorfes und Wald sahen, fragten sie sich, ob sie es wohl noch erleben würden, hier einmal eine Siedlung zu beziehen. Wenn eine Rückkehr nach Holstein möglich gewesen wäre, so glaube ich bestimmt, daß ein Teil der Siedler wieder zurückgereist wäre. Aber so hieß es: Vogel friß oder stirb, in die Hand gespuckt und angefangen! Es wurde alles mit der Hand gerodet, mußten doch die Siedler bis zu ihrem Aufzug auf die Stellen beschäftigt werden, um durch die Notstandsarbeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Arbeit gab es jede Menge, Rodung, Wegebau, Ausschachten der Keller, Meliorationen, Bau von Wasserleitungen, Kultivierung der gerodeten Flächen und Beseitigung der Ruinen, deren Steine als Fundamente für die neuen Häuser dienten. Der Aufbau der Siedlungen und die Kultivierung der Flächen oblag der Landsiedlung Rheinland=Pfalz, die Meliorationen, der Straßenbau und die Wasserleitungen unterlagen dem Kulturamt in Adenau. Die Arbeiten wurden alle im Akkord durchgeführt und schritten rasch voran, so daß die ersten Siedler schon am 17. November 1950 ihre Stellen beziehen konnten. Die anderen Siedlungen wurden im Winter bzw. Frühjahr 1951 bezogen.
Im Herbst 1950 wurden schon in den einzelnen Siedlungen etwa 25 Hektar von der Landsiedlung mit Roggen bestellt.
Kirche und Gasthaus von Niederheckenbach
Foto: Alex Klein
Im Frühjahr 1951 konnte schon jeder Siedler größere Flächen mit Sommerung, Kartoffeln und Steckrüben (Futterrüben wuchsen noch nicht) bebauen. Die Grunddüngung von 10 Ztr. Kalk, 3 Ztr. Thomasmehl, 2 Ztr. Kali, i Ztr. Stickstoff pro Morgen und das Saatgetreide wurden von der Landsiedlung Rheinland=Pfalz geliefert. Hier setzte die Beratung der Eandwirtschaftsschule ein und unterrichtete uns über die passenden Sorten, die richtige Fruchtfolge und Aussaatzeit und =menge. Es folgte jetzt ein schwieriger Zeitabschnitt für die Siedler. Sie saßen wohl in unvorstellbar kurzer Zeit auf ihren Höfen, hatten aber Arbeiten vor sich, daß sie kaum wußten, wo sie zuerst beginnen sollten. Galt es doch, die Planierungen um den Hof, die Bestellung der Felder mit Sommerung und Kartoffeln, die Einzäunung der vorgesehenen Weiden, die Anlegung von Hausgärten und vieles andere mehr durchzuführen. Alles Arbeiten, die gemacht werden mußten, aber erst nach der Ernte Geld einbrachten! Wovon sollte der Siedler bis zu dieser Zeit leben? Dank dem Entgegenkommen des Arbeitsamtes Ahrweiler unter seinem uns stets gutgesinnten Leiter Herrn Orth wurde eine Notstandsmaßnahme unter dem Titel „Kultivierung und Pflege der Felder“ geschaffen, wonach die Siedler ihre Arbeiten bis zur Ernte bezahlt bekamen. Jetzt war auch der Zeitpunkt gekommen, um an die Anschaffung des lebenden und toten Inventars zu denken. Rheinland=Pfalz ist ein armes Land, und es standen ihm nur wenig Siedlungsmittel zur Verfügung. So kamen für die Vollbauernstelle von 15—20 Hektar nur ca. 9ooo DM zur Verfügung. Hierfür wurden pro Stelle 2 Pferde, 2—3 Kühe, l Sau, 20 Hühner, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Kartoffel= bzw. Wäschekessel und a gummibereifter Wagen, für sechs Siedlerstellen zusammen 1 Grasmäher mit Getreideablage, 1 Drillmaschine, 1 Pferderechen, 1Jauchepumpe mit Faß als Gemeinschaftsmaschinen angeschafft. Fürwahr, ein mehr als bescheidener Anfang! Als passionierten ostpreußischen Viehzüchtern stand es bei uns schon fest, daß eine starke Zuchtviehhaltung das Rückgrat der Siedlungen sein müßte. Weil von dem bodenständigen Glanvieh kein weibliches Zuchtmaterial zu haben war, riet uns das Tierzuchtamt Neuwied, trotz der Höhenlage von 600 m ü.M. es mit dem rotbunten Niederungsvieh aus dem Münsterland zu versuchen. Wir sind Herrn Landwirtschaftsrat Heimann für diesen Rat noch heute dankbar, weil das Vieh — bis auf wenige Ausfälle — gut eingeschlagen ist. Die Siedler kauften auf den Auktionen in Münster gute hochtragende Rinder, die nur den einen Nachteil hatten, daß sie damals schon im Schnitt 1400 bis 1500 DM kosteten und unseren geringen Inventarkredit ungemein belasteten. Trotzdem ist es richtig gewesen, anstatt vier geringere drei gute Rinder zu kaufen. Den ersten Zuchtbullen „Christ“ kauften wir im Februar 1951 auf einer Auktion in Koblenz. Es war der teuerste Bulle der Auktion und kostete 1800 DM. Er wurde uns durch die Vermittlung des Leiters der Landsiedlung Rheinland=Pfalz, Herrn Dr. Molitor, als Erstausstattung geschenkt. In dieser Zeit kam den Siedlern eine unerwartete Spende von etwa 70 Jersey=Kühen und 2 Bullen aus Amerika sehr zustatten. Christliche Vereinigungen hatten dort von der Not des vertriebenen Landvolkes gehört, und dortige Farmer, die selbst nur 3—4 Kühe besaßen, stifteten eine Kuh, um den Flüchtlingssiedlern den Anfang zu erleichtern. Wirklich eine hochherzige Tat echter christlicher Nächstenliebe, der die Siedler in Dankbarkeit immer gedenken. Erstaunt waren die Siedler über die Leistungen dieser kleinen, nur etwa sechs Zentner schweren Kühe, die 3600 Liter Milch mit 6% Fett und 216 Fettkilo im Jahr geben. Ab l. Januar 1951 gehörten alle Siedler dem Milchviehkontrollvereine und dem Züchterverband für rotbuntes Niederungsvieh an. Die geringen Geldmittel, die dem Lande Rheinland=Pfalz 1950 zur Verfügung standen, wirkten sich nicht nur nachteilig auf den viel zu geringen Inventarkredit aus, sondern viel schlimmer noch in dem Siedlungsbautyp 1950. Dieser Bautyp sah nur einen sogenannten Kernbau vor. Er bestand aus einem Wohnteil mit Wohnküche und zwei kleinen Zimmern. Der Ausbau des Dachgeschosses blieb dem Siedler überlassen. Ferner gehörte dazu ein Pferdestall für 2 Pferde, ein Schweinestall für 6 Schweine, ein Kuhstall für 6—7 Stück Vieh und eine Jauchegrube von ca. 5 cbm, alles unter einem Dach. Unter dem Wohnteil ist nur knapp die Hälfte unterkellert. Keine Scheune, kein Speicherraum, keine Futter= bzw. Rübenkammer und kein Hühnerstall! Trotz Wasserleitung wurde nicht einmal ein Raum für ein Spülklosett vorgesehen, sondern man stellte „hölzerne Häuschen“ auf. Es soll dem Land Rheinland=Pfalz hiermit kein Vorwurf gemacht werden, denn es standen damals pro Vollbauernstelle tatsächlich nur ca. 25 ooo DM zur Verfügung, und damit war bestimmt nicht viel anzufangen. Es soll nur damit gesagt werden, daß der Siedler die Frei= und Schonjahre sehr nötig hatte. Diese primitive Bauweise hat dem Siedler viel zu schaffen gemacht, natürlich auch Geld gekostet. Im Winter standen die wenigen, aber neuen Maschinen im Schnee und verrosteten. Die Strohvorräte verfaulten, das gedroschene Getreide mußte sofort verkauft und je nach Bedarf für teures Geld zurückgekauft werden. Dazu die Mehrarbeit durch das Fehlen einer Futter= bzw. Rübenkammer. Wenn die Siedler auch einen Zuschuß von 1700 DM zum Bau einer Scheune bekamen, so wurde damit doch nur ein Viertel der Kosten gedeckt. Es fehlte also an Krediten. Heute ist in wirtschaftlicher und hygenischer Hinsicht manche Besserung eingetreten. Jauchegruben und Dungstätten wurden mit Siedlungsmitteln vergrößert und teilweise auch Wasserklosetts eingebaut.
Gleich nach unserer Ankunft im Frühjahr 1950 entdeckten wir in Lederbach eine Fläche von etwa 15 Hektar, die nicht zu sehr verginstert war und brach lag. In Gemeinschaftsarbeit gingen wir daran, die Fläche mit unseren mitgebrachten Pferden umzubrechen, nachdem wir sie entginstert hatten. Wir wollten 15 Morgen mit Kartoffeln bepflanzen und 5Morgen mit Hafer=Gersten=Gemenge einsäen, damit wir unsere Winterkartoffeln und Futter für die mitgebrachten Hühner hätten. Der Gedanke war gut, nur leichter gedacht als getan. Wo fand sich die Stelle, die uns 150 Ztr. Saatkartoffeln und 5 Ztr. Saatgetreide auf Kredit bis nach der Ernte zur Verfügung stellte? Alle amtlichen Stellen waren hierfür nicht zuständig, bis es durch Vermittlung des Bauernverbandes in Ahrweiler gelang, daß uns die Raiffeisen=Hauptgenossenschaft in Bad Neuenahr das Saatgut auf Kredit bis nach der Ernte zur Verfügung stellte. Dieser Vorfall war die Geburtsstunde unserer im August 1950 gegründeten eigenen Raiffeisenkasse Ahrbrück, der sofort alle Siedler mit einem Geschäftsanteil von too DM und einer Haftsumme von 1000 DM ab Mitglieder beitraten. Jetzt konnten die Siedler ihre anzuschaffenden Maschinen, das fehlende Vieh, Saatgetreide, Handelsdünger und Futtermittel auch auf Kredit von ihrer eigenen Kasse beziehen. Richtig entwickelte sich die Raiffeisenbank erst, als wir uns nach großen Bedenken doch entschlossen, ab i. Januar 1951 einen hauptamtlichen Geschäftsführer einzustellen. In Landsmann Neumann fanden wir den Mann, der die kaufmännischen Fähigkeiten und Kenntnisse mitbrachte, eine Genossenschaft auch unter schwierigsten Verhältnissen zu voller Blüte zu bringen. Ohne unsere Genossenschaft wäre in dem Siedlungsgebiet in den wenig Jahren nicht das geleistet worden, wie es geschehen ist. Heute hat die Kasse einen jährlichen Warenumsatz von ca. 750 ooo DM. In ihr stehen den Siedlern eine Schrotmühle, eine Saatreinigungsanlage mit Beizung und eine Wäscherei zu Verfügung, letztere liefert dem Siedler für 0,45 DM je Kilo seine schmutzige Wäsche schrankfertig zurück. Dieses sind Einrichtungen, bei denen die Kasse wenig oder nichts verdient, die aber für die Siedler von großem Vorteil sind; und das ist ja der rechte Sinn einer Genossenschaft. Ferner sind der Kasse eine vorbildliche Konsumabteilung und eine Stierhaltungsgenossenschaft für das Siedlungsgebiet angeschlossen. In der Konsumabteilung kann der Siedler alles an Lebensmitteln und Haushaltsgegenständen kaufen, was er braucht. Der Umsatz betrügt 150 ooo DM jährlich.
Ganz besonderen Wert legen wir auf gute Vatertiere in der Rindviehzucht. Die Stierhaltungsgenossenschaft besitzt heute vier Bullen, von denen drei Klasse I und mit ersten Preisen auf den Stammbullenschauen in Köln und Koblenz prämiiert sind, der vierte Klasse II gekört ist. Der Anschaffungspreis dieser Bullen betrug 21 ooo DM. Wo hätten wir das Geld hernehmen sollen, diese hervorragenden Vatertiere anzuschaffen, wenn nicht die Raiffeisenkasse gewesen wäre, obgleich die Siedler bereit sind, bis zu 60 DM Deckgeld pro Kuh zu zahlen. Durch diese wertvollen Bullen konnten die Siedler schon in der züchterisch gesehen sehr kurzen Zeit Spitzentiere für Bullen und Rinder auf Auktionen in Köln und Koblenz erzielen. So verkaufte der Siedler Krause, Lederbach, im Januar 1957 in Köln ein tragendes Rind zum Preise von 2700 DM, ein Preis, der für Rinder in Köln noch nicht erzielt wurde. In dieser Herde steht auch die beste Leistungskuh des Kreises Ahrweiler. Gleich darauf stellte der Siedler Groß, Lederbach, das Spitzenrind für 2100 DM in Koblenz. Lederbach hatte ehedem einen feuchten und sumpfigen Boden, wo die Quellen der Nette liegen. Durch Melioration und Trockenlegung ist aus dem Sumpfland dank der Kulturarbeit und dem Fleiße der Ermländer Siedler fruchtbares Kulturland geworden.
Die Raiffeisenkasse hat heute zwei Fünftonner=Lastwagen mit Anhängern. Der eine fährt die Milch aus dem ganzen Siedlungsgebiet nach der Molkerei Vettelhoven und legt täglich etwa 1oo km zurück. Kein Fuhrunternehmer wäre bei dem damaligen schlechten Straßenzustand — nach 25 ooo km war ein Satz Reifen verbraucht — bereit gewesen, auch für erheblich mehr Geld diese Fuhren zu übernehmen. Die Milchanlieferung nach der Molkerei betrug 1957 etwas über l Million Ltr. Der zweite Lastwagen fährt den Siedlern alles an Handelsdünger, Saatgut, Futtermitteln und Baumaterialien an und holt ihnen alle Verkaufsprodukte, Vieh, Getreide usw. vom Hofe ab. Damit die Bullen recht lange zuchttauglich bleiben, hat die Raiffeisenkasse für sie vorbildliche Losstallungen gebaut. Da alle An= und Verkäufe der Siedler über die Kasse gehen, kann ich ein genaues Bild über die Entwicklung des Siedlungsgebietes und der Kasse seit 1950 geben. Heute hat die Raiffeisenkasse 95 Mitglieder, davon 5o Ermländer mit etwa 200 Geschäftsanteilen zu 250 DM und einer Haftsumme von 1000 DM pro Geschäftsanteil. Es soll auch nicht verschwiegen werden, daß die Kasse infolge der schlechten Ernten der Jahre 1955 (Auswinterung) und 1956 (Nässe) und der übermäßig zugemuteten Erweiterungsbauten (z. B. Wohnraum, Scheunen, Hühnerställe und Jungviehstallungen und Maschinenanschaffungen) ca, 300 ooo DM Kredite an die Siedler ausgegeben hat. Diese Kredite mit bankmäßigen Zinsen bereiten sowohl den Siedlern als auch der Kasse ernstliche Sorgen. Auch im Siedlungsgebiet wird in den Wein des Erfolges ein Wermutstropfen hineingeschüttet!
Auf einer Vollbauernstelle werden heute im Durchschnitt sechs Kühe und zehn bis zwölf Stück Jungvieh, zwei Sauen mit Nachzucht und etwa zwanzig Hühner gehalten. Das Pferd hat dem Schlepper weichen müssen, denn es wirtschaften nur noch vier Vollbauernstellen mit Pferden, dafür laufen aber etwa 60 Schlepper. Ob diese Umstellung immer sehr glücklich war, soll hier nicht untersucht werden; denn was für einen Betrieb richtig ist, kann für einen anderen in der gleichen Große ebenso falsch sein. Mit der Abschaffung der Pferde ist leider auch unser Reiterverein unter seinem Kommandeur Rittmeister a. D. Austen, Beilstein, eingeschlafen. Die Haltung von Gemeinschaftsmaschinen für drei und mehr Betriebe konnte nur eine Notlösung sein und hat sich nicht bewährt, weil alle Beteiligten sie zugleich benutzen wollten, aber keiner sich für die Pflege verantwortlich fühlte. Diese kleinen Maschinengemeinschaften haben sich daher aufgelöst, ausgenommen zwei Dreschgemeinschaften. Damit der Siedler nicht zuviel Geld in Maschinen investiert, die er seltener gebraucht, soll sich der eine z. B. einen Düngerstreuer und eine Drillmaschine kaufen, während sich vielleicht der andere einen Zapfwellenbinder kauft, so daß diese beiden Betriebe ihre Maschinen austauschen können. Leider ist dieser Rat nicht immer befolgt worden und die Ausgaben für Maschinen sind für die Betriebe zu hoch. Auch hat man nicht darauf geachtet, bei der Anschaffung von Schleppern sich auf ein bis zwei Fabrikate in 1—2 PS=Stärken zu einigen, damit ein geordneter Kundendienst gewährleistet wäre und die Raiffeisenkasse für diese beiden Fabrikate die Ersatzteile auf Lager halten könnte. Bei zehn verschiedenen Fabrikaten und noch mehr Größen ist beides nicht möglich. Eine Siedlerstelle von 15 Hektar verbraucht bei intensiver Bewirtschaftung alle Kräfte einer Siedlerfamilie. Als geeignete Siedlerfamilie für eine solche Stelle wäre zu nennen das Siedlerehepaar mit einem arbeitsfähigen erwachsenen Kind oder eine junge Familie mit kleinen Kindern, der aber noch Eltern des Ehepaares, die auf der Siedlerstelle selbst wohnen, mithelfen. Das endgültige Verhältnis zwischen Acker und Grünland wird im Verhältnis 1:1 liegen, in einzelnen Dörfern, bedingt durch den kalten und sprintigen Boden, werden ein Drittel Acker und zwei Drittel Grünland sein. Der Handelsdüngeraufwand beträgt im Durchschnitt 160 DM pro Hektar, der der angrenzenden einheimischen Bauern 60 DM pro Hektar. Der Milchertrag liegt im Siedlungsgebiet laut Milchviehkontrolle bei 4000 Liter je Kuh und Jahr, während der Milchertrag bei der einheimischen Bevölkerung auf 2000 Liter je Kuh und Jahr geschätzt wird. Diese gewaltigen Unterschiede erklären sich aus dem fast dreifachen Handelsdüngeraufwand, der Heutrocknung auf Reutern, der erheblich höheren Zufütterung von Ölkuchen im Winter und aus dem Weideaustrieb auch während der Nacht im Sommer. Hierbei kommt den Siedlern die arrondierte Lage ihrer Betriebe sehr zu Hilfe, während dem einheimischen Bauer, trotz guten Willens, durch die vielen Parzellen und die beengten Ortschaften die Hände gebunden sind, gesunde Viehstallungen zu errichten und den Acker intensiv zu bewirtschaften. Wenn heute der Staat große Mittel für Flurbereinigung und Aussiedlung zur Verfügung stellt, so kann dies nur begrüßt werden, und wenn Bauern den daraus zu erwartenden Nutzen noch nicht eingehen sollten, so bietet das Siedlungsgebiet ein gutes Anschauungsbeispiel.
Zunächst wurde das Siedlungsgebiet in mühevoller und segenreicher Weise von Herrn Pfarrer Pörtner in Ramersbach betreut. Im März 1952 bekam das Gebiet in Herrn Pfarrer Dannowski einen ermländischen Geistlichen. Da seine Pfarrkirche in Niederheckenbach noch zerstört war, bezog er eine Nebenerwerbssiedlung in Cassel und hielt den Gottesdienst in der Schule ab. Herr Pfarrer Dannowski übernahm neben seinen Aufgaben als Geistlicher auch gleich die kulturelle Betreuung der Siedler und vor allem die der heranwachsenden Jugend. Nachdem in Niederheckenbach ein neues Pfarrhaus gebaut und die Kirche wiederhergestellt war, wohnt Herr Pfarrer Dannowski seit 1956 dort. Zweimal im Jahr, zur Generalversammlung der Raiffeisenkasse im Juni und zum Erntedanktag am 1. Sonntag im Oktober kommen alle Siedler und ihre Familien im neuerbauten „Ostpreußenkrug“ in Niederheckenbach zusammen, wo sie nach dem geschäftlichen bzw. kirchlichen Teil bei Kaffee, Kuchen und einem Tänzchen nach alten Walzermelodien den Nachmittag verbringen. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht und in der neuen Heimat der alten gedacht, die uns unvergessen bleiben wird. Zu den Veranstaltungen sorgt Herr Pfarrer Dannowski dafür, daß die Jugend ein paar Theaterstücke aufführt, die immer ein dankbares Publikum finden. Am Erntedanktag wird dem Gutsvorsteher des Siedlungsgebietes, Herrn Amtsbürgermeister Kreuzberg, Altenahr, feierlich die Erntekrone überreicht.
Im Winter finden alle vier Wochen Veranstaltungen des ländlichen Volksbildungswerkes und landwirtschaftliche Versammlungen statt, die immer gut besucht sind. Wie oft hat Herr Landwirtschaftsrat Dr. Persch, Adenau, gesagt: „Die Versammlungen im Siedlungsgebiet sind sehr schön und ungeheuer lebhaft, aber nach jeder Versammlung, in der man tausend Fragen beantworten muß, bin ich körperlich erschöpft!“ Im Sommer werden Ausflüge zu intensiven Betrieben, die ins interessieren, gemacht. Oft melden sich auch bei uns landwirtschaftliche Schulen, Vereine und Siedlungsexperten zur Besichtigung des Siedlungsgebietes an. So durfte ich im letzten Sommer u. a. die ehem. Schüler und Schülerinnen der Landwirtschaftsschulen aus Garding/Holstein und Verden/Aller, die Abgeordneten der saarländischen Landwirtschaftskammer mit ihrem Präsidenten, einen Siedlungsexperten aus Jamaika und einen Professor aus Japan durch das Siedlungsgebiet führen.
Das Kulturamt in Adenau sorgte für
1. den Neubau der Gehöfte für 166 Siedler;
2. für die Rodung des teils aufgeforsteten, teils verginsterten Kulturlandes von 800 Hektar;
3. den Bau von 1.37 km Dorf= und Wirtschafts wegen;
4. für 15 km regulierte Bachläufe und 65 km Dränage;
5. 70 km Wildgatter;
6. 18 km neue Wasserleitungen und 29 elektrische Leitungen;
7. Bau von 2 Schulen und 4 wiederhergestellten Kirchen.
Für diese Kulturarbeit stellte das Land Millionenbeträge zur Verfügung. Wir Siedler können dem Landw.=Ministerium in Mainz, der Landsiedlung in Koblenz, dem Kulturamt in Adenau, den Landräten Schüling und Urbanus in Ahrweiler und den Landtagsabg. Dr. Habighorst und Teschner nicht genug danken, daß sie dieses große Unternehmen. Mit Hilfe von ermländischer Ausdauer und Tüchtigkeit, zustande gebracht haben. Die Beratung meiner Landsleute, von denen mich recht viele noch als Bauer auf heimatlicher Scholle kennen, erfüllt mich mit Freude, wenn auch Unannehmlichkeiten mitunter nicht ausbleiben. Hat es jemals zufriedene Bauern gegeben? Warum sollten meine Landsleute andres sein!
Ich will meine Ausführungen mit den Worten des Herrn Kammerpräsidenten des Saarlandes abschließen, der mir bei Ende der Besichtigung sagte: „Geben Sie bitte diese 10 DM Ihrem Herrn Pfarrer für eine hl. Messe in dem Anliegen, daß die Siedler so einig und tüchtig bleiben und Gottes Segen weiterhin auf dem Siedlungsgebiet Ahrbrück ruht!“