Die Besiedlung des Ahrgebietes in geschichtlicher Zeit
VON JAKOB DIEDERICH
Die Spuren der ältesten menschlichen Besiedlung unserer engeren Heimat verlieren sich in grauer Vorzeit. Die Ergebnisse der prähistorischen Forschung sind spärlich und die Kenntnisse und das Wissen über jene weit zurückliegende Epoche in Dunkel gehüllt. Erst wenn wir sicheren historischen Boden betreten, können die nachfolgenden Ausführungen uns ein getreues Bild von der Besiedlung unseres Betrachtungsgebietes vermitteln.
Als das älteste geschichtlich nachweisbare Volk im Ahrgebiet können wohl die Kelten angesehen werden. Etwa im 7. Jahrhundert v. Chr. wandern sie aus dem Raum westlich der Weser in das Gebiet des Rheines und seiner Nebenflüsse ein und kommen auch in die Ahrgegend. Daß einmal Kelten in unserer Heimat ansässig waren, dafür bürgen die Namen von Orten, Bächen und Bergen. Als Orte, die mit Sicherheit als keltische Niederlassungen anzusprechen sind, seien u. a. erwähnt: Remagen, Sinzig, Breisig, Kirchdaun, Gimmigen, Kesseling, Mayschoß, Schuld, Zissen. Auch der Name unseres Heimatflüßchens, Ahr, geht auf eine keltische Sprachwurzel zurück, ebenso die Bezeichnung „Eifel“. Die Kelten waren ein tapferes, kriegslustiges Volk. Sie kämpften meist zu Pferde oder auf Streitwagen und wohnten in Einzelgehöften oder offenen Dörfern. Ringwälle waren in Fehde- und Kriegszeiten ihre Zufluchtsstätten. In Notzeiten suchten sie hier Schutz vor ihren Feinden. Die Fliehburg am „Scheidskopf“ bei Remagen vermag uns heute noch ein eindrucksvolles Bild ihrer Verteidigungstaktik zu vermitteln.
Etwa um das Jahr 300 v. Chr. erstand dem Keltenvolk ein unwiderstehlicher Gegner. Germanische Volksstämme, von Norden und Osten vorstoßend, überschreiten den Mittel- und Niederrhein und erobern in harten Kämpfen das Gebiet der Kelten links des Rheines. Zwei Stämme der germanischen Eindringlinge kommen insbesondere für die Besiedlung des Ahrgebietes in Betracht, die Treverer, die zwischen Nahe und Ahr neue Wohnsitze fanden und die Eburonen, die sich nordwestlich der Ahr bis zur Maas verbreiteten. Ohne Zweifel bewohnten die Eburonen den größten Teil des Ahrgebietes. Es muß jedoch ausdrücklich betont werden, daß die Eroberer das ansässige Stammvolk nicht vernichteten und ausrotteten; Kelten und Germanen vermischten sich vielmehr miteinander, wenn auch die Germanen als Sieger die Herren waren. Als solche keltogermanische Volksstämme erwähnt Caesar in seinem ,,bellum Gallicum“ VI, 32 die Segner und Kondruser, die sich zwischen die Treverer und Eburonen eingeschoben hatten. Jedenfalls erwies sich das bodenständige Keltenvolk als sehr widerstandsfähig, und zur Zeit, da Caesar in Gallien erschien, waren die germanischen Elemente bereits vollständig keltenisiert.
In den Blickpunkt der geschichtlichen Betrachtung für die Besiedlung unserer engeren Heimat tritt nunmehr ein neues Volk, die Römer, die durch die Eroberung Galliens durch Julius Caesar im ersten vorchristlichen Jahrhundert am linken Rheinufer auftreten. In den Jahren 55 bis 53 vor Chr. unterjochte dieser römische Eroberer im linken mittleren Rheingebiet die hier wohnenden kelto-germaiiischen Stämme. Wenig später empören sich im Ahrgebiet die freiheitsliebenden Eburonen gegen die römische Fremdherrschaft und veranlaßten Caesar, zur Niederwerfung des Aufstandes in Eilmärschen heranzuziehen. Das Strafgericht war furchtbar. Was in die Hände der Römer fiel, wurde vernichtet, niemand wurde verschont, der Eburonenstamm hatte aufgehört zu bestehen. 15 Jahre später siedelten die Römer den germanischen Stamm der Ubier in diesem Räume an. Ihre Wohnsitze erstreckten sich nördlich des Vinxtbaches bis in die Gegend von Neuß, somit auch über das untere Ahrtal. Die Römer sicherten das eroberte Gebiet durch starke Besatzungstruppen, die in Kastellen untergebracht waren. In unmittelbarer Nähe wurden Veteranen angesiedelt, die das umliegende Land bebauten. Römische Kastelle waren z. B. Rigomagus (Remagen), Sentiacum (Sinzig), Brissa-cum (Breisig). Den römischen Soldaten folgten aus der Heimat Kolonisten, und es entstanden geschlossene Ansiedluiigen, über deren Verbreitung die Ortsnamen auf „weiler“ Aufschluß geben, wie Ahrweiler, Karweiler, Holrweiler, Barweiler, Antweiler. Der Endung „weiler“ liegt „villare“ zugrunde, abgeleitet vom lat. „villa“, Landhaus, ursprünglich der Wohnsitz eines römischen Großgrundbesitzers, umgeben von den Behausungen der Hörigen und allmählich zu einer geschlossenen Siedlung auswachsend. Es war im allgemeinen eine ruhige Zeit, die Fremdherrschaft der Römer, und wir wissen, wie das bodenständige Volkstum durch die hohe römische Kultur in vielfältiger Weise befruchtet wurde. Was die Dichte der Bevölkerung in unserem Betrachtungsgebiete während der kelto-germanischenrömischen Zeit anbetrifft, so können wir vermuten, daß sie gering war. Diese Ansicht beweist allein schon der Umstand, daß das Ahrgebiet damals ein ausgesprochenes Waldgebiet war, von Caesar „ardenna silva“, Ardennenwald, genannt, der sich vom Rhein bis zur Maas erstreckte. Es war in Wahrheit ein ungeheurer Urwald, von dem Caesar weiter berichtet, daß „er der größte von ganz Gallien ist“, und die Bezeichnung des römischen Schriftstellers Tacitus von den „schrecklichen Wäldern“ mag auch für das Ahrgebiet seine Berechtigung gehabt haben, Die Herrschaft der Römer am Rhein dauerte etwa 400 Jahre. Bereits um die Mitte des 3. Jahrhunderts beginnen die Einfälle neuer germanischer Volksstämme. Anfangs sind die Römer stark genug, der Eindringlinge Herr zu werden. Erst als die Legionen, die bisher am Rhein gestanden hatten, zum Schütze Italiens abberufen wurden und die Germanen in immer zahlreicheren Scharen über das linke Rheinufer einströmten, mußte auch die römische Besatzung das Land verlassen.
Unter den germanischen Volksstämmen, die zur Zeit der großen Völkerwanderung nach Westen über den Rhein dringen, kommen für unser Betrachtungsgebiet in erster Linie die Franken in Frage. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts faßten die fränkischen Chatten an der Mosel und auf dem Maifeld Fuß und erreichten den Raum südlich der Ahr. Die Orte Westum (ergänze der Pranken) und Franken: Frankenheim verdanken ihnen ihre Entstehung. Ein zweiter fränkischer Stamm rückte von Norden her ins Ahrgebiet ein. Es waren die ripuarischen Franken, die sich mit ihrem Bruderstamm vereinigten. Wenig später stießen beide mit dem germanischen Volksstamm der Alemannen zusammen, die vom Süden her gleichfalls auf der Wanderung waren. Die sagenhafte Schlacht bei Tolbiacum (Zülpich) bezeichnet den Höhepunkt des Vordringens der Alemannen nach Norden, es folgte darauf ein Zurückfluten nach Süden. Wie weit die Alemannen teil hatten an der Besiedlung des Ahrgebietes, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Einige Forscher wollen in der Ortsnamenendung „ingen“ eine alemannische Gründung erkennen, z. B. Böblingen, Ödingen, Krälingen, Henningen usw. Das Vorkommen dieser Ortsnamen, die heute auf „ingen“ endigen, erlaubt auch deshalb keinen sicheren Schluß, weil sie ursprünglich auf „hoven“ ausgingen. So heißen beispielsweise in alten Urkunden Ehlingen = Ethelenhove, Heppingen = Eppenhoven, Ödingen = Oedenhoven. Wohl deuten im übrigen die Ortsnamenendungen mit großer Sicherheit auf Entstehung und Alter der Niederlassungen hin.
Wohl die älteste deutsche Ortsnamenendung, die auf die Besiedlung durch die Franken hinweist, ist „heim“. Nach dem „Deutschen Wörterbuch“ der Gebr. Grimm bedeutet „heim“ Haus, Wohnsitz, das liegende Gut. Außer den bereits erwähnten Westum und Franken sind hier anzuführen Heimersheim, Wadenheim, Freisheim, Meckenheim usw. Die Seßhaftma-chung der Franken geschah meist in Einzelgehöften, und so sind die Orte mit der Endung „hoven“ oder „hofen“ gleichfalls als fränkische Siedlungen anzusprechen, so Lantershofen, Vettelhof en, Fuchshofen u. a. m. Interessant ist dabei die Feststellung, daß zu dieser Gruppe eine größere Anzahl Orte gehören, die ehedem auf „hofen“ bzw. „hoven“ endigten, heute aber ohne diese Endung auftreten. In alten Urkunden finden wir statt Ringen 1240 Ringhovcn, Bengen 1252 Benghoven, Walporzheim 1209 Walpretis-hove, Hemmessen 1208 Hemmigeshove. Später siedelten die Franken auch in Gruppen und auf diese Gruppensiedlungen weisen die Ortsnamen auf „dorf“ hin. Die Endung „dorf“ oder ,,dorp“ ist hergeleitet von „turba“, Schar, Haufen. In den mit „dorf“ zusammengesetzten Orten sieht ein namhafter Forscher auf diesem Gebiete die Spuren der eigentlichen kolonisatorischen Tätigkeit der Franken, und Lamprecht bezeichnet die Endung „dorf“ geradezu als ,,die Lieblingsendung der nördlichen Mittelfranken“. Zahlreich sind die Orte auf „dorf“ im Ahrgebiet: Waldorf, Koisdorf, Löhndorf, Bodendorf, Lorsdorf, Nierendorf, Leimersdorf, Birresdorf, Fritzdorf, Eckendorf, Gelsdorf und viele andere mehr. Jüngerer Entstehung sind die Orte auf „bach“, wie Dedenbach, Unkelbach, Heckenbach, Leimbach, Wimbach usw. Mit der Entwicklung des Großgrundbesitzes der fränkischen Edlen sowie der Annahme des Christentums nach König Chlodwigs Bekehrung und der damit verbundenen Gründung von Klöstern erfährt die Besiedlung neuen Auftrieb. Wichtige Klostergründungen aus jener Zeit sind Adenau, Kesseling, Mariental, Niederehe. Sie waren meistens von Mutterklöstern abhängig, wie Prüm und Steinfeld. Klöster und Grundherren beteiligten sich in gleicher Weise am weiteren Ausbau des Landes. Seit dem Jahre 800 etwa beginnt man planmäßig den Urwald zu lichten, und manche Ortsgründungen zeigen durch ihre Namen an, daß sie dem Roden des Waldes ihr Entstehen verdanken. Dieser Siedlungsperiode sind die Orte auf „rath“ (roden) zuzuweisen, Dankerath, Fronrath, Winnerath usw., ferner auf „hard“ (Wald) Ohlenhard, Langhard und auf „feld“, Dümpelfeld, Hoffeld, Pützfeld usw.
Die Orte auf „scheid“ Senscheid, Trierscheid, Wiesemscheid, Reifferscheid, Kirmutscheid liegen meist in höher gelegenen Bachtälern und Bergabhängen. Nach Forstmann „Altdeutsches Namensbuch“ bedeutet „scheid“ soviel wie „Grenze“. Meist handelt es sich hier um Wasserscheiden. Tatsächlich liegen fast alle Orte auf „scheid“, Kirmutscheid ausgenommen, auf oder doch in der Nähe einer Wasserscheide. Dabei ist bei Trierscheid an den Tricrbach zu denken, während Reifferscheid, wie der erste Bestandteil des Wortes zeigt, von Ripuariergrenze herzuleiten ist. Die Ortsgründungen auf „rath“ sind etwa um das Jahr 1000 abgeschlossen, während die Besiedlung der Orte auf „scheid“ noch im 12. Jahrhundert nachzuweisen ist. Die Entstehung von Burgen, unter deren Schutz Ortschaften gegründet werden, fällt in diese Zeit. Nach Burgen oder Bergen, auf denen sie errichtet wurden, sind diese Niederlassungen, die in der Nähe aufkommen, benannt. Etwa 20 Namen auf „bürg“ oder „berg“ weist das Ahrgebiet auf, so Altenburg, Aremberg, Kreuzberg, Effelsberg usw.
Mit dem Ausgange des 13. Jahrhunderts ist die Periode der Ortsgründungen in unserem Betrachtungsgebiete im wesentlichen abgeschlossen. Schlüter bezeichnet die Folgezeit bis auf unsere Tage als „negative Siedlungsperiode“. Das bedeutet nicht, daß in dieser Zeit überhaupt keine Ortschaften mehr entstanden sind. Erwähnt sei nur die Entstehung der industriellen Anlagen an der Oberahr im 15. Jahrhundert, die Eifeler Eisenwerke. In ihrer Nähe entwickelten sich Ansiedlungen auf „hütte“, wie Ahhütte, Ahrhütte, Stahlhütte. Als jüngste geschlossene Siedlung des Ahrgebietes dürfte wohl Kripp an der Ahrmündung genannt werden.
In der „negativen Siedlungsperiode“ sind manche Ortschaften auch wieder eingegangen. Man bezeichnet sie als „Wüstungen“. Ursachen und Umfang dieser Erscheinung kann im Rahmen dieser Abhandlungen aus Raumgründen nicht nachgegangen werden und muß weiterer Forschung vorbehalten bleiben.