Die alte Pfarrkirche St. Gertrud in Remagen-Oedingen
P. Bentivolius Heinrich Marxen
Die katholische Pfarrei St. Gertrud im Ortsteil Gedingen der Stadt Remagen besitzt zwei Pfarrkirchen, die beide den Namen der heiligen Gertrud von Nivelles tragen. Die ältere stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts und soll hier näher beschrieben werden. Die heutige Pfarrkirche St. Gertrud wurde 1903 -1909 nach den Plänen des Bonner Architekten Stumpf erbaut und am 11. Juli 1911 vom Trierer Weihbischof Schrod konsekriert.
Die ehemalige Pfarrkirche liegt am Ende der Kapellenstraße und wird hufeisenförmig vom pfarreigenen Friedhof eingerahmt. Sie dient heute als Friedhofskapelle. Von den Einwohnern wird das ehrwürdige Gotteshaus meist unsere alte Kirche genannt, offiziell aber als Kapelle bezeichnet. Die »Mitteilungen des Diözesanarchivs Trier« (1927, Jahrgang l, Nr. 1) nennen die alte Kirche in Gedingen »die poetischste aller Dorfkirchen unseres Bistums«. Sie steht auf geschichtlichem Boden, und wenn ihre Steine reden könnten, würden sie von der Heimatgeschichte erzählen bis zurück in die Karolingerzeit.
Die alte Kirche besteht aus zwei deutlich erkennbaren Teilen, nämlich der romanischen Erstkirche aus dem 13. Jahrhundert und dem hochgotischen Chor mit Sterngewölbe und angebauter Sakristei, einem Fachwerkbau aus dem 15. Jahrhundert (vgl. »Jahrbuch für Denkmalpflege« l, 1925). Auf der Westseite wurde später eine hölzerne Halle vor das Portal gesetzt als Windfang und als provisorische Erweiterung des zu eng gewordenen Kirchenraumes. Bei Renovierungsarbeiten in den zwanziger Jahren wurde diese Westhalle entfernt. Man hatte ja inzwischen die neue Pfarrkirche und wollte mit diesem Abbruch der alten Vorhalle das ursprüngliche Erscheinungsbild der Kirche wiederherstellen.
Das Problem mit der Überdachung der gotischen Anbauten wurde dadurch hervorragend gelöst, daß man vom Turm bis über das Chor einen geradlinigen First anlegte und über die Sakristei ein tiefliegendes und in das gesamte Kirchendach integriertes Satteldach zog.
Auf dem Firstende über dem Chor brachte man als Abschluß ein christliches Sinnbild an. Es wird heute oft mit einem Blitzableiter verwechselt, den es aber damals noch nicht gab. Gut zu erkennen ist ein auf dem Kopf stehendes großgeschriebenes »A«. Die unteren Enden dieses A sind durch zwei Bogenlinien miteinander verbunden: ein griechisches Omega. Auf den Spitzen dieser beiden Buchstaben stehen ein Auge, ein Kreuz und eine Taube. Braucht es da überhaupt noch einer Deutung?
A und 0 sind die Anfangs- und Endbuchstaben des griechischen Alphabetes. Nach einem Schriftwort ist Christus „das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende«. Auge, Kreuz und Taube versinnbildlichen die göttliche Dreifaltigkeit, wie jedermann weiß. Das alles überragende Kreuz zeigt an, daß es sich um ein Christuszeichen handelt, um die zweite Person der Dreifaltigkeit.
Treten wir nun ein in das Kircheninnere. Der Raum unter dem Kirchturm ist voll einbezogen in das Schiff der Kirche. Deren romanischer Erstbau endet unter dem Rundbogen, der bei der Erweiterung der Kirche an die Stelle ihrer Ostwand getreten ist. Rechts vor diesem Bogen liegt die Altarplatte der Erstkirche auf einem gemauerten Sockel. Der Altar selber ist nicht mehr vorhanden, wahrscheinlich war es ein Holzaltar. Ob bei der Erweiterung das ganze Gewölbe erneuert wurde, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen, ist aber wegen der Gewölbeart fast anzunehmen. Im Turm hängt die alte Gertrudisglocke, die heute bei Beerdigungen als Totenglöcklein dient und von Hand betätigt wird. In das massive Mauerwerk des romanischen Teils sind schmale Rundbogenfenster eingelassen.
Bei der alten Oedinger Pfarrkirche verbinden sich Romantik und Gotik zu einer harmonischen Einheit
Die Fresken
Der gotische Neubau beginnt an der Kommunionbank mit dem schon erwähnten Rundbogen. Ein Fresko auf diesem Halbkreis stellt musizierende oder tanzende Engel dar. Wie alle Fresken im Chor der Kirche hat auch dieses Bild durch mehrmalige Übertünchung große Schäden erlitten. Diese Fresken stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert, während die Bilder im Chorgewölbe dem 16. Jahrhundert zugeschrieben werden. Daß letztere überhaupt entdeckt wurden, ist verschiedenen Umständen zu verdanken.
Am Patronatsfest 1945, dem 17. März, wurde Oedingen von einer deutschen V-2-Rakete getroffen, die dem Nachschub der vorrückenden Amerikaner galt. Sie richtete große Verwüstungen an beiden Kirchen und Privathäusern an und forderte mehrere Menschenopfer.
Die Oedinger Bürger verdanken es Herrn Hermann Josef Abs, daß mit seiner finanziellen Hilfe die stark beschädigte alte Kirche renoviert werden konnte. Bei dieser Gelegenheit wurden Anfang der sechziger Jahre ganz unerwartet die schon mehrtach übertünchten Fresken entdeckt und vorsichtig freigelegt, die im Lauf der Jahrhunderte allerdings fast irreparable Schäden erlitten hatten. Mit infrarot- und ultraviolettempfindlichem Fotomaterial läßt sich aus den Bildern mehr herausholen, als mit bloßem Auge zu erkennen ist. Insgesamt gibt es 21 solcher Fresken, zwei auf den beiden Rundbögen, vier auf den Seitenwänden des Chores und fünfzehn in den Feldern des Sterngewölbes. Alle Zwischenräume sind mit Arabesken ausgemalt.
Auf einer Seitenwand des Chores zwischen den heruntergezogenen Rippen des Sterngewölbes, befindet sich das Bild der heiligen Äbtissin Gertrud. Wir sehen eine sitzende Äbtissin, am Krummstab ist sie als solche zu erkennen. Wahrscheinlich geht es um eine liturgische Handlung, bei der ein Diakon der Äbtissin ein Evangeliar oder Lektionar vorhält. Andeutungsweise sind noch die liturgischen Gewänder zu erkennen. In die Nordwand ist beim ersten Rundbogen ein Steinsockel eingefügt, auf dem gewiß eine Statue gestanden hat, vielleicht die Madonna mit der Birne.
Diese gotische Madonnenfigur war mitsamt Sockel aus einem Stück geschnitzt und hatte einen hohen Kunstwert. Nach Errichtung der neuen Pfarrkirche wurde sie dorthin übertragen. Am 19. Oktober 1946 haben Kunsträuber sie aus der Pfarrkirche gestohlen und sich über die nur 1 km entfernte Grenze zwischen der französischen und englischen Zone »gerettet«. Trotz Interpol-Fahndung ist die Madonnenfigur bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Zur Geschichte
Anno 1412 wird erstmalig die alte Dortkirche dokumentarisch erwähnt in einer Vereinbarung, welche die Dorfbewohner mit dem Pfarrer von Remagen getroffen haben. Bezüglich der Gottesdiensttage und -zelten erzielte man ein Übereinkommen und legte es schriftlich nieder. Schon damals war der Pfarrer von Remagen zugleich der Kirchherr von Gedingen, ein Recht, das zuvor die Landskroner Burgherren ausgeübt hatten. Erst 1803 ging Gedingen von Remagen an die Pfarrei St. Remigius in Unkelbach als Filiale über, nachdem im Jahre 1779 der Benediktiner Pater Johann Baptist Neusser als neu ernannter Pfarrer von Remagen dorthin umgezogen war, wo er am 28. November 1802 im Alter von 65 Jahren verschied. In der Zeit von 1519 (oder schon früher?) bis 1802 waren Benediktiner als Seelsorger in Gedingen tätig.
Der jeweilige Abt von Deutz war als Kollator zuständig für die Stellenbesetzung. Die bei der Kollation von ihm eingesetzten Patres gehörten meist der Abtei Deutz an, manchmal aber auch dem Kloster Heisterbach. Manche von ihnen waren zugleich Seelsorger bei den Benediktinerinnen von Nonnenwerth, residierten aber in Gedingen.
Im Jahre 1849 – Gedingen gehörte bereits wie die Dekanate Remagen und Ahrweiler zum Bistum Trier – errichtete der Trierer Bischof die Unkelbacher Filiale Gedingen zu einer kirchenrechtlich selbständigen Pfarrgemeinde. Als dann 1911 die neu erbaute Pfarrkirche von Weihbischof Schrod konsekriert wurde, verlor die alte Kirche ihren Charakter als Pfarrkirche und wurde zur Friedhofskapelle, in der sich heutzutage die Grabstätte der Eheleute H. J. Abs befindet.