Aus der Geschichte der Juden im ehemaligen Ländchen Breisig
Carl Bertram Hommen
Alte Friedhöfe, oft am Rande von Ortschaften in der Stille eines Waldes gelegen, künden mit ihren Grabmalen landauf und landab noch heute von den jüdischen Familien, die einst uns und unseren Vorfahren an Rhein und Ahr, im Vinxtbachtal und im Brohltal sowie auf der Grafschaft Nachbarn waren: In Remagen, Sinzig und Königsfeld, in Breisig und Niederzissen, in Ahrweiler und Neuenahr, in Dernau und Gelsdorf. Wer in unseren Tagen diese Stätten der Toten besucht, kann sich – vor allem sofern er die dreißiger Jahre bewußt miterlebt hat -einer inneren Beklemmung nicht entziehen. Denn diese Steine künden von Menschen, deren Nachfahren zum größten Teil nicht mehr leben – ermordet durch das NS-Regime, weil sie Juden waren. Überwiegend stammen diese Friedhöfe aus dem 19. Jahrhundert. Deshalb zeigen uns viele Grabmale in ihren Inschriften – lesbar auch für den Nichtjuden – den Zeitpunkt an, an dem sie hier für einen Toten gesetzt wurden. Denn seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts tragen sie außer in Hebräisch meist auch Angaben in deutscher Sprache. Andere jüdische Friedhöfe, wie etwa die Grabsteine vom früheren Waldfriedhof im Burgabhang von Rheineck, lassen uns erst in der Übersetzung und Deutung ihrer Inschriften erkennen, wann Juden in unserer Heimat ihren Toten diese Male der Erinnerung setzten. Die Rheinecker Steine stehen, seit 1979 ein neuer Schloßbesitzer einen »Sicherungszaun« mitten durch diesen Waldfriedhof zog, auf dem Breisiger jüdischen Friedhof am Kesselberg nördlich der Stadt. Hierhin versetzte die Jüdische Kultusgemeinde Koblenz die Grabmale, um wenigstens die Steine als Zeugen einer langen Geschichte jüdischen Lebens am Mittelrhein auch für die fernere Nachwelt zu erhalten. Denn sie ist in ihnen über vier Jahrhunderte hinweg dokumentiert. Der älteste Rheinecker Grabstein trägt immerhin die Jahreszahl 1621.
Juden lebten am Mittelrhein, seit sie mit den römischen Legionen den Weg nach Germanien hatten nehmen müssen, vielfach bedrückt, ihres Lebens selten sicher und meist in Gettos verwiesen, bis sie um das Jahr 1800 Bürger in den linksrheinischen deutschen Landen wurden. Sie konnten endlich das Getto verlassen und viele Berufe ergreifen, die ihnen vordem verwehrt waren, auch wenn noch für Jahrzehnte eine Vielzahl von Einschränkungen blieben. Mitte des vergangenen Jahrhunderts gab es im Kreis Ahrweiler über 500 Juden. Um 1900 waren es etwa 450, von denen je 80 in Ahrweiler und Niederzissen, je 50 in Sinzig, Remagen und Neuenahr, je 30 in Burgbrohl/Weiler und in Königsfeld sowie 20 in Niederbreisig/Brohl wohnten. Schon 1925 war ihre Zahl im Kreisgebiet auf 380, im Jahre 1936 auf 280 weiter zurückgegangen. Nach der seit 1933 wachsenden Flucht vor dem NS-Regime und der Auswanderung nach Übersee, vor allem nach USA, Bolivien und Australien, konnten im Krieg mit dem Beginn der systematischen Vernichtung nur wenige der insgesamt 15 000 Juden, die vor 1939 noch in den vierzig jüdischen Kultusgemeinden des heutigen Landes Rheinland-Pfalz lebten, ihr Leben retten. Die nach Kriegsende wiederbegründeten fünf zentralen Kultusgemeinden in Koblenz, Trier, Mainz, Neustadt und Kaiserslautern zählen heute insgesamt nicht mehr als 700 Mitglieder. Nur 100 von ihnen gehören zur Kultusgemeinde Koblenz, die den gesamten Regierungsbezirk umfaßt. Mit ihren 120 Mitgliedern war die Judenschaft 1935/36 allein im Breisiger und Zissener Ländchen bereits größer. Dabei stellte sie ein Viertel der insgesamt im Kreis Ahrweiler lebenden Juden. Heute bekennen sich in den Melderegistern der Städte und Verbandsgemeinden nur noch 14 Einwohner des Kreisgebietes zur israelitischen Religionsgemeinschaft. Alle übrigen aus der Vorkriegsgeneration hat der »Holocaust« verschlungen.
Im Rheinecker »Judenhaus« am Vinxtbach
Mindest seit dem Ausgang des Mittelalters haben in dem zum Stift Essen gehörenden damaligen »Ländchen Breisig« und in der von ihm umschlossenen Burgherrschaft Rheineck jüdische Familien gelebt, wie überlieferte Dokumente noch heute belegen. So findet sich in einer »Nota« der Rheinecker Güter mit Datum »Brule 19. Martij 1555« unter den aufgeführten Posten auch die Bezeichnung »Judengeldt«. Die sichtbarste zeitliche Markierung aber setzen die überlieferten Leichensteine der Juden. Der älteste der bis heute erhaltenen 27 Grabmale aus dem ehemaligen jüdischen Friedhof im Abhang von Schloß Rheineck stammt aus dem Jahre 1621. Was den Ort Breisig selbst betrifft, so waren die hier ansässigen Juden stets in engem Kontakt zu den ein oder zwei in einem besonderen Rheinecker »Judenhaus« südlich des Vinxtbaches ansässigen jüdischen Familien. Dies wurde von den Breisiger Juden noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als es in Rheineck seit der napoleonischen Zeit nicht mehr dieses Getto gab, an Hand von Protokollen belegt, die sie damals in ihrem Achiv aufbewahrten.
Ais dann am 26. Juli 1853 Verhandlungen über die Bildung einer eigenen Breisiger Synagogengemeinde geführt wurden – in den Jahrzehnten zuvor gehörten die Juden des Orts seit Beginn der preußischen Zeit zur Kultusgemeinde Sinzig -, verwiesen die eingesessenen jüdischen Vertreter nicht nur darauf, daß ihre »Betstube schon seit hundert Jahren im Wolff’schen Hause dahier« bestehe. Sie sei auch stets Synagoge genannt worden, betonten sie mit Nachdruck. Sie existiere »fast 300 Jahre in loco Breisig, wie dies aus einer alten, in hiesiger Synagoge aufbewahrt werdenden Urkunde erhellt, was überdem noch ein Grabstein auf unserem Kirchhofe in Rheineck besagt«. Daneben geben Geleitbriefe, Steuerregister, Verhörprotokolle und »Brüchten«-Verzeichnisse auch hierüber Auskünfte. Sie reichen teilweise bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts – in eine Zeit, in der die Herren von Rheineck und von Schweppenburg in den Büchern jüdischer Geldverleiher als Schuldner stehen, so etwa die Rheinecker Burggrafen Johann im Jahre 1362 und Heinrich 1411, die hierfür einen Teil ihrer Güter verpfändeten. Einen besonders deutlichen Hinweis auf Juden im »Breisiger Ländchen« erhält man aus einem »Register der Türckensteuer zu Breysach Anno 1542«. Damals wurde außer den insgesamt 203 Personen aus Ober- und Niederbreisig, aus Brohl und Gönnersdorf sowie aus den beiden Lützingen auch ein Jude Rüben Symon aus Oberbreisig mit einem Florin veranschlagt. 1590 verzeichnet ein Brüchten-Verzeichnis, ein Protokollbuch über Anzeigen und Strafen vor der örtlichen Gerichtsbarkeit des Ländchens, eine Auseinandersetzung zwischen dem Juden Meier und dem ebenfalls jüdischen Händler Jochanaan. 1591 wird der Jude Abraham als Kläger gegen den Breisiger Einwohner Peter Brach genannt.
Als Burgverwalter der österreichischen Grafen von Sinzendorff stellte der Breisiger Schultheiß M. H. Meurers dem Juden Elias Marx 1736 einen auf zwölf Jahre befristeten Geleitbrief aus für ihn, seine Frau Rösgen samt Kinder und Brotgenossen. Elias Marx unterschrieb links unten in hebräsischer Schrift
Im sicheren Schutz der Burg
Die Grafen von Warsberg, die von 1539 bis 1654 Herren auf Rheineckwaren, wehrten sich um 1580 gegen die von den Trierer Erzbischöfen verfügte Ausweisung von Juden aus ihrem Erzstift, zu dem die Rheinecker Grafschaft kirchlich gehörte. In Rheineck hatten die neuen Besitzer mit der Burg auch den Schutz von Juden übernommen, die – vermutlich schon im 14. oder 15. Jahrhundert – dort untergebracht worden waren, als die Kölner Erzbischöfe als Lehnsherren der kleinen Grafschaft bei der allgemeinen Ausweisung der Juden aus der Stadt Köln jüdische Familien hierhin »aufs Land« abschoben. Denn die winzige Herrschaft am Vinxtbach inmitten des Außenbesitzes der Essener Ärbtissinnen und umschlossen von Kölner Gebiet, das bis Andernach reichte, konnte zu Recht als ein gutes Versteck bezeichnet werden.
Immerhin 7 000 Dukaten war dem österreichischen Grafen von Sinzendorff die kleine Grafschaft am Mittelrhein wert, als er sie 1654 von den Warsburgern erwarb; denn sie erhielten damit einen Sitz im Reichstag. Als Rheinecker Graf war er auch im westfälischen Grafenkollegium vertreten und erwarb Sitz und Stimme im kölnischen Landtag, da die Kölner Kurfürsten sich bis zuletzt als Lehnsherren von Rheineck betrachteten. Seither finden sich in Veranlagungslisten für die meist zwölf Untertanen-Familien in Tal-Rheineck stets auch Juden, so etwa um 1680 ein »Isag Judt«, der mit den sieben Rheinecker Hausbesitzern mit einem Gulden und zwölf Albus zur Steuer herangezogen wird. 1722 liest man in einer Aktennotiz des Notars Kessell, daß der damalige «vergleitete« Jude – er besaß einen »Geleitbrief« des Rheinecker Grafen – in einem »herrschaftlichen Haus« wohne und als jährlichen Tribut zwei Goldgulden zahlen müsse. Juden wurden im allgemeinen höher besteuert als die übrigen Einwohner. So mußten zwei Rheinecker Juden im Jahre 1705 vier bzw. acht Gulden und elf Batzen bei einer Umlage zahlen; das war doppelt so viel, als den einzelnen Einwohnern von Brohl, Breisig und Rheineck mit insgesamt 436 Gulden auferlegt worden war, und das obwohl sie selbst keinen Grundbesitz hatten. Man handelte hier wie im Herzogtum Jülich, in dem die jüdischen Gewerbetreibenden aufgrund einer sogenannten »blinden Morgenzahl« einfach auf drei Morgen Ak-kerland »gesetzt« wurden und dadurch zu Steuern herangezogen werden konnten.
Breisig als Postplatz
Breisig, der Außenbesitz des Stiftes Essen seit Ende des ersten Jahrtausends, hatte im Ausgang des Mittelalters eine gewisse internationale Verkehrsbedeutung erlangt: Mit Errichtung der ersten deutschen Reichspost im Jahre 1490 wurde es die erste Relaisstation am Mittelrhein für die Reitende Post zwischen Brüssel, der Hauptstadt der burgundischen Niederlande, und der Kaiserresidenz Wien. Breisig war die siebente von vierzig Stationen der Post, die ab Mecheln Wien in gut neun Tagen erreichte.
Der früheste Zeitpunkt, zu dem Juden in Breisig in heute noch vorhandenen Urkunden nachzuweisen sind, ist das Jahr 1542. Damals wurde ein Rüben Symon aus Oberbreisig mit einem Florin zur Türkensteuer veranlagt. Zwischen den Juden, die in Breisig und Rheineck wohnten, gab es keine undurchlässige Grenze. Schon die Tatsache, daß die jüdischen Einwohner von Breisig ihre Toten nicht auf einem eigenen Friedhof, sondern trotz energischer Forderungen der Äbtissinnen bei den Rheineckern im Burgberg beisetzten, zeigt, wie sehr politische Grenzen von der gemeinsamen Religion und angesichts der alle Juden gleicherweise bedrückenden Isolation gegenüber der übrigen Bevölkerung überbrückt werden konnten.
Die Geleitbriefe für Juden
Zeugnisse hierfür sind die erhalten gebliebenen Geleitbriefe – je fünf für Rheineck und das Breisiger Ländchen. 1659 stellte das Stift Essen in einer »Remonstration« über die Essener Regalien in Breisig ausdrücklich fest, daß »einer zeitlichen Fraw Äbtissin und dero Fürstl. Stift Essen jederzeit ohnzweifelntlich zugestanden sei und noch zustehe. . ., alle inkommende leuth, auch Juden und Lombardier zu beglaiten«. Das kaiserliche Regal der Geleitbriefe beziehe sich auf »Christen und auch Juden, so in dem Ländlein Breysich wohnhaft«. Essen berief sich dafür auf ein Weistum aus dem Jahre 1367 und ein darin in ähnlicher Form ausgesprochenes »Laudum«. Der Übergang zwischen einer Wohnerlaubnis in Breisig und in Rheineck war vielfach fließend. Das wurde nicht zuletzt dadurch erleichtert, daß die Spitze der beiderseitigen Verwaltungen personell zeitweise identisch war. Die Familie Meurers, zunächst in Oberbreisig seßhaft, bis sie sich 1670 in Niederbreisig ein prächtiges Haus erbaute, war seit 1588 essendischer Schultheiß im Breisiger Ländchen und viele Jahrzehnte gleichzeitig Burgverwalter in Rheineck für die Warsburger Herren und schließlich für die Grafen von Sinzendorf, die im fernen Österreich lebten und ihren rheinischen Besitz nie besuchten. Die Geleitpatente tragen deshalb in vielen Jahren für beide Gebietsbereiche die Unterschrift der Meurer. Es war sicherlich kein ungewöhnlicher Vorgang, daß der Jude Jos Seligmann 1739 für Rheineck »vergleitet« wurde, nachdem er bisher in Breisig wohnte und einen Essener Geleitbrief für seinen Handel besaß. Aber vielleicht zog ihn das Rheinecker »Judenhaus« als sichere Wohnung an.
In Ruhe wohnen lassen…
Das kaiserliche Regal, Juden »halten« zu dürfen, wurde wie anderenorts auch von den Äbtissinnen des Stiftes genau so betrachtet wie das andere Recht, den »Consens« für ein Bergwerk oder eine Fabrik zu erteilen und dafür Konzessionsgebühren zu erheben: Regalien waren Steuerpfründe. So verfügte Äbtissin Francisca Christina 1742 aus Thorn, ihrer Nebenresidenz an der Maas, von dem »ohnlängst verheyratheten Juden Jacob eine besondere Tribut nach seinem Vermögen anzusetzen« und wenig später, diesmal aus Essen, von den drei Juden Wolff Israel, Natan Abraham und Hirsch Jacob für einen neuen Schutzbrief 200 Florin zuzüglich 30 Florin Kanzleigebühren zu erheben. Den vierten Juden in Breisig, Mörtgen Bock, aber solle man gegen jährlichen Tribut, aber ohne Geleitpatent dort in Ruhe wohnen lassen.
Abgesehen von diesen Steuerschrauben lebten die Juden in der Tat offensichtlich weitgehend in Ruhe vor unnötigen Bedrängnissen. In Essen hielt man sich meist an Bestimmungen der »Formula Judenglaidts«, die Äbtissin Francisca Christina 1727 als Schema festgelegt hatte. Darin war, was den Status der Juden vor den Gerichten und in Bezug auf die Ausübung ihrer Religion betraf, bestimmt worden, den Juden solle, wenn sie »mit unseren Untertha-nen oder anderen Mißverständis bekommen würden, an unseren Gerichten gleichmäßig Recht wie anderen Unterthanen widerfahren. . . Was die jährlichen Ceremonien und deren Übung bey der Beschneidung, Kindesbier, Hochzeiten, Gästereyen und eigenen Schulen betrifft, wollen Wir ihnen auch solches hiemit (jedoch daß sie sich eingezogen halten und deren Christen kein Ärgernis geben) erlaubet haben«.
Als die Essener Äbtissin und der jülich’sche Pfalzgraf Carl Theodor zwanzig Jahre später, am 11. August 1747, ihre langjährigen Differenzen über einige strittige Rechte in Breisig beilegten – Jülich war Schutzmacht über das Ländchen -, hatten auch die Juden davon zunächst einen gewissen Nutzen: Ihre in Breisig ausgestellten Geleitbriefe konnten sie leichter durch Patente für das Jülicher Herrschaftsgebiet ergänzen, so daß ihr Handel nicht mehr auf den kleinen Bereich des Ländchens beschränkt blieb. Aber die Stimmung schlug schnell wieder um. Die Juden merkten sehr bald, daß sie nicht Untertanen, sondern nur geduldete »Fremde« waren. Denn die Äbtissin setzte nach ihrer Übereinkunft mit Jülich den Zinssatz für Geldgeschäfte auf sechs Prozent herab, was sich eindeutig gegen die jüdischen Geldverleiher richtete, die andererseits auch Finanziers der großen Herren waren. Die letzte Äbtissin Maria Cunegunda schließlich versuchte sogar, jede weitere Ansiedlung jüdischer Familien in ihrem Fürstentum zu verhindern.
Vom Fremden zum Bürger
Für die jüdische Bevölkerung des Breisiger Ländchens bedeutete die Besetzung der linken Rheinlande durch die Franzosen im Oktober 1794 der Anbruch einer neuen Zeit. Im Jahre 1801, als diese Gebiete nach dem Frieden von Luneville ein Teil Frankreichs geworden waren, erhielten auch die rheinischen Juden die volle Gleichberechtigung mit der übrigen Bevölkerung. Bisher Fremde in ihren Wohnorten und Ländern wurden sie jetzt Vollbürger mit allen Rechten und Pflichten. Die Gettos verschwanden ebenso wie die meisten beruflichen Beschränkungen. Die Freude war jedoch nicht von langer Dauer. Denn Napoleon griff von 1806 an mit einer Reihe von Dekreten dirigistisch in das Leben der jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder ein. So wurde wie im französischen Mutterland die Freizügigkeit der Juden auch im Rheinland aufgehoben, ihre Handelstätigkeit an besondere »Patente« geknüpft und diese jeweils nur für ein Jahr genehmigt. Die Gewerbeerlaubnis wurde auch nur an solche Personen vergeben, deren gute Führung und Redlichkeit von den neuen israelitischen Konsistorien des Departements bestätigt wurden.
Die Repräsentanten- Versammlung der Synagogen-Gemeinde Sinzig ermächtigte im August 7877 Simon Berger, den Vorsteher der Breisiger Juden, in einem Vertrag mit Staatsminister von Bethmann-Hollweg, auf den alten Friedhof unter Burg Rheineck zu verzichten gegen dessen Verpflichtung, Gräber und Grabdenkmäler stets zu schonen und den Juden auch künftig den Zutritt ungehindert zu gestatten
Im Wald unterhalb von Burg Rheineck lag der alte Friedhof der in Rheineck und Breisig verstorbenen Juden. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahre 1621
Was zunächst nach einer völligen Befreiung von den Fesseln der alten Gettos aussah, wurde dann für fast weitere vier Jahrzehnte zu einer neuen Behinderung, weil der preußische Staat die napoleonische Juden-Gesetzgebung im Rheinland bestehen ließ. Die März-Revolution von 1848 setzte die Gleichberechtigung zwar im Grundsatz durch; aber erst ein neues preußisches Judengesetz hob 1869 die Einschränkungen wieder auf. Im Breisiger Ländchen betrafen diese Behinderungen wie in vielen ländlichen Bezirken in diesen sechs Jahrzehnten vor allem den sog. Trödelhandel, mit dem – abgesehen vom Metzgerberuf – eine große Zahl jüdischer Einwohner ihren Lebensunterhalt verdiente.
Als aufgrund einer Verfügung von 1847 im Regierungsbezirk Koblenz Synagogenbereiche gebildet wurden, versuchten die Breisiger Juden, eine eigene Synagogen-Gemeinde zu werden. Ein »Bethaus« besaßen sie damals schon lange. Aber dies gelang nicht, weil die Zahl von nur achtzehn großjährigen Gemeindemitgliedern die Bedingungen des jüdischen Religionsgesetzes nicht erfüllte. Und sich der Sin-ziger Synagoge anzuschließen, lehnte man in Breisig ab, auch wenn man mit deren Vorstand bei Verhandlungen zusammenarbeitete und den Behörden gegenüber als eine gemeinsame Synagogen-Gemeinde galt.
Der Rheinecker Judenfriedhof
Als der Bonner Universitätsprofessor M. A. von Bethmann-Hollweg 1832 Burg Rheineck erwarb und durch den bekannten Baumeister Johann Claudius de Lassaulx zu dem heutigen Schloß umbaute, beließ er danach fast ein halbes Jahrhundert lang den alten jüdischen Friedhof, wie ersieh im Laufe der Jahrhunderte im Burgabhang ausgebreitet hatte. Er gestattete auch weiterhin die Beisetzung Verstorbener aus Rheineck und dem Breisiger Ländchen. Erst 1876, kurz vor seinem Tode, nahm er über seinen Verwalter mit dem Vorsteher der Breisiger Judengemeinde Kontakt auf, um sie zu bewegen, künftige Beisetzungen auf einem neu anzulegenden und besser zugänglichen Friedhof vorzunehmen. Er bot hierfür als Geschenk 150 Mark an, um das benötigte Areal zu kaufen. Wenn man darauf aber nicht eingehen könne, konzedierte er, dann solle die bisherige Begräbnisstätte beibehalten werden. Gleichzeitig versicherte er, daß unter allen Umständen niemals etwas an den jüdischen Gräbern vorgenommen werden dürfe und daß den Angehörigen gestattet sein werde, auch künftig alljährlich die Gräber zu besuchen und die für Juden vorgeschriebenen Gebete zu verrichten.
Auf dem Friedhof am Kesselberg nördlich der Stadt Breisig, der 1878 angelegt wurde, stehen heute auch die alten Grabsteine vom früheren Friedhof im Rheinecker Burgberg. Die segnenden Hände auf dem rechten Grabstein deuten auf die priesterliche Abstammung des Toten hin
Fotos: Hommen
Der neue Friedhof wurde 1878 in einem Waldgebiet nördlich von Breisig am Fuß des Kesselbergs angelegt. Hierhin wurden ein Jahrhundert später auch die Grabsteine vom Rheinecker Bergfriedhof umgesetzt, als ein neuer Burgbesitzer einen »Sicherungszaun« mitten durch diese alte Waldlage zog. Zwei Grabsteine stehen heute noch im Burgbereich: der Leichenstein für den Brohler Musikus David Berg, der 1873 als letzter hier beigesetzt worden war, jenseits des Drahtzauns sowie das in zwei Hälften zerbrochene Grabmal für eine Frau Hitzel, eine in Breisig verheiratete Tochter des Vorstehers Michael Ha-Kohen aus Deutz, die nach ihrem Tode 1719 hier beigesetzt wurde.
Die Zahl der jüdischen Einwohner in der Bürgermeisterei Niederbreisig war nach 1800 nur langsam gestiegen: von 48 im Jahre 1809 auf 54 in 1816 und auf 73 im Jahre 1824, die absolut höchste Zahl bis zum Zweiten Weltkrieg. 1861 gab es in Niederbreisig sieben, in Oberbreisig zwei und in Brohl fünf jüdische Familien. In Niederbreisig waren sie aus ihrem Getto in der Jüdgasse ausgezogen und hatten schon lange Wohnungen in verschiedenen Straßen. Ihre Zahl fiel stetig ab und lag 1925 nur noch bei elf Personen. Die letzten vier Juden, die vor oder in den ersten Jahren der NS-Zeit nicht emigriert waren, sind Opfer des Holocaust geworden. Sie wurden nach Osten deportiert und verloren in Arbeits- oder Konzentrationslagern ihr Leben. Die hier 1871 geborene Adelheid Schwarz geb. Wolf fand am 24. Februar 1942 in Theresienstadt den Tod, Leopold Meyer (geb. 1879) sowie seine Schwester Mathilde verheiratete Fultheim (geb. 1879) sind »im Osten verschollen«. Von Brohl wurde der jüdische Metzger Albert Feit (geb. 1884) nach Riga deportiert, wo sich seine Spur verlor, während sein vier Jahre jüngerer Bruder Adolf schon Anfang 1939 in seinem Haus in Oberbreisig den Freitod wählte. An sie alle erinnert in Breisig kein Grabmahl.