Die letzte Äbtissin von Marienthal
Noch einmal blieb sie stehen; ihr zuckte das Herz vor Qual;
Da unten in Wipfeln und Wiesen lag Kloster Marienthal.
Ein Wasser rann und rauschte, im Walde der Häher rief,
Gemurmel klang von der Straße — sie atmete bang und tief.
Sie schlich auf schwindligen Pfaden, erschauernd vorm eignen Tritt,
Sie, die im Chore der Nonnen kein Fürchten und Zagen litt.
Wenn nur ein Blatt geraschelt, hob zitternd sie Saum und Gewand;
Die Perlen des Rosenkranzes klirrten an ihrer Hand.
War’s Gaukelspiel der Sinne, das sie erschreckte und trog?
Wer war es, der da unten die Aveglocke zog?
Verlassen waren die Zellen, sie schloß die Türen nicht,
Längst löschte vorm hohen Altare der Windstoß Kerzen und Licht.
Und immer dies dumpfe Gemurmel; nun schwoll es zum Schrei der Wut;
Fernhin über dem Rheine der Himmel stand in Glut.
Burgen und Dörfer brannten wie Fackeln in der Nacht,
Zu Schutt und Asche zerstäubte des Landes Stolz und Pracht.
Es sirrte keine Sense; hoch wuchs und reifte das Korn,
Die Hufe traten es nieder, als wäre es Distel und Dorn,
Wo sonst im Herbst die Kelter ächzte Jahr um Jahr,
Da floß der Wein aus den Kellern und färbte die Wellen der Ahr.
Am Berggrat in engen Schluchten, wo nächtens der Uhu schrie,
Wie vor Blitz und Gewitter duckten sich Mensch und Vieh.
Die schlimme Kunde stöhnte klagend den Berg hinauf:
„Die fremden Söldner kommen, Reiter und Roß zuhauf!“ —
Bleich stand sie da oben und lauschte, Ihr Herz zersprang vor Qual.
Sie sah eine Flamme züngeln, eine Flamme gierig und fahl,
Marienthals letzte Äbtissin, aus adligem Stamm und Geblüt,
Stieg über die Eifelberge, eine Bettlerin, landfremd und müd.
Von Heinrich Ruland