Der Schmied von Brohl
Anekdote aus dem Winter 1814
Von Leo Stausberg
In der Neujahrsnacht von -1813 zu -18-14 hatte der preußische Feldmarschall Blücher in Verfolgung der in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagenen Armeen Napoleons bei Kaub den Rhein überschritten. Das ihm unterstellte russische Korps vollzog den Übergang bei Koblenz. Auf der alten Römerstraße, die der Korse hatte neu instandsetzen lassen, ritten wenige Tage später Kosakenschwadronen stromabwärts. Die letzten Nachhuten der Franzosen strebten in Hast durch die eifelwärts führenden Straßen der Seitentäler des befreiten Rheines gen Westen.
Ohne viel Umstände quartierten sich die rauhen Verfolger in den Dörfern und Städtchen längs des Stromes ein, begehrten laut und fluchend Speise und Trank und angesichts der grimmigen Kälte Unterstand für ihre zottigen Pferde und warme Stuben und Federbetten für sich. Obwohl Befreier vom napoleonischen Joch, wurden sie daher nicht allerorts freudig willkommen geheißen. Schließlich galt es unseren Vorfahren gleich, wer ihre kärglichen Vorräte an Korn und Salzfleisch aufzehrte und die Weinfässer leerte, ob Franzos oder Ruß. Eigentlich waren die Franzosen, seit 1794 Herren unseres Landes, ein lustiges Völkchen gewesen. Zuletzt hatte auch die Verständigung leidlich geklappt, dergestalt, daß mancher französische Sprachbrocken hierzulande im Gebrauch geblieben ist bis auf den heutigen Tag.
Brohl am Rhein
Foto: Traubenkraut
Im übrigen war jede militärische Einquartierung eine harte, verhaßte Plage. Auch jetzt gab es daher oft heftige Auftritte zwischen den landfremden, unheimlichen Eindringlingen und den erbitterten und mißtrauischen Einwohnern, zumal, da die durch langen Kriegsdienst verwilderte Soldateska den Frauen und Mädchen brutal nachstellte, anders, als man es bislang von den höflichen, wenn auch durchaus nicht weiberfeindlichen Messieurs gewohnt gewesen. In Brohl trug sich damals dieses zu:
Der Dorfschmied Büntgen, ein beherzter, grober Mann, dessen Wesen zu seinem Berufe gut paßte, stand an der Schmiedeesse und hielt, eine Eisenstange ins Kohlenfeuer, das der Lehrling mit fauchendem Blasebalg zu blauweißer Flamme anfachte. Da hörte der Meister vom Hofe her gellende Hilfeschreie seines Weibes Lisbeth. Die glühende Eisenstange noch in der Rechten haltend, stürzte er in den Hof und sah mit Entsetzen, wie ein riesiger Kosak die Frau bedrängte und der sich heftig Sträubenden Gewalt anzutun im Begriffe war. In Wut und Verzweiflung schwang der Schmied die Eisenstange mit beiden Fäusten und ließ sie krachend auf den Schädel des Russen niedersausen. Der brach lautlos zusammen und rührte sich nicht mehr.
Kameraden des Erschlagenen, die in der Scheune nach Federvieh und Eiern gesucht hatten, eilten auf den Tumult hin herbei und griffen zu den Waffen. Angesichts der Übermacht entwich der Schmied durch die Tenne in den Garten hinter dem Hause. Zwischen Hecken und Wingerten hindurch eilte er dem nahen Eiberg zu, der sich wie ein Schild steil an der Westflanke Brohls erhebt. Etliche Schüsse peitschen hinter dem Flüchtenden drein. Er erreichte jedoch mit heiler Haut den dichten Busch, der den Hang des Eibergs Überzieht. Hier schlich er auf bekanntem Pfad der Höhe zu, durchquerte das Eichholz und gelangte durch Ginster und Heidegestrüpp glücklich nach Lützingen. Er suchte den ihm verwandten Winzer Mattes Jusep auf und- bat ihn um ein sicheres Versteck. Dieses fand er im Weinkeller, denn dazumal wuchs in Lützingen noch Wein! In einem leeren Stückfaß verbrachte der Schmied etliche bange Tage, bis ihm die Botschaft wurde, daß das russische Korps inzwischen in Richtung Frankreich abgerückt sei. Büntgen kehrte in seine Schmiede zurück und erfuhr, daß man während mehrerer Tage nach dem Täter gesucht habe. Es fand sich aber kein Verräter. Ein Menschenleben wog zudem wenig in jenen bösen Zeiten. In der Familie des wackeren Meisters blieb der schreckliche Auftritt in Erinnerung bis zur Stunde. Noch bis vor wenigen Jahren lebte in Brohl ein Enkel, der den Hergang, mit allen Einzelheiten zu erzählen wußte. Es hatte einen eigenen Reiz, ihm dabei zuzuhören, weshalb man ihn öfter veranlaßte, die Geschichte zum Besten zu geben. Kam aber der dramatische Höhepunkt, so biß der Erzähler auf die Zähne und die Stimme schlug in hohen Diskant um. „Jung! Do nohm mei Grußvadder dat jlöhnije Eise und schlug dem Kerl üvver dä Kopp! – Bat nau?! – Do loch‘ e! – Nau avver nix bi fott op Lötzing zo!“