Der Stadtkern Sinzig in neuem Glanze

Der Stadtkern Sinzig in neuem Glänze

Norbert Hesch

Eine der zentralen kommunalpolitischen Aufgaben in Sinzig bestand und besteht in der dringenden Notwendigkeit, den althistorischen Stadtkern unter Bewahrung seiner Grundstrukturen zeitgemäß zu erneuern. „Erhaltende Erneuerung“ war demnach Auftrag und auch Ziel, mit dem sich Rat und Verwaltung der Stadt Sinzig seit nunmehr annähernd zehn Jahren intensiv befassen.

Ermittlung der städtebaulichen Defizite

Unverkennbar waren die aufgelaufenen gestalterischen und funktionalen Defizite. Eine sehr starke Außenentwicklung, sprich die Schaffung großer Neubaugebiete, beschleunigten diesen Verlust an Wertigkeit. Eine Entwicklungslinie, die nicht wenige Gemeinden und Städte aufgrund des hohen Wohnraumbedarfes nach 1945 zu verzeichnen hatten.

Die durchgeführte Bestandserhebung, eingebunden in eine umfängliche Bürgerbefragung und Bürgerbeteiligung, erbrachte aussagefähige Einzelerkenntnisse, die den Gesamteindruck bestätigen:

Nur noch die Hälfte der privaten Haus- und Grundstückseigentümer wohnen auf ihrem Grundstück.

Ein großer Teil der Eigentümer selbst ist älter als 60 Jahre.

Jeder 3. Haushaltsvorstand ist Rentner oder Pensionär.

Es leben im Stadtkern dreimal so viele Ausländer als im übrigen Sinzig.

70 % der Bewohner erachten das Stadtbild für erheblich verbesserungsbedürftig. Jeder 2. Haushalt beklagt sich über Verkehrslärm, zwei von drei Haushalten wünschen sich Änderungen in der Verkehrsführung, 70 % aller Befragten erwarten eine Verkehrsberuhigung ihrer Straßen.

Jedes 3. Gebäude hat Renovierungsbedarf. Die Umsatzentwicklung ist mindestens bei jedem fünften Geschäftsinhaber rückläufig.

Schaffung eines Neuordnungskonzeptes

Eingebunden in einem vom planerischen Standpunkt her gesehen anspruchsvollen städtebaulichen Rahmenplan mit integriertem Verkehrskonzept wurde das Sanierungsgebiet 1985 räumlich durch Satzungsbeschluß festgelegt;

umfaßt wird der historische Stadtkern von Sinzig. Ein unabdingbarer Vorläufer jeglicher Planungsüberlegung war die Neuordnung des Verkehrs als wesentlichem bisherigen Störfaktor. Das Konzept der beauftragten Städte- und Verkehrsplaner empfahl folgende Veränderungen:

Um die Innenstadt wird auf dem bestehenden Straßennetz (Barbarossastraße, Lindenstraße, Rheinstraße, Harbachstraße, Wallstraße) ein gegenläufiger befahrbarer „Ring“ geschaffen, der die Hauptverkehrsströme aufnimmt. Diese Grundforderung bedeutete konkret die Aufgabe der bisherigen Einbahnlösung von Barbarossa-und Lindenstraße; eine Maßnahme, die in der Bevölkerung lebhaft diskutiert wurde.

Von diesem äußeren Ring führen im „Schleifensystem“ Erschließungsachsen per Einbahnlösung in den Kernbereich der Innenstadt. Dies impliziert wiederum die Aufgabe einer alten, wenn nicht„uralten“ Verkehrsführung: Die Durchfahrt durch den Stadtkern (alte B 9). Die entsprechend notwendige „Kappung“ erfolgte in Höhe der Marktapotheke. Diese, sehr wichtige zentrale Änderung der bisherigen Verkehrsführung, vor allem der Verkehrsgewohnheiten, sollte den zu starken Fremdverkehr aus dem Stadtkern herausnehmen und auf den gegenläufigen äußeren Ring verlagern.

Für den „ruhenden Verkehr“, für das parkende Auto, wurden Paralleluntersuchungen angestellt. Der beabsichtige verkehrsberuhigte Umbau der Innenstadt-Straßen, die Auflösung der bisherigen wenig ansprechenden Parkplätze „Marktplatz“ und „Kirchplatz“ verursachten natürlicherweise zusätzlichen Parkraumbedarf. Dessen Anordnung orientierte sich am Idealbild einer „fußläufigen“ kurzen Distanz zum Stadtkern und einer straßenmäßigen Anbindung an den äußeren Ring. Lösungsansätze boten sich hierbei im Bereich des „Schießberges“ sowie an der Kaiserstraße an. Die baulichen Maßnahmen am „Schießberg“ können 1993 beendet werden; es wurden etwa 90 zusätzliche Parkplätze in bester Lage geschaffen.

Der Parkplatz „Kaiserstraße“ löste zunächst den Neubau eines städtischen Bauhofes aus. Die bisherige Unterbringung im Gelände an der Kaiserstraße war längerhin nicht haltbar. Nach Abräumung der maroden Bausubstanz konnte sofort weiterer, zunächst provisorischer Parkraum angeboten werden. Die planerischen Untersuchungen dieses Gebietes können voraussichtlich 1993 abgeschlossen werden. Ziel ist es, 1994 mit der Neugestaltung zu beginnen.

Gestaltung der innerstädtischen Straßen und Plätze

Eine vorhandene, regelgerechte Idealachse galt es aufzuwerten: Der zentral gelegene Marktplatz, bisher ein ungeordneter Parkplatz, wurde vom Verkehr bis auf die seitlichen Fahrgassen befreit und als Stufenanlage neu gestaltet. Die eingeplante Brunnenanlage befindet sich im Bau: der überregional bekannte Sinziger Bildhauer Titus Reinarz wurde mit seiner Realisierung beauftragt.

Der Kirchplatz, das östliche Ende der Bacho-venstraße. bot aus städtebaulicher und denk-malpflegerischer Sicht „mit den Händen greifbare“ Chancen einer Aufwertung an Funktion und Gestalt. Ausgangsziel war gleichfalls seine Befreiung vom Auto, sowohl als wenig attraktiv gestalteter Parkplatz als auch die Rücknahme vorhandener Fahrbeziehungen zwischen Bachovenstraße und Kirchgasse. Dem Fußgänger sollte eine eigene, großflächige Zone geschaffen werden.

Zur besseren Gliederung und Organisation wurde der Kirchplatz in einen „inneren“ einfachen und offenen Platz und „äußeren“ stärker gestalteten Platz räumlich definiert. Dadurch ist zweierlei Rechnung getragen worden:

Zum einen gestalterische Rücksichtnahme auf die umgebende Randbebauung des Platzes, insbesondere die Pfarrkirche St. Peter, zum anderen die weitere Nutzung für größere Veranstaltungen, insonderheit der bekannten Sinziger Kirmes. ein „Herzensanliegen“ der Sinziger.

Als glücklich zu nennen ist die Tatsache, daß die Pfarrkirche St. Peter, ein Hauptwerk der rheinischen Spätromanik, zeitgleich renoviert und restauriert wurde. Positiv auch die parallele Renovierung der alten, fast abgängigen „Kirchplatzschule“ und deren Umnutzung in das neue (alte) Rathaus der Stadt Sinzig. Ein gutes, vorbildhaftes Beispiel der öffentlichen Hand an Denkmalpflege und angepaßter, verträglicher Nutzung.

Ergänzend konnte der dringend notwendige Funktionszuwachs für den Stadtkern erreicht werden. Zusammen mit Privatinvestitionen bildet nunmehr der neugestaltete Kirchplatz ein gelungenes Werk von über Sinzig hinausreichender städtebaulicher und denkmalpflegerischer Kompetenz.

Zusätzlich wurde der Kirchplatz neben seinem Standort für Rathaus und Kirche durch den Zehnthof aufgewertet: Dessen Restaurierung und Renovierung stellt ein bedeutendes Beispiel privaten Engagements dar und wurde mit dem „Deutschen Preis für Denkmalschutz 1985″ ausgezeichnet.

Der Bachovenstraße kommt als „Verbindungsachse“ zwischen dem Marktplatz in seiner Eigenschaft als Hauptgeschäftsbereich sowie dem Kirchplatz als Verwaltungs- und kulturellem Mittelpunkt der Stadt eine besondere Bedeutung zu.

Die Straße wurde durch Baumpflanzungen und weitere Gestaltelemente neugegliedert. Die Fahr- und Gehwegbereiche sind optisch getrennt: der nunmehr breite Gehweg dient auch dem Verkaufs- und Auslagenbereich der Geschäfte. Restaurants und Cafes. Zur Sommerzeit ein Bild mit fast südländischem Charakter.

Hinsichtlich der Pflastermaterialien erfolgte nach sehr eingehender Vorberatung in den städtischen Gremien eine Abfolge von Natursteinpflasterauf den Platzbereichen sowie von Kunststeinpflaster in den Straßen. Damit wurde auch eingebrachten denkmalpflegerischen und ökologischen Forderungen entsprochen.

Rechts- und Finanzierungsgrundlagen

Stadterneuerung als wichtiges Element einer Stadtentwicklung bekam erst nach und nach einen eigenen Stellenwert. 1971 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Städtebauförderungsgesetz und wurde damit als Gesetzgeber den besonderen Aufgaben der städtebaulichen Erneuerung gerecht.

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Zustand vor der Stadtkernsanierung 1982/83 (v. o. n. u.): Bachoventraße,
am am Markt und am Kirchplatz

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Das neue Bild des Sinziger Stadtkerns nach der Erneuerung
(v. o. n. u.): Bachovenstraße, am Markt, am Kirchplatz

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Der Sinziger Kirchplatz/Ecke Bachovenstraße vor und nach der Stadtkernerneuerung.

Diese damals neuerlassenen spezialrechtlichen Regelungen – jüngst in das Baugesetzbuch des Bundes überführt – begründeten insbesondere dasfinanzielle Engagement von Bund, den Ländern sowie den eigentlich zuständigen und betroffenen Gemeinden. Stadterneuerung wurde zurecht als gesamtstaatlicher Auftrag begriffen mit der seltenen, hier löblichen Konsequenz, daß sich der Staat im Verhältnis zu den Gemeinden selbst finanziell in die „Pflicht“ nahm: Die Gemeinden konnten, sofern sie in das Förderprogramm nach dem Städtebauförderungsgesetz aufgenommen wurden, mit erheblichen staatlichen Finanzierungshilfen (in Rheinland-Pfalz i. d. R. zwei Drittel der Kosten) rechnen.

Insofern war es für Sinzig außerordentlich wichtig, 1984/1985 in dieses Förderprogramm „Stadtsanierung“ aufgenommen zu werden. Die eigene Finanzkraft der Stadt hätte nicht ausgereicht, die horrenden finanziellen Auswirkungen einer Stadterneuerung zu bewältigen. Dies verdeutlichen die vorliegenden Zahlen: Sinzig hat bisher (Stand 31.12.1992) etwa 7,5 Mio. DM hierfür aufgewendet; der Staat trug etwa 5,2 Mio. DM insgesamt an Finanzhilfen bei.

Ausblick

Es wurde in Sinzig schon viel getan, viel muß noch „angepackt“ werden: es herrscht so etwas wie „Halbzeit-Stimmung“.

Der Parkplatz Kaiserstraße ist neu zu gestalten, dessen verkehrsmäßige Anbindung muß noch gelöst werden. Brunnenplatz, Geißenmarkt, Ausdorferstraße, Koblenzer Straße, Renngasse, Sinzig/Kreuz usw. sind gleichfalls noch umzugestalten. Über den Erlaß entsprechender Bebauungs- und Gestaltungspläne sind bei Abwägung bürgerschaftlicher Vorstellungen noch die notwendigen Vorgaben von Verwaltung und Rat zu schaffen.

Der Bund hat sich zwischenzeitlich in den westdeutschen Bundesländern finanziell zurückgezogen; die bundesstaatliche Aufgabe „Stadterneuerung“ wurde fiskalisch in die neuen Bundesländer verlagert, eine Folge der von uns gewollten und bejahten Wiedervereinigung unseres Vaterlandes.

Dies bedeutet für Sinzig, in Sachen Stadtsanierung in längeren Zeiträumen zu denken und zu handeln, vielleicht auch andere Prioritäten zu setzen. Dennoch ist es bei allen Schwierigkeiten weiterhin erstrebenswert, in die Fortführung der Erneuerung der Stadt Zeit, Kraft und Geld zu investieren.