Die Regesten des Archivs der Herren von Bourscheid
Neue Quellen zur Geschichte von Ahrweiler und anderen Orten des Kreisgebietes
Dr. Johannes Mötsch
Zu allen Zeiten sind Dokumente, die Eigentum an Gütern, Rechten und Einkünften begründen, bei Besitzerwechseln – sei es durch Verkauf oder Vererbung – mit an den neuen Inhaber übergegangen. Wer sich mit der Geschichte solcher Güter und Rechte beschäftigt, muß versuchen, sich über diese Besitzerwechsel Klarheit zu verschaffen. Andernfalls werden Quellen unbeachtet bleiben, die über interessante Einzelheiten Aufschluß geben könnten. Bei historischen Quellen – Urkunden und Akten -, die sich in staatlichen Archiven befinden, treten die angesprochenen Probleme deswegen weniger auf, weil Quellen verschiedener Herkunft an einer Stelle versammelt und fachlich gut erschlossen sind; zudem steht Fachpersonal zur Verfügung, das weiterhelfen kann, wenn der Archivbenutzer ratlos ist.
Bei privaten Archiven ist die Lage deshalb anders, weil die Quellen oft weniger gut erschlossen und vielfach nur unter Schwierigkeiten zugänglich sind. Die Besitzer sehen sich nicht in der Lage, ihre freie Zeit den Benutzern ihrer Archivalien zu widmen; dafür wird jeder Verständnis haben. Deshalb ist die Ordnung, Verzeichnung und Erschließung solcher privaten Archive von besonderer Bedeutung, damit jederzeit ein schneller, gezielter Zugriff möglich ist, der Besitzer somit den Benutzern nur ein Minimum an Zeit opfern muß. Ordnung und Verzeichnung privater Archive werden von der Landesarchivverwaltung aus diesen Gründen im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefördert und unterstützt.
Private Archive, meist im Besitz adliger Familien, enthalten oft Quellen verschiedener Herkunft, die auf dem Erbweg an den heutigen Besitzer gelangt sind. Für diese Erbvorgänge haben Grenzen keine Rolle gespielt. Deshalb lagern Quellen zur Geschichte des Rheinlandes in Archiven, die in anderen Regionen entstanden sind; umgekehrt enthalten rheinische Archive Material zur Geschichte anderer Landschaften.
Zu den bedeutendsten Adelsarchiven in Rheinland-Pfalz gehört das der Freiherren von Salis-Soglio in Gemünden/Hunsrück. Es besteht aus den Archiven einer Reihe von Adelsfamilien bzw. Zweigen solcher Familien, die in der Geschichte des Raumes zwischen Rhein und Maas eine wichtige Rolle gespielt haben. Dazu gehört das Archiv der Herrschaft Bourscheid (Großherzogtum Luxemburg), die bis 1512 in den Händen der Herren von Bourscheid, dann im Besitz mehrerer Erben war, bis schließlich eine Linie des Hauses Metternich die Anteile der Miterben (u. a. Zant von Merl, von Schöneberg, von Ahr zu Antweiler) aufkaufen konnte. Nebenlinien des Hauses Bourscheid haben an anderen Sitzen weitergeblüht; sie sind auch für die Geschichte unseres Raumes von Bedeutung (Sitze u. a. in Großbüllesheim, Veynau, Burgbrohl).
Die Besitzer der Herrschaft Bourscheid haben wiederholt ihre Frauen aus Familien genommen, die aus dem Raum Ahrweiler stammten oder dort Güter besaßen. Zahlreich sind deshalb die Urkunden und Akten, die sich auf solche Familien und Güter beziehen; besonders häufig kommen die Blankard von Ahrweiler und die (von) Nagel vor.
Eine Zusammenstellung der Urkunden mit der Provenienz Nagel soll die Bedeutung des Archivs für den heutigen Landkreis Ahrweiler beleuchten. Am 14. September 1495 teilten die Brüder Wilhelm, Heinrich und Friedrich Nagel die ererbten Güter und Rechte; zwei weitere Brüder im geistlichen Stand wurden finanziell abgefunden. Wilhelm Nagel, der mit Guda Blankard von Ahrweiler verheiratet war, kaufte am 20. September 1502 aus den Händen des Dietrich Kolve von Vettelhoven und seiner Frau Haus und Hof genannt »der Turm“ in der Stadt Ahrweiler mit Zubehör, unter anderem Baumgarten und Stallungen. Wilhelm Nagel besaß außerdem das sogenannte »Pfortzhaus« in der Ahrgasse zu Ahrweiler, das er am 6. November 1516 an Theiss Schlosser von Dümpelfeld und seine Frau Margarete von Kreuznach auf 25 Jahre vermietete; Theiss sollte das baufällige Haus mit Wissen und Rat des Eigentümers bzw. seines Amtmannes wieder aufbauen; die Baukosten sollten von der Miete abgezogen werden. Am 27. Juli 1526 teilten die Söhne des Wilhelm Nagel, Dietrich und Bernhard, das von den Eltern ererbte Gut unter sich auf. Das Haus zu Ahrweiler, genannt der Turm, mit Zubehör, andere Güter und Rechte, so die Mühle in der Stadt, fielen an Dietrich Nagel, der außerdem Ländereien und Höfe in Karweiler, Bickendorf, Beller, Staffel, Leimersdorf und Blasweiler erhielt. Die Weingüter zu Zeltingen an der Mosel blieben ungeteilt, ebenso der Blankardshof zu Ahrweiler. Bernhard Nagel erhielt den sogenannten Nesselroderhof zu Sinzig, ein weiteres Haus daselbst, Höfe zu Tondorf, Wadenheim, Fritzdorf, Kempenich, Leimbach und Rheinbach, eine Mühle zu Wittlich sowie Einkünfte zu Neuerburg (bei Wittlich), Schweich, Hetzerath und Nattenheim. Forderungen und Schulden wurden ebenfalls in zwei Teile geteilt.
Aus der Ehe des Dietrich Nagel mit Anna von Ahr zu Antweiler, deren Familie einen Anteil an der Herrschaft Bourscheid besaß, gingen lediglich zwei Töchter hervor: Katharina, verheiratet mit Wilhelm von Plettenberg, und Anna, Ehefrau des Reinhard von Wachtendonck. Am 7. November 1569 wurden die Nagel-Güter zu Ahrweiler und Sinzig zwischen Wilhelm von Plettenberg als Vormund eines minderjährigen Kindes von der verstorbenen Katharina Nagel einerseits, Sophie von Wachtendonck, Ehefrau des Johann von Plettenberg, und ihren minderjährigen Schwestern Katharina und Anna von Wachtendonck andererseits geteilt. Man bildete zwei Lose mit den Schwerpunkten Ahrweiler und Sinzig. Wilhelm von Plettenberg erhielt das Los Sinzig, das andere fiel an Sophie von Plettenberg geb. von Wachtendonck und ihre Schwestern. Am 24. August 1574 heiratete Katharina von Wachtendonck Stephan von Met-ternich, Herrn zu Bourscheid; die Hälfte der ehemals Nageischen Güter zu Ahrweiler brachte Katharina in die Ehe ein; die Ansprüche der Familie von Plettenberg wurden anderweitig abgefunden. Auf diese Weise sind die Güter zu Ahrweiler an das Haus Metternich-Bourscheid gefallen und die zitierten Urkunden in das Archiv der Herrschaft Bourscheid gelangt.
Wie oben geschrieben, befinden sich dort auch Urkunden, die die Familie Blankard von Ahrweiler betreffen; möglicherweise sind sie durch die Ehe der Guda Blankard mit Wilhelm Nagel in dieses Archiv gelangt. Für die Geschichte zahlreicher Orte im Landkreis Ahrweiler sind diese Urkunden und Akten von Bedeutung.
Der Verbleib des Archivs ist in Bourscheid und Umgebung stets bekannt geblieben. Einige Forscher haben die Bestände für Spezialuntersuchungen ausgewertet. Die „Amis du Château de Bourscheid“ haben seit ihrer Gründung (1972) neben der Restaurierung der Burg die Erschließung des Archivs als besondere Aufgabe angesehen und deshalb 1975 mit der Verfilmung der Archivalien begonnen. 1982 hat Francois Decker, Niederfeulen, die Aufgabe übernommen, Regesten (inhaltliche Kurzfassungen) der Urkunden und Akten anzufertigen. Nachdem Teile bereits in den »Cahiers de Bourscheid« veröffentlicht worden waren, wurden die Regesten im Mai 1989 in zwei Bänden der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Material, fast 1 200 Regesten aus den Jahren 1224 bis 1626, wird durch einen Registerband erschlossen. Das Ortsregister weist, um nur ein Beispiel zu geben, 37 Belege für den Ortsnamen Ahrweiler nach.
Wegen der Bedeutung, die die von Francois Decker erschlossenen Quellen auch für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz (und anderer Länder der Bundesrepublik Deutschland) haben, hat die Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz das Regestenwerk in ihre Reihe »Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung« aufgenommen; gleichzeitig ist es in den Veröffentlichungen der »Amis du Chäteau de Bourscheid« erschienen. Auf diese Weise wird dokumentiert, daß wir in vielem eine gemeinsame Geschichte haben und daß die Grenzen, die 1992 abgebaut werden, einen Kulturraum wieder zusammenführen, in dem es ein Bewußtsein solcher Grenzen über Jahrhunderte nicht gegeben hat.
Das Werk »Regesten des Archivs der Herren von Bourscheid“. bearb. von Francois Decker. Bd. 1. 1224 – 1558 (S, 1 -520), Bd. 2. 1558 -1626 (S, 521 -1270), Register, beart. von Francois Decker und Jean-Claude Müller. 84 Seiten, kann beim Landeshauptarchiv Koblenz, Karmeliterstr. 1/3, 5400 Koblenz, zum Gesamtpreis von DM 136.-bezogen werden.