BEIM KANZLER DES JOHANNITERORDENS IN ROLANDSECK
VON HERMANN BAUER
Wir sind gewohnt, in den zerfallenen Burgen die beredten Zeugen eines ruhmvollen Rittertums, das in seiner Hochblüte zur Stütze des Reiches nach innen und außen mächtig in Erscheinung trat, zu sehen, oder aber wir verbinden mit den umrankten Ruinen grausame Vorstellungen schmachtender Gefangenen aus späteren Zeiten des Zerfalls. Eine ähnliche Sprache sprechen die Klosterruinen, doch da, wo die Vergangenheit noch lebendige Gegenwart ist, wo Mönche nach der Ordensregel ihrer Väter ihr Leben gestalten, steht der Mensch des beginnenden Atomzeitalters teils voll Bewunderung, teils verständnisvoll dieser Insel des geschauten Lebens im Wellenschlag der Zeit gegenüber. Nichts ist falscher, als in den Zeugen der Vergangenheit nur Vergangenes zu sehen, und nur der wirkt aus dem Geiste Gottes, der Vergangenes im Gegenwärtigen fruchtbar für die Zukunft macht. Wie sehr Geschichte in der Gegenwart lebt, spüren wir, wenn wir geöffneten Geistes durch unser Kreisgebiet wandern. Manche Städte haben sich selbst ein Attribut geschenkt, um schon äußerlich ihre Verpflichtung auf die Vergangenheit kundzutun. So wetteifert die Römerstadt Remagen mit der Barbarossastadt Sinzig, und Ahrweiler, die befestigte Stadt mittelalterlichen Bürgersinns, mit Adenau, der Johanniterstadt. Mit diesem Namen verbinden sich Vorstellungen edlen Rittertums, todesmutigen Kampfes, demütigen Dienens und Helfens und glaubensstarken Lebens und Betens. Wer von uns heutigen Menschen wollte nun behaupten, daß wir auf solche Gesinnung verzichten können? Nur eine kleine Kommende der Johanniter hat Adenau1) diesen Ehrentitel gebracht. Die Eifelstadt konnte damals nicht ahnen, daß Jahrhunderte später in ihrer Nähe sich die Zentrale dieses weltweiten Ordens befinden würde. Denn auch heute noch vollzieht sich eine Begegnung edelsten Rittertums mit den Aufgaben der Zeit, wohl hat sich vieles im äußeren Erscheinungsbild geändert, und auch die Aufgaben sind andere geworden, aber geblieben ist die ritterliche Gesinnung, mit der die Aufgaben angepackt und aus der sie gelöst werden. Diesen Geist atmete auch die Stunde, die ich mit dem Kanzler des Ordens (dem Grafen Arnim) in Rolandseck verbringen durfte.
Bereits im ersten Satz lag die ganze Disposition der weiteren Unterhaltung dieses Spätnachmittags, lag die Fülle der Aufgaben, die unsere Zeit den Ordensrittern stellt, lag aber auch jene Kraft, die dem Zuhörer höchste Hochachtung abzwang:
Der Orden ist christlich-caritativ, ritterlich, unpolitisch, übernational, sein Arbeitsfeld weltweit.
Er hilft da, wo Hilfe nottut, ohne Rücksicht auf Stand, Rasse, Konfession und Nationalität. Er vermittelt an bestimmten Stellen Schul- und Studienbeihilfe für begabte und unbemittelte Schüler und Studenten, seine Hauptaufgabe liegt auch heute noch in der Betreuung und Pflege der Kranken.
Vgl. Jakob Rausch: Adenau, die Johanniterstadt Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler 1954, S. 33 ff.
Der Orden besaß vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges in Deutschland allein 57 Krankenhäuser. Eine eigene Schwesternschaft, die bereits im Mittelalter und bis zur Säkularisation bestand und 1885 Ihre Neugründung erlebte, schult heute in der Schwesternschule im Johanniterkrankenhaus zu Bonn ihren Nachwuchs. Die Paketbetreuung für die in sowjetischer Gefangenschaft zurückgehaltenen deutschen Menschen hat leibliche Not gelindert und seelische Not erträglich gestaltet. Durch sie wurde der Glaube gestärkt und viele wurden dem Leben wiedergeschenkt. Die Entwicklung des Verkehrs und die gewaltige Steigerung der Gefahren auf der Straße ließ die Johanniter-Unfall-Hilfe als Unterorganisation des Ordens erstehen. Die Erkenntnis, daß die Zahl der Verkehrsunfälle erschreckend ansteigt, während es an Menschen fehlt, die mit sachkundiger Hand und in der rechten Gesinnung schnell zu helfen wissen, führte zum Aufruf der J.U.H., die überkonfessionell arbeitet. In Kursen geschult und in Helferlehrgängen weiter ausgebildet und eingesetzt, werden neben einsatzfreudigen Männern und Frauen reiferen Alters hier besonders junge Menschen von 16 Jahren ab angesprochen. Unter dem Leitmotiv „Rettet das Kind!“ hat sich die Johanniter-Hilfsgemeinschaft besonders der Flüchtlingskinder aus Bunkern und Lagern angenommen, ja, sie sucht all den Kindern zu helfen, die in ungesunden und asozialen Verhältnissen groß werden. Erholungsaufenthalt u. a. in Skandinavien gibt diesen unglücklichen Opfern der Zeit und des Milieus neue körperliche und seelische Kraft. Wie die Sprache einer anderen Welt empfinden wir nicht ohne persönliche Rückbesinnung die Begeisterung der Menschen für die Verchristlichung des Lebens unserer Zeit.
Wie kommt die Leitung des Johanniterordens, der durch Geschichte und Geschehen ehrwürdig und bewundernswert ist, in unser Kreisgebiet nach Rolandseck? Es ist derselbe Geist, der einst die Ordensritter während der Kreuzzüge begeisterte, als sie die ersten Hospitäler gründeten und der trotz der nationalsozialistischen Drosselung heute wie damals den Mächten des Ostens trotzte. Alles lag in Trümmern, auch die Balley des Ordens und die Liste der Mitglieder, nichts war vorhanden als der Wille, den unchristlichen Geist mit dem Geiste Christi zu überwinden. Auf den Flüchtlingsstraßen suchte der Kanzler seinen Meister, und aus dieser Wiederbegegnung entstand auch wieder der alte Orden. Als Bonn nun Bundeshauptstadt wurde, suchte und fand man in Rolandseck in den Schröderschen Besitzungen eine neue Bleibe für den Johanniterorden. Wer von den vielen Wanderern, die auf dem Rheinhöhenweg von Birgel über Oberwinter-Waldheide nach Rolandseck kommen, ahnt, welcher geschichtlichen Vergangenheit er hier begegnet, wenn er das rote Kreuz auf weißem Grund sieht? Die Anfänge des Ordens gehen auf das Jahr 638 zurück. Als der Kalif Omar Jerusalem eroberte, erlaubte er in einem Friedensvertrag den Christen, die heiligen Stätten und die Grabeskirche sowie die Herbergen, die sogenannten Xenodo-chien, zu behalten. Unter der Schutzherrschaft Kaiser Karls des Großen und des Papstes Gregor des Großen entstand in der Nähe der Grabeskirche das erste Hospital zur Pflege erkrankter Pilger. Als nun die Wallfahrer nach den heiligen Stätten trotz aller Verträge immer mehr den Übergriffen der Ungläubigen ausgesetzt waren, reifte der Plan, die heiligen Stätten zu befreien. 1099 eroberten die Kreuzritter unter Gottfried von Bouillion Jerusalem, und eine große Zahl von ihnen nahm sich der Hospitäler an. Raimund du Puy teilte den Orden in Ritter, Priester und dienende Brüder ein; zum Krankenpflegedienst wurden alle herangezogen. Die Kreuzzüge blieben schließlich ohne Erfolg. 1244 ging Jerusalem endgültig verloren. Der kleine Staat von Akkon, der sich immer noch Königreich Jerusalem nannte, wurde nach schweren Kämpfen vom Sultan Malek el Aschraf 1291 erobert. Der letzte Großmeister der Johan-niter war dort Jean de Villiers, der sich zunächst nach Cypern begab, wo er ein großes Hospital gründete. Hier wurde der Grundstein gelegt für die später oft so siegreiche Flotte der Johanniter, die 1309 die Insel Rhodos eroberte. Schillers unsterbliche Ballade „Der Kampf mit dem Drachen“ erinnert an Geist und Wirksamkeit des Ordens. Mehrfach versuchten die Türken die Rhodesier, wie sich die Ordensritter nunmehr nannten, von der Insel zu vertreiben. Damals zog ein großer Teil der deutschen Johanniter nach Deutschland zurück. Sie übernahmen die Besitzungen des durch Papst Clemens V. aufgelösten Templerordens. Die auf Rhodos verbliebenen Ritter zogen nach Eroberung der Insel durch Sultan Sollman nach Kreta, Sizilien und Italien, bis ihnen Kaiser Karl V. die Insel Malta zu Lehen gab. Von jetzt an führten sie den Namen Malteser. Heute sind Malteser und Johanniter zwar konfessionsmäßig getrennt, stehen aber in der Arbeit oft Seite an Seite. Die Ritter des souveränen Malteserordens sind fast ausnahmslos Angehörige des alten katholischen Adels. Die Tätigkeit der Malteser hat in der Aufgabe zur Rettung des Kindes aus leiblicher und seelischer Not ebenfalls im Kreisgebiet ihre Zentrale. Die Zusammenarbeit beider Orden auf christlich-karitativer Grundlage ist sehr eng. Das Felseneiland von Malta war vorbildlich für die ganze Welt. Malta wurde stark befestigt, erhielt eine Reihe schönster Bauten und vorzüglicher Hospitäler. Vergeblich versuchten die Türken die Insel zu erobern, erst Napoleon Bonaparte konnte sich ihrer durch Verrat kampflos bemächtigen. Der Wiener Kongreß gab sie trotz mehrfacher Vorstellung nicht an den Orden zurück und sprach sie den Engländern zu, für die sie heute ein wichtiger strategischer Stützpunkt in der Sicherung der Seewege bedeutet. So spricht Malta eine ernste Sprache. Ihrer hohen geistigen Aufgabe beraubt, sichert die Insel verzweifelt irdischen Besitz. Die nach Europa zurückgekehrten Ritter breiten sich in Spanien, Frankreich, Italien und Westdeutschland aus. Im Osten nahm die alte Balley Brandenburg eine besondere Stellung ein. Durch Albrecht den Bären erhielten die Johanniter die Stadt Werben an der Elbe und auch noch große Ländereien. Infolge Streitigkeiten mit dem Großprior und dem Convent zu Malta bekam die Balley Brandenburg das Recht, einen eigenen Herrenmeister zu wählen. Nach übertritt des Kurfürsten von Brandenburg zum evangelischen Glauben wurde auch die Balley evangelisch. Eine der wichtigsten Erwerbungen war der Kauf von Stadt und Schloß Sonnenburg, das nun Sitz des Herrenmeisters und der Ordensregierung wurde. Sonnenburg hat im Dreißigjährigen Kriege viel gelitten, wurde aber von Moritz von Nassau wieder hergestellt, der hier auch ein Krankenhaus erbaute. 1810 wurde die Balley durch die Säkularisation unter dem letzten Herrenmeister, dem 81jährigen Bruder Friedrichs des Großen, Prinz August Friedrich von Preußen, aufgelöst. Der Besitz des Ordens fiel an den Staat. 1852 stellte Friedrich Wilhelm IV. die Balley wieder her, die in kurzer Zeit im In- und Ausland 55 Krankenhäuser errichtete. Nach dem letzten Kriege sind dem Orden im Westen noch 12 Hospitäler verblieben, ein 13. wurde im vergangenen Jahr hinzu erworben. Groß war die Fürsorge der Ordensritter für die Verwundeten und Kranken in den Kriegen 1864, 1866, 1870/71 und 1914/18. Im letzten Weltkrieg war ihre Wirksamkeit sehr gehemmt. Der Orden durfte lediglich sein Pflegepersonal und Krankenhäuser als Reservelazarette zur Verfügung stellen. Dann kam der totale Zusammenbruch bis zum Wiederaufbau des Jo-hanniterordens mit dem Herrenmeister, dem Prinzen Oskar von Preußen, in Rolandseck, wo wir den Kreis der Geschichte mit der Gegenwart schließen.