EINE TAUFE UNTER DEM GALGEN
Von Ignaz Görtz
Von Altenahr führt ein Stationsweg auf die Höhe der Boxhardt. Den Beschluß bildet ein hohes Steinkreuz, oben eine Kreuzigungsgruppe, in der Mitte eine Nische mit der Nachbildung des Reliquienkreuzes aus der Altenahrer Pfarrkirche und auf dem Schaft eine Inschrift. (Vgl. hierzu Heimatkalender 1937 und 1958.) Stationsweg und Kreuz wurden nach der eingemeißelten Inschrift im Jahre 1728 errichtet zur Erinnerung an das Wiederfinden der Reliquie vom Hl. Kreuz, die um das Jahr 1700 aus der Pfarrkirche zu Altenahr gestohlen worden war. Welches sind nun die historischen Tatsachen dieses Ereignisses?
Die Pfarrkirche von Altenahr besaß eine Reliquie vom Hl. Kreuz, die in einem versilberten Reliquienkreuz aufbewahrt wurde.
Kreuz auf der Boxhardt
Foto: (2) Görtz
An hohen Feiertagen stellte man diese Kreuzpartikel auf dem Tabernakel zur Verehrung aus. Der Sage nach hatte ein Ritter von Are die Kreuzreliquie von einem der Kreuzzüge aus dem Hl. Land mitgebracht. Nach dem Visitationsbericht vom Jahre 1684 war dieser Ritter aus dem Geschlechte von Blanckart. Die Ritter von Blanckart waren Burgleute zu Are, sie waren in der Pfarrei reich begütert und auch Stifter der Vikarie zum Hl. Kreuz in der Altenahrer Pfarrkirche. Kuno von Blanckart stiftete im Jähre 1552 das feine Bildwerk von der Grablegung Christi, das heute noch im Heiligenhäuschen vor dem Rathaus in Altenahr steht. Die Stiftungsurkunde des Kreuzaltars und die Bescheinigung über die Echtheit der Kreuzpartikel waren jedoch im Jahre 1684 nicht mehr vorhanden. Wer verlangte auch schriftliches Zeugnis über die Echtheit der Reliquie? Das gläubige Volk verehrte diesen kostbaren Schatz so, wie es schon seine Vorfahren getan.
In der Nacht von Sonntag auf Montag, den 22./23. November 1689, zwischen 12 und 1 Uhr, brachen Diebe in die Altenahrer Pfarrkirche ein. Gestohlen wurden „io Stück neuen Tuchs“ (Altarlinnen) und sämtliche goldenen und silbernen Kirchengeräte. Wie später das gerichtliche Verhör ergab, waren an dem Diebstahl fünf Personen beteiligt. Die Anstifter waren der Jude Jakob von Linz und der Jude Meyer von Ipplendorf (Wormersdorf), die jedoch nicht mit nach Altenahr gingen, sondern in der gleichen Nacht beim Vikar in Kreuzberg einbrechen und sich später mit den drei anderen auf der Tomburg treffen wollten. Nach Altenahr kamen der 22jährige Jude Borch (Burkhardt) Zander aus Franken, Johannes Webel aus Daxweiler und Christian Kläsgen aus Heimerzheim; die beiden letzteren waren römisch-katholisch. Christian Kläsgen öffnete
ihnen mit einem Nachschlüssel: die Kirchentür, brach die Sakristeitür auf und holte mit dem Johannes Webel das Altarlinnen. Dann brachen Christian und Borch Zander den Sakramentsschrank auf. Sie steckten Kelche, Patenen, Monstranz und Reliquienkästchen in einen Sack, den Borch Zander wegtrug. Das silberne Kreuz mit der Kreuzpartikel trug der Jude in der Hand. Unbemerkt verschwanden die Diebe über den Markt und zogen durch das Roßbachtal über die Höhe der Boxhardt. Hier geschah es nun, daß den Juden Borch Zander, der den Sack mit Kirchengerät und das Reliquienkreuz trug, „ein so ungemeiner Schrecken und Furcht ankommen, ja eine solche Angst, daß ihm der häufige Angstschweiß auf dem ganzen Leib abgeronnen. Und ist ihm nach seinem selbsteigenen, öffentlichen Bekenntnis, die Last seines Raubes, der nämlichen hl. Particul, so schwer, ja so unerträglich vorkommen, als trüge er den allerschwersten Mühlstein an seinem Hals und könnte keinen Tritt mehr vor sich gehen.“ Er bat seine beiden Gefährten, hier zu rasten und nachzusehen, was in dem silbernen Kreuz so schwer sein könnte. Sie untersuchten ihre Beute und entdeckten die Kreuzpartikel. In der Dunkelheit hielten sie es „für ein Stücklein Gebein eines Heiligen“. Christian brach die Partikel heraus und warf sie weg. Das Kreuz bog er beieinander und steckte es zum übrigen Kirchengerät. Borch nahm den Sack auf, den er nun gut tragen konnte. Im Morgengrauen kamen sie in die Gegend von Gelsdorf.
Kreuz mit Kreuzpartikel
Kurz nach Verlassen des Waldes untersuchten sie nochmals ihre Beute. Da sie feststellten, daß das Reliquienkreuz nur aus versilbertem Kupfer bestand, ließen sie es liegen. Ihrem Tun hatte aber der Knecht des Gelsdorfer Pastors zugesehen, der in der Frühe aufs Feld fuhr. Der Knecht eilte zurück, benachrichtigte seinen Herrn, und schon in Altendorf faßte man den Johannes Webel und den Borch Zander, während dem Christian die Flucht gelang. Die beiden Diebe wurden nach Altenahr ins Gefängnis gebracht. Vor dem Altenahrer Gericht, in Anwesenheit des Herrn Amtmannes, des Schultheißen Winand Pützfeld und der Schöffen Peter Dung und Wilhelm Ludwigs fand am 23. und 24. November das Verhörstatt. Während die beiden im Gefängnis saßen, hörte Borch Zander, daß der Verlust der Kreuzpartikel sehr betrauert wurde. Man hätte gerne auf das wiedererlangte Kirchengerät verzichtet, wäre nur die Reliquie gefunden worden. Der Jude erinnerte sich dabei, wie ihm das Kreuz so schwer wurde und nach Entfernen der Partikel wieder leicht zu tragen war. Er kam zu der Überzeugung, daß diese ungewöhnliche Schwere und auch sein eigenes Angstgefühl nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen seien- und daß in dieser Partikel etwas Großes, Geheimnisvolles verborgen sein müsse. Er erbot sich, das Gericht an die Stelle zu führen, wo die Partikel liegen müsse, Man zog in den Boxhardter Wald. „Und“, so wird berichtet, „da nun an dem angewiesenen Ort der zeitliche Vicarius oder Vicepastor, Herr Peter Heinen, suchen wollte, ergreift er und fand im ersten Bük’ken zur Erde die daliegende Particul des Hl. Creutzes, welche er aufgenommen und getragen bis an die Pforte dieses Marktflekkens. Hier verweilet er, bis das gesamte Volk des Kirchspiels versammelt,‘ mit fliegenden Fahnen unter einer großen, zahlreichen Procession dahin kommen, und mit allgemeinem Jubel und fast unaussprechlicher Freude und Frohlocken intoniert und gesungen den Hymnus Te Deum laudamus, und also unter Läuten aller Glocken diesen wiederaufgefundenen Schatz bis in die Kirche andächtig begleitet.
Borch Zander hatte die geheimnisvolle Schwere der Reliquie erlebt. Er hörte von der großen Traurigkeit des gläubigen Volkes über den Verlust der Kreuzpartikel. Mit eigenen Augen sah er, wie die Partikel wiedergefunden, in großer Freude und unter dem Jubel der ganzen Bevölkerung zurückgebracht wurde. Nun drängte es ihn, Näheres über die christliche Lehre zu erfahren. Er verlangte, im christlichen Glauben unterrichtet zu werden. Pater Franciscus Gültig vom Kalvarienberg zu Ahrweiler bescheinigt später, daß Borch Zander von ihm gründlich in der christlichen Lehre unterwiesen und schließlich auf eigenes Verlangen getauft wurde.
In der Zwischenzeit fällte das Altenahrer Gericht sein Urteil: Tod durch den Strang für die Kirchenräuber.
Vom Kalvarienberg kamen zwei weitere Patres als Beistand für die zum Tode Verurteilten. Das Urteil wurde am 4. Dezember 1699 vollstreckt. Unter dem Galgen taufte Pater Gültig den Borch Zander. Pate war der kurfürstliche Rentmeister Peter Severini. Nach der Taufe bestieg Borch Zander sogleich die Leiter, drehte sich aber noch einmal um und bat den ihm beistehenden Pater Christoph Berger, zusammen mit dem versammelten Volk noch fünf Vater unser und fünf Ave zu Ehren der fünf Wunden Christi zu beten. „Dann“, so schreibt der Chronist, „ist also dieser Jud mit einer ungemeinen Resignation, und bald nicht erlebtem Exempel in den Augen des häufig umstehenden Volkes, bei Zuziehung des Stranges unter dem Glockenzeichen zum Englischen Gruß aller Meinung nach glücklich verschieden. Der Amtmann, Freiherr von Gruithausen, erlaubte, daß der Tote vom Galgen abgenommen und später christlich beerdigt wurde.
Soweit die historischen Tatsachen, die nicht nur einen Diebstahl mit ungewöhnlichen Begleitumständen schildern, sondern auch für die Echtheit der in Altenahr verehrten Kreuzpartikel sprechen!
Q U E L L E N : Heimatkalender 1937 und 1958. – Ortschronik Altenahr. – Chronik Kalvarienberg. – Stadtarchiv Ahrweiler B XIII :. – Staatsarchiv Koblenz a. 1288.