Aus der Geschichte des Brohltales
Referat gehalten bei der festlichen Einweihung des Brohltalweges am 20. Mai 1979 im Festzelt in Niederzissen
Dr. Leo Porz
Zur Definition des Begriffes Brohltal: Das Brohltal ist ein Einschnitt im Laacher Vulkangebiet, hervorgerufen von einem Bachlauf — der Brohl — (im Volksmund: die Brohl) der in der Heuling, also unterhalb Hannebach bzw. Wollscheid seine Quelle hat, seinen Lauf allgemein nördlich nimmt und in Brohl in den Rhein sich ergießt.
Zur Geschichte des Tales beginne ich bei jenem rätselhaften Volk, welches mit Sicherheit auch hier im Brohltal zu Hause war und von dessen Existenz wir hier im Brohltal allenthalben greifbare Beweise gefunden haben und noch finden. Ich beginne mit dem Volk der Kelten, das uns im letzten Jahrtausend v. Chr. hier begegnet.
Verängstigt, verschüchtert und vielfach in seiner Existenz bedroht durch Jahrtausende hindurch feuerspeiende Vulkane, durch heißen Aschenregen und glühende Lavaströme, zurückgezogen in Waldschluchten, Erdhöhlen und tiefste, dunkle Wälder, begann es sich nach Erlöschen der letzten Vulkane zu erholen und zu erstarken. Aus Kleinfamilien und Kleinsippen wurden Großfamilien und Großsippen. Sie lebten von Primitivackerbau, Weidewirtschaft, Jagd und Fischfang. Wir finden die Spuren dieser keltischen Vorfahren allenthalben im Brohltal. Sei es in Form von Flucht-und Schutzwällen, wie wir sie beiderseits von der Brohltalmündung bei Brohl auf den Rheinhöhen dargestellt sehen, sei es in Form von Gräberfeldern, wie sie bei Niederzissen auf Steinacker und in der Scheid, oder in Weibern in der Konn oder in Morswiesen gefunden wurden. Auch der Name Zissen soll nach einer Version der Namensdeutung keltischen Ursprungs sein. Kurz und gut: Nachdem die ständige Bedrohung durch die vulkanischen Urgewalten beseitigt schien, nachdem man durch Zusammenschluß gewaltiger Sippenverbände seine eigene Stärke erkannte, machte sich dieses Volk aus bis heute unerklärlichen Gründen auf den Weg, sprengte seine Grenzen und wurde in der 2. Hälfte d. letzten Jahrtausend v. Chr. zum Schrecken der Völker im Norden, Süden und Südosten.
Aufgrund Ihres barbarischen Aussehens, ihrer Wildheit und Unerschrockenheit im Kampf blieben sie in vielen Schlachten Sieger. Sie kamen bis Rom, dem damals stärksten Stadtstaat und wurden zur tödlichen Bedrohung für denselben.
Rom beschloß, sie in ihren Stammländern anzugreifen und zu unterwerfen. So kamen die Römer mit ihren bestausgerüsteten Legionen, die in vielen Kämpfen und auf vielen Kriegsschauplätzen sieggewohnt waren, mit erfahrenen Feldherrn nach Gallien und hier in unsere Heimat.
Namen wie Brennus, Ariovist, Ambiorix, Asterix und Vercingetorix sind uns als keltische Feldherrn aus der Literatur bekannt. Sie kämpften tapfer und mutig, aber der Strategie und der Kriegsmaschinerie der Römer mußten sie letztlich unterliegen. Wer von Ihnen nicht im Kampfe fiel oder gefangen genommen wurde, kam durch Verrat aus den eigenen Reihen ums Leben.
Nach Unterwerfung und Befriedung des eroberten Landes — unser Brohltal mit einbegriffen —, nach Befestigung und Sicherung der besetzten neuen Provinzen, Errichtung des römischen Grenzwalls (limes romanus) auf der rechten Rheinseite, wo er unmittelbar gegenüber der Brohlmündung fast bis an den Rhein reichte, den Rheinstrom als natürliche Grenze vor sich, wurde unsere Heimat zur römischen Etappe.
Die Bevölkerung, soweit sie sich den römischen Besetzern gegenüber loyal verhielt, wurde integriert und nahm an dem friedlichen und kulturellen Aufschwung teil. Man kann diese Zeit für unsere Heimat mit bestem Gewissen eine friedliche nennen. Hier wurden die im Kampf mit kriegerischen Germanenstämmen im anderen Germanien — also jenseits des Rheines — angeschlagenen Kohorten und Legionen wieder aufgefrischt. Hier wurden Nachschublager und Nachschubkastelle errichtet. Durch dieses befriedete Gebiet verliefen Nachschubstraßen zu den Hauptstützpunkten der römischen Verwaltung.
Die zur Sicherung dieser Ruhe- und Nachschubeinrichtungen angelegten Lager und Vorposten gaben auch den Ureinwohnern des Brohltals Sicherheit und Frieden.
Die Römer bedienten sich der zahlreichen Bodenschätze unserer vulkanischen Heimat, wie sie auch heute noch Verwendung finden. Die in der Etappe ruhenden Legionäre wurden zu Arbeiten im Trass-, Tuff- und Basaltabbau eingesetzt und waren so die Vorläufer unserer heutigen Bimsarker. Die so gewonnenen Naturschätze — Steine und Erden vulkanischen Ursprungs — wurden auf einer von Kaiser Augustus eigens erbauten Rheinflotte an die Brennpunkte der Provinzen verschifft. Sie fanden Verwendung beim Bau von Befestigungsanlagen (Kastellen, Grenzwall) Wasserleitungen (Aquaeducte) profanen und sakralen Bauwerken, deren Reste noch vielerorts vorgefunden wurden. Auch benutzten sie den Traß zur Herstellung von Töpferwaren in eigens dazu eingerichteten Töpfereien. In die dort hergestellten Amphoren und Krüge füllten sie das von ihnen ebenfalls sehr geschätzte vulkanische Mineralwasser ab, welches an vielen Stellen unseres Brohltals aus vielen hundert Metern Tiefe aus der Erde sprudelt. Viele Scherbenfunde, Münzfunde, besonders am Heilbrunnen, und Votivsteine mit Inschriften geben Zeugnis von der 2000jährigen Geschichte dieses Tales.
Ein weiteres Zeichen friedlichen Lebens mit den römischen Besetzern ist der Anbau der Reben. Dieser römische „Einfuhrartikel“ sollte auch in der nachrömischen Zeit in unserer Heimat noch eine große Rolle spielen.
Leider ging auch diese Zeit friedlichen Zusammenlebens mit den Römern bald vorbei. Kriegerische Stämme jenseits des Rheins — voran die Eburonen und die Cherusker unter Arminius — brachten den römischen Heeren vernichtende Niederlagen bei.
Schließlich versank das Land wieder nach dem endgültigen Abzug der Römer in die vorrömische Nacht und das keltische Dunkel.
Im 5. Jahrhundert n. Chr. traten die Franken dann das römische Erbe unter Childerich und Chlodewich an. Auch diese Frankenzeit ist durch Gräberfunde — Waffen, Skelette. Pferdegeschirr etc. — die in unserem Brohltal gemacht wurden, belegt.
Es begann die Zeit der Gefolgsmänner und der treuen Vasallen. Es folgte die Zeit der rigorosen Aushebungen, der Eintreibungen, der Konstributionen und der Frondienste. Männer, die sich im Kampf für ihre Anführer besonders hervorgetan, wurden mit Land belehnt und bauten Burgen und Herrensitze, von welchem aus dann die an sich schon arme Bevölkerung unterdrückt und geschunden wurde. Aus diesen Zeiten sind uns auch hier im Tal zahlreiche Zeugnisse bekannt und erhalten, die bis ins späte Mittelalter hineinreichen.
Beginnen wir im oberen Teil unseres Tales und des neuen Wanderweges:
Kempenich unter der Herrschaft der Grafen von Kempenich, wird erstmals um 900 n. Chr. urkundlich benannt. Auf dem Berg zwischen Kempenich und Weibern, dem Burgberg, die Burg gelegen. Typische Hangburg. Zum Tal hin auf steilem Felsvorsprung gebaut, nach Norden mit Wall und Graben. Heutige Burg jüngeren Datums steht auf alten Fundamenten. Um 1180 n. Chr. predigte der große Mönch und Erneuerer Bernhard von Clairveaux den Grafen von Kempenich, die als besonders grausam und hart galten, und der Bevölkerung zur Buße und zum Kreuzzug. Die harte Fron und das unwirtschaftliche Klima veranlaßte Bernhard zu dem Ausspruch: „Kein Kind Adams lebt hier ohne große Mühe, keines ohne Leid‘. — Im 14. Jahrhundert blutige, grausame Fehde zwischen den Rotärmeln und Weißärmeln. — Um 1175 n. Chr. war Kempenich bereits Kölner Lehen. —
Folgen wir dem neuen Wanderweg in Richtung auf Engeln, so imponiert uns bei Durchtritt durch den Engeler Kopf (563 m) der Blick auf Burg Olbrück mit Hain. Auf einem isolierten, herausragenden Bergkegel gelegen, ist sie in ihrer beherrschenden Lage das Wahrzeichen des Brohltals. Eine wahrlich imposante Burgruine. Im Jahre 1100 n.Chr. von den Grafen zu Wied erbaut, war sie bereits ab 1190 Kölner Lehen. Sie wurde wiederholt umgebaut zur Ganerbenburg, d. h. zu einer Burg, die mehreren Erben eines Geschlechtes gleichzeitig als Wohnburg diente, bei gemeinsamer Benutzung des Burgtores, der Burgkapelle und des Rittersaales. Sie wurde im 17. Jahrhundert von den Franzosen zerstört und nicht wieder aufgebaut.
Steigen wir vom Bergkegel der Olbrück hinab ins Tal, führt uns der Wanderweg nach Nieder-zissen. Wir sprachen schon davon, daß Nieder-zissen genau wie Weibern und Morswiesen keltischen Ursprungs ist, und urkundlich bis ins 8. Jahrh. n. Chr. zurückreicht. Wie bereits erwähnt, ist der Name Zissen einer Deutungsversion zur Folge keltischen Ursprungs. Da Zissen unter Botmäßigkeit der Herren von Olbrück stand — Grafen zur Wied — trat ein großer Teil der Bevölkerung früh dem Glauben Luthers bei. — Der Hausberg von Zissen, der Bausenberg, ist einer der besterhaltenen Krater vulkanischen Ursprungs in Deutschland.
Durch eine große Flutkatastrophe im Jahre 1859 wurde Zissen fast völlig zerstört. Weiter talabwärts des Brohlbaches liegt rechts auf dem Hang die Ruine der alten Benediktiner-Probstei Buchholz der Gladbacher Benediktiner St. Vitus. Nur noch Reste in Form eines aufragenden Barockgiebels sind vorhanden, leider weiterem Verfall preisgegeben. In der Nähe im Hang des Gleesbachtales ein alter Weinbergtempel aus dem 17. Jahrh. mit einer Inschrift über dessen Erneuerung durch den Abt Ambrosius. Der Tempel wurde von der Ortsgruppe Brohltal aus eigenen Mitteln restauriert und wird von dieser auch weiter unterhalten.
Bevor der Brohlbach nun in seine Engstrecke einfließt, liegt in einer Ausbuchtung des Tales Burgbrohl. Die Burg, auf kühnem Felsvorsprung im 12. Jahrh. erstmalig mit den Herren de Brule genannt. Seit 1338 Lehen der Jüli-cher Herzöge, ein Jahrhundert später übergehend auf die Herren von Braunsberg. Von der ursprünglich mittelalterlichen Anlage nur noch Reste. Umbau im 18. Jahrh. zum Wohnschloß.
Unterhalb Burgbrohls starke Einengung des Tales. Rechts und links vom Bachlauf steil aufragende Traßwände mit den Zeichen der Jahrtausende alten Ausbeute. — Gleich unterhalb der Engstelle der Abzweig nach Maria Laach, der fast 1000jährigen Benediktinerabtei am Laacher See. — Unmittelbar oberhalb der Abzweigung aus dem Brohltal der Kurfürstenhof, bekannt und berühmt durch den Kurfürsten Clemens August von Köln, welcher hier eine Absteige hatte, sozusagen eine ,,Zweitwohnung“.
Der Brohlbach eilt nun unter steilen Traßwän-den parallel dem Schienenstrang der Brohltal-Eisenbahn der Schweppenburg entgegen. Die Schweppenburg. als alte Wehrburg an einer Engstelle des Tales angelegt, ist urkundlich erstmalig erwähnt um 1160 in Verbindung mit einem Schöffen Arnold von Schweppenburg aus Andernach.
Bertram von Metternich baute sie im Jahre 1639 zu einer Wohnung (Wohnburg) um, was danach beispielhaft wurde für den Umbau von noch erhaltenen alten Burgen zu komfortableren Wohnschlössern (Kempenich, Burg-brohl und auch Brohl). Mauerreste der alten Burg noch im Verließ erhalten. — Am Fuß der Burg eine alte Mühle (Traß-, öl- und Getreidemühle), 1268 erstmals erwähnt. Als Getreidemühle heute noch im Betrieb, seit 1813 durch Familie Mosen. Burg und Mühle im Besitz der Geyer v. Schweppenburg.
Gegenüber der Schweppenburg, am Auslauf des Pöntertales gelegen, der Heilbrunnen Tönnisstein, seit 2000 Jahren in Betrieb. Erwiesen durch die oben bereits erwähnten Münz- und Scherbenfunde.
In der folgenden Erweiterung des Tales betreibt der Brohlbach seit Jahrhunderten zahlreiche Traßmühlen. Die letzten waren noch bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts in Betrieb.
Der Brohlbach strebt in einer erneuten Einengung seiner Mündung zu. In einem breiten Auslauf — historisch eine Sumpfniederung — ergießt er sich in den Rhein. Beidseitig des Mündungsteils des Brohlbachs liegt Brohl — keltisch Bruie — als keltische Siedlung erwiesen durch die Aufdeckung gut erhaltener Flucht- und Schutzwälle auf den Anhöhen.
Reste einer alten Burg über der Siedlung. Nur noch spärliche ursprüngliche Überbleibsel. Im 19. Jahrhundert stillos zu einem Schloß durch die Grafen von Metternich umgebaut. Gräberfunde mit Waffen u. ä. weisen Brohl auch als fränkische Siedlung aus. Am Fuße der Burg unter noch bewohnten Häusern umfängliche Gewölbekeller, die auf den früheren Weinbau im Brohltal hindeuten, wie ja überhaupt in Urkunden, Lehensbriefen und Schenkungen im ganzen Brohltal bis hinauf zur Olbrück immer wieder die Weingärten, die Wingerte u. Weinäcker eine Rolle spielten und die Abgaben an Wein mit Eimern und Hufen angegeben sind. Auch hier unten im Tal, an den Mühlen und auch in Brohl selbst, hat die Flutkatastrophe von 1859 beträchtlichen Schaden angerichtet.
Vom Ausgang des Mittelalters bis hinein in die Neuzeit wurde unser vulkanisches Tal wiederholt durch fremde Kriegsheere verwüstet und schwer heimgesucht. Nach den Schweden und anderen Söldnerheeren aus dem 30jährigen Krieg kamen die Eroberungskrieger unter Ludwig XIV. und ein Jahrhundert später die französischen Revolutionsheere und die napoleonischen.
Relativ friedvoll lebte unser Tal unter den Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier, den Herzögen von Jülich und anderen. Diese schafften die Fron alten Stils ab, wiesen die Raubritter in ihre Schranken, sicherten Wege, Gehöfte und Ackerland. Handel und Wandel begann wieder zu blühen, die Steinindustrie wurde in größerem Umfang da wieder aufgenommen, wo sie mit den Römern aufgehört hatte. Vierzehn Traßmühlen im unteren Brohltal sorgten für den geschätzten Exportartikel und Vulkanisches Gestein jeglicher Art. Das Tal hallte wider von hartem Hufschlag der Traß- und Steinschürger, welche vier- und sechsspännig ihre schwere Lasten aus dem oberen Brohltal nach Brohl zur Bearbeitung und Verschiffung brachten.
Schließlich sorgte auch eine Eisenbahn für die Erschließung des Tales von Kempenich bis Brohl — ein Segen von unschätzbarem Wert für dieses unerschlossene Gebiet. In die Geräusche all der Betriebsamkeit mischte sich nun auch der schrille Pfiff und das Fauchen des „feurigen Ellas“, wenn er schwerbeladen mit Versorgungsgütern talaufwärts oder beladen mit Phonolithgestein, Tuff, Traß oder Basalt talabwärts eilte.
Dies ist ein Kleinportrait eines Tales im Laacher Vulkangebiet auf historischem Hintergrund. Es ist das Portrait eines Tales, welches von seinen Bewohnern geliebt und verehrt und von seinen Besuchern stets bewundert wird. Es ist das Portrait unseres Brohltals in der Eifel, das auf Grund seiner geologischen Vielfältigkeit und Vielgestaltigkeit und nicht zuletzt wegen seiner herben Schönheit mit zu den interessantesten Landstrichen unseres Heimatlandes gezählt werden darf.