»Eine Lebensfrage für die Eifel«
Das Projekt eines Adenauer Progymnasiums im Jahre 1850
Dr. Martin Persch
In den Heimatjahrbüchern für den Landkreis Ahrweiler hat Dr. Hermann Otto Penz 1958 und 1969 über die Geschichte des im Jahre 1914 durch Privatinitiative gegründeten Progymnasiums in Adenau, des heutigen Staatlichen neusprachlichen Erich-Klausener-Gymna-siums, bis in die Gegenwart gehandelt. Die Namen vieler ehemaliger Lehrer haben in der Eifelstadt bis zum heutigen Tage, wenigstens bei den »mittelalterlichen« bis älteren Semestern, noch guten Klang: wir nennen hier nur August Leilmann, Sophia Baur, Oberschullehrer Burkhardt und Martha Klein stellvertretend für eine ganze Reihe von engagierten Lehrpersonen, die sich bemüht haben, den zuweilen recht spröden Kindern unserer Hocheifel die niederen und mittleren Weihen der Wissenschaft zu vermitteln.
Weniger bekannt als die jüngere Geschichte der Lehranstalt dürfte indes wohl den meisten ehemaligen Schülern sein, daß die Adenauer bereits um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts einmal mit dem Plan umgingen, ein Progymnasium zu gründen. Wie sie das gestalten wollten, wen sie für ihren Plan zu engagieren versuchten und wie kläglich die ganze Sache ausging, soll im folgenden kurz dargestellt werden.
Im ihrer Ausgabe vom Dienstag, dem 29. Januar 1850, brachte die in Trier erscheinende katholische Zeitung, »Trier’scher Volksbote für Stadt und Land« betitelt, folgende Notiz: »Nach dem Ableben des Pastors Meyer hat der Gemeindevorstand dem hochw. Bischof den Wunsch kund gethan, ein Gymnasium in Adenau gründen zu wollen, und heute schon erhalten wir die liebreiche Zusage bereitwilligster Mitwirkung.«
Was verbirgt sich hinter dieser Notiz? Antwort bieten die sogenannten Pfarrakten, also die im Bistumsarchiv Trier aufbewahrte Korrespondenz zwischen der Bischöflichen Behörde in Trier und der Pfarrei Adenau. Der in der Zeitungsnotiz erwähnte Tod des Adenauer Pastors Johann Baptist Meyer ereignete sich an Silvester des Jahres 1849. Adenau hatte er vierzehn Jahre versehen. Die große und ausgedehnte, dabei sehr angesehene Pfarrei sollte noch über elf Monate vakant bleiben, ehe sie in der Person des in Herschbach geborenen Dr. Johann Hippolyt Parsch am 14. November 1850 einen neuen Seelenhirten erhielt. In der Zwischenzeit wurden die Adenauer von zwei Kaplänen seelsorglich betreut. Der eine hieß August Nikolaus Mähler und war ein gebürtiger Koblenzer. Am 10. Januar 1860 kam der in Rodder bei Reifferscheid geborene Johann Wendelin Heydinger, der sich später als Heimatforscher weit über die Grenzen unserer Heimat hinaus einen Namen machen sollte, nach Adenau hinzu. Kaum war Heydinger, der zuvor im saarländischen Naibach amtiert hatte, in seine Heimat zurückgekehrt, kam ihm „der Wunsch der hiesigen Bürgerschaft, hierorts eine höhere Bürgerschule errichtet zu sehen, zu Ohren, und daß seitens des Gemeindera-thes zur Ausführung dieses Wunsches Schritte geschehen« seien.
Was war geschehen? Gut eine Woche nach dem Tod von Pastor Meyer, am 7. Januar 1850, hatten sich 13 Mitglieder des Adenauer Gemeinderates in einem Schreiben an den Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi (1842 bis 1864) gewandt. Das Schreiben hatte als Überschrift den etwas umständlichen Titel »Ehrfurchtsvolle Bitte, daß durch Besetzung der hiesigen Pfarrstelle die künftige Verbindung des Amtes eines Vorstehers und Mitlehrers an einem Progymnasium mit derselben möglich gemacht werden möge« und besagte nicht mehr und nicht weniger, man sei entschlossen, ein Progymnasium zu gründen, sehe sich dazu aber nur imstande, wenn der Bischof einen geeigneten Pfarrer nach Adenau berufe, der gleichzeitig als Vorsteher der Schule, wenigstens aber als Lehrer neben seinem Pfarramt wirken könne. Finanziell betucht müsse dieser Geistliche nicht sein, aber zu einem solchen Amte müsse er durchaus geeignet sein, »denn daß die hiesige Pfarrstelle zu den bedeutenderen der Diözese gehört und der darauf zu nehmenden Rücksicht bei ihrer Besetzung auch die damit verbundenen Einkünfte nicht hinderlich sein werden, sei . . . noch beiläufig erwähnt,« betonten die Gemeinderäte. Als Begründung für die Notwendigkeit einer höheren Schule in Adenau wurde angegeben:
»Die Eifel, zu der die hiesige Pfarrei gehört, ist durchgängig arm, die Ortschaften und selbst der Kreis-Hauptort sind auf gewöhnliche Ele-mentar-Schulen beschränkt, sie liegen sehr weit von einem Gymnasium entfernt, die nächsten in der Diözese sind Coblenz, Creuznach und Trier. Es fällt daher den Eltern schwer, ihre Kinder weiter ausbilden zu lassen wegen der damit verbundenen Kosten; darunter muß dann bei dem besten Willen die Hebung der geistigen Bildung und die ökonomischen Verhältnisse leiden.
Statt die arme Eifel des Zuführens von Erwerbsquellen so sehr bedürfte, findet sie nur Gelegenheit ihr bißchen Habe zu verkleinern und in anderen besseren Gegenden auszugeben, will sie nicht ganz auf die Wohltat der Weiterbildung ihrer jugendlichen Bevölkerung verzichten, während durch Errichtung einer höheren Schule geistiges und materielles Wohl gefördert und Hand in Hand gehend sich gegenseitig heben würde.
Fast in allen Städtchen findet sich die eine oder andere öffentliche Anstalt, welche manchfa-chen Verkehr veranlaßt, Sitten, Bildung und Wohlstand verbessern; nur im Kreise Adenau und Umgegend in einer großen Ausdehnung der Eifelgemeinden, denen Aufhülfe so sehr Noth thut und welche so abgeschlossen sind, daß sie sich auch den Vortheilen.des Verkehrs besserer Gegenden nicht theilhaftig machen können, nicht.
Mit welchen für die armen Leute drückenden Opfern muß es dahin gebracht werden, einem jungen Manne die Möglichkeit zu geben, sich die wissenschaftliche Bildung aneigenen zu können, welche zum geistlichen Stande erforderlich ist. Dennoch werden gerade aus dieser Gegend unter solchen ungünstigen Verhältnissen tüchtige und würdige Geistliche und in solch Anzahl gezählt, daß sie mehr als das Bedürfniß in derselben nach den jetzt bestehenden Einrichtungen decken würden. Die Zahl jener lebenden Geistlichen aus dem Kreise Adenau wird sich um 40 belaufen.
Von anderen Fächern der Wissenschaft abgesehen, weiset das Gesagte schon genügend auf das Bedürfniß einer höheren Schule, als nothwendige Vorbereitungs-Anstalt zur Heranbildung von Geistlichen, deren Mangel so oft erfahren wird, hin.«
Beiläufig und in eher verschlüsselter Art und Weise wurde auch der Name eines den Gemeinderäten offenbar geeignet erscheinenden Kandidaten für die Leitung von Pfarrei und Progymnasium genannt. Es handelte sich um den aus Kaltenborn gebürtigen, fünfundvierzig-jährigen Pfarrer von Niederehe, Johann Baptist Heidinger, der von 1828 bis 1830 als Kaplan in Adenau füngiert hatte und als tüchtiger Schulmann galt, wie gleichsam nebenher berichtet wurde.
Unterzeichner der Bittschrift waren die Gemeinderäte Notar Keiffenheim, zugleich Kreisdeputierter, Apotheker und Posthalter Stephan Weber, Ergänzungsrichter Wirz, der Beigeordnete Johann Nicola Baur, ferner Franz Koll, Anton Schellenbeck, Anton Seuter, Heinrich Schlösser, Heinrich Friedrich, Anno Zimmer, Peter Hilger und Franz Friedrich.
Bischof Arnoldi ließ den Gemeinderäten bald einen günstigen Bescheid zugehen. Unter dem 22. Januar 1850 schrieb er ihnen:
„Die Mittheilung des Gemeinderathes von Adenau, daß er beabsichtige, eine höhere Stadtschule daselbst zu gründen, war mir sehr erfreulich und hat mich in meinem Vertrauen zu der guten Gesinnung der dortigen Pfarrgenos-sen von neuem bestärkt. Ich werde sehr gern Ihrem Antrag gemäß sowohl bei der Ernennung des neuen Pastors als auch der künftigen Ka-pläne die Beförderung dieses Planes im Auge behalten, und auf die dortige Pfarrgeistlichkeit, wenn diese den Andeutungen des Gemeinderathes genügt, die Leitung der Anstalt und den Unterricht an derselben versuchsweise übernehmen soll, dahin einwirken, daß sie allen Eifer, falls ihr nicht unübersteigbare Hindernisse in den Weg gelegt werden, darauf verwenden.«
Soweit war die ganze Sache gediehen, als sich Parteiengezänk und Politik in die bis dahin offenbar doch noch recht sachlich geführte Angelegenheit einzumischen begannen. Das ehemalige Mitglied der preußischen Nationalversammlung von 1848, nunmehr Vertreter für das Preußische Abgeordnetenhaus (Kreise Adenau, Cochem und Zell), Johann Nicola Baur, und der Adenauer Bürgermeister Franz Ignaz v. Meurers standen sich seit dem Revolutions-jahr in offener, zum Teil in den Zeitungen öffentlich ausgetragenen Fehde gegenüber. Einen gemeinschaftlichen Nenner zwischen den beiden zu finden, war und blieb unmöglich. Sagte der eine »hü«, schrie der andere »hott«. Verfahren wurde die ganze Sache aber erst recht dadurch, daß zwei Wochen nach der ersten Denkschrift eine zweite nach Trier abging. Absender waren die Vorsteher der Orte Breidscheid, Herschbroich, Wimbach, Kotten-born, Leimbach, Gilgenbach, Honerath und Quiddelbach, also der Filialen der Pfarrei Ade-nau, sowie zehn Gemeinderatsmitglieder. Sie wandten sich an das Bischöfliche Generalvika-riat und erbaten sich als zukünftiger Pfarrer »einen jungen, kräftigen zugleich aber tüchtigen Geistlichen«. Ohne Umschweife nannten sie auch den Namen ihres Kandidaten: es war der vierzigjährige Pastor von Waldalgesheim, Johann Peter Neumann, der nach seiner Priesterweihe mehrere Jahre als Kaplan in Adenau tätig gewesen war.
Nun wäre es weiter nicht schlimm gewesen, wenn die Ortsvorsteher der Filialen in einer weit zerstreuten Pfarrei einen gesunden, kräftigen Mann zum Pfarrer gefordert hätten. Pikanterweise finden wir aber unter diesem Gesuch vom 21. Januar auch fünf Namen der ersten Denkschrift, darunter die von J. N. Baur. Dies ließ den Bürgermeister v. Meurers natürlich nicht ruhen! Wie der Notar Keiffenheim Bischof Arnoldi gut zwei Wochen später mitteilte, favorisierte das Stadtoberhaupt den Pfarrer von Trier-St. Matthias, Johann Baptist Cordel, als zukünftigen Pastor von Adenau. Auch er war früher Kaplan in Adenau gewesen, und zwar von 1834 bis 1838. Jetzt hatte man also schon drei öffentlich gehandelte Kandidaten für die Adenauer Pfarrstelle, Jund zu allem Unglück bemerkte der Notar, »daß auch unter anderen Herrn Pfarrern, welche früher Kapläne in Adenau waren, manche als nicht minder geeignete Männer zur Zeit bekannt sind, welche durch Frömmigkeit und durch ein würdiges und mustergültiges Verhalten im besten Lichte stehen…«
Die ganze Gesellschaft hatte sich also restlos zerstritten, und in Trier begann man so langsam den Braten zu riechen. Man behandelte die ganze Sache dilatorisch, offenbar mit der Absicht: kommt Zeit, kommt auch Rat. Eine in der Sache höchst vernünftige Eingabe von Kaplan Heydinger, der sich sehr engagiert zeigte, wurde ebenso von Generalvikar Matthias Martini »einstweilen ad acta« gelegt wie eine Zuschrift der »höheren Stadtschul-Commission« vom 19. März 1850 an den Bischof. Diese Kommission bezeichnete sich als vom Gemeinderat gewählt und bestand aus den Herren J. N. Baur, Keiffenheim, Schellenbeck und Heydinger. Die Zuschrift gipfelte in den Sätzen:
»Eine solche Anstalt ist eine Lebensfrage für die Eifel resp. Adenau. Unser Wunsch ist es, schon zu Ostern die Anstalt eröffnet zu sehen. Sollte bis dahin unsere Pfarrei noch nicht von Euer Bischöflichen Gnaden mit einem Pastor beglückt sein, so würde einstweilen das mitunterzeichnete Commissionsmitglied, Kaplan Heydinger, unter Beihülfe der übrigen Commis-sionsmitglieder sich gern der interimistischen Leitung der Anstalt unterziehen.«
Das war sehr forsch vorgetragen, und es gehört keine allzugroße Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß Bischöfliche Behörden mit solchen Tönen nicht einverstanden sind. Tatsächlich sollte es ja auch noch, wie wir gesehen haben, etliche Monate dauern, bis Adenau mit einem neuen Pfarrer »beglückt« wurde.
Die Angelegenheit einer höheren Schule ging dann aus wie das Hornberger Schießen. Im März 1850 richtete der Adenauer Bürgermeister ein Schreiben an den Bischof, in dem er in drastischen Worten seine Sicht der Dinge wiedergab: »Meine amtliche Stellung macht es mir zur Pflicht, das wohlverstandene Interesse der meiner Verwaltung anvertrauten Gemeinden im Auge zu behalten und deshalb darf ich nicht unterlassen ganz gehorsamst bemerklich zu machen, daß der Vorschlag zur Errichtung eines solchen Instituts hierselbst ebenso unüberlegt, wie unreif und noch dazu aus unlau-tern, nichts weniger wie christlichen Absichten hervorgegangen ist. Die Finanz-Verhältnisse der Gemeinde Adenau sind von der Art, daß sogar zur Bestreitung der gewöhnlichen Bedürfnisse nicht unbedeutende Umlagen erhoben, andere aber, wie die Erweiterung des Schulhauses, die Anstellung eines dritten Ele-mentar-Lehrers, die Herstellung des Straßenpflasters und der Pumpen, wegen der Finanzklemme bis dahin haben ausgesetzt werden müssen. Dazu fehlt es noch an einem Local zu einer solchen Anstalt und noch an anderen hierzu nöthigen Erfordernissen.
Wenn die Antragsteller von allem dies absehend, ein solches Institut hier ins Leben rufen wollen, so liegt darin kein anderer Zweck, als gerade ihren Kindern mit Kosten-Ersparung auf Rechnung einer armen Gemeinde, einige Vorbildung geben zu lassen, was ebenso wenig christlich ist, wie ihr Wandel und ihre Mißachtung der Religion, der Kirche und ihrer Lehre, einer Behauptung, der ich statt weitern Beweises nur die Angabe hinzufüge, daß dieselben ohne Ausnahme, der exaltirten Demokratie angehören, deren infernale Sendungen zu bekannt sind, um darüber noch ein Wort zu verlieren.
Wenn hiernach für die vorhabende Einrichtung eines Progymnasiums hierselbst gar keine Aussicht vorhanden ist und desfallsige Anträge höchstens unnütze Weiterungen herbeiführen können, so wäre es doch möglich, daß durch die in demokratischer Weise erfolgten Vorspiegelungen, die Wiederbesetzung der hiesigen Pfarrstelle sich verzögern könnte und gerade deshalb habe ich Ew. Bischöfliche Gnaden Obiges vorzutragen für Pflicht gehalten, weil die baldige Ernennung eines Pfarrers hier selbst ein um so dringenderes Bedürfnis für die Seelsorge einer so großen Pfarre ist, als der sehr würdige Herr Kaplan Maehler bei seinem unermüdlichen Diensteifer der übergroßen Anstrengung bald erliegen wird.«
Damit war der Traum eines Progymnasiums für Adenau vorläufig beendet. Die Bischöfliche Behörde hatte nicht die Absicht, in ein solches Wespennest hineinzustoßen, legte das Schreiben des Bürgermeisters ebenfalls ad acta und verfolgte nach dem uns bekannten Aktenstand die Angelegenheit nicht weiter. Die Kommission hat sich wohl bald aufgelöst, und der neue Pfarrer – wie gesehen, keiner der genannten Kandidaten, und ebenfalls vorher nicht als Kaplan in Adenau tätig – wird seinem Kaplan Heydinger bedeutet haben, sich in dieser Angelegenheit nicht weiter zu engagieren. So endete in Adenau vor 140 Jahren der Versuch, eine höhere Schule zu begründen.
Noch einmal vor der endgültigen Gründung 1914 versuchte man, in Adenau eine höhere Schule einzurichten. Der katholische Pfarrer Josef Caster, der von 1909 bis 1924 in der Eifelstadt amtierte, hatte im Jahre 1911 an der Provinzialstraße Adenau – Blankenheim eine dreieinhalb Morgen große Parzelle gekauft, und zwar die nach seinen eigenen Worten »in herrlichster und günstigster Lage« gelegene Parzelle »auf dem Knopp«. Falls Bischof Michael Felix Korum (1881 bis 1921), so das Begehren des Pfarrers, an dieser Stelle »ein Konvikt oder Alumnat« gründe, sei auch die Gründung einer höheren Schule »mit einem Schlage beschlossene Sache, da somit dem Unternehmen ein Stamm von Schülern sicher gestellt ist.«
Die Bischöfliche Behörde ist solchen Plänen nicht nähergetreten, hat wohlweislich geschwiegen und es zunächst einer Privatinitiative, sodann der Gemeinde Adenau überlassen, eine private höhere Schule zu gründen, aus der dann das Progymnasium und später das Erich-Klausener-Gymnasium hervorgegangen sind.