DER TURM VON AHRWEILER
EINE BERÜHMTE MITTELALTERLICHE WASSERBURG
VON JAKOB RAUSCH
Wasserburgen und Windmühlen waren in früheren Zeiten die Wahrzeichen des Flachlandes; Bergburgen und Wassermühlen finden wir in Gebirgstälern.
Jedoch hat mitunter auch das Gebirge Wasserburgen aufzuweisen. So liegt z. B. eine der schönsten Wasserburgen des Rheinlandes, Schloß Crottorf, die heute noch von den Fürsten von Hatzfeld bewohnt wird, im Tale der Wisser, die, aus dem Bergischen Lande kommend, bei Wissen in die Sieg mündet.
So lag auch im Ahrtal, dicht vor dem Obertore von Ahrweiler, eine berühmte Wasserburg, die als der Runde Turm, auch Roter Turm und Kautenturm genannt, m der Geschichte der Stadt, des Abrtales und des Rheinlandes eine große Rolle spielte.
Diese Wasserburg lag 200 m westlich vor dem Obertore, da wo heute Gebäude und Hofraum des Winzervereines liegen.
Die Wasserburg hatte eine unregelmäßige Form. In der Mitte des von einem breiten Wassergraben umgebenen Burggeländes stand ein mächtiger hoher Turm, der nicht nur zur Verteidigung, sondern auch als Wohnung diente. Außerdem lag westlich des Turmes ein großes zweistöckiges Wohngebäude, das äußerlich nicht mit dem Turm zusammenhing; beide aber waren durch einen unterirdischen Gang verbunden. An den Westecken dieses Wohnhauses befanden sich 2 kleine gotische Türme. So wies der einfache schlichte Bau wenig Türme und Zinnen auf.
Jedoch ist diese Wasserburg so bedeutungsvoll, weil in ihr Adelsgeschlechter saßen, die als Besitzer der Burg kurkölnische ‚Erbschenken waren; durch ‚dieses Amt gehörten sie zum ersten Adel Kurkölns und waren dadurch auch geborene Mitglieder des kurkölnischen Landtages, wo sie auf der Grafcnbank saßen. Der eigene Grundbesitz der Wasserburg war nicht so groß: Außer einer Mühle und lV-> Morgen Wiesen gehörten dazu 6 Morgen Weinberg, die der Weinbergslage den noch heute gültigen Namen „Turmberg“ gaben. Reicher waren die sonstigen Einkünfte dieses kurkölnischen Lehens: Ein Hebe-Register aus dem 15. Jahrhundert führt 58 Personen auf, welche Zinsen und Pachtgelder von Hofstätten, Häusern, Gärten, Äckern und Weingärten in und bei Ahrweiler dem Erbschenkenturm zu zahlen hatten. Die Abgaben betrugen über 90 Mark (heutiger Wert 9000 Mark) an Geld, 30 Ohm Wein, 165 Hühner, über 54 Malter Korn und 3 Malter Weizen. Außerhalb der Gemarkung Ahrweiler war mit dem Erbschenkenamte ein Hof in Ringen und die Schäferei in Beller verbunden.
Wie hießen nun die adeligen Besitzer dieses Turmes, die durch das Erbschenkenamt der erste und vornehmste Adel des Ahrtales wurden und z. B. die zehn übrigen Adelsfamilien, die in der Stadt ihren Adelssitz hatten, an Rang und Würde übertrafen?
Ahrweiler erhielt 1248 die Stadtrechte. Aber schon vorher stand die Wasserburg mit ihren Toren und Türmen. Schon 1246, also in demselben Jahre, als die Grafschaft zum Erzstift Köln kam, wurde der adelige Besitzer der Wasserburg schon mit dem kölnischen Erbschenkenamt belehnt.
Im Jahre 1343 tritt Conzo von Vischenich als Schenk des Erzstiftes auf. Die Familie von Vischenich war mit dem Ahrweiler Rittergeschlecht von Blankart verwandt, und ein Ahrweiler Ritter von Vischenich erbaute als kölnischer Vasall die Burg Kreuzberg.
Obertor mit Steinkugeln in Ahrweiler
Foto: Jakob und Helena Steinborn
Conzo von Vischenich starb 1346, und seine Gemahlin Gude heiratete im gleichen Jahre Konrad von Schöneck. Dietrich von Kerpen heiratete die Tochter Conzos, mit Namen Sophie, und so erhielt er den Turm mit dem Erbschenkenamt. Fast hundert Jahre sind die Ritter von Kerpen Besitzer der Wasserburg gewesen. Wohl traten die Herren von Kerpen für 1100 Goldgulden der verwandten Familie von Blankart das Burghaus ab, aber innerhalb von acht Jahren konnten die Herren von Kerpen den Turm wieder zurückkaufen, was sie auch taten.
Aber Honrad von Kerpen und seine Gemahlin Margarete von Thorn verkauften das Gut 1442 dem Grafen Ruprecht von Virneburg, der auch 1443 mit der Wasserburg und allem Zubehör von Kurköln belehnt wurde. Dessen Tochter Gräfin Anna Gertrud von Virneburg erbte dieses ganze Besitztum. Durch ihre Heirat mit dem Grafen Johann von Arenberg kam dieses Eifeler Grafengeschlecht in den Besitz des Turmes und der Erbschenkenwürde.
Ihr Sohn Adolf von der Mark zu Arenberg erhielt 1473 von dem kurkölnischen Erzbischof Ruprecht von der Pfalz das Gut als Erblehen.
„Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!“ So erklärt es sich auch, daß in der zehnjährgen zähen Fehde der Wölfe und Böcke (1468—1478) der Aremberger auf der Wasserburg auf Seiten des Erzbischofs, also im Lage der Böcke, stand, während die Stadt Ahrweiler zu den Wölfen und dem Domkapitel hielt.
„Wölfe“ nannte man die Partei, die mit den Pfandherren und dem Domkapitel mit Recht behaupteten, es sei Unrecht vom Erzbischof Ruprecht, von den Pfandherren die Pfänder zurückzuverlangen, ohne daß dieselben finanziell eingelöst worden waren. Diese Partei des rheinischen Adels trug als Erkennungszeichen auf ihren Ärmeln einen gestickten Wolf.
Die Verbündeten des Erzbischofs wurden „Böcke“ genannt, weil ihr Anführer „Bück“ hieß, den der Kurfürst von der Pfalz seinem Bruder Ruprecht, Erzbischof und Kurfürst von Köln, mit pfälzischen Truppen sandte.
Und so klagt mit Recht ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber: „Also fingen die Wölfe an zu beißen und die Böcke an zu stoßen.“
So saß der Arenberger als „Bock“ auf der Wasserburg den Ahrweiler Wölfen dicht vor der Nase, wie auch die Städte Linz, Sinzig, Remagen und die Ämter Altenahr und Nürburg mit Adenau auf Seiten der „Böcke“ standen. So war also das Ahrtal zum größten Teil auf Seiten ‚der Böcke, nur die Stadt Ahrweiler und die Saffenburger standen im Lager der Wölfe. Durch diese zehnjährige Fehde erlahmte jedes Gewerbe, jeder Handel und jeder Wohlstand. Es kämpften wieder wie im Kampfe der Staufen und Weifen Ahrbewohner gegen Ahrbewohner, Rheinländer gegen Rheinländer, Deutsche gegen Deutsche.
Als sich das Kriegsglück nach siebenjährigen verlustreichen Kämpfen auf die Seite der Wölfe neigte, da rief Kurfürst Ruprecht von Köln Karl den Kühnen, den Herzog von Burgund, zur Hilfe, und so führte die Fehde der Böcke und Wölfe zum Burgundischen Kriege. Herzog Karl der Kühne von Burgund wollte auf Kosten der Franzosen, aber noch mehr auf Kosten der Deutschen, wieder ein Mittelreich errichten, das sich vom Mittelmeer bis zur Nordsee erstrecken sollte, dessen Hauptachse der Rhein sein sollte; und der König dieses Mittelreiches sollte auch die deutsche Kaiserkrone tragen, was Karl dem Kühnen umso leichter schien, als in Deutschland der tatenlose Kaiser Friedrich III., „des Reiches Schlafmütze“, regierte. Karl der Kühne sah in dem im Kloster Prüm begrabenen Kaiser Lothar 1. sein Vorbild, der vor 1100 Jahren noch Idas ganze Mittelreich mit der Kaiserkrone besaß und auch das Ost- und Westreich wieder mit dem Mittelreich zu verbinden suchte. So belagerte Karl der Kühne elf Monate die Stadt Neuß, die wie Ahrweiler zu den „Wölfen“ gehörte.
So kam auch ein burgundisches Hilfsheer mit den Böcken aus der Eifel und dem Ahrtal ahrabwärts gezogen. Sie umgingen schon die starke Saffenburg, die als Riegel das Ahrtal sperrte; sie zogen von der Burg Are, die ja in ihrem Lager stand, über die Ahrberge nördlich der Ahr und erschienen vor Ahrweiler, wo ja der Arenberger auf der Wasserburg dicht vor dem Ahrtor dreist die Fahne der Böcke zeigte, zu der sich nun noch die burgundische Fahne gesellte. Diese feindlichen Heere bezogen Standquartier im Turm von Ahrweiler. Dann begannen sie die Belagerung. Doch die Stadt Ahrweiler war in gutem Verteidigungszustande. Die Gräben waren mit Wasser und Dorngestrüpp gefüllt. Man hatte sich von der Grafschaft reichlich mit Vieh und Getreide versorgt. Auf der Stadtmauer und in den Toren hielten die Ahrweiler Schützen treue Wacht. Damals schleuderten die Gegner von der Wasserburg aus die ersten Bornen (Steinkugeln), teilweise mit Pech umwickelt, als Brandbomben. Ein mißglückter Nachtangriff, der an den festen Mauern, dem starken Turm und den tapferen Schützen scheiterte, ließ die Feinde nach einer dreiwöchigen Belagerung wieder abziehen. Ahrweiler war wieder gerettet; und während vierhundert Jahren haben die Stadtmauern und die Schützen der Stadt jedem Feinde den Eintritt verwehrt.
Als Siegeszeichen aber wurden Steinkugeln, die der Stadt Verderben bringen sollten, in das Obertor eingebaut. Heute noch grüßen sie den Wanderer als Siegestrophäen am Obertor. Sie erinnern uns aber auch an die unselige deutsche Uneinigkeit, kämpften doch hier sogar die Ahrweiler, die als Giesenhofener im Fron- und Kriegsdienst der Arenberger im Turme standen, gegen die Ahrweiler Bürger. Der Turm mit dem Erbschenkenamte blieb auch fürderhin im arenbergischen Besitz.
Als aber das Geschlecht mit Robert III. in der märkischen Linie der Herren von Arenberg ausstarb, kam durch die Heirat der Gräfin Margareta von Arenberg der ganze Besitz an das belgische Haus der Grafen von Ligne, die sich nun auch Grafen von Arenberg nannten. Dieses Grafengeschlecht ist bis zur französischen Besitzergreifung der Rheinrande im Jahre 1794 ununterbrochen im Besitz des Turmes und des Erbschenkenamtes geblieben. Dieses berühmte Grafengeschlecht wurde von dem deutschen Kaiser für seine Kaisertreue in den Fürstenstand und nachher sogar in den Herzogsstand erhoben. So haben also nicht nur Grafen, sondern auch Fürsten und Herzöge in dem Turm von Ahrweiler gewohnt.
Der letzte Herzog Ernst Ludwig von Arenberg, ein menschenfreundlicher Fürst mit edler demokratischer Gesinnung, gab seine Einwilligung 1787 dazu, daß der „Turm“ mit seinen Mauern, die den benachbarten Weingärten das Sonnenlicht wegnahmen, abgerissen würde. Auch der Kurfürst von Köln gab sich als Lehnsherr mit dem Plan einverstanden; er verlangte aber statt einer kleinen Mauer, die gleichsam als Symbol der ehemaligen Rechte stehen bleiben sollte, ein größeres Monument, das an die hohe Bedeutung des Turmes erinnern sollte.
Man einigte sich, einen Obelisk von 24 Fuß (ca. 10 m) Höhe zu errichten. Man konnte sich aber nicht über die Inschrift einigen. Und diese Uneinigkeit ließ das Monument nicht errichten, und so ist unsere Heimat um ein historisches Denkmal ärmer geblieben. Es unterblieb aber auch der Abbruch.
Als die Franzosen den Adelssitz als Staatseigentum beschlagnahmt hatten, verkauften sie das baufällige Gebäude an den Tabakfabrikanten Konrad Bohl; der ließ das Gebäude abbrechen.
Vor hundert Jahren berichten Gottfried Kinkel und Barsch, daß sie noch die Gräben und Mauerreste der Wasserburg erblickten. Beim Bau des Winzervereins, besonders bei dem Ausschachten des Kellers, stieß man auf die Fundamente des einst so berühmten Gebäudes.
Die Arembergische Mühle aber blieb noch bestehen. Sie ging in den Besitz der Familie Pfahl über und wurde die Pfahl’sche Mühle genannt. Heute dient die Wasserkraft dem Sanatorium von Ehrenwall.
Das Winzervereinsgebäude als Zeichen einer neuen sozialen Ordnung und ein modernes Kraftwerk als Zeichen des technischen Fortschritts sind auf dem ehemaligen Gelände des feudalen Erbschenkenturmes entstanden.
„UND NEUES LEBEN BLÜHT AUS DEN RUINEN!“