Der „heilige Vogt“ von Sinzig

Zusammenfassung eines Vertrages vor der Arbeitsgemeinschaft für Landesgeschichte und Volkskunde im Regierungsbezirk Koblenz (Arbeitskreis für Volkskunde) am 29. 9. 1966 in Sinzig, veröffentlicht in den Landeskundlichen Vierteljahrsblättern 12 (1966) 168 f.; hier gekürzt.

VON PAUL WIERTZ

Der „heilige Vogt“, ein unverwester Leichnam, der in der Pfarrkirche zu Sinzig aufbewahrt wird, gilt seit über 200 Jahren als Merk- und Sehenswürdigkeit für Einheimische und Besucher der Stadt. Er ist oft in Reisebeschreibungen erwähnt worden und hat auch schon viele heimatgeschichtliche Darstellungen gefunden. Neuerdings ist er auch Objekt der wissenschaftlichen Volkskunde geworden. Es geht bei diesem volkskundlichen Gesichtspunkt weniger um die ungeklärte Frage nach der tatsächlichen Herkunft des Vogtes und schon rein gar nicht um das rein naturwissenschaftlich- medizinische Problem des unverwesten Leichnams, sondern um die Frage, wofür das Volk ihn gehalten und wie er vom Volk behandelt, wie Schabernack mit ihm getrieben und wie er schließlich verehrt wurde.

Die erste urkundliche Erwähnung des Vogtes erfolgte im Jahre 1736. Wahrscheinlich ist er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei der Anlage eines neuen Grabes in einer in Vergessenheit geratenen Gruft gefunden worden. Bald darauf erfährt man, daß die Bevölkerung allerlei Unfug mit ihm getrieben hat: Er wurde bei Umzügen mitgetragen, nachts heimlich vor fremde Türen gestellt u. a. m.

Diese Einstellung änderte sich völlig, als die Fürstäbtissin von Essen, Maria Kunigunde von Sachsen, eine Schwester des letzten trierischen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus, von ihm erfuhr und ihn bekleiden ließ. Das geschah zwischen den Jahren 1776 und 1786, dem Jahr ihrer Wahl zur Fürstäbtissin und dem Jahr, in dem zum ersten Mal von einer volkstümlichen Verehrung des Leichnams berichtet wird.

Der Klerus wehrte sich gegen diese „Volkskanonisation“, beklagte andererseits aber auch den Wegfall der Stipendien, als der Vogt 1797 von den Franzosen gewaltsam nach Paris entführt wurde. Im Jahre 1815 wurde er nach einem Reklamationsverfahren, das von den preußischen Behörden unterstützt wurde, von Paris zurückgeholt, an der Stadtgrenze von Sinzig feierlich empfangen und in feierlicher Prozession von vielen tausend Frommen mit brennenden Kerzen, Spiel, Gesang und Gebet zu seiner alten Ruhestätte zurückgeführt.

Noch 1829 sah sich der damalige Pfarrer von Sinzig veranlaßt, in Trier anzufragen, wie er sich gegenüber dieser Verehrung verhalten solle.

Aber dann schlief die Verehrung wieder ein und der alte Unfug mit dem Vogt begann von neuem, Erst 1952 wurde der Leichnam in einem verschlossenen Glassarg beigesetzt und damit allein Mutwillen entzogen.

Der „heilige Vogt“ von Sinzig
Foto: W. Ostgathe

Die Verehrung ist zweifellos durch seine Bekleidung auf Initiative der Fürstäbtissin von Essen hervorgerufen worden, wobei die unerklärliche Tatsache der Erhaltung des Leichnams eine wesentliche Rolle gespielt hat. Es ist verständlich, daß die Verehrung dieses Leichnams zahlreiche Legenden entstehen ließ, die sowohl die Herkunft als auch die wunderbare Auffindung des Leichnams und seine Wunderkraft betrafen. Die Entstehung des Namens „heiliger Vogt“ ist noch ungeklärt. Im Volksmund heißt er der „dude Leichnam“.