Der Pfarrer von Pützfeld*)
Eine Eifeler Jägerballade von Ernst Karl Plachner
Piff – paff! Wie knallt es im Pützfelder Wald!
Das Feuerrohr raucht und das Echo hallt;
Der Pfarrer liebt das grüne Revier,
Und wie heiter jagt sich des Herrgotts Getier!
Piff – paff und Kyrie eleis!
Wie schmort in der Pfanne ein Eifelhase —
Den Haushalt führt ihm die gute Base —,
Wie steigt ihm das Rüchlein schon jetzt in die Nase,
Und roter Ahrwein daneben im Glase! . . .
Er ist ein Pfarrherr auf seine Weise,
Nicht ungut, beileibe nicht, manchmal selbst weise!
Ach Gott, die beschwerliche Lebensreise
Hier in der Eifel geht oft allzu leise!
O weh, da läutet der Hannes ja schon!
Wie mahnt ihn der ernste, vertraute Ton;
Nur einmal noch will er das Feuerrohr laden,
Drei Minuten Verspätung, das wird nicht schaden!
Was wird er predigen, denkt er verstört.
Auch gestern hat ihn die Jagdlust betört,
Da kam kein Wort lein ins Predigtbuch.
O Gott, die Jagdlust wird mir noch zum Fluch!
Vom heil’gen Hubertus? Der war ja auch so:
Piff – paff! Benedicimus domino!
Das hat er schon vorigen Sonntag getan,
Der schwarzberockte Jägersmann.
Und Kindtauf Ist auch, geht’s ihm durch den Sinn,
Doch bring‘ ich das alles zeitig noch hin!
Fünf Minuten Verspätung, das ist nicht viel,
Sie gönnen dem Pfarrer sein harmloses Spiel . . .
Doch als der Pfarrer zum Sterben kam,
Er Rucksack und Feuerrohr mit sich nahm:
Als Jägerpfarr‘ stand er am Himmelstor,
Neben Petrus stand St. Hubertus davor.
Piff – paff! — Ihm stockte das Wort im Mund,
Denn neben ihm stand ein Fuchs und ein Hund,
Und all das andere Herrgottsgetier
Drängte sich mit ihm ins Himmelsrevier!
Kyrie eleis!
„Wie? Willst du mit alledem hier herein?“
Sprach Petrus und rückte am Heiligenschein.
Und der Pfarrer sah sich ein wenig stumm
Und wortlos hier an der Schwelle um.
„Kyrie!“ sprach er Hubertus an,
„Du warst doch auch ein Jägersmann!“
Sankt Hubertus legte die Stirne in Falten:
„Doch tat ich treu meine Pflicht verwalten!“
„Eleison!“ stammelte der Pastor,
„Es kommt mir so bald nicht wieder vor!“
„Ich hoff es“, nahm jetzt Sankt Peter das Wort,
„Doch taugst du noch nicht für den heiligen Ort!“
„Erst mußt du tiefer Entsagung lernen,
Der Jagdlust Sünden aus dir entfernen,
Mußt die versäumten Messen lesen, —
Dann bist du zur himmlischen Welt erst genesen!“
Da packte den Pützfelder Pfarrherrn das Grausen.
Piff – paff hört er allenthalben es sausen,
Hallali hört er und Horrido schallen —
Er läßt den Rucksack, das Feuerrohr fallen.
„Wie?“ stammelt er, „alles, was ich versäumt,
Was ich in böser Jagdlust verträumt,
Predigt und Messe — wie soll das geschehen?
Den toten Pfarrer kann niemand mehr sehen!
Kyrie eleison! — Kyrie eleis!“
„Nun gut“, läßt sich Sankt Peter erweichen,
„Du sollst nicht trostlos von dannen schleichen:
Noch einmal sollst du die Messe lesen —
Dann sei dir verziehen — dann bist du genesen!“
Die Heil’gen verschwanden. Verriegelf das Tor.
Der Pfarrer stand zerschmettert davor . . .
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Der Herbst schleppt über das Eifelland
Sein aschengraues Nebelgewand.
Längst amtet ein anderer Pfarrer da,
Wo alles, was ich erzählte, geschah.
Die Bauern gehen wie manches Jahrhundert
Vertrauend zum Pfarrer. Nichts ist, das sie wundert
Oder verstört. Nur dieses Eine
Kommt nicht zürn Schweigen in der Gemeine.
Die Theres hat’s erzählt, der Jupp, selbst der Hein,
Das gab der Sache schon anderen Schein.
Wie oft hat er drüber nachgedacht
Und hat auch niemals darüber gelacht.
Wie er den Kopf wiegt, die Pfeife stopft,
Reißt’s an der Schelle. Die Lisbeth klopft. „Herein!“
„Der Herr Küster!“ „Bitte, bitte!“
O ja, sie wahren hier herzliche Sitte.
Er hört, wie neu das Gemurmel geht,
Das er hundertmal hörte und doch nicht versteht.
Und der Küster meint, man müsse was tun,
Daß endlich die Redereien ruh’n!
Der Priester ist fromm. Er vertraut auf den Herrn.
Auch ist er bescheiden. Doch möchte er gern,
Um zu helfen, er möchte gerne erkennen,
Was nicht Gebet und Bücher ihm nennen.
„Und sei es auch noch so fürchterlich,
Ich muß es wissen!“ Er bekreuzigt sich
Und sinnt dem allem noch einmal nach,
Was eben sein guter Küster sprach:
„Um einen Fuchs am Sonntag zu jagen,
Vertat er ein Hochamt! Als Fuchs muß er klagen,
Als Fuchs schleicht er nachts um sein Kirchenhaus!
Hochwürdiger Herr, wer erlöst ihn daraus?“
Er murmelt:. „Der Geisterfuchs geht wieder um!
Man glaubt, man sei mitten im Heidentum,
Wo die wilde Jagd durch die Herbstnacht saust
Und dem ganzen Eifelland vor ihr graust! . . .“
Doch das ist nicht neu. Das Neue ist dies:
In der Kirche schlief kürzlich die alte Lies;
In der Bank nach dem Abendgebet schlief sie ein.
Da weckt sie um Mitternacht Kerzenschein.
Am Altar steht ein Priester. Mit sorgender Miene
Spricht er vernehmlich: „Wer ist, der mir diene?“
Die Lies denkt: das muß die Frühmesse sein!
Und spricht verschlafen ein harmloses „Nein!“
Erst später ward ihr mit Grauen klar,
Was das doch für eine Spuknacht war;
Denn der Priester verschwand, und draußen klagte
Und heulte der Fuchs, bis daß es tagte.
„Genug!“ spricht der Pfarrer. „Und sogleich!“ beschließt er.
Der Confrater geht mit, ein jüngerer Priester.
In der Pützfelder Kirche knien sie zur Nacht.
Die Heiligen halten wie Ritter die Wacht.
So knien sie lange in tiefem Gebet,
Bis das Glöcklein der Sakristeitür geht
Und die Kerzen sich am Altar entzünden.
Das Grauen steigt aus unnennbaren Schlünden.
Doch schweigend und feststeh’n die geistlichen Männer,
Sind sie denn nicht des Höchsten Bekenner? . . .
Dann schreitet im Schein einer Nebelwolke
Ein Priester zum Altar und spricht wie zum Volke:
„Wer ist, der zur heiligen Messe mir dient?“
Die zwei treten vor, und die Feier beginnt.
Und das heilige Opfer wird dargebracht
In der Pützfelder Kirche zur Mitternacht.
Das „ Ite“, das letzte „Amen!“ ertönt.
„Ihr habt den Himmel mit mir versöhnt!“
Spricht der Priester — und sein Bild zergeht
Wie Nachtrauch, den der Morgen verweht.
Frau Saga berichtet, daß Ruhe jetzt war,
Nur der Pützfelder Pfarrer trug schlohweißes Haar.
Nie hat auch der Fuchs mehr geheult und gebellt,
So hat die Liebe die Nacht erhellt.
*) Nicht die heutige, am steilen Berg hang gegenüber dem Ort gelegene katholische Kapelle ist mit der in meiner Ballade behandelten Kirche gemeint, sondern eine niedergelegte Ortskapelle. Sie war ein verputzter Saalbau von 9 x 4,60 m Innengröße, mit achtseitigem, auf dem Dach aufsitzenden Glockentürmchen, hafte an jeder Seite zwei kleine holzgerahmte Fenster, ein schönes, sternförmig geordnetes Holzgewölbe, im Westen einen rechteckigen Eingang. Diese kleine Ortskirche besteht nicht mehr. Die jetzt noch stehende Bergkapelle wurde 1681 von Werner Dietrich von Friemersdorf zu Pützfeld und seiner Gattin Maria Magdalena Elisabeth geb. Scheiffart von Merode zu Allner gestiftet, 1928 mitsamt dem Turm gründlich erneuert. — Pützfeld wird bereits 893 im Güterverzeichnis der Abtei Prüm genannt und war Rittersitz. Vom ehemaligen Burghaus sind noch Reste erhalten.