Das Gold Ostpreußens
VON HEINRICH O. OLBRICH
In allen Gold- und Schmuckwarengeschäften werden seit jeher hellgelb- bis tiefbraunschillernde Bernsteinketten, Armbänder, Anhänger und sonstige Fassungen und Verarbeitungen zum Kauf angeboten, die von unseren Frauen und Mädchen nicht nur bewundert, sondern auch gern getragen werden. Dabei handelt es sich beim Bernstein weder um ein Edelmetall oder um einen Edelstein, sondern um ein uraltes, versteinertes Harz aus der Tertiärzeit, einer geologischen Formation unserer Erde. Ostpreußen, und hier besonders das Samland, hat einen so großen Hort des schier unerschöpflichen Reichtums an diesem Bernsteinvorkommen aufzuweisen, daß solche Ablagerungen außerhalb unseres Landes mit ihm nicht in Wettbewerb treten können. In Cranz nimmt die samländische Bernsteinküste ihren Anfang und dehnt sich nach Westen hin bis zu den bekannten Seebädern Neukuhren und Rauschen aus. Hier biegt die Bernsteinküste nach Süden um und verläuft bis Palmnicken bzw. bis Pillau. Über die Entstehung des Bernsteins gibt uns heute die Wissenschaft eine bündige Antwort; denn kaum mit einem anderen Naturkörper hat sich eine so große Zahl von Forschern verschiedener Wissenschaftszweige und von erfahrenen Laien beschäftigt wie mit dem Bernstein. Es ist längst bekannt, daß Bernstein das fossil (versteinert) gewordene Erzeugnis eines ‚reichlichen Harzausflusses riesiger Nadelwälder darstellt, die auf einem einstigen nordischen Festland der Vorzeit gewachsen sind.
Die im Bernstein teils vorzüglich erhalten gebliebenen Versteinerungen von kleinen Pflanzen und zahlreichen Insektenarten dieser Erdformation ermöglichen es den Forschern besonders, Rückschlüsse auf die Entstehung des Bernsteins und auf die derzeitige Umwelt dieses Harzes zu ziehen. Die Bernsteineinschlüsse, die in der Wissenschaft Iuklusen genannt werden, vermitteln uns ein so vollständiges Bild vom Leben und Sterben im einstigen Bernsteinwald der Alttertiärzeit, wie es kaum von einem anderen Abschnitt der Erdgeschichte zu erforschen möglich ist. Der große, weise Philosoph Kant hat einst im Hinblick auf die in einem Bernsteinstück eingeschlossene Fliege gesagt: „Wenn du reden könntest, kleine Fliege, wie ganz anders würde es um unsere Kenntnis der frühesten Vergangenheit stehen“. Es ist daher verständlich, daß die Literatur über die Erforschung des Bernsteins sehr umfangreich ist. Die wertvollsten Stücke für die Beobachtung lagerten in Königsberg und in großen Museen Deutschlands. Da der Bernstein nachweislich schon in vorgeschichtlichen Zeiten als auch im klassischen Altertum sehr geschätzt war und viel in der damals bekannten Welt gehandelt worden ist, ging man den Handelswegen nach, die von den alten Völkern der Mittelmeergestade und Vorderasiens bis zum Samland in Ostpreußen führten. Die Phönizier, als zähe Seefahrer bekannt, umschifften ganz Europa und holten von den Ufern der Ostsee die kostbaren Bernsteine. Aber auch auf langen unwegsamen Landstraßen ist dieses kostbare Gut befördert worden. Die Forschung hat diese Wege als Bernsteinstraßen bezeichnet, die strahlenförmig vom Samland aus durch Europa führten. Eine Bernsteinstraße führte auch durch unsere rheinische Heimat. Sie ging vom Mittelmeer durchs Rhone-Tal, Burgundische Pforte durchs Rheintal und führte vom Niederrhein nach Osten. Auf dieser Bernsteinstraße verbreitete sich der Matronenkult, der aus dem Osten kam. Lebende Zeugen dieses Matronenkultes in unserer Heimat sind die Matronen-Steine im Provinzialmuseum in Bonn. Auch zeugt davon die Sage von den 3 Jungfrauen von der Landskron.
Über die schon damals so große Verbreitung des Bernsteins in der Welt berichtet die wissenschaftliche Abteilung der Firma Stantien & Becker, deren Forschungsarbeiten in Verbindung mit der Universität Königsberg betrieben worden sind. Die Ergebnisse sind kurz gefaßt folgende: „Perlschnüre aus den reinsten, trüben, mattgelben Bernsteinsorten lieben besonders die Orientalen und Engländerinnen, die mehr knochigen, weißlichen Arten schmücken die Bewohner West- und Ostafrikas, die hellklaren bevorzugt der Kaukasus, die feinsten, klaren Steine gehen nach Frankreich, die minderwertigen verbrauchen die Russen und Zentralafrikaner. Der Beamte Chinas und Koreas setzte wohl einen ebensolchen Stolz in den Besitz einer langen Mandarinenkette aus Bernstein wie jener in Persien. Zehntausende Betkränze aus Bernstein gehen jährlich in die Hände der frommen Mohammedaner, und noch eine weit größere Anzahl von Rosenkränzen wird nach Südfrankreich, Spanien, Italien und in die Balkanländer ausgeführt. Der Krieger in Marokko trägt ein geweihtes Bernsteinamulett auf seiner Brust ebenso wie der Krieger Chinas. Ja, viele Perser schmücken nicht nur sich und ihre Toten, sondern auch ihre Pferde mit Schnüren von klaren, rissigen, oft übergroßen Bernsteinperlen.
Nach diesen nicht uninteressanten Feststellungen bleibt wohl die Frage zu beantworten, wie es kam, daß der Bernstein eine so frühe und weite Verbreitung und Wertschätzung gefunden hat. Die Antwort ist kurz: weil der Bernstein Eigenschaften hat, die Gold und Edelsteine nicht besitzen. Er erscheint in der Natur vom hellsten Gelb bis zum dunkelsten Braun. Wenn man ihn poliert, leuchtet er in schillernden Farben und bleibt durchsichtig; er brennt, wenn man ihn mit Feuer in Berührung bringt und verbreitet mit seinem Rauch aromatische Düfte. Schließlich entwickelt er eine Anziehungskraft, wenn man ihn durch Reiben erwärmt. Auf Grund dieser Eigenschaften schrieb man schon in frühesten Zeiten dem Bernstein geheimnisvolle Kräfte zu, deren sich auch die älteste Medizin der Menschheit gern bediente.
Man sah in ihm einen Schutzstein, ein willkommenes Mittel der Abwehr gegen die Unbillen des Lebens — und einen Glücksbringer. Es ist somit auch erklärlich, daß der Bernstein seit jeher als geschätztes Schnitzmaterial in der bildenden Kunst und im Kunstgewerbe eine beachtliche Rolle gespielt hat.
Über die Verarbeitung des Bernsteins zu Amuletten und Rosenkränzen, die auf den meist unbewußt lebendigen Glauben an seine übernatürlichen Kräfte beruhte, haben wir bereits gehört. Aber auch andere Religionen bevorzugten den Bernstein für die Herstellung ihrer Deyotionalien, dem Gottesdienst dienende Schmuckstücke.
Der Zigarrenraucher bevorzugt in der ganzen Welt Zigarrenspitzen, deren Mundstücke aus Bernstein bestehen. Ebenso benötigt der Orientale ihn als Pfeifenmundstück, weil er sich als schlechter Wärmeleiter immer warm anfühlt. Sitz dieser Verarbeitung ist Deutschland und Österreich. Hier wie dort werden Trinkgefäße, Schmuck- und Luxusgegenstände verschiedenster Art aus Bernstein gefertigt, die hoch bewertet werden. Eine uralte, bereits durch Plinius belegte und bis in die Gegenwart geübte Verwendung von allerfeinstem Bernsteinstaub zu Räucherpulver und Räucherkerzen ist bekannt. Gleichfalls gehört der Bernstein in der Verarbeitung als Preßbernstein zum hervorragendsten Isoliermittel für elektronische Meßgeräte und Präzisionsinstrumente, die auch im Bereiche der Medizin große Bedeutung haben. Interessant ist es, auch einiges über den wertvollsten Bernsteinschatz Deutschlands zu hören. Die Danziger Prunkkogge aus Bernstein, ein Teil der wertvollsten deutschen Sammlung, ist wieder gerettet und im Besitz der Preußischen Bergwerks- und Hütten AG. Sie war lange Zeit verschollen. Im dritten Reich wurde diese kostbare Sammlung in den Besitz des Staates übernommen und in Großstädten Europas ausgestellt; zuletzt in Istanbul 1944. Hier verschwand sie. Heimatvertriebene Facharbeiter des Bernsteins, die ihre Hauptverarbeitung in Palmnicken (Samland) hatten, ruhten nicht eher, bis sie die Spuren für die Rückgewinnung ihrer kunstvollen Schätze gefunden hatten. Sieben Jahre dauerten die Verhandlungen mit der Türkei um die Freigabe dieser Sammlung. Schließlich erhielt die frühere Besitzerin der Bernsteinwerke, die Preussag, nach Zahlung eines Lagergeldes von 25000 DM 28 versiegelte Kisten, deren wertvollste Teile die Kogge, ferner ein Relief von „Maria Verkündigung“, ein Schachbrett Friedrichs des Großen, eine Schreibgarnitur Augusts des Starken, Bernsteinschatullen und mehrere Truhen bilden.
Der Kunsthistoriker und Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Königsberg, Dr. Alfred Rohde, hat sich eingehend mit der Bernsteinkunst beschäftigt und seine Erkenntnisse in dem Werk: „Bernstein, ein deutscher Werkstoff“, niedergelegt. Hier berichtet er u. a. über das wohl wertvollste Kunstwerk, über das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo bei Leningrad, (Petersburg) einer Residenz der russischen Zaren.
Dieses Bernsteinzimmer hat König Friedrich I. von Preußen für sich in Auftrag gegeben. Die Schöpfer dieses Kleinods waren der Bernstein-Schneider und Kunstdreher Gottfried Wolfram und später die beiden Danziger Meister Ernst Schach und Gottfried Turau. Bei einem Besuch des Zaren Peter d. Großen in Berlin fiel diesem das Bernsteinzimmer besonders auf. Daraufhin hat König Friedrich Wilhelm L, der Nachfolger des Auftraggebers, dem Zaren dieses Kleinod geschenkt.
Im zweiten Weltkrieg wurde das Bernsteinzimmer beim Vormarsch der deutschen Truppen wieder nach Königsberg gebracht und hier von Dr. Rohde im Schloß installiert. Dr. Rohde war damals Direktor der ostpreußischen Landesmuseen. Als Königsberg in der Nacht vom 30. zum 31. August 1944 einen furchtbaren anglo-amerikanischen Luftangriff erlebte, hat Dr. Rohde das Bernsteinzimmer im Kellergewölbe des Westflügels verborgen. Er bemühte sich umsonst, diesen Schatz auf dem Seewege nach dem „Westen zu retten.
Die Fama spricht davon, daß Dr. Rohde beim. Anrücken der russischen Armeen das in Kisten zusammengelegte Bernsteinzimmer in einer großen Ruine Königsbergs im Beisein eines Zeugen vergraben haben soll, Dr. Rohde ist über diesem Geheimnis verstorben. Die heutigen Machthaber in Ostpreußen sind bemüht, den Schatz ausfindig zu machen.