Beethoven spielen statt Retortentöne konsumieren – Die Musikschule des Kreises Ahrweiler wird 20 Jahre jung
Beethoven spielen statt Retortentöne konsumieren
Die Musikschule des Kreises Ahrweiler wird 20 Jahre jung
Jürgen Kempenich
Mit 140 Musikern führen sie das gewaltige Beethoven-Werk „Fantasie für Klavier, Chor und Orchester“ auf, sie locken ihre Besucher in die Welt von Lloyd-Webbers Musical „Starlight-Express“, sie spielen Oratorien von Händel, Suiten von Bach, Violinkonzerte von Vivaldi und Filmmelodien aus „Flash Dance“: junge Menschen, die in der Musikschule des Landkreises Ahrweiler viele Möglichkeiten zur musikalischen Ausbildung, zur persönlichen Entfaltung und zur sinnvollen Freizeitbeschäftigung finden. Seit 20 Jahren. – 1993 wurde gefeiert. Womit? Mit Musik natürlich. Mit sechs Schülerkonzerten im Rahmen der 6. Kulturtage des AW-Kreises, mit einem Open-Air-Konzert in Sinzig, einem Tag der offenen Tür in Adenau, mit mehreren Ballettveranstaltungen und – als Höhepunkt und feierliche Ouvertüre des musikalischen Teils der Kulturtage – mit dem großen Festkonzert im Kurtheater von Bad Neuenahr.
Grund genug, die Kreismusikschule einmal etwas genauer vorzustellen. Die Musikschule, eine nach Ansicht von Landrat Joachim Weiler „wichtige kulturelle Einrichtung, die es zu erhalten gilt“. Dabei wird deutlich, welche verschiedenen Funktionen sie im Kreis Ahrweiler übernimmt.
Die Musikschule für breite Bevölkerungskreise. „Wir sind alles andere als eine elitäre Einrichtung für wenige Begabte und Privilegierte“, stellt der Leiter der Kreismusikschule, Helmut Krauel, fest. Die stolze Zahl von rund 1.300 Schülern belegt dies mit Nachdruck. Etwa elf Prozent aller rund 13.000 Schüler im Kreis Ahrweiler sind in der Musikschule eingeschrieben. Die Musikschule als Einrichtung für alle Interessierten, das bedeutet: Die meisten Schüler machen sich Musik zum Hobby, musizieren daheim, spielen in Vereinen und singen in Chören. Doch werden auch einige besonders Begabte gefördert. Talente werden entdeckt und können sich entfalten. Krauel: „Einige erhalten das nötige Rüstzeug für ein Musikstudium und. verdienen mit Musik ihren Lebensunterhalt.“
Adenau beliebt
Die Musikschule für den ländlichen Raum. Besonders in den dünn besiedelten Gebieten übernimmt sie wichtige Funktionen als zweiter Bildungsträger und als Einrichtung, in der sich Freizeit sinnvoll gestalten läßt. Typisches Beispiel: Die Verbandsgemeinde Adenau, der am dünnsten besiedelte Raum im Kreis Ahrweiler, weist relativ zur Einwohnerzahl die höchste Musikschülerquote auf. Rund 280 junge Menschen aus 32 Wohnorten kommen regelmäßig zur Unterrichtsstätte nach Adenau. Hier, im Westen des Kreises, sind die Eltern bereit, die längsten Wege zurückzulegen, um ihre Kinder zum Unterricht zu fahren. Der Musiknachwuchs kommt aus Herschbach und Hoffeld, aus Wie-semscheid und Winnerath. Die Akzeptanz der Kreismusikschule im ländlichen Raum ist überdurchschnittlich hoch.
Somit ist die Musikschule auch eine Chance für den ländlichen Raum, der oftmals mit Strukturproblemen zu kämpfen hat. Sportstätten, Kinos und andere Freizeitmöglichkeiten für junge Leute sind rar gesät. Die Musikschule bietet allen interessierten und begabten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Instrumente zu erlernen. Die Betonung liegt auf allenKindern und Jugendlichen, und nicht auf einer kleinen Gruppe privilegierter. Privatunterricht jedenfalls kann ein solch flächendeckendes Angebot mit der ganzen Fächervielfalt nicht bieten.
Die Musikschule für die Entwicklung der Persönlichkeit. „Wir erziehen junge Menschen zur Disziplin“, führt Krauel einen pädagogischen Aspekt ins Feld. Die Schüler, die ein Instrument erlernen wollen, müssen arbeiten. Intensiv und konsequent. Wer Trompete spielen will, muß sich jeden Tag neu überwinden, um langfristig sein Ziel zu erreichen. Eine solche Selbstdisziplin wirkt sich auch auf den ganzen Menschen aus. Das könne gar nicht hoch genug eingestuft werden, meint Krauel. Wenn etwa junge Menschen ohne Druck von außen mit sich selbst, mit ihren eigenen Fähigkeiten und mit ihrem eigenen Willen zum Lernen klarkommen müssen. Krauel zieht hier Vergleiche zum Sport.
Das Bläserkammermusikensemble unter der Leitung des mitspielenden Lehrers Michael Adami (Horn) bei der Probe.
Ältere Schüler helfen jüngeren
Die Musikschule für die Erziehung in der Gruppe. Nicht zu unterschätzen ist für Krauel auch der Prozeß der Sozialisation, dem Zurechtfinden in einer Gruppe. „Verschiedene Altersstufen lernen und musizieren zusammen. Das ist anders als in einer normalen Schulklasse. Wir legen großen Wert aufs Miteinander. Für mich ist es jedesmal ein phantastisches Erlebnis, mit welchem Selbstverständnis ältere Schüler mit den jüngeren umgehen. Sie bieten jede Art der Hilfestellung. Und vor allem: Die Älteren akzep-tierendie Jüngeren. Ein Konkurrenzdenken läßt sich nicht erkennen.“
Solche Verhaltensweisen seien „menschenformend“. Und wieder der Vergleich zum Sport:
„Dieses Zusammenleben, dieses gegenseitige Weiterkommen und Erleben ist sonst nur in Sportvereinen zu sehen. Junge Menschen lernen, sich in einer Gruppe zurechtzufinden und sich persönlich weiterzuentwickeln.“ Die Musik als Bindeglied zwischen unterschiedlich begabten und verschiedenaltrigen Jugendlichen. Krauel: „Wo sonst können Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Jahrgangsstufen so zusammenarbeiten?“
Die Musikschule als sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Aus all diesen Gründen ist das Musizieren als eine nutzbringende und vernünftige Tätigkeit zu loben. Zudem muß man darüber nachdenken: Ist aktives Musizieren nicht allemal sinngebender als passives Konsumieren von Retortenmusik in Diskotheken?
Sind Musikschüler ausgeglichener als andere Kids? Nach Kraueis Erfahrung scheint dies so, vor allem wenn man sich die Gewalttätigkeiten an Pflichtschulen vor Augen führt. „Mir ist kein Fall von Vandalismus bekannt geworden – in 20 Jahren Kreismusikschule nicht. Die teilweise an öffentlichen Schulen beklagte Aggression tritt bei uns nicht auf.“Insofern kann das Musizieren miteinander einen wesentlichen sozialen und ethnischen Integrationsfaktor darstellen.
Städte und Gemeinden machen mit
Das freut den Musikschulleiter, auch mit Blick auf die Nutzung der Räume. „Wir sind auf die Unterstützung der Städte und Verbandsgemein-den angewiesen. Schließlich sind wir Gäste in 20 verschiedenen Gebäuden quer durch den Kreis Ahrweiler. Würden wir dort Schwierigkeiten bereiten, dann könnten wir gleich dichtmachen. Die Kommunen stellen uns die Räume kostenlos zur Verfügung.“ Hierfür spricht Helmut Krauel den Bürgermeistern ein ausdrückliches Dankeschön aus. Denn schließlich entstehen den Städten und Gemeinden Kosten für die Bereitstellung der Gebäude, etwa für Heizung, Strom und die Hausmeister. Die Zusammenarbeit zwischen Musikschule und Kommunen funktioniert für Krauel jedenfalls „ganz ausgezeichnet“.
Körperhaltung und Anmut der Bewegung: Schülerinnen der Ballettabteilung in ihrem Übungsraum
der Don-Bosco-Schule.
Die Musikschule für die Vereine. Ganz wichtig für die Kultur im Kreis Ahrweiler: Die Arbeit der Schule kommt Kirchenchören und Blaskapellen, Gesangvereinen und auch Rockbands zugute. Viele junge Leute lernen Instrumente, die sie später öffentlich spielen. Mit Lampenfieber bei großen Aufführungen lernen die Schüler ebenfalls umzugehen. Krauel: „Unsere Veranstaltungen im Kurhaussaal Bad Neuenahr sind durchweg ausverkauft. 600 Besucher sind normal.“
Und aus dem übenden Hänschen wird mit den Jahren ein musizierender Hans. „Als die Musikschule 1974 ins Leben gerufen wurde“, erinnert sich Krauel, „da waren die ersten Schüler sechs oder sieben Jahre alt. Mittlerweile sind aus diesen Sprößlingen junge Väter und Mütter geworden, die bereits ihre eigenen Kinder in den Unterricht bringen.“
Mensch und Musik
Die Musikschule für die Kultur und speziell: für die Musik. Das Kulturinteresse in der Bevölkerung ist gewachsen. Und die Musikschule des Landkreises Ahrweiler leistet einen wichtigen Beitrag dazu, den aktiven Umgang mit guter Musik in breiten Bevölkerungsschichten anzuregen. Kultur, und hier vor allem Musik, verstehen sich als wesentliche Bestandteile des Lebens. „Der Mensch hat einfach das Bedürfnis, sich mit Dingen außerhalb des üblichen Alltags und des anstrengenden Berufs zu beschäftigen.“ Musik und Weiterbildung zählen für Krauel „zu den Bedürfnissen des Menschen“. Sich mit Musik befassen, das heißt: im häuslichen Kreis musizieren, mit Großeltern, Eltern und Geschwistern. „Erst durch uns hält die Musik Einzug in vielen Familien. Die meisten Kinder kommen aus jenen Familien, in denen das Erlernen eines Instruments keine Tradition hat. So findet die Musik ihren Weg über die Kinder ins Elternhaus. Vater, Mutter und Geschwister entdecken plötzlich ihr Interesse an Musik und musikalischen Veranstaltungen. Viele lernen Bach und Händel erstmals kennen, wenn die Kinder Menuette dieser Komponisten zuhause spielen.“
Dank an Lehrer
Der Lernerfolg ist für Krauel ein maßgeblicher Verdienst der 40 Musikschullehrer. Gerade beim freiwilligen Lernen sei es wichtig, die Schüler richtig zu motivieren, ihnen Spaß am Üben zu vermitteln. ..Das gelingt nur mit viel Engagement. Geduld und Einfühlungsvermögen“, lobt der Musikschulleiter seine Kolleginnen und Kollegen.
Jeden Dienstag. 19.30 Uhr. Aula der Erich-Kästner-Schule: Orchesterprobe mit Helmut Krauel.
Wie fing das alles an? Die Geburtsstunde der Musikschule schlug im Januar 1974. Sie ist wesentlich mit einem Namen verknüpft: Gisbert Stenz. Der erste Musikschulleiter, heute Rektor der Grundschule Heimersheim, verrichtete seine Arbeit noch nebenberuflich…Er hat exzellente Vorbedingungen geschaffen“, lobt Helmut Krauel die Weichenstellung seines Vorgängers. Stenz ist der Kreismusikschule bis heute verbunden geblieben.Er arbeitet als stellvertretender Musikschulleiter und leitet zudem den Fachbereich Grundstufe. Stenz entwickelte sein Konzept nach dem Strukturplan des Verbandes Deutscher Musikschulen. Der gegliederte Aufbau mit Grundstufe. Unter-, Mittel- und Oberstufe stellt das Prinzip dar.
Gisbert Stenz
Das Engagement von Gisbert Stenz wurde bereits von einem frühen Erfolg gekrönt. Zu Beginn des Schuljahres 1974 zählte die Musikschule 142 Schüler. Am Ende des Jahres war die Zahl bereits auf 299 Schüler gestiegen. Unterrichtet wurde in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Adenau, Altenahr, Bad Breisig und dem Brohltal.
Wie kam es zur Gründung der Kreismusikschule? Interessierten Kindern und begabten Jugendlichen sollte eine musikalische Ausbildung auf breiter Basis ermöglicht werden. Auf breiter Basis heißt: in möglichst allen Städten und Gemeinden des Kreises Ahrweiler und in möglichst vielen und verschiedenen Fächern.
Im April 1977 erhielt die Musikschule einen hauptberuflichen Leiter. Helmut Krauel bestimmt seitdem ihre Geschicke. 1977 – das war das Jahr, das einen Meilenstein darstellt. Der Andrang von Kindern und Jugendlichen war riesig. Junge Musiker mußten sich auf ellenlangen Wartelisten gedulden, Auch Remagen und Sin-zig stellten Anträge, damit in ihrem Bereich Unterrichtsstätten eingerichtet wurden. Rund 80 Anmeldungen lagen damals aus jeder dieser beiden Städte vor.
Zwischen 1977 und 1980 verdreifachte sich die Zahl der Musikschüler. 1.200 Personen hatten sich bis 1980 angemeldet. 1982 stieg die Zahl auf 1.300 Schüler. Dieses Level hat sich bis heute gehalten. „Und das, obwohl sich die Schülerzahlen im Kreis Ahrweiler seit 1982 um rund 20 Prozent verringert haben“, hebt Krauel hervor. Wie gesagt: Elf Prozent aller AW-Schüler stehen in den Listen der Musikschule.
Kreis zahlt 700.000 Mark
Erweitern ließ sich die Musikschule nur mit hauptberuflich eingestellten Lehrern. Ohne solche Fachleute wäre die Nachfrage nicht zu decken gewesen. Außerdem läßt sich der Wunsch nach Unterricht im Kreisgebiet nicht vom einheimischen Personal decken. Lehrer von außerhalb mußten eingestellt werden; aus Köln, Bonn, Koblenzoder Mayen. Derzeitunterrichten 14 nicht im Kreis Ahrweiler ansässige Lehrer. Bei dieser Gelegenheit muß natürlich erwähnt werden: Die von den Schülern zu entrichtenden Gebühren decken nur einen Teil der Kosten: durch diese Beiträge kommen 645.000 Mark herein. Der Kreis Ahrweiler greift tief in die Tasche und legte für seine Musikschule 1993 mehr als 700.000 Mark auf den Tisch. Das Land schießt 25.000 Mark hinzu. Insgesamt weist die Musikschule ein Kostenvolumen von rund 1,4 Millionen Mark auf, wobei die Personalkosten für die 40 Lehrer am kräftigsten zu Buche schlagen.
Organisatorisch und räumlich angesiedelt ist die Musikschule in der Kreisverwaltung. Sie ist der Abteilung „Schulen und Kultur“ als Referat zugeordnet. Die Geschäftsstelle mit dem Musikschulleiter und drei weiteren Mitarbeiterinnen hält alle Fäden in der Hand. Von hier aus wird der Unterricht für rund 1.300 Schüler zentral koordiniert.
Fächer und Stilrichtungen
Was bietet die Musikschule? Welche Fächer. welche Stilrichtungen? Krauel („Ich selbst bin auf keine musikalische Kategorie festgelegt. Mir gefällt klassiche Musik ebenso wie Jazz, Big-Band-Musik und gut gemachte Unterhaltungsmusik.“) erklärt: Gespielt wird einzeln, in kleinen Gruppen und in Ensembles; das sind musikalische Gruppen. Es gibt sechs verschiedene Arten von Ensembles: verschiedene Instrumentalspielkreise, Kammermusikgruppen, die Big-Band, ihre Nachwuchsformation Little-Big-Band, Orchester und Kinder-Orchester. Bei den Instrumentalfächern werden angeboten:
Musikschulleiter Helmut Krauel, Klavier, und sein Stellvertreter Gisbert Stenz, Leitung,
musizieren mit dem Orchester der Musikschule in der Rosenkranzkirche. Bad Neuenahr.
Streich-, Holzblas- und Blechblasinstrumente, Blockflöte, Akkordeon, Klavier, Schlagzeug und Gitarre. Bei Ballett und Jazz-Tanz werden Musik und Bewegung miteinander verknüpft. Tänzerisches Spiel, rhythmische Bewegung, Gymnastik und künstlerischer Tanz führen zu ästhetischer und gesunder Körperhaltung und gelöster Bewegung. Kinder und Jugendliche entdecken und erleben den Körper als Ausdrucksmittel.
Mal anrufen!
Wer die Musikschule des Kreises Ahrweiler entdecken will, kann sich gerne melden: Kreisverwaltung Ahrweiler, Kreismusikschule, Wilhelmstraße 26-30, 53458 Bad Neuenahr-Ahrweiler, Ruf: 02641/384-356.Content-Disposition: form-data; name=“hjb1994.12.htm“; filename=““ Content-Type: application/octet-stream