Der Glockengießer von Kempenich
Manfred Becker
In dem Buch »Heimat zwischen Rhein und Mosel« erzählt Heinz Müller die Sage vom Glockengießer von Kempenich, wie ihm alte Bürger diese Geschichte damals mitgeteilt haben. Auch Hauptlehrer Stephan Knechtges kam in meiner Schulzeit öfters auf diese Heimatsage im Geschichtsunterricht zu sprechen. Die Sage birgt sicherlich eine Menge Wahrheit; wenn auch der Volksmund einiges dazugedich-tet, oder Wesentliches im Laufe der Jahrhunderte verfälscht hat. Ich will im folgenden die Geschichte so wiedergeben, wie sie in meiner Jugendzeit erzählt wurde: Am »Welschenweg« nahe der Grenze zwischen der Herrschaft Kempenich und Olbrück, lag in vergangener Zeit ein kleines ausgetrocknetes Maar. Das Sumpfgelände eignete sich bestens als Versteck für kostbare Gegenstände in kriegerischen Zeiten. Nach einem langen und grausamen Krieg, trieb der Schweinehirt von Kempenich seine Herde in diesen Sumpf. Eines Tages, in einem heißen Sommer – der Sumpf war fast ausgetrocknet -, legten die Schweine eine herrliche Kirchenglocke frei, die vermutlich im Kriege in eine Kanone umgegossen werden sollte und vorher von den Bürgern hier in Sicherheit gebracht wurde. Nach diesem unseligen Krieg – wo viele Menschen ihr Leben lassen mußten – war die Glocke in Vergessenheit geraten. Woher sie kam, blieb unbekannt.
Nun aber hatten zu dieser Zeit die Kempenicher keine Kirchenglocke mehr und waren zu arm, eine neue Glocke gießen zu lassen. Sie machten sich daran, die gefundene Glocke zu bergen und in ihren Kirchturm zu bringen. Doch dazu kam es nicht, denn die Zissener, die zur Herrschaft Olbrück gehörten, bekamen Wind von dem Fund und beanspruchten ebenfalls den Besitz dieser Glocke. Da der Glockenfund im Grenzbereich der beiden Herrschaften aufgetreten war, diskutierte man lange darüber, wie man die Angelegenheit gerecht bereinigen könnte.
Derweil sangen die Kinder ein Lied, welches noch in meiner Jugend bekannt war und das da lautet:
»Bim bam, die Sau mech fand,
op de Boch und ön de Schoof,
Honboch dof mech,
Jagdkletsch höschen ech.«
Der Streit um den wertvollen Fund dauerte bis in die Nacht hinein. Da die Glocke keine Inschrift trug, die einen Hinweis auf die Herkunft gegeben hätte, wurde die Angelegenheit bis zum nächsten Morgen vertagt.
In der Nacht war dem Olbrücker eine Idee gekommen, die dann am nächsten Tage verwirklicht werden sollte. So teilte er dann in der Frühe den am Fundort versammelten Kempenicher und Zissener Bürgern mit, daß zwei ungelernte Ochsen vor einen Karren mit der Glocke gespannt werden sollten. Den Ochsen solle man die Augen mit Tüchern verbinden und sie mit dem Kopf neutral gegen Hannebach stellen. Auf wessen Bereich nun die Ochsen den Karren zögen, dem sollte die Glocke gehören.
Alle Anwesenden waren mit diesem salomonischen Vorschlag einverstanden, der auch sofort in die Tat umgesetzt wurde. Großes Geschrei der zahlreich erschienenen Menschen trieb die Ochsen an. Sehr zum Verdruß der Kempenicher zogen die Ochsen den Karren gegen Zissen. So hatte denn die Zissener Kirche wieder ein Geläute, welches die Menschen zum Gottesdienst rufen konnte.
In Kempenich verging eine lange Zeit ohne Glockenschlag, denn die Mittel für eine neue Glocke waren nicht vorhanden. Immer wieder bedrängten die Bürger den Herrn von Burg Kempenich, ihnen eine Glocke gießen zu lassen.
Eines Tages ließ der Herr sich erweichen und hielt Ausschau nach einem geeigneten Meister. Dieser erschien auch bald mit seinem Gesellen und bezog Quartier im Dorfgasthaus.
Hinter der Dorfbefestigung, mit Mauer und Toren, am Fuhrweg nach Ahrweiler, wurden anderntags die Bauhütten aufgeschlagen und schon bald die Form aus Lehm gefertigt.
Die Kempenicher Bürger zogen über Land und erbettelten sich alles an Metall, was man nur irgendwie beschaffen konnte.
Auch der Meister besuchte die Burgen der Umgebung, um Edelmetalle, wie Gold, Silber und Kupfer, zu besorgen. Doch er war kein guter Mensch und wollte das edle Metall für sich behalten. Lediglich eine Eisenglocke sollten die einfältigen Bürger bekommen. Die Menschen forderten immer wieder den Glockenguß, denn Material lag genug in der Bauhütte. Der gierige Meister schob jedoch den Guß hinaus, denn, so sagte er, die Olbrückerin habe ihm noch eine Menge Silber versprochen und dies wolle er erst noch abholen.
In Wirklichkeit aber hatte er auf Burg Olbrück einige Waffenknechte gedungen, die ihm beim Abtransport des Edelmetalles am kommenden Wochenende, gegen gute Belohnung, behilflich sein sollten. So machte er sich denn auf den Weg nach Olbrück und ermahnte seinen Gesellen, die Leute noch eine Zeit hinzuhalten, bis er von Burg Olbrück zurück sei.
Als der Meister durch das hintere Tor das Dorf verlassen hatte, bedrängten die Bürger den Gesellen, daß er den Glockenguß ausführen solle, da es doch auf einige Pfund Silber nun wirklich nicht mehr ankomme. Der Tatendrang des Gesellen war – trotz aller Ermahnungen des Meisters – so groß, daß er den Glockenguß wagte.
Als er die Lehmform zerschlug, war die Freude riesengroß, denn ein klangvolles Kunstwerk war dem Gesellen gelungen, wie es besser nicht erwartet werden konnte. Auch der Burgherr lobte das Werk und ordnete an, die Glocke sofort in den Kirchturm zu bringen.
Derweil eilte der fleißige Geselle dem Meister entgegen, um ihm die frohe Kunde vom gelungenen Guß zu überbringen. Er traf den Meister oberhalb der Bins und gab ihm voll freudiger Erregung Bescheid, vom gelungenen Werk.
Dieser aber erbebte in seinem Jähzorn und schlug mit einem schweren Eichenknüppel, der zufällig am Wege lag, auf den Gesellen ein, bis dieser blutüberströmt sein junges Leben aushauchte. Er verscharrte die Leiche unter einer Hecke, an der Kreuzung, wo der Weg nach Kempenich vom Welschenweg abzweigt. Dann lief der habgierige, grausame Glockengießer, von Panik ob seiner gräßlichen Mordtat getrieben, in Richtung Ahrweiler.
Das Ausbleiben der beiden Glockengießer erregte großes Aufsehen, da man alles für die Glockenweihe vorbereitet hatte. Man begab sich auf die Suche. Bald schon entdeckte man Blutspuren im Gras und der Tote ward gefunden. Der Burgherr von Kempenich schickte seine berittenen Knechte in alle Richtungen aus, um den mörderischen Meister zu finden. Dieser wurde denn auch in einer Weinschänke in Ahrweiler gefunden und vor das Kempeni-cher Gericht gebracht. Hier machte man ihm kurzen Prozeß. Auf dem »Rabenköpfchen« -der Kempenicher Gerichtsstätte – wurde der Meister am Galgen aufgeknüpft.
Den Leichnam des guten Gesellen überführte man, unter dem Klang seiner herrlichen Glokke, in seine ferne Heimat. Dort, wo die furchtbare Tat geschah, errichteten die Bürger ein schlichtes Basaltkreuz, welches den Wanderer seither an die grausige Tat erinnert.