Die Ziege, Kuh des armen Mannes
Zur Geschichte der Ziegenhaltung im Kreis Ahrweiler
Karl Heinz Kurth
Wer kennt sie nicht die Ziege – im Volksmund Geiß genannt – die Kuh des armen Mannes von der es in einem Mundartbeitrag heißt:. . . »Domols hatt baal jedes Hous en de Eifel seng Dier: ech mein net die kleeine, wie Leus odde Fluh, nä, do joff et e paa Höhne, Knengche – on vür allem en Jeiß. Su en Jeiß dät net zevell frääße on joov dreu on brav ihr Mellech. wenn se jesond wor. Et Witsche Kätt hatt och esue brav Limmessje deheim stöhn; on et woor met Rääch stolz op datt joode Dier. . .«.
Wenn das spärliche Futter in manchen Gegenden unseres Kreises nur knapp für eine Kuh reichte, so wurde doch immer eine Ziege satt, da sie viel anspruchsloser war. Die Ziege, in der Anschaffung viel billiger als eine Kuh, brachte trotz des mageren Futters gute Milcherträge. Aus der Milch stellte man auch Butter und Käse her. Da die Ziege nach einer Tragzeit von 5 Monaten im Frühjahr 1 bis 3 Zicklein zur Welt brachte, war sie auch ein guter Fleischlieferant und hatte so bei der Ernährung armer Familien den größten Anteil, Aber nicht nur arme Familien hatten Ziegen. Da die Ziege als eine Art „Gesundheitspolizei« angesehen wurde, fand man auch in Kuh- und Pferdeställen von »wohlhabenden Bauern« ein bis zwei Ziegen. Wurde eine Ziege krank, so war dies ein Alarmsignal und das ganze Vieh im Stall mußte beobachtet werden, um einer eventuellen Seuche vorzubeugen. Auch herrschte früher der Aberglaube, daß die Ziege alle Krankheiten von den anderen Tieren abwenden und auf sich ziehen würde.
Die Ziege gehörte zum Viehbestand vor allem der kleinbäuerlichen Betriebe.
Da das Acker- und Wiesenland begrenzt war, wurden die Ziegen zum Weiden in den Wald getrieben. Wo aber die Ziegen grasten, hatte die Vegetation kaum eine Chance. Vor allem dem Jungholz blieb keine Überlebensmöglichkeit. Deshalb war die Ziege das erste Haustier, das aus dem Wald verbannt wurde.
Eine Waldordnung vom 13. Mai 1338, die als Ergebnis eines Vergleichs zwischen Ritterschaft und Stadt Sinzig einerseits sowie dem zur Herrschaft Landskron gehörenden Kirchspiel Heckenbach zustandekommt, verdeutlicht dies.
Unter folgenden Punkten ist darin die Ziege besonders erwähnt: »Punkt 14. Gerhart der Herr zu Landskron hat um beider Parteien willen verboten, im Kirchspiel Heckenbach Geißen zu halten, damit sie nicht in den Busch getrieben werden. Punkt 15. Wenn die Förster in den Wäldern Geißen antreffen, sollen sie sie an sich nehmen und sie so hoch verkaufen, wie sie in Heckenbach und Königsfeld wert sind. Punkt 16. Sollte ein Auswärtiger seine Geißen zum Weiden in diesen Wald treiben, müssen beide Parteien dies gemeinsam verwehren und beseitigen. . . Punkt 19. Der Herr zu Landskron bekennt dazu, daß er beiden Parteien das Halten von Geißen bei der oben angegebenen Strafe verboten hat.«
Obwohl auch Kühe und Schafe Schäden anrichteten, so beeinträchtigte die Ziege die Waldflora, selbst bei großzügiger Betrachtung, in nicht mehr tragbarer Weise. Da trotz des Verbotes der Waldweide von Ziegen diese weiter mit dem Großvieh in den Wald getrieben wurden, war z. B. 1613 eine Erneuerung der Arenbergischen Waldordnung von 1584 erforderlich. Besonders im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und danach hatte die Ziegenhaltung bei uns eine für den Wald beängstigende Dimension erreicht. Für die Ernährung armer Familien war sie aber lebenswichtig.
Im kurtrierischen Gebiet wurde die Waldweide von Ziegen durch eine Forstordnung von 1720 streng verboten 1730 wurde erneut auf dieses Verbot hingewiesen. Trotzdem mußte der Kurfürst von Trier 1733 feststellen, daß der Bestand der Ziegen in solch ungeheuerer Menge zugenommen hatte und die Forsten und Gemeindewaldungen völlig runiert worden waren. Deshalb befahl er alle totzuschießen. Aber trotz aller Maßnahmen wirkten die Ziegen als Waldplage weiter, so daß unter diesen Bedingungen eine Wiederbewaldung in den durch die Eisenindustrie »verwüsteten Gebieten« schlecht oder gar nicht möglich war.
1773 wurde im Kurfürstentum Trier nur noch Leuten, die sich wegen ihrer Armut keine Kuh leisten konnten, und Hirten erlaubt, eine Ziege im Stall zu halten. Die Ziege hatte also auch weiterhin »Waldverbot«. Bei jedem Forstge-ding (Forstgericht) mußte ein Ziegengeld von 10 Petermännchen pro Stück gezahlt werden. Petermännchen wurde der kurtrierische Albus, eine der damaligen Währungseinheiten, genannt. In der französischen Zeit (von 1794 bis 1814) war linksrheinisch die Waldweide von Ziegen aufgrund der französischen Forstordnung von 1669 nicht gestattet.
Diese Gesetze zum Verbot der Waldweide wurden teilweise in die preußische Zeit übernommen. Am 20. November 1828 erging für den Regierungsbezirk Trier eine eigene Bestimmung, nach der Waldweide von Ziegen gänzlich ausgeschlossen blieb.
In einer »Statistik des Kreises Ahrweiler« von 1861 heißt es: »Ziegen werden allenthalben mit Vorliebe gehalten, namentlich in den an Futter armen Gebirgsgegenden und an der Ahr, wo selbst eine Ziege dem armen Mann häufig die Kuh ersetzt«. Neben dem fehlenden Wiesen-und Weideland spielte der Preis eine wesentliche Rolle, denn eine Ziege wurde mit 5-6 Thlr. bezahlt, während eine Kuh, je nach Rasse und Gewicht, 30-50 Thlr. kostete, was für die meisten Kreisbewohner unerschwinglich war.
Der Anteil der Ziegen am gesamten Viehbestand sowie die Regionale Verteilung im damaligen Kreis Ahrweiler (ohne das bis 1932 zum ehemaligen Kreis Adenau gehörende Gebiet) wird durch eine Tabelle in vorgenannter Statistik verdeutlicht. Seit 1849 hatte die Zahl der Pferde und Ziegen fortwährend zugenommen. 1859 war ein futterarmes Jahr, so daß der Viehbestand niedriger war als sonst.
Daß es zudem einen Zusammenhang zwischen Ziegenhaltung und Kleinstbetrieben gab, läßt sich gut belegen. Eine Statistik über die Verteilung der Ziegen auf die einzelnen Besitzgrößen im Rheinland um 1882 weist aus. daß 83,66 % aller Ziegen in den Betrieben unter 2 a zu finden waren.
Sieht man sich noch die Entwicklung der Betriebsgrößen an, so fällt der Kreis Ahrweiler durch eine gegen den allgemeinen Trend gehende Zunahme der Kleinstbetriebe auf. Von 1895 bis 1907 war die ohnehin schon sehr starke Gruppe der Höfe unter 2 ha von 70,08 % auf 72,57 % angewachsen. Hieraus resultiert, daß um die Jahrhundertwende unter den Eifel-kreisen der Kreis Ahrweiler den wohl höchsten Ziegenbestand pro 100 ha landwirtschaftliche Nutzfläche aufwies. In dem vom Arbeitskreis Eifeler Museen herausgegebenen Werk »Dünnbeinig mit krummem Hörn« wird dazu ausgeführt: »Im Verhältnis zur Rinderzucht spielt die Ziegenhaltung im gesamten Mittelgebirge nur eine untergeordnete Rolle. Aber ihr Stellenwert war keineswegs überall gleich gering. Ganz besonders bescheiden fiel sie in den Kreisen Malmedey, Cochem, Bitburg, Prüm und Wittlich aus. Gute Viehzuchtmöglichkeiten (Malmedy). fruchtbare Ackerböden (Bitburger Gutland) und ein relativ geringer Prozentsatz an Kleinstbetrieben (Malmedy) waren die Gründe dafür.
Statistische Übersicht über den Viehbestand im Kreis Ahrweiler Ende 1861.
Eine mittlere Bedeutung, definiert durch 8-15 Stück Ziegenvieh auf 100 ha, ist in den Kreisen Monschau, Schleiden und Adenau festzustellen. Ganz aus der Reihe fällt dagegen der Kreis Ahrweiler, wo der Ziegenbestand 1907 mit 33,4 Tieren weit über dem Eifeldurchschnitt stand«.
Dabei stieg der Ziegenbestand seit der Jahrhundertwende ständig.
Im Kreis Ahrweiler zählte man 1912 4 879 Ziegen, 1927 waren es 4644 und 1928 4172 Ziegen. In Kriegs- und Notzeiten gab es immer Höchstbestände. So kann man die Ziege als Wohlstandsbarometer bezeichnen, das bedeutet: Geringer Wohlstand – hoher Ziegenbestand, hoher Wohlstand – geringer Ziegenbestand.
Kreis | 1883 | 1907 | ||
Ziegen | Rinder | Ziegen | Rinder | |
Malmedy | 3,12 | 97,51 | 1,90 | 132,53 |
Monschau | 9,18 | 98,93 | 11,88 | 138,42 |
Schieiden | 8,48 | 60,00 | 12,61 | 103,13 |
Adenau | 4,62 | 102,11 | 11,30 | 126,40 |
Ahrweiler | 27,98 | 83,60 | 33,44 | 102,19 |
Cochem | 6,58 | 68,22 | 8,42 | 99,02 |
Mayen | 8,42 | 69,56 | 14.19 | 66,38 |
Bitburg | 3,40 | 54,13 | 3,93 | 91,67 |
Daun | 3,05 | 93,36 | 3,75 | 118,15 |
Prüm | 4,94 | 87,75 | 5,86 | 106,42 |
Wittlich | 2,53 | 85,91 | 1,98 | 103,99 |
Anzahl der Ziegen und Rinder je 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche in den Jahren 1883 und 1907.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, konnte von einer Ziegenzucht im eigentlichen Sinne nicht gesprochen werden, da manchmal der Bock aus eigener Nachzucht verwendet wurde und es so zur Inzucht kam. In erster Linie wurde Wert auf die Ernährung der Familie gelegt, deshalb war gute Milchleistung einer der wichtigsten Faktoren. Wenn es schon keine Kuhmilch gab, so doch wenigstens genug Ziegenmilch. Ziegenmilch wurde Kindern, die nicht oder nicht mehr gestillt wurden als Ersatz für die Muttermilch gegeben. Sie ist ein bekömmliches Nahrungsmittel. So ist Ziegenmilch auch für Kinder verträglich, die gegen Kuhmilch allergisch sind. Die weiße Rasse war in unserem Kreisgebiet wohl am verbreitesten die braune weniger. Diese beiden Rassen werden ab 1927 unter den Bezeichnungen »Weiße Deutsche Edelziege« und »Bunte Deutsche Edelziege« geführt und gezüchtet.
Die Bockhaltung war ein »anrüchiges Geschäft«. (Der markante Geruch der Ziegenbökke entsteht durch Ausscheidungen aus den Hauptdrüsen, die während der Brunstsaison vergrößert sind. Diese Duftdrüsen befinden sich vor allem hinter den Hörnern und an der Schwanzunterseite. Maulharnen verstärkt den Geruch). Mancher kleine Bauer jedoch war auf diesen »Nebenverdienst« angewiesen. War in einem Dorf kein Deckbock, so mußten die Leute des öfteren viele Kilometer zurücklegen. Manch einer kann davon heute noch Geschichten erzählen, da die Ziegen oft störrisch waren. In Schalkenbach soll es vorgekommen sein, daß der Deckbock, der auf einer Wiese zum Weiden mit einer langen Kette an einem Eisenpfahl angepflockt (gepöhlt) war, von ein paar Jungen des Dorfes los gemacht und zu den Ziegen geführt wurde, wo er seine »Arbeit« verrichtete. Danach brachten sie ihn zu seiner Wiese zurück. Der Bockhalter wurde nur stutzig darüber, daß fast keiner aus dem Dorf mit seiner Ziege zum Bock kam, im nächsten Frühjahr aber überall Zicklein fröhlich umhersprangen.
1950 gab es laut der amtlichen Viehzählung im Kreis Ahrweiler 4 246 Ziegen. Diese hohe Zahl war durch die Not der Nachkriegszeit bedingt und ging mit zunehmendem Wohlstand zurück. Im Jahre 1966 gab es nur noch 77 Ziegen in unserem Kreis, ein sehr starker Rückgang, wenn man die Gegenüberstellung des Viehbestandes von 1950 und 1966 betrachtet. Hierzu wurde im Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1968 in einer Erläuterung zum damaligen Viehbestand festgestellt: »Die Kuh des kleinen Mannes die muntere und nicht minder dankbare Ziege verschwindet immer mehr, weil es heute kaum noch einen kleinen Mann gibt. Eine erfreuliche Erscheinung einerseits, aber andererseits ist es bedauerlich, daß viel wertvolles Futter verloren geht. das über die Ziegenhaltung nutzbringend verwertet werden könnte«. In den letzten Jahren hat die Ziegenhaltung zugenommen, so daß es heute wieder ca. 300 Ziegen in unserem Kreisgebiet geben dürfte.
Viehbestand in Stück 1950 und 1966 (amtliche viehzählungsergebnisse) davon | ||||||||
Jahr | Vieh- halter | Pferde | Rindvieh | Milchkühe | Schweine | Schafe | Ziegen | Hühner |
1950 | 8839 | 1951 | 16341 | 9284 | 12622 | 3343 | 4246 | 72604 |
1966 | 4358 | 352 | 20691 | 8502 | 9291 | 1702 | 77 | 108398 |
Einen größeren Bestand, ca. 80 Ziegen mit Nachzucht, besitzen die Eheleute Ferdinand und Martina Liemersdorf, die das Waldgut Schirmau bei Oberdürenbach bewirtschaften und sich auf eine besondere Ziegenzucht spezialisiert haben.
Drei Rassen sind hier vertreten: die Weiße Deutsche Edelziege, die Bunte Deutsche Edel-ziege und die Südafrikanische Burenziege. Letztere, eine Fleischziege, wurde von den Eheleuten Liemersdorf erstmals in unserem Kreisgebiet gezüchtet.
Im Ziegenbestand auf Gut Schirmau sind die Weiße Deutsche Edelziege.
Die Bunte Deutsche Edelziege und die Südafrikanische Burenziege vertreten.
Vie Ziegenhaltung heute wirtschaftlich betrie-)en werden kann. ist an diesem modern .einge-ichteten Betrieb zu sehen. Vieles wurde nach äigenen Ideen gestaltet. Auf einem Melkstand werden die Ziegen mit der Melkmaschine gemolken: angegliedert ist eine Milchkammer und eine Käserei. Alles ist blitzsauber. Dieses ist notwendig, denn Ziegenmilch ist zwar ein sehr nahrhaftes und nährstoffreiches, aber auch hochempfindliches Nahrungsmittel. Auf dem Waldgut Schirmau, das in einer lanschaftlich schönen Gegend zwischen dem Vinxtbach- und dem Brohltal liegt, wird jetzt eine Eifeler Spezialität für anspruchsvolle Verbraucher hergestellt: ein typischer Schirmau-Bauernkäse, der hier in jeder Form aus reiner Ziegenmilch gemacht und zum Reifen gebracht wird. Auf Gut Schirmau wird die Ziegenhaltung, aus landschaftspflegerischen Überlegungen extensiv betrieben.
Die Vorsitzende des Landesverbandes der Ziegenzüchter Rheinland-Pfalz, Frau Ilse Hattinger aus Oberwinter, setzt sich besonders für die Herdbuchzucht der Ziegen ein. Bei der Bezirkstierschau am 5. – 6. September 1987 in Wittlich waren bei einer Ziegen-Herdbuchschau auch Züchter aus unserem Kreisgebiet vertreten, was den hohen Stand der Ziegenzucht im Kreis Ahrweiler verdeutlicht.
Aber in unserem Kreis gibt es auch Ziegenhalter, deren Ziegen nicht ins Herdbuch eingetragen sind. Einer dieser Tiere ist der 16jährige Sascha der außer für die Landschaftspflege auch als Maskottchen der Historischen Brauchtumsgruppe Landskroner Rittersleut füngiert. Er war schon in manchen Festzügen zu sehen.
Abschließend bleibt festzustellen, daß die Ziege nicht mehr das „Schädliche Geißenvieh« ist, sondern als wertvoller Milch- und Fleischlieferant geschätzt und auch für die Landschaftspflege von Nutzen ist.
Quellen:
Statistik des Kreises Ahrweiler. 1863, – Frick/Zimmer: Quellen zur Geschichte der Herrschaft Landskrone an der Ahr. Band 1, Bonn 1966. – V, Brandenburger: Heimatiahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1968: Die Rindviehhaltung für den Kreis Ahrweiler einst und heute. – Christian Gall: Ziegenzucht. Stuttgart 1982. – Werner Schwind: Der Eifelwald im Wandel der Jahrhunderte. Düren 1984. – Heinz Fingen: Die Hausziege. Wittenberg 1986. – Arbeitskreis Eifeler Museen‘ Dünnbeinig mit krummem Hörn. Meckenheim 1986. • Bruno Hersei: Wendelinus-Wallfahrt: Mundartwettbewerb der RZ 1986. – Die Ziegen auf Schirmau sind glückliche Ziegen: RZ Nr. 155. 9, Juni 1987. – Ilse Hattingen: Entwicklung und Stand der Weißen Deutschen Edelziege: Deutsche Schafzucht. Heft 11.4. Juni 1988. –