Das Kaltenborner Weistum, eine lebendige Geschichtsquelle
VON JAKOB RAUSCH
Das Kreisarchiv Ahrweiler besitzt hundert Weistümer aus dem Kreisgebiet. Im frühen Mittelalter wurde unter der Dorflinde das „Ding“ nach herkömmlichem Brauch gehalten; hier wurde nach dem ungeschriebenen Gewohnheitsrechte geurteilt und Recht gesprochen.
Durch die Erfindung der Buchdruckerkunst wurden Lesen und Schreiben volkstümlicher. Nun schrieb man das alte Gewohnheitsrecht nieder, und diese Niederschrift heißt Weistum; es will das Recht „weisen“. Das Kaltenborner Weistum vom 20. Juni 1574 übertrifft die anderen heimischen Weistümer an Umfang und Form. Während die meisten Weistümer der Hofgedinge und Dorfgerichte die Rechte und Pflichten zwi= sehen den hörigen Bauern einerseits und dem Grundherrn andererseits festlegen und in Erinnerung bringen, handelt es sich im Kaltenborner Weistum von 1574 um eine hochpolitische Sache, nämlich um die Zugehörigkeit des Dorfes Kaltenborn zum Amte Nürburg und somit zu Kurköln. Es beginnt mit der feierlichen Einleitung, der Anrufung Gottes:
„Im Namen des -Allmächtigen, unsern Herrn und Erlöser Jesu Christi Amen.“ Dann wird des Kaisers gedacht. Damals regierte Maximilian II. (1564—1576), römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germanien, Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slavonien; Erzherzog zu Ober= und Niederösterreich, Herzog zu Burgund, Steiermark, Kärnten, Crain und Württemberg; Graf zu Tirol u. a. Landesherr war Kurfürst Salatin, Erzbischof von Köln, des Heiligen Römischen Reiches durch Italien Erzkanzler, Herzog zu Westfalen und Engern, Administrator des Bistums Paderborn.
Das Ding, das um 12 Uhr beginnt, wird geleitet von dem kurfürstlichen Notar Johann Herz. Er hat als Zeugen für die kurkölnischen Interessen geladen:
1. Johann Waltboten von Bassenheim, Herr zu Olbrück und Königsfeld,
2. Hermann von Gymnich, Herr in der Vischel, Amtmann zu Aremberg und Nürburg,
3. Johann Kurtzroeck, Licentiat der Rechte. Die kurtrierische Sache vertritt Antoni Herr zu Eltz, trierischer churfürstlicher Rat und Marschall und Herr zu Kempenich. In eigener Sache erscheint Conrad von Hillesheim, Herr zu Kaltenborn, dem vorgeworfen wird:
1.sich landesherrliche Rechte über Kaltenborn angeeignet zu haben, Rechte, die nur Kurköln zustanden;
2. auch habe er kurkölnische Rechte an den Herzog von Jülich abgetreten;
3. zudem habe er die Reformation im kur= kölnischen Dorfe Kaltenborn mit List und Gewalt einzuführen versucht. Viertenteils sind erschienen als Zeugen die Dorfbewohner mit Schultheiß und Bürgermeister.
Nach feierlicher Eröffnung des Dingtages unter der Dorflinde in Kaltenborn stellte der Notar Johann Herz fest: Die Bewohner von Kaltenborn haben immer den Kurfürsten von Köln als ihren ordentlichen „Landesfürsten, Schutz-, Schirm- und Höchherrn“ anerkannt. Deshalb haben sie auch dem kurfürstlichen Schloß zu Nürburg Fron, Schatz und Dienst geleistet. Im jährlichen Herrengeding haben die Bewohner Kaltenborns diese eindeutige Rechtslage stets anerkannt. Im Gegensatz hierzu habe der Grundherr von Kaltenborn, Konrad von Hillesheim, jülichsches Recht, Schutz und Schirm in Kaltenborn einzuführen gesucht. Auch habe er der alten katholischen Religion zuwider protestantische Prediger nach Kaltenborn berufen. Konrad schiebt die Religionsneuerung auf seinen Vater Diederich; er selber habe wieder den katholischen Pfarrer von Welcherath mit dem Gottesdienst in Kaltenborn beauftragt. Nach diesem Vorspruch des kurkölnischen Notars beginnt die eigentliche Verhandlung. Nachdem die Grenzen der Herrschaft Kaltenborn, die sich mit der heutigen Gemarkungsgrenze deckten, festgelegt werden, wird das Recht der Bauern an Busch, Wasser. Gras, Eckern (Bucheckern und Eicheln) und an Brenn- und Bauholz bestimmt. Die Gemarkung wurde durch den Weg, der von Kaltenborn zur Hohen Acht führte, in zwei Teile gegliedert; der größere obere, also der südliche Teil, unterstand der Aufsicht der Herren von Kaltenborn; der kleinere nördliche Teil den Hammersteiner Herren. Jeder dieser Grundherren hat in seinem Gemarkungsteil mit Recht die Jagd auf Hasen und mit Gnaden des Kurfürsten auch auf Rehe. Ansonsten gehört die höhere Jagd dem kurfürstlichen Landesherrn. Die Dorfbewohner geben als Zeugen zu, daß sie stets zum kurkölnischen Amte Nürburg gehört hätten, daß sie nach Nürburg den Schatz zahlten und dort Frondienste leisteten.
Auch hatten die Herren von Kaltenborn stets an den kurkölnischen Landtagen teilgenommen; zudem waren die Landes» und Reichssteuern immer nach Bonn abgeliefert worden.
Sie hatten zwar nach dem Tode des Peter von Kaltenborn dem Junker Diederich von Hillesheim gehuldigt und ihm sogar Gericht über „Hals und Bauch“ zugestanden, obwohl der Blutbann doch nur dem Kurfürsten von Köln gehöre. Im vorigen Jahre hätten sie auch dem Sohne Diederichs, dem jugendlichen Konrad von Hillesheim, gehuldigt, da dieser ihnen erklärte, Kaltenborn habe nun, wie auch Sinzig und Remagen, den Herzog von Jülich als Landesherren; der Kölner Kurfürst habe seine Rechte an Jülich abgetreten.
Jülich würde nun für Kaltenborn Schirm und Schutz sein, und als „Schirmhafer“ hätten sie nun jährlich 8 Malter Hafer an den Hof des Herzogs von Jülich zu liefern.
Da die Kaltenborner sich wehrten, diesen „Schirmhafer“ zu liefern, wurden einzelne Bauern mit ihren Pferden eingesperrt.
Die Dingversammlung stellt fest, daß Kaltenborn nie Gemeinschaft mit den jülichschen Ämtern Sinzig und Remagen gehabt hätte. Nur der Kurfürst von Köln sei der einzige rechtmäßige Landesherr. Konrad von Hillesheim muß das Verhältnis zu Jülich lösen und als reuiger Vasall zu Kurköln zurückkehren. Dann blieben seine Rechte in Kaltenborn als Grund- und Gerichtsherr ungeschmälert.
Anton von Elz sichert für Kurtrier die Rechte von Hammerstein. So ist Hammerstein beim Kaltenborner Gericht durch einen Schultheißen vertreten; den Vorsitz aber führt der Schultheiß des Herren von Kaltenborn. Fehlt dieser aber, so führt der Hammersteiner Schultheiß .den Vorsitz.
Dieser Regelung aber widerspricht Konrad von Hillesheim vergebens.
In feierlicher Schlußformel werden die Kaltenborner ernstlich ermahnt, fernerhin wieder treue kurkölnische Untertanen zu sein.
„Wir wollen Euch hiermit ein für allemal bei Vermeidung höchsten Ungnad und Strafen befehlen und gebieten, in vorfallenden Anliegen, Gebrechen und Sachen bei niemand anders als bei unserm Amtmann zu Nürburg oder bei uns selber (dem Kurfürsten) Schutz, Hilfe und Rat zu suchen.
Insbesondere habt Ihr Euch auch der alten, wahren katholischen Religion, Kirchen, Zeremonien, Ordnungen und Gebräuchen ständig treu zu bleiben und keiner Religionswendung stattzugeben. Danach habt Ihr Euch ernstlich zu richten.“
So zeichnet uns das Kaltenborner Weistum ein anschauliches Geschichtsbild aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.