Ein »Beichtspiegel« in Stein

Geheimnisse und Zeichen am Pfarrhoftor Remagen

Harry Lerch

Remagen darf sich eines außergewöhnlichen Portaltors rühmen, nur in Großen Linden bei Gießen steht ein ähnliches. Zwischen Pfarrhaus und Kirche überrascht in Remagen das 3,50 Meter hohe Tor, eine Pforte ist angefügt. Belegt sind die Bögen und Pfeiler mit Reliefs, die gleichsam ins Rechteck oder konkav in den Wölbungen des großen Torbogens eingeschmiegt sind. Diese »Bilder« erschließen sich nicht auf den ersten Blick.

Wenngleich es sich um ein Kirchenportal handelt, sind es nur in Andeutungen Gleichnisse der Religiosität, also weder die Madonna oder Christus noch Sinnzeichen der Eucharistie oder des Alten und Neuen Bundes, weder Heilsverkündigung noch Glaubensmärtyrer – im Gegenteil!

Dies alles sind Hinausweisungen aus dem Gottes- und Andachthaus – das »Heidnische« hat draußen zu bleiben, seien es Fabeltiere, Sirenen und Harpyen mit Menschen- und Fischleib, Mythologie und Mysterien oder die weltlichen Stände.

Im Grunde ist alles rätselhaft. Selbstverständlich aber auch verlockt das Tor, den verborgenen Sinn eines jeden Reliefs zu deuten. Eines war das Motiv des unbekannten Meisters: Gedenke des Glaubens und sieh alles, was ihm entgegensteht. Mache Dir Gedanken und lasse alles hinter Dir, wenn Du ins Gotteshaus eintrittst. »Die Sirene verlockt den Menschen und verführt die Seele«, heißt es in einer der ersten Schriften über das Pfarrhoftor, und weiterhin:

»In den Tempel gehe nichts Unreines ein . . . Draußen bleiben die Hunde, die Giftmischer, die Schamlosen, die Mörder und die Götzendiener.«

Tor und Pforte stehen auf historischem Boden. Errichtet ist es um 1180, doch Steine sind teils verwendet aus dem alten Ricomagus, der ersten römischen Niederlassung, auf die heute noch Straßennamen römischer Zeugen hinweisen. Umstritten ist, ob die Toranlage beim ehemaligen Kloster der Benediktiner auf dem Apol-linarisberg gestanden hat. Am jetzigen Standort wurde es wieder aufgebaut 1902.

An Deutungen hat es nicht gefehlt, zuerst bekennt der Kirchenhistoriker J. W. Braun, das Tor bleibe rätselhaft für immer. Eingehender und am ausführlichsten hat sich befaßt Albert M. Koeniger, dann folgen zwanzig Auslegungen – es ist ja ein Unterschied, ob die Reliefs aus kirchengeschichtlicher oder kunsthistorischer Sicht betracht werden.

In der Auslegung ist vorab zu fragen, ob hier die acht Todsünden als Mahnung dargestellt sind, es sich also um ein Figurenschema handelt. Das könnte Zusammenhang mit Bischof Burchard (um 1 000 n. Chr.) haben: also die acht Todsünden?

Wie sind die Reliefs zu lesen? Hier sind zwei »Eingänge« vereint, ein Tor für Ernteeinfahrt und die Fußgängerpforte. Einen Pfeiler haben sie gemeinsam.

Beginnen wir im Betrachten da, wo über dem gemeinsamen Pfeiler der große Rundbogen des Tores aufstrebt. Zuerst also die Nixe. Sie steht – es sei jeweils eine Bedeutung hinzugefügt – für die Verführung des Menschen. Darüber der Mann mit dem doppelten Fischschwanz (Hoffart), Vogel mit Menschengesicht (Eitelkeit), zwei Vögel (Futter-Neid), ein wütend springendes Tier (Zorn).

Im »Lesen« der Reliefs kommt jetzt der verlorene Schlußstein. Nach rechts in fallendem Bogen folgen der Mann, der acht Fische in den Armen hält (acht Todsünden!), Vogel mit Strick (Geiz), Fisch und Vogel (Völlerei), eine Bache mit drei Frischlingen (etwas vage bezeichnet als Folge der Unzucht) und ein Nix mit Fischleib.

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Zwischen Pfarrhaus und Kirche steht in Remagen das Tor mitsamt Eingangspforte.
In Reliefs spricht und mahnt es in der Bildsprache des 12. Jahrhunderts.

Ein zweiter Zyklus zeigt sich an der Pforte mit der Hoffart der Stände. Im Türsturz Alexanders Himmel – oder Greifenflug, darunter ein Bevorzugter des Jagdrechtes, in einem Becken der Klerus für die Erfüllung oder Verweigerung des Taufbegehrens. Danach der baumfrevelnde Landmann und schließlich der Ritter, seine Füße treten die Gebeine eines Besiegten. Über dem Greifenflug des Alexander der Löwe als königliches Wappentier der Stärke. Auf der gleichen Höhe mündet der Torbogen rechts ins Fundament: der Drache mit Feueratem, an der Basis das einzige »positive« Motiv, für die Überwindung des Bösen: Samson überwindet den Drachen.

Rätsel über Rätsel. Die Auslegungen in der Literatur über das Pfarrhoftor weichen oft voneinander ab, bisweilen gibt es fünf unterschiedliche Deutungen. Die Welt, das Meer, Vogelflug und Mythos der Tier- und Menschengestalten, die Sinndeutungen der Symbolik, der Seelenfang. Die Reliefs halten einen Spiegel vor, sei es Beichtspiegel oder nicht. Es gibt auch eine Auslegung des Pfarrhoftores als »Tugendkatalog für Klosterbrüder«. Zum Kloster gehörten Tor und Pforte auf jeden Fall. Die Reliefs fordern Phantasie, Nachdenken und Geduld, sie können aber auch Gewinn sein, wenn eines nach dem anderen entschlüsselt wird.

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Näher betrachtet sind die Reliefs der Durchgangstür, die sich an den linken Pfeiler des Torbogens anschließt, Einzeldarstellungen
der Todsünden im Bild des 12. Jahrhunderts.

Die Stilistik der Reliefs ist volkstümlich und schlicht, sie sollte ja auch dem Volk verständlich sein. Freilich wird der künstlerische Rang des Bassenheimer Reiters, das Werk des Naumburger Meisters, nicht erreicht. Hier sind ins Mittelalter überkommen eine Symbolik der Antike, mit ihr ging das Christentum ein Bündnis ein. Der Kanon dieser Reliefs gilt der Anfälligkeit der Menschenseele. Ein »Me-mento« steht unsichtbar darüber. Unbeachtet geblieben ist das Pfarrhoftor nicht:

Die Sayner Hütte gab bereits 1828 eine Neujahrsplakette in Blei heraus. Damit war das romanische Pfarrhoftor auf einmal weltberühmt, trotz oder gerade wegen seiner Rätsel.

Bei allem Bemühen, sich in diese Reliefs einzulesen, bleibt offen, ob sie tatsächlich und primär für das Volk der Gläubigen gedacht waren. Sie setzen ja Einsichten und Kenntnisse antiker Mythologie voraus. Das würde, auf die Waage gelegt, eher auf ein Tor der Siegburger Mönche auf dem Apollinarisberg deuten. Den Ordensbrüdern waren die Voraussetzungen aus Studium und theologischer Bildung vertraut, waren Geistessprache und Symbolik geläufig. So oder so, acht Jahrhunderte hat das Pfarrhoftor gewarnt und gemahnt, sich nicht den dunklen Mächten auszuliefern. Es ist Vorhof, ist eine Bildsprache vor dem Eintritt in ein Gotteshaus: von der Schwelle sind Laster, Untugenden und Todsünden nach draußen verwiesen.

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Der rechte Torbogen, der aus einer kanelierten Basis als Fundament wächst

Literatur:
Albert M. Koeniger, Die Rätsel des romanischen Pfarrhoftores in Remagen. München-Pasing 1947 – Paul Clemen. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Bd. 17; Kreis Ahrweiler. Düsseldorf 1938 – J. W. J, Braun, Das Portal zur Remagen. Bonn 1859.-E. Aus’m Werth, Kunstdenkmäler des christlichen Mittelalters in den Rheinlanden. 1868.-Chr. v. Stramberg, Rheinischer Antiquarius Bd. III. 9. Koblenz 1862.-Stephan Beissel, Die Skulpturen des Portals zu Remagen. 1896.-JosefMinn, Das Remagener Klosterhof-Tor der Siegburger Martins-Propstei.1942.