Die große Kundgebung für Recht und Freiheit in Köln und Rolandseck 1863

VON HERMANN BAUER

Das große Fest, das die Stadt Köln den preußischen Abgeordneten des Berliner Landtages für Rheinland und Westfalen gab, wäre trotz der großen Reden, des Fahnenschmuckes und der Böllerschüsse, trotz der Teilnahme berühmter Kämpfer für Recht und Freiheit in Vergessenheit geraten, wenn nicht ein Mensch in der Gemeinde Oberwinter Sinn für Ordnung und Genauigkeit gehabt hätte, der den sehr eingehenden Bericht von dem Geschehen des 18. und 19. Juli 1865 auf die Rückseite dieses Holzschnittes geklebt und den Artikel, der vermutlich in der Kölner Zeitung stand, mit dem Datum des 8. August gezeichnet hätte. Es will fast so scheinen, daß diese großartige Kundgebung bewußt totgeschwiegen wurde, weil die äußeren Erfolge der Bismarckschen Politik den liberalen Politikern den Widerhall ihres Kampfrufes stark dämpfte. Während wir uns heute der erkämpften Freiheit erfreuen, müssen in unseren Tagen, genau 90 Jahre später, deutsche Menschen für das gleiche Ideal immer noch kämpfen und bluten. Es ist ein ehernes Gesetz der Geschichte, daß sich die Würde des Menschen gegen ihre Unterdrücker aufbäumt. Die Handlung auf der Bühne der Geschichte bleibt immer die gleiche. Die Kulissen ändern sich, die Verkleidung auch. Von dem Pult des Ministerpräsidenten Otto von ‚Bismarck fallen scharfe Worte. Sie richten sich gegen die freisinnigen Abgeordneten des preußischen Landtages, die den Weg zur deutschen Einheit mit den Mitteln des Geistes erringen wollen. Unter ihnen kämpft mit Prof. H. von Sybel auch ein ausgezeichneter Kopf aus dem Wahlbezirk des Kreises Ahrweiler und Adenau mit „Männerstolz vor Königsthronen“. Am 6. Dezember 1861 wurde als Sprecher unserer Heimat der Weinguts= und Lohgerbereibesitzer Referendar a. D. Franz Bresgen aus Lantershofen gewählt. Er schloß sich der neugebildeten Deutschen Fortschrittspartei an, die der Bismarckschen Militärvorlage am heftigsten entgegentrat. Der Präsident, der die deutsche Frage mit „Blut und Eisen“ lösen wollte, verlangte von dem preußischen Landtag eine Mehrausgabe von 9 Millionen Talern für die Aufrüstung und die Verlängerung der allgemeinen Dienstzeit. Der preußische Landtag, der am 14. 1. 1862 zur 6. Legislaturperiode zusammentrat, wurde bereits nach zwei Monaten wieder aufgelöst. Die entschiedene Haltung der Abgeordneten für die Rechte des Volkes ist umso höher zu werten, da sie ja auf Grund des Dreiklassenwahlrechtes ihr Mandat erhielten. Diese undemokratische öffentliche und mittelbare Wahl ließ den Willen des Volkes nur schwach zum Durchbruch kommen, weil der Großgrundbesitz und die Stände trotz ihrer geringen Wählerzahl die meisten Stimmen im Abgeordnetenhaus auf sich vereinigten. Auch bei der Wahl zur 7. Legislaturperiode wählten die Wahlmänner des Kreises Ahrweiler und Adenau am 6. Mai 1862 mit 84 Stimmen Mehrheit Franz Bresgen. Von den 352 Sitzen des preuß. Landtages vereinigte die Deutsche Fortschrittspartei nach der Uberwindung der Spaltung in der letzten Periode 133 Stimmen auf sich. Bismarck versuchte nun die verstärkte Opposition dadurch zu brechen, daß er den Landtag am 27. Mai 1863 erneut auflöste.

In diese Kampfstimmung fällt nun jenes Fest, das ich im Originalbericht wiedergebe. Leider vermissen wir in ihm die Erwähnung der Teilnahme unseres Abgeordneten. Schön wäre ein Toast auf die freiheitsliebenden Männer des Rhein=, Ahr= u. Eifelgebietes zu lesen. Sicher wurde er in der Festrunde gespendet und auch des Landes gedacht, das der alte Freiheitskämpfer Kinkel so liebte. Bei dem Journalisten jedoch hörte leider mit der Eisenbahn auch sein Bericht in Rolandseck auf. Aber „trotzdem“ soll dieser hier zu Worte kommen. 

„Das Abgeordnetenfest in Köln und Rolandseck am 18. und 19. Juli 

C. Die Metropole am Rhein, die ehrwürdige Colonia Agripina, hat nicht nur in älteren Zeiten, sondern auch im Laufe des jetzigen Jahrhunderts viele und großartige Feste gesehen. Doch so glänzend dieselben auch theilweise waren, so können sie sich doch nicht mit dem schönen Volksfeste messen, das am 18. und 19. Juli daselbst am ersten Tage durch ein großes Banket im Gürzenich, am zweiten durch eine Festfahrt nach Rolandseck zu Ehren der verfassungstreuen Abgeordneten der Provinz Rheinland und Westfalen im preußischen Abgeordnetenhause gegeben wurde, um der Überzeugung, daß das Heil und die Wohlfahrt Preußens mit der Aufrechterhaltung der dem Lande verliehenen Verfassung enge verknüpft sind, einen lauten Ausdruck zu geben.

Das Fest verdankte sein Entstehen einzig und allein der von Seiten der Reaction so vielfach bethätigten Feindseligkeit gegen die Verfassung und gegen die Männer, die ihre Zeit und ihre Kräfte der Vertheidigung derselben widmeten. Mit vollem Rechte erachtete man es unter diesen Umständen für zweckmäßig, diesen mit Unrecht so vielfach angefeindeten Männern ein öffentliches Zeichen der Anerkennung ihrer Wirksamkeit zu geben und gleichzeitig damit die feste, unerschütterliche Anhängigkeit an die Verfassung auszusprechen, die als ein theuer erworbenes Recht jedem Preußen, der sein Vaterland aufrichtig liebt, unverletzbar sein und bleiben muß. Daß ein zu diesem Zweck veranstalteten Fest nur in Köln in einer würdigen Weise gegeben werden könne, unterlag gar keinem Zweifel, und deshalb bildete sich auch sofort daselbst ein Comite von ebenso geachteten wie einflußreichen Männern, welches den Gegenstand in seine Hand nahm und die Vorbereitungen dafür traf. Auf die ergangenen Einladungen sagten 53 Abgeordnete aus Rheinland und Westfalen und zwei aus den alten Provinzen ihre Anwesenheit zu, und aus den Provinzen meldeten sich 500 Teilnehmer an, und so stieg die Zahl derer, die sich unterzeichnet hatten, mit den Bewohnern Kölns, auf 800 an. Am 18. des Nachmittags ein Viertel vor •l Uhr traten die Abgeordneten, von dem Comite geführt, in den Saal des Gürzenich, der an seinen Säulen auf das Fest passende Inschriften trug, und an 6 Reihen Tischen ungefähr 800 Gäste zählte. Die Abgeordneten, denen ein enthusiastischer Empfang zu Theil wurde, nahmen auf der Tribüne an sechs Tafeln und hinter denselben das Comite Platz, und nachdem die Abgeordneten und die Festversammlung ihre Sitze eingenommen hatten, ergriff der Vorsitzende des Comite, Herr Classen=Kappelmann von Köln, das Wort, um den Willkommengruß an die Versammlung zu richten, indem er sich über die Entstehung und den Zweck des Festes aussprach. Gleichzeitig entschuldigte er die zu dem Feste eingeladenen, aber nicht erschienenen Herren Grabow v. Bockum=Dolffs, Waldeck, Professor Virchow und Dr. Löwe. Er teilte die Gründe ihres Ausbleibens und ihre Anerkennung des Festes mit. Nach dem Beginn des Diners brachte der Assessor a. D. Herr Jung aus Köln in begeisterten und von häufigen Beifallskundgebungen unterbrochenen Worten ein Hoch auf das Abgeordnetenhaus aus. Der folgende Toast galt dem verfassungstreuen Volk und wurde von dem Abgeordneten für Solingen, Herrn v. Rönne, gesprochen. Den Toast auf die Verfassung hatte der Abgeordnete für Krefeld, Prof. v. Sybel aus Bonn, übernommen. Daß er seine Aufgabe in einer glänzenden Weise löste, bedarf für alle, welche die von diesem ausgezeichneten Manne im Hause der Abgeordneten und später in Krefeld gehaltenen Reden gelesen haben, kaum der Erwähnung, und daß er mit einem Tusch und nicht enden wollenden Hoch empfangen wurde, war ganz seinen Verdiensten gemäß. Infolge dessen, daß von dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Herrn v. Grabow, während der Rede des Herrn v. Sybel per Telegraph ein Festgruß an die Versammlung eingelaufen war, erhob sich Herr Friedrich Harkort, der Vertreter für Hagen, um dem Herrn Grabow ein Hoch auszubringen.

Foto: Landesbildstelle Rheinland-Pfalz

Hierauf folgte ein von Dr. Becker aus Dortmund in sehr schönen Worten ausgebrachter Toast auf die Stadt Köln, und nach ihm betrat Herr v. Vaerst die Rednertribühne, um dem deutschen Vaterland ein Hoch zu bringen. Herr Bürgers aus Köln ließ die Festgenossen aus Rheinland und Westfalen hoch leben, und zuletzt ergriff der Appellationsrath Herr v. Ammon, Köln, der als früherer Vertreter von Köln als Ehrengast geladen war, das Wort, um als Zeuge der Begeisterung zur Zeit der Freiheitskriege daran zu erinnern, daß damals nicht bloß der Entschluß, das Vaterland vom fremden Joche zu befreien, sondern auch gleichzeitig der Wunsch, die gesetzliche Freiheit im Innern herzustellen, das Volk unter die Waffen und den Kampf getrieben habe. Nach dieser gesetzlichen Freiheit im Innern strebten alle Anwesenden und für sie hätten auch unsere Abgeordneten aus Rheinland und Westfalen, die sich in der Mitte der Gesellschaft befänden, gestritten. Seine Schlußworte: „Ja, meine Herren, stoßen Sie an und rufen Sie, daß dieser Morgen anbreche, daß die Sonne gesetzlicher Freiheit über unserm geliebten Vaterlande aufgehe. Hoch!“ bildeten ein sehr passendes Ende für die Toaste dieses Tages, der fast mit noch größerem Recht „Verfassungsfest“ als Abgeordnetem fest genannt werden könnte, da es sich für die Anwesenden besonders darum handelte, ihre treue Anhänglichkeit an die Verfassung öffentlich auszusprechen. Wenn die Hauptwürze des ersten Festtages in den trefflichen Toasten lag, die bei dem Banket ausgebracht wurden, so gab die lebhafte Theilnahme des Volkes, die sich so unverhohlen während der Rheinfahrt aussprach, dem zweiten Festtage, der von dem Himmel durch das heiterste Wetter begünstigt wurde, und welcher den eigentlichen Glanzpunkt des Festes bildete, seinen schönsten Reiz. Kurz nach 9 Uhr segelten die mit Fahnen verzierten Dampfschiffe, jedes mit einem Musikcorps versehen, mit den Abgeordneten und Festgenossen, zusammen gegen 1300 Personen, ab, während viele tausend Menschen die Rheinufer bedeckten, und die Abfahrenden mit einem donnernden Hurrah begrüßten. Den Reigen eröffnete der „Schiller“, dem der „Gutenberg“, dann der „Goethe“ und zuletzt die „Concordia“ folgte. Kaum hatten die Dampfer Köln hinter sich, als auf ihnen der Kanonendonner begann, der von den Schiffen und am Ufer, sowie von dem Etablissement der kölnischen Maschinenfabrik sehr lebhaft erwidert wurde. Fast jede Ortschaft bis Bonn hatte geflaggt und ihre Bewohner sich am Ufer des Rheines versammelt. Die Ortschaft Porz, welche die Landungsbrücke reich beflaggt hatte, empfing die Dampfboote mit Böllerschüssen, was auch in Jündorf und anderen Orten der Fall war. Die Stadt Bonn wurde mit Arndts „Was ist des Deutschen Vaterland“ begrüßt, und ein nicht enden wollendes Hurrah und Hoch empfing die Schiffe an dieser Stadt und am Landungsplatze, denn die Bewohner der ganzen Stadt hatten sich am Ufer des Rheins und den daran anstoßenden Häusern zusammengedrängt, um die Abgeordneten wenigstens durch ihr Zurufen zu begrüßen, da sie es mit Böllerschüssen nicht thun durften. Bei der Vorbeifahrt am Arndt’schen Hause sah man die Witwe des vor zwei Jahren gestorbenen berühmten Patrioten auf dem Balcon ihres Hauses stehen, um die Vorbeifahrt anzusehen. Sofort machten die Dampfboote Halt, die Musikcorps spielten und die Festtheilnehmer sangen aus voller Brust: „Was ist des Deutschen Vaterland?“, um den Namen des Verstorbenen ihre Huldigung darzubringen.

Beuel begrüßte die vorübersegelnden Dampfschiffe mit Böllerschüssen, Oberkassel hatte festlich geflaggt, in Königswinter, das trotz aller Verbote ein festliches Kleid angelegt hatte und die Abgeordneten mit Schüssen aus sechs Böllern begrüßte, ja sogar eine Ehrenpforte für dieselben errichtet hatte, welche die Inschrift trug: „Den Kämpfern für gesetzliche Freiheit!“ war die ganze Bevölkerung am Rhein.

Natürlich hatte Rolandseck, wo die Ankunft um 2 Uhr erfolgte, alles aufgeboten, um den Empfang der erwarteten Gäste zu einem glänzenden zu machen. Außer dem Geschützdonner aus vielen Böllern begrüßte ein tausendstimmiges Hurrah der am Landungsplatz zusammengedrängten zahllosen Menschenmenge die Ankommenden. Daß es auch bei dem Diner in Rolandseck, das in den Sälen und auf der Terrasse — auch im Hotel Blinzler speisten 400 Personen — stattfand, an Toasten nicht fehlte, „welche das Mahl würzten, versteht sich ganz von selbst. Abends 7 Uhr wurde die Rückfahrt angetreten, und auch während derselben begrüßten begeisterte Zurufe vom Lande wie am Morgen die Vorübersegelnden. Bei einbrechender Dunkelheit wurden die Schiffe illuminiert. Den Festgenossen wurde von den Uferbewohnern durch Illuminationen, bengalisches Feuer und Raketen große Überraschung bereitet, was in und bei Rodenkirchen ganz besonders der Fall war.

An der Landungsbrücke bei Köln angelangt, gab sich der allgemeine Wunsch kund, dem Stadtverordneten, Herrn Classen=Kapelmann, dem Vorsitzenden des Festcomites, durch eine Serenade zu danken. Eine zahllose Menschenmenge zog nach der Schildergasse und ein Hoch folgte dem ändern. Damit schloß das schöne Fest, das durch keinen Mißton getrübt wurde und das allen Theilnehmern für immer unvergeßlich bleiben wird. Es war in jeder Beziehung ein herrliches Fest, wie der Rhein noch kein schöneres sah und sprach in unvergänglichen Zügen und Gedanken aus: Preußen ist ein constitutionelles Land und muß ein solches bleiben!

8. August 1865.“