Das Ahrtal auf liebevollen Lithographien
Gedenkblatt für Jean Nicolas Ponsart (geb. 1788)
Harry Lerch
Es war eine größere Mobilität mit Kutschen und Straßen — das achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert brachten einen Aufbruch des Geistes, in die Weite zu ziehen und Landschaft nicht nur zu erwandern, sondern sie auch im Preislied, und in rühmenden Texten zu beschreiben. So rühmt Goethe den Rhein:
Zu des Rheins gestreckten Hügeln. Hochsegneten Gebreiten, Auen, die den Fluß bespiegeln, Weingeschmückten Landesweiten, Möget mit Gedankenflügeln Ihr den treuen Freund begleiten. Hölderlin und Achim von Arnim loben den Rhein. Gewiß, so frühes Zeugnis hat freilich keine Stadt aufzuweisen wie Andernach. Im Jahr 588 schrieb Venantius Fortunatus. im Gefolge des fränkischen Königs Childebert auf der Reise von Metz nach Andernach, sein Preislied: »Rasch zu den Mauern von Andernach sind wir gekommen . . .«
Waren dies verzückte Zeilen über die Mächtigkeit des Rheins, hatte die Ahr zu warten bis zum Bonner Maikäferbund. Die Ahr wurde von Bonn aus entdeckt, von den Professoren und Studenten. Die rühmlichen Schilderer der Ahr waren Ernst Weyden (1835) und Gottfried Kinkels Buch »Die Ahr« (1846), zuvor aber war schon ein berufener Entdecker, Zeichner und Lithograph ins Ahrtal vorgedrungen: der Wallone Jean-Nicolas Ponsart, 1788 in Malmedy geboren.
Wer war Nicolas Ponsart. , . Über seine Biographie geben Auskunft Helmut Poppelreuter und Manfred van Rey. Sie haben 1982 die Lithographien »Das Ahrtal“ und 1984 seine »Erinnerungen aus Rheinpreußen“ im Verlag Warlich kommentiert und herausgegeben. Die Auflage von 1 500 Exemplaren ist läng vergriffen, so daß zur Neuauflage ermunte sei, denn die Einzigartigkeit dieser Lithographien ist des Anschauens und des Studiums wert.
Nochmals: wer war Jean-Nicolas Ponsart . . Als er neunzehn Jahre alt ist, wird er vom Vat« nach Godesberg und auf die Sekundarschule Bonn geschickt, damit er Deutsch lerne, wie < später auch nach Paris zu gehen hat. Wer weiß — es ist nicht überliefert, ob er damals schon an die Ahr kam, doch seinen Beruf als Lederfabrikantbrikant gibt er auf. studiert bei Peter CorneliL in Düsseldorf Malerei und geht als Bühnenbik ner nach Aachen, dann nach Brüssel. De Unruhegeist treibt es nach Paris. Er kann ii Pariser Salon sogar ausstellen. Er hat sie längst als Lithograph erwiesen und als Landschafter par excellence, die Pariser Kunstanstalt Engelmann gibt seine erste Publikatic »Erinnerungen an die Eifel und die Ufer der Ahr in Rheinpreußen“ heraus.
Nicolas Ponsart ist so kühn, sie dem preuR sehen Kronprinzen und späteren König Fhei rieh Wilhelm IV. zu widmen. Dessen Huld — der Sprache der Zeit — ermutigt zu der größeren, 80 Blätter umfassenden Publikation di »Souvenirs de la Prusse Rhenane«. Des Königs Handschreiben aus Sanssouci, Anr 1834, bezeugt seine »lebhafte Antheilnahme an der Fortsetzung des so schönen Werkes. 1838 und 1839 legt Nicolas Ponsart seine Publikation »Vallee de L’Ahr“ vor. Einmal noch geht er ins Studium zu Eduard Wilhelm Pose und Johann Wilhelm Schirmer. Als ein inzwischen gestandener Mann und Mittfünfziger kommt er dennoch nicht zu Vermögen ur beschließt für zwei Dutzend Jahre sein Leben als Zeichen- und Kunstlehrer am Mädchenpensionat in Malmedy.
Nicolas Ponsart belebt die Landschaft mit Personen. Zwei Paare sind es.
Der Maler hat seine Staffelei aufgestellt. Eine weiß gekleidete Frau blickt ins Ahrtal hinunter,
auch da ist Leben, ein heller Planwagen fährt durchs Tal.
Wie Beethoven, ist er »taub und arm« gestorben. So glanzlos ein Leben — um so glanzvoller seine Lithographien.
Der Zyklus der Rheinprovinz schließt ein Schieiden, Reifferscheid, Nideggen und Monschau, Gerolstein, Maria Laach und Bad Bertrich. Bis zu den Schlössern und Burgen Bürresheim, Pyrmont, EItz dehnt sich sein Aktionsradius, ja, bis Trier und Aachen, Düren, Saarburg und Barmen.
So weiträumig mit Schlössern und Prunkfassaden repräsentativ — umso liebevoller und intimer sind seine Lithographien vom Ahrtal. In einem Panorama der Ahrlandschaft ein wenig pathetisch als „die Schweiz des Niederrheins“ bezeichnet, wird das Ahrtal von Andre van Hasselt bescheiden vorgestellt als „das Flüßchen, das seine Wellen, nicht ohne Scheu, dem Riesenstrome zuführt … So sollte man nicht glauben, daß seine Ufer mit so malerischen Naturscenen ausgeschmückt worden seyen.«
Motive und Beweggründe haben seine stille Liebe. . . .
Von Nicolas Ponsart ist rühmenswert seine Kunst des Sehens. Sind die ersten Lithographien landschaftliches Conterfey, füllen sie sich bald mit Leben, sprich Figuren — und hier ist überraschend auch eine Soziologie der Eifel zu erkennen. Vorerst also die Einwohner als »die Arbeitsleut« mit der spitzen »Kiepe« auf dem Stiel, mit der sie Erde und Dung in den Weinberg tragen. Oder Mädchen mit dem Korb, auf dem Kopf getragen und balanciert, und das Flachnetz zum bescheidenen Fischfang aus der Ahr. Motivwahl und Perspektive bestimmen die Tiefe und Räumlichkeit — bis er am Ausgang des Tunnels von Altenahr mit Schlagschatten und Frau auf dem Pferd, mit verweilendem Wanderer und Hund geradezu dramatische und bühnenhafte Szenerie gewinnt.
Fahrensleute überqueren die Brücke, Zirkusvolk mit Tanzbär und Kamel.
Bizarr ist die Landschs unter der Ruine der Burg Altenahr.
Hell leuchtet der Bildstock als Station des Kreuzwege. Zeichen der Frömmigkeit.
Die Lithographien bevölkern sich. Mittlerweile war ja das Ahrtal von Bonner Professoren und Studenten entdeckt worden. Sind es zunächst die Einwohner als Vordergrundfiguren, Frauen beim Wäschebleichen und Winzer, kommen nun die Touristen, die Romantiker, ja, das wirtschaftliche Leben hinzu. Da hat ein Maler den weißen Schirm als Sonnenblende über der Staffelei aufgestellt. Vor der Herberge in Altenahr ist die Postkutsche angekommen. Angesichts der Heislei im Vordergrund ein stattlicher Mann mit Zylinder: entweder ein betuchter Hotelier aus dem Rheinland oder bereits ein Weinhändler, denn der Ahrbleichert, der Portugieser, der Ahrburgunder, waren nun begehrt geworden für die Hoteltafel und den Keller der Weinfreunde.
Auf dem nächsten Blatt rollt ein Planwagen ai dem Tunnel von Altenahr, Kavaliere führe sorglich Stadtdamen am Arm — und das Kurioseste: Fahrende Leute mit Kamel und Tanzbär aus ihrer Menagerie! Landschaftstrunker Paare stehen verzückt vor bizarren Klüften ur Zeilen der Rebstöcke. Romantik und Realität sind Arm in Arm, denn am Bildrand zeichnete er eine junge Winzerin mit Eimern auf der Stange über der Schulter. Winzer mit Kiepe begegnen einer Touristin im Biedermeierkleid unterm Sonnenschirm als Schutz für den Teint. Vor der Saffenburg liest ein Poet einer jungen Frau mit Schneckenfrisur aus einem Gedichtband Verse vor — sind es die eigenen? Hoch ragt ein Maibaum in Altenahr auf. Bonner Studenten in Couleur und mit langer Pfeife, als Schaublatt die Breitlithographie: das große Panorama der Burgruine Altenahr mit Blick zur Kirche — heraufgestiegen sind vornehme Touristen, sie vespern und verweilen. Das Ahrtal war entdeckt. Endgültig. Das liebevollste Blatt freilich ist das Titelbild: die Stadt Ahrweiler mit dem Mauerring, mit Toren und Türmen der Landskrone in bläuender Ferne. Es ist Wein- und Lesefest nach eingebrachter Traubenernte und tanzende Feier der Winzer.
Idylle und Leben bestimmen das Blatt »Vue d ‚Ahrweiler et du Landskrone“: Erntetanz der Herren Studenten, links der Fiedler auf dem Weinfaß, rechts holt einer seinem Mädchen die Traube vom Weinstock. Im Hintergrund Türme, Stadtmauer und St. Laurentius, rechts im Herbstnebel die Landskrone.
Die Umgebung der Saffenburg und der Lochmühle:
Im Vordergrund eine junge Frau mit Biedermeierfrisur, das Tüchlein In den Händen.
Der Kavalier hält ein Buch. aus dem er wohl Gedichte vorliest, ohne Zweifel aus dem Schatzgut der Poesie.
Links der Fiedler auf der Tonne, rechts holt ein Bursche die letzten Trauben für sein Mädel vom Rebstock. Mag Nicolas Ponsart »das Leben« idealisieren, ist er dennoch wissender Beobachter. Der Natur gibt er ihre Würde unverhohlen; die Felsen als vulkanische Relikte, der Weinstock, das tätige Leben vorerst: mühselig war es ja vor eineinhalb Jahrhunderten. Nicolas Ponsart ist der rühmlichste von allen Graphikern, die nach ihm kamen. Seine Linie ist delikat schon in der vorausgehenden Zeichnung, seine 150 Blätter haben Schimmer, da er ihre Großzahl für den Steindruck selbst lithographierte. Er war Landschafter par excellence, seine Vedouten sind mehr als Idyllen dank der Gewichtung der Landschart mit tätigem Volk und modischen Touristen.
Ihm folgten die literarischen Erkundungen aus dem Bonner Gelehrtenverein »Der Maikäferbund«. Es kamen nach Ernst Weyden und Gottfried Kinkel auch Karl Simrock, Wolfgang Müller von Königswinter, Ferdinand Freiligrath, als Bonner Student auch der spätere Kunstgelehrte Jacob Burckardt und Levin Schücking, der Freund der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Ein fundamentales Ereignis machte sich Ernst Moritz Arndt: er erwanderte die Ahr von der Quelle in Blankenheim bis zur Mündung in den Rhein bei Sinzig.
Nicolas Ponsart folgten die Maler wie Caspar Scheuren, Wilhelm Schirmer, Graf Mörner und Carl Schlickum. Für Nicolas Ponsart freilich waren seine Lithographien aus dem Tal der Ahr das eigene künstlerische Urerlebnis. Er wollte „nicht nur Tal und Berge malen«, er füllt sie ganz einfach mit Leben.