Die Brohler Ereignisse des 8. und 9. November 1923 und ihre Hintergründe
Wolfgang Dietz M. A.
Seit sich »die französischen Erwartungen, als Ergebnis des 1. Weltkrieges im Versailler Friedensvertrag 1919 die Loslösung des Rheinlandes vom Deutschen Reich zugestanden zu erhalten« oder doch zumindest einen englischamerikanischen Garantievertrag gegen einen eventuellen deutschen Angriff zu erlangen, zerschlagen hatten und daraufhin außer dem Rheinland auch das Ruhrgebiet besetzt wurde, entzündete sich »der seit 1919 schwelende Separatismus zum offenen Feuer«. »Unter dem Schutz und gelegentlich direkter Beihilfe der Besatzungstruppen gelang es den Separatisten im Rheinland und in der Pfalz an verschiedenen Orten erfolgreich zu putschen«. Ausgehend von Aachen, wo am 21. 10. 1923 die Rheinische Republik proklamiert wurde, griff die Bewegung »zunächst auf das Mittelrheingebiet über. Anhänger von Dorten und Smeets besetzten vom 22. Oktober an die staatlichen Behörden in Wiesbaden und Mainz, bald darauf auch in Worms und anderen rheinhessischen Orten«.
Auch in unserer Heimat waren den Separatisten, die teils einen unabhängigen rheinischen Pufferstaat anstrebten, teils offen mit den Franzosen sympathisierten, anfängliche Erfolge beschieden. So wurde »am 23. und erneut am 25. Oktober 1923 [ ] in Koblenz nach einem revolutionären Handstreich aufs Schloß ein unabhängiger neuer Staat ausgerufen: Die Rheinische Republik. Es bildete sich eine vorläufige Regierung« mit Josef Friedrich Mattries als Ministerpräsidenten an der Spitze. »Zu Remagen ist damals auf dem Rathaus, dem Postamt und auf dem Bahnhofsvorplatz die grünweißrote Fahne der »Freien Rheinischen Republik« gehißt worden; diese separatistische Aktion fand unter dem Schütze französischer Truppen und einer marokkanischen Brückenwache statt«. Zu Auseinandersetzungen und Zusammenstößen mit der Bevölkerung bzw. zu einem wachsenden Sympathieverlust kam es in der Folge, da sich die Beamtenschaft einer Kooperation mit den Sonderbündlern weitgehend verweigerte, so daß jene nicht in der Lage waren, eine geordnete Verwaltung sowie ein funktionierendes Währungs- und Finanzsystem aufzubauen. Angesichts der galoppierenden Inflation hatten auch »die Separatisten kein besseres Geld. Oftmals hatten sie überhaupt kein Geld, so daß sie sich durch Requisitionen oder durch nackte Plünderungen versorgten. Dieses Vorgehen gewann ihnen keine Freunde«, sondern trug allenthalben dazu bei, ihr eigentliches Ziel und Anliegen nachhaltig zu diskreditieren. Vor diesem Hintergrund, dem Klima der Angst und Unsicherheit, zunehmenden Ausschreitungen und Gewaltakten sind auch die Brohler Vorgänge vom 8. und 9. November 1923 zu sehen.
Angesichts der von der Operationsbasis An-dernach aus unternommenen Requirierungszüge in die nähere Umgebung, so nach Maria Laach und Kell – dort begegneten sie »ernst-hafte[m] Widerstand der Bauern unter Führung des Pfarrers« – und des Überfalls auf den ca. 1 km südöstlich vom Ortskern entfernt gelegenen Alkerhof, wo »einige Stück Groß- und Kleinvieh« abtransportiert worden waren, versuchten die Brohler Bürger, einen Selbstschutz gegen derartige Übergriffe für ihren Ort auf die Beine zu stellen. Auf Initiative des Fabrikanten und damaligen Gemeindevorstehers Anton Bröhl und des Hotelbesitzers Hans Felinger wurde am Donnerstag, dem 8. November 1923, eine Bürgerversammlung abgehalten, in deren Verlauf beide Herren sich dafür aussprachen, »ständige Wachen aufzustellen und den Banden bei etwaigen Plünderungsversuchen in Brohl entschiedenen Widerstand zu leisten. Die Mehrzahl der Bürger versprach sich zwar nicht viel von der Wirksamkeit dieser Maßnahmen, da man ja keine Schußwaffen besitzen und noch viel weniger tragen durfte, aber es kam immerhin ein Wachtdienst zustande, an dem sich der größte Teil der Bürgerschaft beteiligte«.
Verlauf und Ergebnis dieser Bürgerversammlung aber sollten nicht lange geheim bleiben, denn bereits am darauffolgenden Tage, »dem 9. November, verließ ein separatistisches Vollzugskommando von etwa 40 Mann die Stadt Andernach und fuhr mit einem Last- und einem Personenwagen nach dem »widerspenstigen« Brohl«. Am südlichen Ortsrand machten sie halt, verließen ihre beiden Fahrzeuge und begannen, in mehreren kleineren Trupps, die Straßen Brohls durchzukämmen, und wer auf der Straße angetroffen wurde, war seines Lebens nicht mehr sicher:
»Auf einem Steinhauerplatz in der Nähe des Bahnhofs überraschten sie den Steinhauer Josef Rothstein bei der Arbeit und schössen wie wild hinter ihm drein, als er erschrocken von dannen floh. Ein Schuß traf ihn in den Arm. Vor der Post lief den Schurken ein kleiner Junge, namens Peter Lampersberger, in den Weg, und auch diesen verletzten sie schwer durch einen Schuß. Der Schwiegervater des Gastwirts Reiffenschneider auf der Koblenzer Straße, Josef Patron, hörte den Lärm und das Gebrüll im Orte und wollte neugierig schauen gehen, was da los sei. Als er die bewaffnete Herde sah, machte er eiligst kehrt, erhielt aber im gleichen Augenblick einen Schuß in den Hinterkopf, so daß er tot zu Boden sank. Furchtbares Entsetzen packte die Einwohner, die durch die Luken und Fenster ihrer Häuser diese Mordtat beobachteten. Von Mund zu Mund eilte die schreckliche Kunde, und wer noch Zeit hatte zu fliehen, rannte in wilder Hast davon, nach Niederbreisig zu«.
Gedenkstein für die Separatistenopfer in den Brohler Rheinanlagen
Foto: Kreisbildstelle
Das eigentliche Ziel der Strafexpedition aber waren ohne Zweifel die beiden Wortführer der Bürgerversammlung vom Vortage. Der Fabrikant Anton Bröhl konnte sich und seine Familie beim Anrücken des Stoßtrupps gerade noch in Sicherheit bringen. Sein Haus in der Koblenzer Straße, der alten B 9, wurde jedoch völlig durchwühlt und geplündert. Hatten die Separatisten hier ihr Opfer verfehlt, so unterlief ihnen bei ihrer Strafaktion gegen den Hotelier Felinger eine folgenschwere Verwechslung.
Die Bande »geriet in das falsche Haus. Anstatt in das >Rheinhotel< Felinger zu gelangen, brach sie in das danebenliegende Gasthaus >Zum Anker« ein, das dem Gastwirt und Metzger Hommen gehörte. Der 41 Jahre alte Gabriel Hommen, der im Dorfe ein Schwein geschlachtet hatte und bei dem allgemeinen Tumult eiligst nach Hause gelaufen war, betrat sein Haus durch die Hintertüre in dem gleichen Augenblick, als die Separatisten von vorne hereinkamen. Sofort feuerten diese los und trafen den bedauernswerten Mann mitten ins Herz. Vier weitere Schüsse streckten den herbeieilenden 71jährigen Vater Gabriel Hommen nieder. Noch auf den zu Tode Getroffenen gaben die blutrünstigen Schurken mehrere Schüsse ab, während die Frau und ein Kind des jüngeren Hommen, starr vor Entsetzen, daneben standen. Dann machten sich die feigen Meuchelmörder davon und fuhren mit ihren Genossen nach Andernach zurück. Die Bevölkerung aber ergriff maßlose Empörung und ohnmächtige Wut, daß sie solchen Mordbuben schutz- und wehrlos ausgeliefert war«. Soweit die Ausführungen des zeitgenössischen Berichterstatters.
Auch in der gesamten Umgebung hatten damals die Ereignisse tiefe Bestürzung hervorgerufen, und selbst heute – nach mehr als 60 Jahren – erinnern sich ältere Bürger noch deutlich der Morde von Brohl, die das bereits lädierte Ansehen der Separatistenbewegung, der sich ja ursprünglich auch angesehene Bürger angeschlossen hatten, vollends ruinierten. Zum Gedenken an die Opfer errichtete die Gemeinde Brohl in ihren Rheinanlagen ein Mahnmal mit folgender Inschrift:
Den Separatistenopfern
9. Nov. 1923
Gabriel Hommen sen.
Gabriel Hommen jr.
Josef Patron
Quellen:
Krüger, Hans-Jürgen, Rheinische Republik der Separatisten – Katalog zur Ausstellung im Landeshauptarchiv Koblenz, Koblenz 1983, Heiber, Helmut, Die Republik von Weimar (= dlv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3), 10. Aufl. München 1977, Erdmann, Karl Dietrich, Die Weimarer Republik (= Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Taschenausgabe Bd. 19), München 1980,
Faber, Karl-Georg, Die südlichen Rheinlande 1816 -1956, in: Petri, Franz/Droege, Georg (Hgg.), Rheinische Geschichte, Bd. 2: Neuzeit, 2. Aufl. Düsseldorf 1976, S. 367 – 474,
Rutt, Theodor, Vom frühen Mittelalter bis zur Neuzeit, in: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, Köln 1968, S. 83 – 206, Schmilz, Walter, Aus der Verwaltungsgeschichte des Kreises Ahrweiler, in: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, Köln 1968, S. 243 -260
Friedrichs, Klaus (Hgg.), Die Separatistenschlacht im Siebengebirge – das Ende des Separatismus am Mittelrhein, Neuwied (1931), Dornburg, Paul, Die Separatisten in Linz – Gedenkschaft anläßlich der Einweihung der Plaketten für Separatisten-Abwehr und den am 21. 2. 1633 von den Schweden öffentlich hingerichteten Schöffen und Bürgermeister A. Kastenholz, Linz 1933.