Die Sinziger „Landrechnung“ im Jahre 1648
Franz J. Burghardt
Als 1648 der Dreißigjährige Krieg beendet wurde, lag eine Zeit voller Schrecken und Not hinter den Menschen Mitteleuropas; durch Krieg, Hunger und Seuchen waren viele Städte zerstört und ganze Landstriche entvölkert.
Um das Leben in einer Stadt wieder in Gang zu bringen, oder zumindest notdürftig aufrecht zu erhalten, mußten die Bürgerschaften häufig Geld leihen. Da es seinerzeit noch keine Banken gab, kamen als Geldgeber in erster Linie wohlhabende Privatleute in Betracht, die der Krieg verschont oder die selbst am Krieg kräftig verdient hatten; manchmal erscheinen auch geistliche Stifte und Klöster als Gläubiger. Ferner waren bisweilen die Bürger selbst bereit, ihre Stadt mit den Ersparnissen zu unterstützen, die ihnen noch geblieben waren. Die Zinsen für den aufgenommenen Kredit lagen fast immer zwischen 4,5 % und 5,5 %; dies war einfach üblich und hatte nichts damit zu tun, daß wegen der schlechten Zeiten nicht mehr „herauszuholen“ war. So ist es verständlich, warum in der Liste der „ordentlichen“ Ausgaben der Sinziger „Landrechnung“ von 1648 neben Personalkosten umfangreiche Zinszahlungen für aufgenommenes Geld erwähnt werden. Bei den einzelnen Positionen der folgenden Liste ist immer sorgfältig angegeben, ob die anstehenden Zahlungen von der Stadt Sinzig selbst oder von der „Landschaft“, d. h. von den Ortschaften Westum, Löhndorf und Koisdorf, zu leisten sind:
„Ordinaria ausgaben so Jahrlichs in Landtrech-nung einzuprengen sein undt empfanglich
1. Ihro H: Dhltt: (Durchlaucht, d. i. der Landesherr, der Herzog von Jülich) zu Martini felliger Herrenthank wie derselbe gethetigt wirdt.
2. Daß ambtgelt ad vier Goltgulden, so in die Landtschafft gehörig. (Während Sinzig als Stadt über eine eigene Verwaltung verfügte, unterstanden die Orte Westum, Löhndorf und Koisdorf der Verwaltung des Amtes Sinzig-Remagen.)
3. Die Bette ist die Statt allein schuldig ad 46 Mark 10 schil: (Schilling) 3 Hl (Heller).
4. Daß Müllengelt ertragt sich ad 39 mrh (Mark) undt geht die Stadt mitt dreyen Dorffschaften Westhum, Londorff und Cons-torff ahn.
5. Bürgermeisters Jahrgehalt ad fünff undt zwantzig gülden, gehörth in die Landschaft!. (Gemeint ist der Bürgermeister zu Sinzig. In der Musterungsliste von 1649 werden neben diesem auch die Bürgermeister zu Koisdorf, Gerhardt Schefer, zu Westum. Mattheiß Theliter, und zu Löhndorf, Thones Schlaghwein, erwähnt.)
6. Baumeisters Jahrgehalt ad fünff undt zwantzig gülden, darahn bezahlen die Statt, Westum, Lohndorff und Constorff.
7. Stattschreibers Jahrgehalt ad 94 gl. (Gulden) 12 alb. (Albus), vor Papyr durchs Jahr 12 gülden, so in die Landtschafft gehörig. (Das Gehalt des Statschreibers ist höher als das des Bürgermeisters, da das Amt des Letzteren nur eine Nebentätigkeit war.)
8. Stattbotten gehatt 47 gl. gleichpfals in die Landtschafft gehörig.
9. Mohn Stenigers Meeß(?)ad 17 mrh. (Mark) darahn zhalen Sintzig und Constorff.
10. Die Uhrglogk (die Kirchturmsuhr) durch Jahr zu setzen — 4 gl. die zahlen Sintzig, Westhum, Lohndorff und Constorff.
11. Item dreyen pfordtneren (Pförtner), jedem gepüren Jahrlichs fünff Gulden, so auß der Annifer (?), oder von der Statt, Westum, Londorff und Constorff zalt werden.
12. It. der Forsteren (Förster) über Hardterscheidt gepuren Jahrlichs zehen Gulden zwelff alb., dieselben werden von der Statt, Westum, Londorff und Constorff zalt.
13. It. dz. Stouben brandtholtz ad 3 Gulden gehörth in die Landtschafft. (Mit diesem Holz wurden die Zimmer im Rathaus geheizt.)
14. It. sein ordinaria zwolff zewendige Rhaetspersonen (Mitglieder des Sinziger Stadtrats), einem jeden kommen Jahrlichs vor gehalt sechs gülden, thuet 72 gl., darahn zalt Sintzig und Constorff.
15. It. Henrichen Simons und dessen Erben zu Lintz kommen Jahrlichs von zweyen verschiedenen Verschreibungen vier goltgl. (Goldgulden), so Sintzig und Constorff zhalen.
16. Idem Henrich Simons kommen Jahrlichs von einer anderen Verschreibung von 200 Rhtlr. (Reichstaler) Capitall zwolff Rhtlr., darahn zhalen Sintzig und Constorff.
17. It. jedem Partheienmeisteren, deren vor diesmhall sechs ahngeordtnet, kommen Jahrlichs vor gehalt vier gülden, daran zhalen Sintzig und Constorff. (1649 wurden nur fünf Parteienmeister genannt: Naleß Muntz, Betram Hutig, Mattheiß Schopen (vgl. (4)), Johann Geseltgen und Lentz Tuchscherer)
18. It. den geschworenen zu Constorff kommen Jahrlichs — deren 5 — jedem 4 Gulden, dieselbe pflegen statt undt Constorff zu zhalen. (Das Geschworenengericht zu Koisdorf war wohl die unterste Gerichtsinstanz für die Orte Westum, Löhndorf und Koisdorf. Die Sinziger hatten ihr eigenes Stadtgericht.)
19. It. dem Kloster Marienstatt kommen Jahrlichs 14 Gulden, davon gepürth Sintzig 10 undt Westum 4 derselben Gulden.
20. It. H. (Herr) Licentiatio Eickell kommen Jahrlichs lhaut der Verschriebung von 400 Rhthlr, Capitall zwantzig Rhtlr., ist die Statt allein schuldig.
21. It. Johannes Schaeff, nunmehr die Armen bekommen jahrlichs sechs und zwantzig marck, so die Statt allein schuldig.
22. Iserheupts Erbg. (Erbgenahmen = Erben) bekommen jahrlichs lhaut zweier Verschreibung vier Rhtlr. undt zwei Goltgl., so statt und Constorff schuldig 22 G(ulden) 8 Albus.
23. Anna Simons jetzo Thomas Rhoers Haus-fraw bekommt jahrlichs acht marck vier alb., so die Statt allein schuldig. (Wohl nachträglich eingefügt wurde folgendes:) St. C. Jedem vom Rhatt (Sinziger Stadtrat) deren 12 kommen jahrlichs pro jurity sechs gülden. („St. C.: bedeutet offenbar, daß die Stadt Sinzig und Koisdorf die Unkosten tragen müssen; Ähnliches steht bereits unter Nr. 14!)
24. Herrestorffs Erbg(enahmen) zu Unckell kommen jahrlichs von einer verschreibung fünff Goltgl., so die Stadt allein schuldig. Idem noch von einer anderen Verschreibung von 220 Joachimsthaller jahrlichs zehn Thaller derselben.
25. It. Henrichen Danner trierisch Schultheiß (vgl. (4)) kommen jahrlichs lhaut Verschreibung fünffzehn gülden zehn alb. sechs Hlr., gehet die Statt allein ahn.
26. It. Danielen Malersch Erben kommen jahrlichs von zweyhundert Rhtlr. Capitall zehen Rhtlr., gehet die Statt allein ahn.
27. It. H(err) Cramberich in Coblentz kommen jahrlichs von einer Rhenthverschreibung, so Statt, Westum, Londorff und Constorff schuldig, achtgoltgl. = 37 gl. Salb.
28. It. H(err) Meinertzhagen kommen jahrlichs von einer Rhentverschreibung sieben goltgl., so die Statt allein.
29. It. Herrn Bürgermeister Hechsteins Erbg(enahnahmen)zu Collen (Köln), nun H(err) Bürgermeister Lennep, kommen jahrlichs von Eintausend ReichsThlr. Capitall Einhundertsechszig zwey Gulden zwölf alb., so Statt undt Constorff schuldig sein.
30. H(errn) Landtdechanten Christiane Vetter kommen jahrlichs lhaut Verschreibung von d.Stattvon 200Thlr. Capitall 10Thlr.
31. Item H(errn) Michaelen Krahn in Lintz kommen wegen 100 und 50 Rhtlr. Capitall jahrlichs 7 Rhtlr. und ist die Ehrste empfang fellig Ao (Anno) 1662 circa festum Sti Martini Episcopi (ungefähr am Fest des Bischofs Sankt Martin).
32. It. den Jungfern zum Engelenthall binnen Bonn kommen jahrlichs ex parte H. Dietherich Herrestorff von 200 Rhtlr. Capitall – 10 Rhtlr 321/2 alb. (Diese letzte Eintragung ist durchgestrichen, und von dem schwer lesbaren Randvermerk ist noch zu entziffern:) Ist Bezalt, aber die Obligation .. . extra . . .“
Die oben genannten Währungen standen um 1650 in folgendem Verhältnis zueinander:
1 Heller war die kleinste Währungseinheit,
1 Albus = 12 Heller,
1 Gulden = 24 Albus,
1 Reichstaler = 3 Gulden 6 Albus,
1 Goldgulden = 4 Gulden 16 Albus.
Daneben gab es aber noch viele weitere Münzsorten, so den Raderalbus (= 3 Albus 81/2 Heller), den Joachimstaler (ungefähr ein Gulden), die kölnische Mark (1624: 1/3 Reichstaler) und den Schilling (= 14 Heller) (2,3).
Die Summe aller oben erwähnten Kreditzinsen beläuft sich damit auf umgerechnet ca. 510 Gulden jährlich. Legt man einen durchschnittlichen jährlichen Zinssatz von 5 % zugrunde, so betrug die Gesamtverschuldung laut Sinziger Landrechnung ca. 10 200 Gulden bzw. 3200 Reichstaler. Eine Umrechnung in DM ist wegen der heute ganz anderen Wertverhältnisse nicht möglich. Man sollte aber beachten, daß die Verschuldung mehr als 100 Jahresgehälter des Stadtschreibers betrug, der sicher zu den „Spitzenverdienern“ der Stadt Sinzig seinerzeit gehörte.
Quellen und Literatur:
(1) Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 13. Nr. 353 (Sinziger Ratsprotokolle)
(2) Oberdörfer, K.: Das alte Kirchspiel Much; Köln 1923
(3) Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9 Aufl.; Mannheim-Wien-Zürich 1971 f.
(4) Burghardt, F. J.: Der ,,stillschweigende Schultheiß zu Sinzig; in: Heimat-Jahrbuch 1979 für den Landkreis Ahrweiler, p. 82-84.