Eine friedliche Begegnung in der friedlosen Zeit des dreißigjährigen Krieges

Ein böhmischer Maler erlebt den Rhein

VON HERMANN BAUER

Personenschiff mit Lastkahn auf dem Rhein bei Linz
Repro Gerd Bauer

Lehr- und Wanderjahre

Wenzeslaus Hollar wurde 1607 in Prag geboren. Als er herangewachsen war, gerieten die Wünsche der Eltern in starken Gegensatz zu den eigenen Vorstellungen über seine Lebensaufgabe. Nur in der Kunst sah er die Kraft, die Unduldsamkeit seiner Zeit zu überwinden. Als Zwanzigjähriger verließ er Prag, kam nach Frankfurt und lernte zwei Jahre bei Merean den Kupferstich. Diese neue Kunst hatte bereits eine Sonderstellung innerhalb der bildenden Künste erobert. Durch sie kamen die Werke der Malerei ins Volk, und die illustrierten Bücher fanden Eingang bei den weniger gebildeten Menschen. Aber es zeigte sich auch schon der „Schwarze Teufel“. Schmähschriften, Traktate und Pamphlete bereiteten mit ihren Illustrationen den Ausbruch des Krieges psychologisch vor und heizten die Leidenschaften der Menschen zur Weißglut an. Doch von alle dem spürte Hollar nichts. Auf seiner Wanderschaft durch das westliche Deutschland gelangte er schließlich nach Holland, bewunderte dort die großen Meister seiner Zeit und kehrte nach Köln zurück. Der Krieg aber war bereits auch hier eingekehrt. Hollar wollte ihm entfliehen, kam nach England, das von der Revolution geschüttelt und der Pest heimgesucht war. Als das Unglück mit grausamer Hand auch nach ihm griff, Frau, Kind und Habe nahm, kehrte er geläutert und gereift nach Köln zurück.

Der Rhein in Flammen

Die Furie des Krieges wütete bereits im Rheinland. Französische, spanische und holländische Truppen drangen sengend und brennend in Deutschland ein. Gustav Adolf von Schweden kam seinen bedrängten Glaubensgenossen in Deutschland zu Hilfe und schielte dabei auf die deutsche Ostseeküste als sein künftiges Gebiet. Das Haus Habsburg erstrebte die Weltherrschaft; Frankreich, England und die Niederlande waren um ihre Selbständigkeit besorgt. Der Krieg sollte im Namen der Religion geführt werden, aber kaum einer kämpfte auf der Seite, zu der er gehörte. Durch die Reformation wurde der Traum vom Heiligen römischen Reich ausgeträumt, und die Lehre Luthers zeigte den Landesfürsten Wege zur Unabhängigkeit. Als die Habsburger diese Entwicklung kommen sahen, bereiteten sie sich auf die kriegerische Auseinandersetzung vor. So standen schon drei Jahre vor Ausbruch des Krieges die kaiserlichen Truppen auch im Rheinland in Bereitschaft. In einem Schreiben an den Kurfürsten beklagten sich die Gemeinden Remagen, Sinzig, Heimersheim und Oberwinter, „daß die daselbst liegenden Garnisonen sich nicht so betragen, wie sie es sollten, daß selbst die Kapitäne von den Bürgern Gelder erpreßten“. Mit Ausbruch des Krieges entlud sich in den Söldnern die aufgespeicherte Sucht, das Mütchen an denen zu kühlen, die es wagten, anders zu denken, als ihnen selbst zu glauben befohlen war. Auch die Schweden dachten so, als sie 1632 die Stadt Remagen eroberten und niederbrannten. Dann kamen spanische Truppen und nahmen an den Schweden blutige Rache, bis die Schweden die Stadt zurückeroberten und ein großes Blutbad unter den Kaiserlichen anrichteten. Als der spanische Obristleutnant Don Pedro den Befehl über die Stadt übernahm, erhofften die Remagener Ruhe und Ordnung; doch er gab seinen Söldnern die Stadt zur Plünderung, und die Einwohner zur Erpressung und Schändung frei. So groß war die Bedrängnis der Stadt, daß der Bürgermeister die umliegenden Ortschaften um eine milde Beisteuer ansprach, um Häuser und Kirche wieder aufzubauen. 1640 zählte die Stadt noch 60 Häuser und Hütten.

Der englische Diplomat

England blieb offiziell dem Kriegsgeschehen fern. Zwar stand es der Politik der Habsburger feindlich gegenüber, und besonders die spanischen Stützpunkte in den Niederlanden waren ihm ein Dorn im Auge. Als sich die Kirche in England von Rom trennte und die anglikanische Staatskirche schuf, hätte sich eine Verständigung mit den nichtkatholischen Ständen der Niederlande geradezu angeboten, wenn nicht diese Stände ausgerechnet Kalvinisten gewesen wären. In England standen die Kalvinistenin Opposition zum König. Aber auch aus anderen politischen Gründen konnte sich England eine einseitige Parteinahme auf dem europäischen Kontinent nicht leisten. Ein gestärktes Frankreich hätte das Gleichgewicht der Kräfte erheblich gestört. Der König Jakob I. hatte dazu noch ganz persönliche Interessen, für keine Seite Partei zu ergreifen. Der von den aufrührerischen Ständen gekürte Gegenkönig Friedrich V. von der Pfalz war enger Verwandter des englischen Herrscherhauses. Als dieser von Ferdinand I. geschlagen fluchtartig das Land verließ und bald darauf starb, meldete der englische König Erbansprüche an. Um seinen Ansprüchen das nötige Gewicht zu verleihen, ernannte er den Grafen Arundel zum außerordentlichen königlichen Gesandten, um am Hofe des Kaisers zu sondieren, was sich hier für seinen Herrn herausholen ließe. Am 7. April 1636 verließ die englische Gesandtschaft die Insel und bestieg in Arnheim ein eigens für diesen Auftrag bestimmtes Schiff. In Köln traf der Gesandte mit dem Mainzer Erzbischof, dem Erzkanzler des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation, zusammen.

Neben der Politik war es besonders die Kunst und hier die Antike, der der Engländer in Köln in reichem Maße begegnete. Bei einem seiner Streifzüge in das Reich der Kunst traf er in einer Kölner Druckerei den Graphiker Wenzeslaus Hollar. Die Begegnung wurde für beide ein großer Gewinn.

Der Meister

Von der Landschaft her, die junge Menschen formt, konnten sich kaum größere Gegensätze treffen. Hier Böhmen, ein Land der religiösen und nationalen Gegensätze, die jahrelang mit fanatischem Haß ausgetragen wurden, dort ein englischer Aristokrat mit einer weltweiten Bildung einerseits und anderseits einer traditionellen insularen Bindung.

Hollar hat die Grenzen und Begrenztheit seines Landes überwunden. Er begegnete der Wirrsal mit der Ruhe, dem Haß mit der Versöhnlichkeit. Eindrücke, die bei anderen Menschen eine Kindesseele für ein ganzes Leben hätten zerstören können, fanden keinen Eingang in sein Werk, das bis in die heutige Zeit ein einzig Hohelied des Lebens ist; dem Tode in jeglicher Gestalt bleibt der Eintritt verwehrt.

Dem Barock kann man sein Schaffen nicht zuordnen, dazu fehlt ihm die Leidenschaft; der Ausdrucksweise der Renaissance kommt er schon näher, weil seine Werke die Freude an der gelassenen Schönheit wiederspiegeln. Aber der Lebenshunger, der dieser Zeit das Gesicht gibt, spiegelt sich nicht in Hollars Werk wieder. Überhaupt tritt jede persönliche Note in seinem Schaffen zurück. E. Dostal, der in der Einleitung zum Katalog für die Ausstellung von Hollars Zeichnungen in der Nationalgalerie 1959 über dessen Kunstauffassung schreibt, kommt zu folgendem Urteil:

„Sein Realismus kennt keinerlei Kompromiß. Seine Landschaften sind nicht komponiert. Er versteht es zwar ebenfalls, einen geeigneten Blickpunkt zu wählen, von dem aus sich ein bestimmter Naturausschnitt am günstigsten darbietet, aber er hält diesen Ausschnitt vor allem darum fest, um ein Dokument vorzulegen, das er allerdings durch seine große Begabung zu einem Kunstwerk macht. Das Schaffen Hollars ist der Anfang einer völlig neuen Epoche in der Entwicklung der Kunst, einer Epoche, der es um den unmittelbaren kompromißlosen Realismus der Schilderung ohne Rücksicht darauf zu tun ist, ob der Stoff interessant ist oder nicht.“

Im Schatten der Sieben Berge

Hollars Kunst verdanken wir, daß wir heute wahrheitsgetreu unsere Heimat betrachten können, wie sie sich im Mai 1636 dem Beschauer darbot.

In Köln hatte Hollar die Einladung des englischen Gesandten, ihn auf seiner Fahrt zum Kaiser zu begleiten, angenommen. Arundel hatte zwar in William Crowe einen gewissenhaften Sekretär, der auch die kleinsten Kleinigkeiten im Wort festhielt, aber die Empfindungen auf dieser Reise gaben doch die Zeichnungen Hollars wieder, über denen die letzten Farbtönungen auch den Duft des Geschauten in Erinnerung hielten. Von imponierender Schönheit und Größe ist das Personenschiff, das im Schlepptau einen Lastkahn mit dem Reisegepäck führte. Am Bug und Heck wehten die englischen Flaggen, ein ungewöhnliches Bild in diesen außergewöhnlichen Zeiten. Da das Schiff, von sechs Pferden gezogen, langsam zu Berg fahren mußte, dürfen wir den Künstler an der Spitze des Schiffes vermuten, wie er nach dem günstigsten Punkt, die Landschaft zu erfassen, Ausschau hält. Die wesentlichen Linien, die das Auge geschaut, das Einmalige, das Licht und Wolken in diesem Augenblick zu spenden bereit waren und sich der Seele des Künstlers mitteilten, fanden in der abendlichen Muse ihre Vollendung.

Rolandseck und Nonnenwerth

Das Schiff gleitet jetzt zwischen Nonnenwerth und Rolandsbogen. Doch den Menschen damals zeigte sich ein anderes Bild als wir zu schauen gewohnt sind. Noch stehen die Mauern der Burg Rolandseck. Es sind zwar nicht die ältesten Burgtürme aus dem Jahre 1040, als die Veste noch Rulcheseck hieß. Es sind auch nicht mehr die Mauern, die Erzbischof Friedrich von Köln errichten ließ. Sie wuchsen und zerfielen, von Feindeshand oder auf Befehl eines mächtigen Kaisers zerstört, aber immer wieder erhob sich eine neue Burg aus der Asche, bis schließlich die Schweden ihre Herren wurden. Von dem Geschlecht derer von Rolandseck ist außer dem Namen nichts bekannt. Von ihm weiß die Geschichte keine Großtaten zu berichten. Lebendig aber bis auf den heutigen Tag ist die Sage vom edlen Ritter Roland, von Liebe und Treue. Kein Archiv öffnet das Visier des Ritters, den die Sage Roland nennt, kein Archiv lichtet den Schleier, hinter dem sich Hildegunde, die adelige Nonne, verbirgt.

Sicher war sie eine jener adeligen Damen, die nach der Sitte der Zeit in ein Kloster ging, damit das Erbe erhalten blieb, aber nicht nur deshalb. Im Gegensatz zur Burg Rolandseck zeigt die Klosterkirche noch das von Erzbischof Friedrich, Graf von Friaul, 1120 auf der Insel Rulcheswerth gegründete adelige Frauenstift Rolandswerth, das nach den Ordensregeln des Mönchsvaters Benedikt geleitet wurde. Als Hollar die Klosterkirche zeichnete, waren die Nonnen auf der Flucht vor dem niederländischen Kriegsvolk. Die Flucht unserer Zeit offenbart sich stündlich auf der Rennstrecke von und nach der Bundeshauptstadt und steht so im krassen Gegensatz zu der Ruhe, die Oberwinter damals ausströmte.

Repro Gerd Bauer
Rolandseck mit Nonnenwerth

Repro Gerd Bauer
Oberwinter

Oberwinter

Nach der Beschreibung von Barsch könnte das burgähnliche Haus am Rhein der Sitz des Grafen von Norney gewesen sein. Der langgestreckte Bau hinter der Kirche läßt sich unschwer als das Haus „Zum Schwanen“ erkennen. Die Kirche steht in ihrem Bau wuchtig auf festem Grund. Das romanische Langhaus scheint mir die älteste christliche Kultstätte in Oberwinter zu sein, das nördliche Seitenschiff zeigt schon in den gedrungenen Rechteckspfeilern gotischen Schnitt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das spätgotische Chor, wie es Hollar an der alten Kirche sieht, ist auch heute das Schmuckstück von Kirche und Gemeinde und steht unter dem Schutz der Denkmalpflege.

Remagen

Wie vom Rolandsbogen schauen auch vom Apollinarisberg noch die Mauern des alten Martinsklosters. Der Abt von Siegburg hatte die Aufsicht über diese Niederlassungen. Er beruft sich auf eine Bulle des Papstes Paskalis, während der Papst Bonifaz VIII. der Abtei Deutz die Kirche Peter und Paul unterstellt. Der Name der Stadt, wie ihn die Zeichnung ausspricht, ist ein Mißverständnis; Rheinmagen war nie ihr Name. Die auf halbem Berg stehende Kirche von Linz bietet uns trotz Modernisierung noch heute ein vertrautes Bild. Deutlich kann man das wohnliche Gesandtenschiff und den beladenen Schleppkahn entdecken.

Repro Gerd Bauer
Remagen

Von Kurtrier nach Kurmainz

„Am 3. Tag“, bemerkt der Chronist, „fahren wir in den Gewässern des Erzbistums Trier. Wir erreichen Koblenz, eine Stadt am rechten Rheinufer, die die Franzosen erst kürzlich verloren haben . . . Eine halbe Meile entfernt gingen wir vor Anker, sandten einen Trompeter zu den Kämpfenden mit dem Ersuchen um freie Durchfahrt, die man gewährte. Die Kampfhandlungen wurden eingestellt. In der Stadt traf der kommandierende General Vorbereitungen zum Empfang seiner Exzellenz. Doch kaum hatte er das Stadttor öffnen lassen, kam aus der Festung eine Kanonenkugel geflogen, die leicht jemanden hätte treffen können. Das Tor leerte sich mit einem Schlag, und man wartete ab, bis sich seine Exzellenz näherte. In diesem Augenblick kam der General dem Gesandten entgegen und lud ihn zum Mittagessen ein.“

Arundel fand Ausflüchte, und die Fahrt ging weiter, bis die Gesandtschaft im „Goldnen Mainz“ vor Anker ging. Der Kupferstich mit dem Dom, den anderen Kirchen, den Stadttürmen und der Schwedenfestung auf der Mainspitze sind ein einzigartiges Kulturdenkmal jener Zeit. Hollar konnte nicht ahnen, daß die besonderen Farbtönungen von Rhein und Main, die einst das Auge fahrender Gesellen entzückte, etwa 400 Jahre später der schmutzige Abfluß einer hektischen Industriezeit wird. In Frankfurt endet die Schiffahrt. Mit dem Reisewagen trifft der Gesandte in Linz den Kaiser, dem er das Anliegen seines Königs vortrug. Die englische Mission blieb ohne Erfolg. In der berühmten Rudolphinischen Sammlung in Prag fand die Reise dieses einzigartigen Gespanns : Künstler und Edelmann, Böhme und Engländer, den krönenden Abschluß. Anfang 1637 betreten beide wieder englischen Boden. Die Prager Nationalgalerie hält mit 25 Zeichnungen, die mit Rolandseck beginnen, die Erinnerung an diese Reise wach.

Quellen:

Milos V. Kratochvil: Wenzel Hollar – Reisebilder – Graphische Gestaltung v. B. Fornian. Aus dem Tschechischen übersetzt v. Gustav Solar 1966 ArtiaPraha.
Rheinischer Antiquarius Abt. III Bd. 9.
Georg Barsch: Städte und Dörfer der Eifel.