Die Klosterschule Roßleben

Die Klosterschule Roßleben

Gisela Burghardt

Die thüringische Gemeinde Roßleben, die in allerneuester Zeit das Stadtrecht anstrebt, liegt im äußersten Südosten des Landkreises Artern an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Hier im schönen und geschichtsträchtigen mittleren Unstrut-tal hat sich der Ort im Laufe der Jahrhunderte zu einem Zentrum herausgebildet, welches weit über die Bedeutung eines Marktfleckens hinausgeht. Schon im 10. Jahrhundert war hier reges Leben gewesen, wenn auch der Glanz über das Unstruttal mehr von dem einen Steinwurf entfernten Memleben ausging, wo ein befestigter Königshof der sächsischen Herzöge und Könige bestand. Hierweilten Heinrich l. und sein großer Sohn Otto l. mit Vorliebe in ihrer Lieblingspfalz Memleben, wo auch beide gestorben sind (936 bzw. 973).

Roßleben hat, wie man vielleicht vermuten könnte, nie viel mit Pferden zu tun gehabt, wohl aber sehr viel mit Leben. Die Endung „leive“ ist germanisch-thüringischen Ursprungs und bedeutet „Haus, Wohnort“. Diese Endung wurde an den Namen desjenigen angehangen, dersich in der Gegend zuerst ansiedelte. Rusteleive (Roßleben) = Wohnort des Rust.

Blüte und Ansehen Roßlebens kam aber vor allem durch junges Leben, durch Schüler. Seit altersher sind sie aus den ehrwürdigen Mauern des Ortes nicht wegzudenken.

Auch heute noch ist die einstige Bergarbeitergemeinde, in deren Kaliwerk und anderen ortsansässigen Betrieben vor der Wende immerhin 6.000 Menschen Arbeit und Brot hatten, vor allem ein Kultur- und Bildungszentrum geblieben.

Alle in Thüringen üblichen Schulformen – Gymnasium, Regelschule, Grundschule, Berufsschule, Förderschule-sind im Ort vorhanden. Rechnet man die Einrichtungen der Erwachsenenbildung mit ihren vielen Umschülern noch hinzu, so ist wohl die Gemeinde Roßleben in der Bundesrepublik Deutschland der Ort, an dem man am meisten über Büchern liegt, überSchulbüchern wohlgemerkt! Oft kein reines Vergnügen, wie man weiß, aber Vergnügen eben doch, wenn sich die Mühen lohnen und Perspektiven aufscheinen.

Die Klosterschule

Die Klosterschule zu Roßleben ist eines der ältesten humanistischen Gymnasien Deutschlands und die älteste thüringische Schule überhaupt. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hat sie als altsprachliches Gymnasium die Zeitläufte überdauert und auch während der zurückliegenden schwierigen Jahrzehnte in den verschiedensten Schulformen weiterexistiert.

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Die traditionsreiche Klosterschule Roßleben.

Nicht wenige Absolventen gerade dieser Klosterschule haben sich in die Annalen des Geisteslebens, der Kunst und der Zeitgeschichte eingeschrieben, konstatiert Thüringens Kultusminister Dieter Althaus. Ebenso verweist er auf die „herausragenden Persönlichkeiten, die in Roßleben ihre Prägung erfahren haben“ und ihr Leben für Recht, Freiheit und Demokratie einsetzten. Besonders das Vermächtnis derer sei zu würdigen, die im Widerstand gegen Nationalsozialismus und Stalinismus starben. Der Kultusminister sieht in dieser thüringischen Schule „eine zukünftige Stätte der Begegnung und Bildung für Deutschland und Europa“. Und so sehen das wohl auch die Schüler und die Lehrer, die in diesem Sinne lernen und unterrichten.

Doch zunächst zurück in die Vergangenheit, die ja nie ganz vergangen ist, selbst wenn man sie angestrengt verleugnet oder zumindest klittert, wie in den DDR-„Schuljahren“ geschehen.

Hervorgegangen ist diese Schule, wie der Name schon sagt, aus einem Kloster. Vom Grafen Ludwig von Wippra und seiner aus dem Hause Wettin stammenden Gattin Mathilde wurde dieses Kloster gegen das Jahr 1140 zu Ehren des heiligen Petrus gegründet. Die Bestätigungsurkunde des Papstes Innocenz II. und ein Schutzbrief des Kaisers Friedrich Barbarossa für die Klosterkirche vom 21. Februar 1174 belegen die Gründung. Das Kloster, indemzuerstAugu-stiner-Chorherren wohnten, wurde schon 1250 in ein Zisterzienserinnen-Kloster umgewandelt. Dennoch gehörte das Kloster an der Unstrut weiterhin zum Bistum Halberstadt, während fast ganz Thüringen zum Erzbistum Mainz zählte. Und da die Unstrut die Grenze zwischen beiden bildete, konnte Streit nicht ausbleiben. Den Anspruch der Erfurter Domherren auf das Roßle-bener Kloster wiesen der Propst und der Nonnenkonvent „mit Entschiedenheit“ zurück. Schließlich mußte sogar Papst Bonifatius IX. ein Macht- bzw. „Papstwort“ sprechen: Roßleben blieb bei Halberstadt. Späte Ausläufer dieses Streites wirken bis in unsere heutige Zeit hinein. Die Roßlebener kamen nach der friedlichen Revolution von 1989 durch Volksentscheid nun friedlich nach Thüringen. Darüberfreut man sich in den Amtsstuben von Erfurt sicher genauso wie in denen von Mainz.

Die von Witzleben

Eng verbunden mit dem Kloster Roßleben und der späteren Klosterschule ist der Name der Familie von Witzleben. Die Herren von Witzleben, die zu den ältesten thüringischen Adelsfamilien gehören, waren vom Jahre 1355 an Schirmvögte des Klosters, l n der Wendelsteiner Linie des Geschlechts hatte sich dieses Amt zunächst in der Form der Erbadministratur erhalten. Dr. Wolf-Dietrich von Witzleben gelingt es als Erbadministrator, die Verstaatlichung durch die Nationalsozialisten zu verhindern. 1992 hat die Stiftung Klosterschule Roßleben unter Leitung von Friedrich-Karl von Witzleben Grundstück und Gebäude von der Gemeinde zurückerworben und Alexander von Witzleben (29) bekam von seinem Vater die Generalvollmacht zur Führung der Geschäfte.

Ein von Witzleben war es auch. der zum Protestantismus übergetretene Klostervogt Heinrich von Witzleben, der einen längst gefaßten Plan in die Tat umsetzte: Nach dem Tod der letzten Nonne im Jahre 1553 wandelte erdas Kloster in eine Erziehungsanstalt um. ..in der junge Leute vom reiferen Knabenalter bis zum Übergange zur Universität in klassischer Bildung, evangelischer Frömmigkeit und echter Vaterlandsliebe herangebildet werden sollten“. Auch die heute überaus bekannten Schulen Pforta und St. Afra in Meißen gingen kurz vorher aus Klöstern hervor.

Als erster Rektor übernahm 1557 Michael Schul-tetus die Leitung der Schule, die zunächst mit 18 Schülern, die Freistellen genossen, eröffnet wurde. Sehr bald nahm die Schülerzahl zu. es unterrichteten sechs Lehrer und ein Klosterpfarrer. der auch die Einwohner des Dorfes Roßleben und der Burg Wendelstein zu betreuen hatte.

Nicht ohne Folgen für Schule. Schüler und Lehrer blieben die Ereignisse des 30-jährigen Krieges. Mehrfache Plünderungen von Dorf und Schule durch die Schweden (1631 und 1639) sowie durch Wallensteins Pappenheimer (1632) folgten Hungersnot und Pest. so daß erst nach 36jähriger Unterbrechung der Schulbetrieb unter dem aus Brandenburg stammenden Rektor Andreas Stier mit 49 Schülern und 3 Lehrern wieder aufgenommen werden konnte.

Dem großen Brande am Karfreitag des Jahres 1686 fielen dann das Dorf Roßleben und auch die Klosterschule einschließlich der romanischen Klosterkirche Peter und Paul zum Opfer. Das geschmolzene, auf die Erde geträufelte Erz der 5 Glocken hat Katharina Lucia von Witzleben sammeln lassen und daraus die bis heute im Glockenstuhl des Pfarrgartens hängende Glokke gießen lassen.

1730 – 1742 wurde die Klosterschule in ihrer jetzigen Form wieder aufgebaut. Über 4 Jahrzehnte hatte die Klosterschule in Trümmern gelegen, bis endlich, am 2. Januar 1742, der Unterricht in dem würdigen Barockneubau wieder aufgenommen werden konnte.

Bis 1800 durchlebte die Schule eine wechselvolle Geschichte, die ihren negativen Höhepunkt wohl im Konkurs des Erbadministrator Dietrich Gottlieb von Witzleben hatte. „In den Einnahmen und Ausgaben der Klosterschule hatte Dietrich Gottlieb nicht das Gleichgewicht herzustellen vermocht, und die finanziellen Bedrängnisse der Anstalt wurden schließlich so groß. daß den Lehrern ihre Besoldung nicht zur rechten Zeit, ja schließlich nur zum Teil ausgezahlt werden konnte.“

Diese traurigen äußeren Verhältnisse blieben offenbar nicht ohne Auswirkung auf Zucht und Ordnung an der Schule. Die stellte der im Jahre 1800 zum Rektor berufene Benedikt Wilhelm offenbar wieder her, denn sowohl er als auch der neue Erbadministrator Georg Hermann von Witzleben gelten als diejenigen, die den Aufschwung der Schule besorgten. Mag auch sein, daß im Gefolge der Befreiungskriege gegen Napoleon Kräfte freigesetzt wurden, die auch die schulischen Leistungen beförderten.

Roßleben preußisch

Größte Aufregung kam in die Schulstuben, als im Jahre 1815 die Ergebnisse des Wiener Kongresses bekannt wurden. Die Roßlebener waren betroffen! Sie wurden zu Preußen geschlagen. Bald standen sich unter den Schülern eine preußische und eine sächsische Partei gegenüber. bis endlich „…der Gedanke eines gemeinsamen deutschen Vaterlandes seine versöhnende Kraft bewährte“.

In der Schule wurden nun preußische Bestimmungen und preußischer Geist eingeführt. Das Provinzialschulkollegium in Magdeburg erhielt die Aufsicht über die Klosterschule. Damit war die kirchliche Aufsicht beendet.

Zum 3OOjährigen Bestehen der Klosterschule 1854 dichteten damalige Schüler:

An der Unstrut grünem Strande 
Steht ein hohes, schönes Haus. 
Kloster heißt’s noch rings im Thale, 
Aber hell sind die Portale, 
Jugendlust zieht ein und aus.

So schlimm kann es also mit dem preußischen Geist doch nicht gewesen sein. Da ist es schon angebrachter, von einem „guten Geist“ der Schule zu künden, dem ersten „Mathematicus“ und Rektor Prof. Dr. Moritz Anton, dem seine dankbaren Schülerein Denkmal setzten. Durch zahlreiche Spenden – vorwiegend aus Kreisen ehemaliger Schüler – wurde die Schule um eine Turnhalle und Räumlichkeiten für den naturwissenschaftlichen Unterricht erweitert.

Richtig „preußischer Geist“ zieht ins Gemäuer jedoch ein, als immer mehr adlige Zöglinge die Schule besuchen, die bald das „Sparta Preußens“ genannt wird. Sie wurden mehrheitlich Offiziere und verehrten geradezu schwärmerisch das preußische Königshaus.

Bewegte Zeiten

In der für Deutschland und die Klosterschule schweren Zeit des Nationalsozialismus bewahrt der Rektor Kurt Sachse die Schule vor der Vereinnahmung durch die Nazis. Als praktizie-renderChrist stand erdem Nationalsozialismus ebenso ablehnend gegenüber wie Erbadministrator Dr. Wolf-Dietrich von Witzleben.

Aus diesem Geist erwuchs eine beträchtliche Zahl aktiver Widerstandskämpfer gegen den Naziungeist. Stellvertretend seien Peter Graf York von Wartenburg, Heinrich Graf von Lehn-dorff und Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld genannt.

Die Eröffnung der Schule nach dem II. Weltkrieg erfolgte am 1. Oktober 1945. Mit dem Schuljahr 1947/48 lief der altsprachliche Gymnasialzweig aus. 1952 erfolgte die Einführung des erweiterten Russischunterrichtes. Dadurch kamen viele Schüler aus verschiedenen Bezirken der DDR nach Roßleben.

Trotz administrativ verordneter Einseitigkeit im Bereich der Bildung und Erziehung versuchte doch dieser oder jener Lehrer, sich von den Indoktrinatoren nicht vom sicheren Fundament des Humanismus stürzen zu lassen. Im augenzwinkernden Einverständnis mit der Schulklasse wurden Lehrbuchweisheiten nicht nur abgefragt, sondern auch in Frage gestellt. Das ist wohl auch der Grund dafür, daß die „real existierenden DDR-Ehemaligen“ ebenso mit ihrer Schule verbunden sind wie die „ehemaligen Ehemaligen“. Ich weiß, wovon ich spreche, denn meine drei Söhne haben – mal mehr, mal weniger – den Unterricht an der EOS (Erweiterte Oberschule) „J. W. Goethe“ – so hieß die Klosterschule in DDR-Zeiten – genossen.

Mit dem Schuljahr 1990/91 erfolgt nun schrittweise der Ausbau der Schule zu einem staatlichen Gymnasium.

„Mit einem Gesamtkostenaufwand von 17 bis 19 Millionen DM wird die Schule gerade umfassend restauriert. Die Arbeiten sind nach der Wende begonnen worden und zu einem Großteil bereits beendet. Finanzielle Förderung gab und gibt es vom Land Thüringen. Zuwendungen auch von der Gemeinde Roßleben und vom Landkreis Artern, aber rund zwei Drittel der gesamten Kosten trägt die Stiftung“.

Zur Zeit werden an der Klosterschule Roßleben 620 Schülerinnen und Schüler von 44 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Für das neue Schuljahr liegen reichlich Anmeldungen auch aus den alten Bundesländern vor.

Zum Schluß soll Rektor Erich Hofereiter das Wort haben:

„Der gute Ruf der Klosterschule, der durch Jahrhunderte fleißiger Arbeit erworben wurde, ist zu bewahren und zu mehren. Das ist eine ungeheuer hohe Verpflichtung, die wir gerne erfüllen wollen.“

Literatur
Geschichte der Klosterkirche und der Klostergemeinde zu Roßleben Roßleben 1913
„Kyffhauser Echo“ 30/93 
Die Klosterschule Roßleben – Stiftung Klosterschule Roßleben 1992