Die Hauptmannskette der Ahrweiler Bürgerschützen
Johannes Roth
Ihre vielfältigen geschichtlichen Bezüge verleihen der Hauptmannskette der St.-Sebastianus-Bürger-Schützengesellschaft Ahrweiler weit über ihren kunsthandwerklichen Eigenwert hinaus überörtliche Bedeutung, die sie auch für einen Außenstehenden in mehrfacher Hinsicht hochinteressant macht. Die Jahreszahlen 1844 und 1903 kennzeichnen ihre Entstehung. Ihr wichtigstes Teilstück ist die goldene Huldigungsmedaille, die der preußische König und Landesherr Friedrich Wilhelm IV. am 1. August 1844 der Bürger-Schützengesellschaft übersenden ließ. Die Vorderseite dieser Medaille zeigt als Flachrelief den Kopf des Königs von rechts gesehen, rundum in Großbuchstaben den Namen FRIEDRICH WILHELM IV. KOENIG V. PREUSSEN, darunter die Worte: ZUR HULDIGUNG BERLIN D. 15. OCTOBER 1840. In diesem Jahre 1840 war Friedrich Wilhelm IV. nach dem Tode seines Vaters selbst König geworden.
Die Rückseite der Medaille erinnert an den höchsten preußischen Orden, den Schwarzen Adlerorden, der am 17. Januar 1701 in Königsberg gestiftet wurde, das heute als Bezirkshauptstadt des an Sowjetrußland gefallenen Teils der ehemaligen Provinz Ostpreußen Kaliningrad heißt. In der Mitte ist ein Kreuz — es hat die Form des Eisernen Kreuzes — überdeckt vom Königsadler und der Königskrone, unten kreuzen sich über dem Reichsapfel Zepter und Schwert, darunter ist die Inschrift zu lesen: Suum cuique — Jedem das Seine, also dieselbe Inschrift, die der Schwarze Adlerorden trägt, der ja von 1701 bis 1918 der höchste preußische Orden war.
Wie kam es dazu, daß Friedrich Wilhelm IV. vier Jahre nach seinem Regierungsantritt den Ahrweiler Bürgerschützen diese goldene Huldigungsmedaille übersenden ließ? Das ist in der Tat eine lange, ereignisreiche Geschichte. Sie beginnt knapp 11 Jahre vorher, am 19. November 1833, als Friedrich Wilhelm — damals noch Kronprinz — in Altenahr dem letzten Felsdurchstich für den dortigen Straßentunnel — den ersten in Deutschland — beiwohnt und als erster durch die noch enge Felsspalte sich hindurch bemüht. Die feierliche Eröffnung und Übergabe des neuen Tunnels erfolgte ein Jahr später, am 25. November 1834. Ausbau und Erweiterung fanden 1867 und im Winterhalbjahr 1969/70 statt.
Von Altenahr kam der Kronprinz zum Mittagessen in die Kreisstadt Ahrweiler. Darüber berichtet die Niederschrift auf Seite 3 des alten, im letzten Kriege leider stark beschädigten Mitgliederbuches der Bürgerschützen folgendes: »Im Jahre 1833, am St.-Elisabeth-Tage, dem 19. November, besuchten Seine Königliche Hoheit der Kronprinz, unser dermalen regierender König Friedrich Wilhelm IV., das Ahrtal bis Altenahr, und geruhten bei der Rückkehr von da im Gasthofe zu den drei Kronen bei Peter Joseph Kreuzberg hierselbst das Höchstdenselben von der Stadt Ahrweiler bereitete Mittagsmahl einzunehmen. Die hiesige Schützengesellschaft, der sich alle Bürger anschlössen, brachte Seiner Königlichen Hoheit am Abend einen glänzenden Fackelzug dar. Seine Königliche Hoheit geruhten hierauf, die Offiziere nebst dem Schützenkönige und dem Vorstande der Gesellschaft zu Sich zu entbieten, ließen Sich das Schützenbuch vorlegen und zeichneten Sich Höchsteigenhändig als Mitglied der Gesellschaft hier oben ein.« Anderthalb Jahre später, am 18. Mai 1835, bittet die Gesellschaft den Kronprinzen, »bei den Schützenfesten Jemanden nach der Wahl des hiesigen Landraths für Sich schießen lassen zu wollen, um dadurch mittelbar an dem Feste Theil zu nehmen.« Das Bittgesuch schließt mit der schönen, echt ortsgebundenen Versicherung: »Jedenfalls werden Liebe und Verehrung für Eure Königliche Hoheit uns berechtigen, mit unserm besten Ahrbleichart auf Höchstderen Wohl zu trinken.« Darauf erfolgt aus Berlin unter dem 27. Mai 1835 mit eigenhändiger Unterschrift des Kronprinzen die Zuschrift, daß dieser das zu Seiner Theilnahme an dem Feste gemachte Anerbieten mit Vergnügen genehmige. — Diese unmittelbare und persönliche Beziehung zum Kronprinzen gab der Gesellschaft verständlicherweise ein ungewöhnliches Ansehen und spürbaren Auftrieb. Sie wirkte sich aber besonders nachhaltig aus, als vier Jahre später, 1839. bei der Fronleichnamsprozession am Adenbachtore ein schwerer Unglücksfall zu beklagen war. Hier hatte der Polizeidiener trotz vorheriger Warnung die Böller allzu nahe der Stelle aufgestellt, wo während des Segens die Bürgerschützen standen. Beim Abfeuern zersprang ein Böller und zerschmetterte dem Fähnrich Schreinermeister Joh. Jos. Kreuzberg beide Beine. Darauf wurde von der städtischen Polizeibehörde nicht nur das Abfeuern der Böller, sondern auch die Abgabe der beim sakramentalen Segen üblichen Gewehrsalven verboten. Im folgenden Jahre 1840 zogen die Bürger an Dreifaltigkeit und an Fronleichnam nicht auf, da kurz vorher, am Pfingstmontage, dem 7. Juni 1840. König Friedrich Wilhelm III. gestorben war. Im nächsten Jahre ließ Schützenhauptmann Schopp trotz des Verbotes des Bürgermeisters die Salven vor und nach der Prozession und beim Segen an den vier Toren abfeuern. Nun erfolgten von beiden Seiten Berichte und Eingaben an die Königliche Regierung, aber es blieb bei dem Verbot des Bürgermeisters. Darauf wendet sich die Gesellschaft am 22. Mai 1842 um Gestattung der Gewehrsalven an den Königlichen Regierungspräsidenten in Koblenz, ohne Erfolg. Sie erhält nur die Zusage, die Regierung in Koblenz werde eine etwaige Eingabe an das Ministerium befürwortend weiterreichen. Diese Eingabe erfolgt am 22. Juli 1842, wird aber wegen einer „neuerlichen ministeriellen Verfügung nicht nach Berlin weitergegeben. Darauf richtet die Gesellschaft am 11. Oktober 42 einen Antrag direkt an das Ministerium; die Antwort vom 9. Februar 43 ist wieder abschlägig, ebenso ein neues Gesuch vom 9. März desselben Jahres. Unter Umgehung des Dienstweges wendet sich schließlich die Gesellschaft am 17. April 1843 in einer sog. Immediat-Eingabe über Regierung und Ministerium hinweg direkt an den König, der sich ja 10 Jahre vorher als Kronprinz in das Mitgliederbuch der Bürgerschützen eingetragen hat, und siehe da: Unter dem 30. Mai 1843 ergeht vom Minister des Inneren, gez. von Arnim, die Mitteilung, wonach »des Königs Majestät mittels Allerhöchster Ordre vom 16. Mai d. J. zu bestimmen geruht habe, daß solche altherkömmlichen feierlichen Bräuche beizubehalten seien, sofern nicht die begründete Besorgnis einer damit verknüpften Gefahr vorhanden sei.« Die Gewehrsalven waren also allerhöchst und endgültig genehmigt, das Abfeuern der Böller blieb jedoch verboten. Man kann nicht umhin, den Mut und die Beharrlichkeit zu bewundern, mit der die Gesellschaft und ihr Verwaltungsrat (Vorstand), an der Spitze ihr rühriger und tatkräftiger Hauptmann Schopp, seines Zeichen Posthalter und Einnehmer der indirekten Steuern, damals um ihr altüberliefertes Brauchtum gekämpft haben. Wohl zum Danke übersenden die Bürgerschützen am 20. Mai 1844 Sr. Majestät eine Schützenmedaille und sprechen dabei die Bitte aus, daß beim jährlichen Vogelschießen durch eine von Sr. Majestät zu bestimmende Person jedesmal der erste Schuß für Allerhöchstdieselbe geschehen dürfe. Der König läßt drei Monate später, am 1. August 1844, dafür danken, gez. Erdmannsdorf, schenkt seinerseits der Gesellschaft die goldene Huldigungsmedaille und ordnet an, daß der Vorstand der Gesellschaft die Se. Majestät beim Vogelschießen vertretende Person wählen solle. Als solche bestimmt der Verwaltungsrat am 12. August 1844 den Hauptmann. — Die Huldigungsmedaille wurde seither an einer einfachen Kette getragen, bis zum 500jährigen Jubelfest im Jahre 1903. Zu dieser nach allen Berichten großartigen Feier stiftete die Vaterstadt Ahrweiler eine goldene Kette und Einfassung zum Tragen der Medaille; sie wurde am Montagabend vor dem althergebrachten Ehren-Umtrunk — Trinkzug genannt — vor dem Rathause vom damaligen Bürgermeister Blume überreicht. Tags vorher, am Dreifaltigkeitssonntage, hatte ein großer historischer Festzug stattgefunden. Die neue goldene Hauptmannskette hatte der Hofgoldschmied Gabriel Hermeling, Köln, entworfen und gestaltet. Die Huldigungsmedaille ist als Mittelstück in einem breiten Goldrahmen eingelassen, den seitlich zwei Adler flankieren, die Kronen tragen. Darunter hängt, umrahmt von Eicheln und Eichenblättern, das jahrhundertealte Stadtwappen von Ahrweiler, das in der oberen Hälfte das kurkölnische schwarze Kreuz auf weißem Grund, im unteren Felde auf rotem Grund den Adler der heimischen Grafen von Are trägt. Die blank polierte Rückseite der goldenen Einfassung zeigt die Widmung: Der St.-Sebastianus-Bürgerschützen-Gesellschaft zur 500jährigen Jubelfeier — Die Stadt Ahrweiler. In seiner Ansprache — ihr voller Wortlaut ist erhalten — pries Bürgermeister Blume die drei Aufgaben, die die Gesellschaft auf ihr Banner geschrieben habe: die Pflege der Religion, die Liebe zu Heimat und Vaterland und schließlich die Förderung echten Bürgersinns und froher, einträchtiger Geselligkeit. Er gab dem Wunsche Ausdruck, daß diese Tugenden bestehen und lebendig bleiben sollten und daß durch die Schützengesellschaft das Gefühl der Eintracht und der Zusammengehörigkeit aller Schichten und Klassen der Bevölkerung gestärkt werde. Wer sich — und wenn auch nur ein wenig — in den Geist und das Lebensgefühl einer vergangenen Zeit hineinfinden kann — und Geschichte im großen wie im kleinen läßt sich nur aus ihrer Zeit heraus verstehen — der vermag in etwa nachzuempfinden, mit welcher Freude und mit welchem Hochgefühl die Ahrweiler Bürgerschützen damals das Geschenk ihrer Vaterstadt und 59 Jahre vorher — 1844 — das Geschenk ihres Königs und Landesherrn entgegengenommen haben. Beide Geschenke bilden seit 1903 eine kunstvolle Einheit, die als Hauptmannskette zu ihren wertvollsten Insignien gehört.
Die Hauptmannskette mit der goldenen Huldigungsmedaille