Das Vermächtnis
Hermann Bauer
Josef Savelsberg, langjähriger Pfarrer von Heimersheim, kam 1935 von Boppard, wo er 20 Jahre lang das Alumnat St. Michael, ein Schülerheim für kath. Gymnasiasten, leitete, und ich durfte über drei Jahre sein Mitarbeiter sein. Im Jahre 1928 erschien zum ersten Male „Der Freunde-Kreis“, eine Monatsschrift, durch die er den Kontakt mit den Eltern der jetzigen und früheren Schüler und auch mit den Menschen, die irgendwann einmal in seinem Bannkreis lebten, weiter pflegte. Er hatte sehr viel zu sagen. Sein Horizont war weit gespannt. Er berührte Religion und Geschichte, Kunst und Philosophie, alte und neue Sprachen und ihre Literatur; die Antike war ihm lebendige Gegenwart, das Alte und Neue Testament eine reich sprudelnde Quelle, die Kirchenväter seine beratenden Freunde, und die Probleme seiner Tage die ernste Mahnung, wachen Geistes zu sein. Er bereicherte seine Gemeinde in Boppard und später in Heimersheim mit einer lebendigen Liturgie, mit der er seiner Zeit um viele Jahre vorausdachte und lebte. Frei von jeder Überheblichkeit sah er in jedem Menschen seinen gleichwertigen Mitbruder; so sehr er das antike und christliche Rom verehrte, so sehr liebte er auch die Menschen, die außerhalb seiner geistigen Heimat lebten; er konnte ihnen mit großer Ehrfurcht zuhören. Ob ein Kind mit seinen Nöten zu ihm kam, ob ein Pennäler einen Ausweg suchte, ob einfache Menschen ihn um Rat fragten, für alle hatte er Zeit. Er liebte das Gespräch. Nie ist er in einen Menschen mit einer vorprogrammierten Antwort eingebrochen. Er sprach mit jedem in seiner Sprache, in welchem Land er auch war. Da die Gedanken, die er damals niederschrieb, auch heute noch ihre Aussagekraft haben, seien einige von ihnen als Vermächtnis in der Sprache von damals für die Ohren junger Menschen von heute — und nicht nur für junge Menschen — ausgewählt.
St. Michael — Wer ist wie Gott?
„Auf dem First (des Alumnates) steht er in Kampfstellung und von seinem Schilde erstrahlt der Kampfruf: Wer ist wie Gott. Er erinnert uns an den Kampf, der nie aufhört in diesem Leben: Für und gegen Gott. Dieser Kampf um Gott hat seine tiefe Ursache in dem „Geheimnis der Bosheit“. In diesem Kampf zwischen Gut und Bös bleibt keinem Geschöpf die Entscheidung erspart. Neutrale und Schlachtenbummler gibt es nicht. Um Gott ringen heißt ihn festhalten in der Seele, heißt ihm anhangen, heißt in ihm das Letzte, Endgültige, Absolute sehen, heißt sein ganzes Leben hineinwerfen in den Strom seiner Gnaden … Dein Leben, das wie ein Bannerbild den Feinden Gottes entgegenleuchtet, (sei) ein Leben des Glaubens, ein Leben der Hoffnung und ein Leben tätiger Liebe!‘ (1934)
Tradition und Gemeinschaft
„Jede Gemeinschaft, die bereits längeren Bestand hat, besitzt ihre Tradition, im Bewußtsein der Gegenwart lebt ein überliefertes Erbgut. Unter dieses Erbgut zählen oft gewisse Gewohnheiten, Übungen, Haltungen, die in die Gemeinschaft eingebettet sind, die als ungeschriebene Gesetze sicherer wirken, fester zusammenschließen, wirkungsvoller herrschen als Worte, Befehle, Bestimmungen, Statuten usw. Diese Gewohnheiten verbinden die Generationen miteinander, schlingen ein unsichtbares, aber festes Band um die vereinten und getrennten Glieder der Gemeinschaft; sie sind Träger wertvoller Kulturgüter, fester und klarer Lebensanschauungen, und sie schaffen eine gewisse Stetigkeit der Lebenshaltung. Die Tradition überdauert die Geschlechter und verknüpft auseinanderliegende Zeiten, und ihr Inhalt wird Lehrmeister und Quelle von Bildung und Erziehung.
Zu den köstlichen Gütern einer Familie gehört die Familientradition, heiliges, von den Vätern überkommenes Erbgut, mag es nun geistiger, ethischer oder gar materieller Art sein. „Ein altes Buch vom Ahn vermacht“ ist oft höhere Autorität als Schule und Unterricht. Der Lebensgrundsatz eines Ahnherrn, In ein kurzes und treffendes Wort gegossen, wird Geschlechtern zur Richtschnur des Lebens und steht im sichtbaren und unsichtbaren Wappenschild der Familie. Religiöse Übungen, Familienfeste, Hausbräuche bei dieser oder jener Gelegenheit wie der Segen der Eltern, der Gebrauch des Weihwassers, Gebete, die Familienzusammenkunft, Geschenke, Spiele, all das kann hergebrachte, köstliche Lebensäußerung und die Gemeinschaft bildende Gewohnheit sein. Unscheinbar, ja vergessen sind oft die Anfänge und Entstehung solcher Lebensgewohnheiten, oft nur ein Wort — eine Anregung, ein Erlebnis. Schon das Wissen um die innere geistige Verbundenheit mit früheren Geschlechtern hebt den berechtigten Stolz auf die Gemeinschaft, weckt die Ehrfurcht vor altbewährten Einrichtungen und Anschauungen. Selbstverständlich können Traditionen rückständig werden, können sogar die Entwicklung der Gemeinschaft hemmen und die Augen geschlossen halten vor den Forderungen wahren Fortschritts. Indes gibt es Traditionen, deren Inhalt eine überzeitliche Bedeutung hat, Anschauungen, die in den ewigen Gesetzen selbst gegründet sind“. (1929)
Die Berufswahl
„Der Beruf eines Menschen, der in ehrlichem Ringen erforscht und gesucht, der dann mit willensstarker Hingabe als Lebensarbeit aufgenommen und in unaufhörlichem Streben vervollkommnet wird, ist der sichere und klare Weg zu Gott. Der wahre und echte Beruf des Menschen berührt sein Innerstes, schlägt Wurzeln in die Tiefe seiner Seele, wird aufgesogen von seinem Wesen. Jeder wahre Beruf muß von einer Erkenntnis ausgehen, die aus dem eigenen Wesen kommt, die vom Subjekt ausgeht, das einst Träger des Berufes sein soll. Der wichtigste Faktor bei der Berufswahl bleibt die innere Neigung, jedenfalls darf diese Neigung nicht übersehen werden. In der Zeit der Not ist einem normalen Menschen jede Arbeit willkommen, aber eine jeweilige Arbeit ist noch kein Beruf. Äußere Umstände können die Wahl des Berufes beeinflussen, und heute Ist diese Beeinflussung stärker denn je, aber Anfang und Ende der Berufsforschung ist die Neigung, die Darlegung der äußeren Verhältnisse und Umstände wird dann ein Prüfstein für die Festigkeit der Neigung sein. Verantwortung und Pflichtbewußtsein sind die Kernstücke eines jeden Berufes; sie machen aber auch den Berufsträger zu einer wahren Persönlichkeit.“ (1931)
Vom Geist des Alumnats
„Am Geist entzündet sich der Geist. Das Leben des Hauses ist vom Geiste geleitet, es ist ein Leben voll Reichtum, voll Mannigfaltigkeit, es ist eine Welt geistiger Energien, die ihre Kraft entfalten im unaufhörlichen Spiel des Einzelwesens. Ein Haus, eine Heimstätte der Jugend darf nicht altern, es muß ein frischer Geisteshauch durch seine Bewohner gehen. Ein unerschütterlicher Mut soll die Leiter des Hauses bestimmen, nicht in der Arbeit für die Jugend zu erlahmen und festzustehen im Glauben an sie. Für uns ist zunächst der Alumne Mensch, voll und ganz Mensch mit seinen guten und schwachen Seiten, Mensch mit einer Seele, mit einem Herzen. Eine ideale Anschauung! An Mißgriffen, Mißverständnissen und Fehlern fehlte es nicht. Aber die Gesamthaltung ist das alte Magna debetur puero reverentla (Man muß dem jungen Menschen große Ehrfurcht erweisen). Und das ist eine geistige Haltung.
Der junge Mensch soll arbeiten und lernen. Harte Aufgabe! Sie soll ihm jedoch nicht versüßt, sondern ihm menschlich nahe gebracht werden. Sie soll ihm nicht so sehr Wissen geben, als vielmehr ihn zur Zucht des Geistes und des Willens führen. Wer kennt die Freuden und Leiden der Arbeit im jungen Gymnasiasten! Die tiefsten Erlebnisse der Schule spielen sich so manches Mal in dem verborgensten Winkel der Seele ab. Wir können nicht Geist und Herz genug haben, um das zu erfassen und zu würdigen. Hier hilft viel und gut der Geist der Ordnung. Nach Ordnung verlangt der Alumne, wenn er auch oft genug dagegen angeht. Die Ordnung ist eine unsichtbare Führerin des jungen Menschen. Sie kann ihn zur Freiheit führen,“ (1929)
Pfarrer Josef Savelsberg
Repro: Kreisbildstelle
St. Michael-Statue des Alumnats St. Michael
Foto: Michael Kreusberg
Ferien
„Die Ferien haben für die fern von der Heimat Studierenden eine zu große Bedeutung, als daß man sie einfach dem Spiel der zufälligen Stimmung überlassen könnte. Die Ferien stehen im Zeichen der Familie, der Heimat und der Freiheit, und diese Zeichen wollen beachtet sein. In ihnen gipfelt der ethische Gehalt der Ferienzeit. So sind die Ferien eine Aufgabe und eine Pflicht. Für den echten Pennäler soll während der Ferien die Schularbeit ruhen. Die Schulbücher im Ferienkoffer und die Vorsätze, die in den letzten Arbeitstagen hinsichtlich eines Ferienstudiums gefaßt werden, bleiben, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, „schön gedachte Projekte“.
Nicht nur der studierende junge Mann hat Anrecht auf die Ferien, auch das Elternhaus, die Familie muß die Ferien des Sprößlings im Ernst verlangen. Wie für die meisten die Entfernung vom Elternhaus ein notwendiges Übel ist, so ist die zeitweilige Rückkehr in den Schoß der Familie ein notwendiges Gut. Es gilt zu zeigen, daß man sich noch in die Familie einfühlen kann, daß man nach langer Trennung den rechten Verkehr von Angesicht zu Angesicht nicht verlernt hat. Der junge Mensch, der in die Ferien fährt, muß auch einmal als Gebender zu seinen Eltern kommen und soll sich nicht nur als ständig Empfangender bequemen. Er möge sich selbst, seine ganze junge Persönlichkeit mitbringen, d. h. eine dem Elternhaus aufgeschlossene Seele; er soll erkennen lassen, was er gelernt, erworben an geistigem Gut, soll erzählen von dem, was er erlebt an Schönem und Erhebendem, an Arbeit und Vertiefung, was er erlebt in Schule und Menschenverkehr, was er gefunden in der Lektüre, was er geschaut auf Wanderungen, was er gehört von weisheitsschweren Männern.
Sollen die Ferien wirklich Ferien im besten Sinne sein, sollen sie eine tatsächliche Erholung für Leib und Seele bedeuten, dann muß der unumstößliche Grundsatz in der Seele leben: Im Dienste Gottes und in einem Leben nach dem Gewissen gibt es keine Ferien.“ (1928)