Der Julbrand

Altes Brauchtum

Tief, tiefe Verschüttung. Schnee über Schnee.
Die Kälte frißt wie ein Ardennenwolf sich durch die Eifel.
„Schnee-Eifel! Schneifell
Schnee-Eifel! Schneifei!“ krächzen die Rahen.

Mütterchen Eifel sinnt und spricht:
,,So war es schon oft. Aber die Wölfe sind tot.
Rüstet zum Julbrand, Männer!“
Die treten hinaus in dicken Wämsern und Stiefeln.
Blanke Äxte blinken in ihren Holzhauerfäusten.
Waldwärts schreiten sie.
Ihre Schritte sind wandergewohnt und mächtig.
Der Schnee schniffelt zur Seite, als mache er Fürsten den Weg frei,

„Das ist schon lange so“, spricht Mütterchen Eifel und rückt den Sessel an’s Feuer.
Die vielen Kinder, alte und junge, sind um sie geschart.
Und das Feuer spielt auf den Takenplatten und macht sie lebendig,
Da opfert Abraham seinen Sohn, und Gabriel steht vor Maria.
Da ziehen die Heiligen Drei Könige her,
der Gute Hirte sucht sein Lamm.

„So war es immer“, spricht Mütterchen Eifel.
„Der Julbaum muß fallen, sonst fehlt dem Land die rechte Glut!
Das junge Winterfeuer hat geheime Kraft.
Der Herr der Weihnacht segnet es mit seinem Kommen.“
Dann lächelt sie ein seltsam Lächeln und fährt fort:
„Da.« ist schon lange so.
Vor mehr als tausend Jahren zogen meine Söhne in dm Wald:
Den heiligen Buchenbaum zu fällen für das heilige Feuer!“
Nun sitzt sie fast wie eine graue Seherin
und spricht:
„Ich sehe eine neue Zeit:
Der Wintersonne heil’ger Brand erlischt.
Mit Eisenzauber macht die Menschheit Licht und Wärme.
Doch frieren viele hei der neuen Wärme,
und wenig Augen sind es, die bei dem neuen Licht nach wahrhaft sehen . . .!“
Murmelnd versickert ihr Wort.
Sie scheint zu schlafen.

Da kommen die Männer zurück.
Sie sind voll geheimem Jubel.
Was für ein Prachtbaum: die Christbrandbuche:
Der stärkste Ochse des Dorfes zieht sie . .
Die uralte Frau erwacht und ist wie jung.
In ihrem Haus, in Mütterchens Eifel eigenem Haus ist die Brandstatt bereitet.
Da zerflattern die letzten Flammen des letzten
Julbrands wie feurige Schmetterlinge im Rauchfang.
Ihre verglimmende Glut zündet das neue Holz:
Es brennt!
Es duftet!
Im bläulichen Rauch sieht die Alte
Geheimnisse schweben, die sie vor allen verschweigt.

Und sie kommen. Sie kommen. An allen Tagen. Und holen vom Julbrand ihr Feuer.
Und die Früchte des Feldes, die Gaben des Stalles, das kostbare Brot —
All-alles, das kocht, bäckt, gart die Flamme, die Segensflamme der heiligen Zeit.
Der Zeit, da der Herr zur Erde schreitet,
auf Erden als Kind sich Mcnschenleid neigt. . .
,,Vergeßt nicht den Christbrand!“ spricht Mütterchen Eifel.
„Vergeßt nicht den Christbrand, ihr Töchter und Söhne‘.
Und ist er auch draußen dereinstmals erloschen,
hütet im Herzen sein heiliges Feuer!
Sonst wird kein Brot und kein Trunk mehr zum Heil!“

E. K. PLACHNER