Die katholische Pfarrkirche ovn Oberwinter
von Hermann Bauer
Mit wahrer Wonne stürzen sich die Kunstkritiker auf die Deutung alter romanischer und gotischer Kirchen, oder sie zaubern das Lebensgefühl von Renaissance, Barock und Rokoko in den Erlebnisbereich der modernen Menschen, mit Mut und Wahrhaftigkeit gehen die Architekten der Neuzeit eigene Wege und verbinden das Wiedererwachen liturgischer Frömmigkeit mit dem Stilgefühl der Gegenwart zu einem gewagten, aber ehrlichen sakralen Bau, der Beachtung verdient. Mit mitleidigem Lächeln jedoch betrachten wir jene Nachahmungen aus dem vorigen Jahrhundert, die in ihrer Figuren- und Abziehbildfrömmigkeit mehr den Zustand einer gewissen Sattheit und Sicherheit als den Ruf des „Sursum corda“ verraten.
Die Oberwinterer Kirche hatte beides, ein künstlerisch-wertvolles gotisches Chor und einen modernen Anbau, der weder Form, noch Linie, noch Farbe verriet. Dazu kam, daß der einzige Kriegsschaden, den der Ort tragen mußte, Kirchendach und Kirchenfenster betraf. So offenbarte sich das Gotteshaus, seiner Geborgenheit, seiner Stimme und seiner letzten Schönheit beraubt, als mit dem Währungsschnitt ’normalere Verhältnisse sich anbahnten. Denn für eine schnelle Instandsetzung vorher fehlten hier jene Voraussetzungen, die sich ansonsten so günstig auswirkten, dafür aber konnte die Planung einer Erneuerung mit jener Ruhe geschehen, die das werden ließ, was sich uns heute darbietet. An Ansätzen zur Erneuerung hat es in den ersten Nachkriegszeiten nicht gefehlt, man sah die Mängel und wollte sie schrittweise beseitigen. Daß die Arbeit nachher ganz anders anlief, daß aus der Gesamtkirche ein künstlerisches Kleinod und ein sakraler Raum wurde, der der Verherrlichung Gottes im höchsten Maße dient, ist sichtbar der Gnade Gottes zu danken. Durch die Gründung eines Kirchenbauvereins wurde zur tätigen Mithilfe die ganze Pfarrgemeinde angesprochen, und sie half und hilft jahrelang in gleichbleibender Treue. Die Oberwinterer in aller Welt wurden in Bild und Wort an ihre Verbundenheit mit ihrer Heimat erinnert, und sie antworteten mit jener Treue, die wir erwartet hatten. Die katholischen Vereine stellten ihr Können in den Dienst der Erneuerung und gäben späteren Geschlechtern einen überzeugenden Beweis ihrer Haltung; die Schulkinder sammelten Lumpen und Flaschen und dürfen stolz eine Glocke und ein Fenster ihr eigen nennen. Alles aber geschah ohne Treiber, Bettelbriefe, Anleihen und begüterte Gönner, nur ein Wille beseelte alle: wie es ist, kann es nicht bleiben, es muß alles schöner werden. Es haben .viele Menschen sich Verdienste erworben, diese in ihrem Grade abzuwägen, wäre ein unmögliches Unterfangen. Es genügt, öffentlich auszusprechen, daß für jede Arbeit geistiger, handwerklicher oder organisatorischer Art immer der rechte Mann (bisweilen auch die richtige Frau) ungebeten, jedoch gerufen zur Stelle war. Man konnte auf keinen verzichten, der in diesem Räderwerk mitarbeitete, und erst recht nicht auf die Schar der ewig treuen Spender und die ungenannte Zahl der Beter, die durch Gottes Gnade immer den Richtigen anriefen. Man würde Unrecht tun, wollte man nur einen Namen erwähnen, und wollte man sie alle nennen, fände man die Reihenfolge nicht und wunde der Sache schaden, der viele in Demut und berechtigtem Stolz dienten.
Der Martinszug im Jahre 1951 gab den Auftakt, als erstmalig wie ein Mahnruf eine Lichtfackel den Wunsch durch die Straßen trug: „Wir brauchen neue Glocken!“ Bei der Einführung des neuen Pfarrers Dupont konnte dieser Wunsch erstmalig verkündet werden. Am 13. Juli 1952 erhielten die vier neuen Stahlglocken ihre liturgische Weihe. Name und Inschrift der Glocken verknüpfen Vergangenes mit Gegenwärtigem. Die Kreuzesglocke erinnert an die Kirche der alten Pfarrei Birgel, die im 12. Jahrhundert eine Kreuzesreliquie erhielt und im 18. Jahrhundert zerfiel; in der Marienglocke wurde jenes Geschehen wachgehalten, das die katholische Welt durch die Verkündigung des neuen Dogmas erfreute; die Laurentius-Glocke führt die Tradition der ersten Glocke von 1434 weiter und mahnt Gegenwart und Zukunft, der Toten der vergangenen Kriege zu gedenken; die Tarzisiusglocke ruft die Jugend und „führt sie zu Christus, dem König“.
In einem deklamatorischen Versbild, das dem festlichen Geschehen die richtige Sinndeutung gab, wurde die liturgische Handlung umrahmt. Am Patronatsfest am Tage des hl. Laurentius, läutete das Vierergeläute erstmalig seine mahnende Vater-unser-Bitte, deren Tonfolge aus dem Meßgesang es übernommen hat, und erfüllte das Rheintal und die Höhen mit dem Wohlklang seiner Stimme. Schon einige Monate vorher erhielt das Chor das schon berühmt gewordene Glasgemälde, dessen Anregung und Ausführung bereits der frühere Pfarrer Weber veranlaßte, das aber in seiner Amtszeit nicht mehr eingesetzt wurde. Dieses so schön und malerisch in der Rheinlandschaft und vor der Fernkulisse des Siebengebirges gelegene Chor ist durch das Glühen der Fenster, durch die farbige Stimmung des gläsernen Teppichs ‚und durch den Reichtum der figürlichen Komposition nun derjenige Teil der Kirche geworden, der den Besucher sofort auch räumlich anzieht. Die heiligste Stelle des Gotteshauses gibt sich nun auch in ihrer Erscheinung als Magnet des Auges, und auf den Zusammenhang der spätgotischen Architektur mit den neuen Glasgemälden ist geachtet worden1). In diesen Fenstern ist es dem Künstler gelungen, den Geist der Erbauungszeit mit dem Geist neuer Glasmalerei2) zu vermählen. Die Fenster wurden von der Firma Binsfeld in Trier nach den Entwürfen des Glasmalers Rudolf Schilling ausgeführt. Das kleine Chor verlangte das k’leinteilige Leben, den schnellen Wechsel der Farbteile, so daß Abdunklung und Aufblitzen, Abschirmung und Akzentuierung jenen malerischen Reichtum schaffen, dessen der Glasmaler fähig ist, wenn er das Licht als sakrale Macht in seine Rechnung einbezieht3). Die Gemälde selbst erzählen von dem Leben, Sterben und Siegen des hl. Laurentius. Im Jahre 1953 wurden dann im Kirchenschiff von der gleichen Firma das Muttergottesfenster, das Josefsfenster und in der Taufkapelle das Sebastianusfenster eingesetzt, diskreter in ihrer Farbfülle und für viele Menschen ansprechender als die Fenster des flammenden Maßwerkes im Chor. Beide Fensterwerke sind Eigenwerte, und man spürt nicht die gleiche schaffende Hand, vom Räume aus gesehen kann man diese eigenwillige Lösung nur als eine glückliche bezeichnen.
Die übrigen Fenster im Hauptschiff sind Lichtfenster mit entsprechenden Inschriften und Symbolen. Doch das schönste Geläut bleibt gedämpft und das herrlichste Licht verblaßt, solange der Gesamtraum nicht eine völlig neue Betonung erhält. Der Leiter der Kunstwerkstätte von Maria Laach, der Benediktinermönch Theodor Bogler, wurde mit der künstlerischen Überwachung der nun anlaufenden Arbeiten beauftragt. Er gab dem Hause Gottes mit sachkundigem Einfühlen einheimischer Handwerker die Form, um das „Werk Gottes“ gebührend feiern zu können. In drei Farbtönen, die nach oben heller werden, in Beige bis Weiß, erscheint nun das Innere der Kirche, während in Hellgrau die Gewölbebogen besonders herausgehoben sind.
1) 2) bis 3) bis Rh. Zt. 1952 Nr. 129
Die leuchtenden Fenster Während der Epistel in der Gemeinschaftsmesse Foto: Arenz |
Die in Goldverzierung betonten Konsolen erhöhen den Gesamteindruck. In noch hellerem Ton ist der Grundanstrich im Chor gehalten, noch schärfer ist das reiche elegante Sterngewölbe, dessen Schlußsteine von besonderer Form und Ornamentierung sind, herausgestellt worden. Aus diesen Schlußsteinen in Karminrot und passenden Nebenfarben sind die zwei Halbfiguren vom Schmerzensmann und dem ‚hl. Laurentius in wundervoller Kleinarbeit geschlagen worden. Ein besonderes Kleinod der Kirche ist der frühere Abstellraum geworden. Als Taufkapelle wurde er in späterer Zeit an die Kirche angebaut, hatte jedoch seine Aufgabe kaum erfüllt,. da bisher die Taufe — wenn auch das wichtigste Sakrament — mehr am Rande ohne festliche Betonung meist gespendet wurde. Die Taufkapelle selbst ist ein unregelmäßiger fünfeckiger Bau. Trotz dieser äußeren Unregelmäßigkeit wirkt er als geschlossene Einheit und wohltuend auf den, der sich innerhalb des Raumes seiner Wirkung hingibt. Auf einer runden Basaltplatte steht der Taufstein in konischer Form. Durch den Aufbruch nach dem Haupteingang zu ist die Taufkapelle in das Blickfeld der Gläubigen gerückt und erhöht die Festgestaltung bei der Feier der einzigartigen Liturgie in der M. Osternacht.
Auf eine eigene Weise ist den Gefallenen der beiden Kriege im Südteil des Mittelschiffes eine Gedächtnisstätte geweiht worden. In der Laacher ‚Kunstwerkstätte entstand aus Geist und Haltung der „Ars Liturgica“ eine einfache Darstellung des Kreuzweges, der m allen 14 Stationen nur in dem genannten Südteil Aufstellung fand. In 12 der 14 Stationen symbolisiert sich die geweihte Stätte, wo die im gleichen Monat Gefallenen der Auferstehung entgegenharren, in 12 der 14 Stationen ist den Angehörigen eine Stätte gegeben, wo sie im Gedenken an den Toten mit ihm in lebendiger Gemeinschaft bleiben. Mit diesem Mahnmal in den Kreuzwegstationen verbindet sich das Gedächtnisbuch, das auf dem Seitenaltar, von dem großen Missionskreuz überschattet und von einer Gedächtnislampe erhellt, der Gemeinde Name, Jahr und Tag verkündet, wo sich im Opfertod das Leben eines in der Vollblüte stehenden Menschen vollendete. Zu Beginn eines jeden Monats werden von den Stufen des Akares ihre Namen verkündigt, die die Gemeinde in andächtigem Stehen vernimmt, und der Tag erwähnt, an dem sie ihren Heimgang feiern. In Verbindung damit bezeichnet der Priester die Station aus dem Kreuzweg des Herrn, die den Toten aus der Ferne in die Heimat zurückholt.
Das Buch entstand in den Werkstätten für Laache Kunst bekam Inhalt und Form durch den Benediktinermönch Theodor Bogler. Es ist auf Elefantenhaut geschrieben, in weißem Pergament eingebunden und mit vergoldeten Kreuzen versehen. Den Texten, die den jeweiligen Monatsdaten vorausgestellt wurden, liegt der Gang des Kirchenjahres zugrunde und setzt die jeweiligen Hauptfeste der einzelnen Monate zum Mysterium des Todes in Beziehung. Aus der weihnachtlichen Freude quillt der Trost für alle Betrübten: „Vom Himmel erschien der Herrscher der Welt, in seiner Hand ruht Herrlichkeit und Macht.“
Doch die Quelle aller Kraft liegt im Zentralpunkt, da, wo der neue Tabernakel steht, über dem das ebenfalls neue Flängekreuz schwebt. Eine einfache Mensa wird von einer geschliffenen und polierten Basaltplatte abgeschlossen, die an ihren Enden Alpha und Omega und in der Mitte das Lamm in der Linienform altchristlicher Kunst zeigen. Auf niedrigen Leuchtern stehen wuchtige gedrungene Kerzen; für diskreten Schmuck ist genügend Raum, jegliche Übertreibung duldet sie nicht. Der Altar ist ein einfacher Opfertisch und ein künstlerischer Mittelpunkt zugleich, er liegt günstig im Blickpunkt der mitopfernden Gemeinde und gestaltet in Stufen und Raumverteilung innerhalb des Chores eine betonte feierliche Form der gottesdienstlichen Handlung. Der Opfermahltisch für die Gemeinde am Eingang des Chores erhöht den harmonischen Gesamteindruck.
Was macht nun die Kirche zu jenem Kleinod, zu jenem künstlerisch wertvollen und intimen sakralen Raum, daß sie wie alte Kunstwerke vergangener Zeiten den Menschen von sich aus anspricht und formt? Durch geschickte Künstlerhand wurde das ‚höchstmögliche Raumgefühl geschaffen, innerhalb dieses Raumes Werte in origineller Formgestaltung betont und dem Zentralpunkt in seiner Einfachheit jene Herrschaft über den Gesamtraum gegeben, der ihm zukommt.
Es lohnt sich schon, im Angesicht der „Sieben Berge“, des rauschenden Stromes und des tosenden Lebens sich hier einen Augenblick der Besinnung hinzugeben.