Aus der Region auf den Tisch – Die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Rhein-Ahr e. V.
Aus der Region auf den Tisch
Die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Rhein-Ahr e.V.
Wolfgang Schlagwein
Als im Oktober 1990 eine kleine Gruppe von Initiatoren zur Gründungsversammlung einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Rhein-Ahr (EVG) einlud, wagte niemand zu hoffen, welch rasante Entwicklung der neue Verein nehmen sollte. Schon zwei Jahre später kann die EVG, inzwischen mit Sitz in der Kreisstadt in das Vereinsregister eingetragen, über 100 Mitglieder vermelden. Die beziehen wöchentlich von einem guten Dutzend Betrieben, was die Region „Rhein-Ahr-Eifel“ an Produkten aus ökologischem Landbau zu bieten hat. Und das ist nicht wenig: die Produktpalette der EVG reicht von Getreide und Brot, Gemüse und Kartoffeln, Wein und Obstsäften, Fleisch- und Wurstwaren bis zu Honig, Eiern und Käse. Geliefert wird von einheimischen Betrieben, die nach den kontrollierten Richtlinien der anerkannten biologischen Anbauverbände arbeiten oder mindestens in der konkreten Umstellung stehen. „Renner“ ist dabei die Gemüsekiste. die in einer von 3 Preisklassen im wöchentlichen Abonnement geliefert wird und zum jeweiligen Preis enthält, was die Region an Gemüse der Saison bietet. Die Gemüsekisten werden, wie die übrigen Bestellungen, beim Landhof Simons in Gelsdorf zusammengestellt und dann zu dezentralen Sammelstellen im gesamten Kreis transportiert, wo sie von den Mitgliedshaushalten abgeholt werden. Sowohl der Transport zu den Sammelstellen als auch deren Betreuung wird dabei von Mitgliedern im Rahmen einer unentgeltlichen Vereinsarbeit geleistet. Dieses System ist in der Bundesrepublik ziemlich einzigartig, hat sich aber als bisher beste Organisationsform erwiesen, um die Verbraucher in der Region zwischen Sinzig und Adenau, Niederzissen und Meckenheim wöchentlich und direkt mit frischen, vollwertigen Bio-Produkten aus heimischem Anbau zu versorgen.
Das regionale Prinzip
Die EVG will allerdings mehr sein als ein Dienstleistungsbetrieb, der regionale Bio-Produkte vermarktet. Wer sich mit dem EVG-Gedanken beschäftigt, ist immer wieder überrascht, wie hier eine Vielfalt von Interessen und Zielen unter einem Dach Platz findet.
Auf Verbraucherseite hat ein wachsendes Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein ein stetiges Interesse an biologisch angebauten und verarbeiteten Vollwertprodukten geweckt. Immer neu auftretende Lebensmittelskandale nähren das Bedürfnis, wieder „mit Vertrauen“ einkaufen zu können. Die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft kommt diesem Bedürfnis entgegen. Sie bietet die Möglichkeit zum direkten Kontakt zwischen Erzeugerund Verbraucher. DerName des Vereins ist Programm. Hier liegt ein Grund für die ausschließlich regionale Herkunft der EVG-Produktpalette. Denn nur die direkte Vermarktung innerhalb der Region kann anonyme Handelswege ersetzen. Der Verbraucher vermag sozusagen ..das andere Ende der Kette“ zu sehen, über die ein Produkt in seine Küche gelangt. Maßgeblich ist nicht mehr allein die Qualität und „Gesundheit“ eines Erzeugnisses. sondern die ökologische (und soziale) Qualität seiner gesamten Erzeugung und Verarbeitung. Die EVG organisiert Hoffeste und Betriebsbesichtigungen, um den direkten Kontakt zwischen Erzeugern. Verarbeitern und Verbrauchern auszubauen. Solche Kontakte fördern nicht nur die Transparenz, sondern auch das gegenseitige Verständnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Gerade die weitere Aufklärung der Verbraucher über die Arbeit der bäuerlichen Betriebe, über artgerechte Tierhaltung, umweltschonende Anbaumethoden, gesundheitsbewußte Weiterverarbeitung sind ein wichtiges Ziel der EVG. Die EVG kommt dem wachsenden Abfallbewußtsein entgegen: nahezu die gesamten Verpackungen, ob Saftflaschen. Honiggläser, Eierkartons oder Gemüsekisten können im regionalen EVG-Kreislauf zwischen den Haushalten, Sammelstellen und dem „Zentrallager“ in Gelsdorf wiederverwendet werden.
Auch Transportwege sollen durch das gemeinschaftliche Einkaufen und die regionale Vermarktung eingespart werden. Schließlich ist es auch – oder gerade – bei Bio-Produkten nicht einzusehen, daß sie oft erst nach hunderten von Straßenkilometern quer durch Europa in den Haushalt gelangen. Ebensowenig macht es Sinn. wenn der einzelne Verbraucher mit dem PKW viele Kilometer zum nächsten Biobetrieb fährt, um ein Kilo Mohren zu kaufen. Nur im regionalen Rahmen aber lassen sich Transportwege kurz und der Energieeinsatz durch gemeinschaftliche Organisation der Verteilung niedrig halten.
Bedeutung hat die EVG aber auch auf der Erzeugerseite. Im vergangenen Jahrzehnt haben einige hundert landwirtschaftliche Betriebe im Kreis Ahrweileraufgeben müssen. Siewaren der Überschußproduktion, dem Konkurrenz- und Preisdruck des EG-Agrarmarktes nicht mehr gewachsen. In diesem immer noch fortschreitenden Höfesterben ist der ökologische Anbau in Verbindung mit der Direktvermarktung für manchen Betrieb eine Überlebensperspektive. Die EVG bemüht sich daher um die Erschließung neuer Absatzmärkte, und dies bedeutet vor allem Überzeugungsarbeit beim Verbraucher. Gerade mit Hilfe der EVG kann der bäuerliche Betrieb verdeutlichen, daß die ökologische Wirtschaftsweise Mehrarbeit bedeutet. vorbeugender Umweltschutz oder artgerechte Tierhaltung also ihren Preis haben. Folgerichtig wird die Preisgestaltung der EVG zwar vom Vorstand vorbereitet. Offengelegt, beraten und beschlossen wird sie jedoch in einem Beirat (in dem Erzeuger und Verbraucher paritätisch vertreten sind) und schließlich in der Mitgliederversammlung. Natürlich kann sich auch die EVG nicht völlig aus den üblichen Marktbedingungen lösen. Immerhin aber ist hier ein Ansatz geschaffen, die Preise an den Lebensbedingungen und finanziellen Möglichkeiten sowohl der Erzeuger als auch der Verbraucher zu orientieren.
„Biotage“ auf dem Heinrichshof, Koisdorf: Information und landwirtschaftliche Produkte vom Erzeuger frisch auf den Tisch.
Überlebensperspektiven für bäuerliche Betriebe sind aber auch – darauf weist die EVG immer wieder hin – Perspektiven für den ländlichen Raum. Mit der Direktvermarktung regionaler Produkte bleibt Kaufkraft der Verbraucher in der Region, werden ökologisch verträgliche Arbeitsplätze in den landwirtschaftlichen oder weiterverarbeitenden Betrieben geschaffen und erhalten (Brink 1986). Nicht zuletzt ist dies ein Beitrag zum Erhalt der gewachsenen bäuerlichen Kulturlandschaft, die für den Fremdenverkehr in der Region Rhein-Ahr eine unverzichtbare Grundlage bildet, aber durch den Intensivierungs- und Konzentrationsprozeß in der Landwirtschaft zunehmend gefährdet ist.
Gerade auch mit Blick auf den Fremdenverkehr bemüht sich die EVG, Kontakte zwischen regionalem Bio-Anbau und der Gastronomie zu knüpfen. Aktionen wie „Natur aus der Küche“ in Zusammenarbeit mit dem Restaurant „Vieux Sinzig“ sollen zeigen, daß Bio-Anbau und Haute Cuisine durchaus zusammengehen und für beide Seiten einen interessanten Weg eröffnen:
das in Sinzig erfolgreich und mit großer Resonanz angebotene Menue, komplett aus biologischem Anbau der Region zusammengestellt, war hierfür ein erster Beweis.
Ursprünge und Traditionen
Eigenständige Regionalentwicklung im ländlichen Raum, selbstorganisiert und „von unten“:
die EVG macht es vor. Sie kann sich dabei durchaus auf vorhandene Traditionen stützen. Schon im vergangenen Jahrhundert schlossen sich Bauern und Winzer in Vereinen und Genossenschaften zusammen, um Produktion und Absatz gemeinschaftlich zu organisieren und ihre Marktchancen zu vergrößern. Die Winzervereine an der Ahr oder die Buttervereine und Molkereigenossenschaften, wie sie seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Eitel gegründet wurden, sind Beispiele hierzu. Sie brachten den Bauern erheblich höhere Gewinne und nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Effekte für die Region (Monzel 1986), bevor viele dem Konzentrationsprozeß in Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie weichen mußten.
Auf Verbraucherseite wurden, ebenfalls bereits im vergangenen Jahrhundert, im Umfeld der Arbeiterbewegung die ersten Konsumgenossenschaften gegründet, die ihren Mitgliedern günstige Einkaufsmöglichkeiten und bessere Versorgung zu ermöglichen suchten, indem sie den Handel selbst in die Hand nahmen. Auch hier lag der Gedanke zugrunde, durch gemeinsames Auftreten am Markt den eigenen Interessen stärkeres Gewicht zu verschaffen (Novy/ Prinz 1985)
Aber erst die Umweltbewegung seit den 1970er Jahren brachte dann mit den Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften einen neuen Typus hervor, in dem erstmals ökologisch wirtschaftende Landwirte und umweltbewußte Verbraucher ihre gemeinsamen Interessen zu organisieren suchten (Selbstversorgungs-Cooperative Bremen 1987). Auf einem bundesweiten Treffen 1987 formulierten die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften in der „Altenkirche-ner Erklärung“ die Grundprinzipien und -gedanken ihrer Arbeit. Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften sind inzwischen bundesweit mit ihrer Betonung der regionalen Vermarktung und der gemeinschaftlichen Organisation zu einer wichtigen Alternative neben den Bioläden geworden.
Literatur:
Brink, Antje (1986): Die Wendland-Kooperative Der Aufbau einer Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft als Beispiel zu einer eigenständigen und ökologisch orientierten Regionalentwicklung. Diss. – Hannover Monzel, Rudolf (1986): Buttervereine und Dampfmolkereien. Der Absatz wird organisiert, in: Arbeitskreis Eifeler Museen (Hrsg.): Dünnbeinig und mit krummem Hörn. Die Geschichte der Eifeler Kuh oder der lange Weg zum Butterberg, S. 248ff. – Meckenheim Novy, Klaus/Prinz. Michael (1985): Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Wirtschaftliche Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945- – Berlin/Bonn.
Selbstversorgungs-Cooperative Bremen (1987): Das harte Brot der ersten 10 Jahre. Entwicklungen und Strukturen neuer – kleiner – Lebensmittelgenossenschaften am Beispiel der Selbstversorgungs-Cooperative Bremen – BremenContent-Disposition: form-data; name=“hjb1994.38.htm“; filename=““ Content-Type: application/octet-stream