Bätes und Kätt
Geschichten aus einem Rheinstädtchen
Rosemarie Bongart
Zu einer Zeit, als das Fernsehen in der Familie noch unbekannt war, erzählte mein Vater, besonders an langen Winterabenden, in der gut geheizten Stube uns Kindern gerne aus seiner Jugend- und Kinderzeit. Vater war Jahrgang 1882 und es müssen nach seinen Erzählungen harte Zeiten für Kinder und Erwachsene gewesen sein. Es waren lustige und traurige Episödchen. Eines aber hörte ich immer wieder gerne, es war die Geschichte vom Bätes und seiner Frau, der Kätt.
In einem Rheinstädtchen, wo jeder noch jeden kannte, ein gesunder Humor seine Wurzeln schlug, wohnte ein älteres Ehepaar, er hieß Bätes, sie hieß Kätt. Ein betagtes Pferd nannten sie ihr eigen und es trug zum Broterwerb der beiden bei.
Im Sommer, wenn Gäste in den beschaulichen Ort anreisten, um sich die schöne Rheingegend anzusehen, bot Bätes seine Dienste als Droschkenkutscher an, und Roß und Kutscher fuhren mit ihren Gästen den schönen Rhein entlang. Da der Ort in der Nähe des Ahrtals lag, empfahl Bätes seiner Kundschaft, sich auch hier einmal umzusehen. Man verabredete sich also für den nächsten Morgen und pünktlich stand Bätes mit seiner Kutsche vor dem Hotel, um seine Fracht aufzunehmen. Bätes war sehr beredt und wies auf die schöne Landschaft hin. Über Ahrweiler hinaus fuhr er noch bis Walporzheim, hier standen dann die Berge dicht an dicht. Mit seiner Pfeife beschrieb er einen Bogen in der Luft und erklärte kurz und bündig: »Und hier ist das schöne Ahrtal zu Ende«. Teils nahmen seine Kundschaft es gläubig, teils ungläubig auf. Aber was wollte er machen, mit Rücksicht auf sein betagtes Pferd mußte er wieder die Heimreise antreten, er mußte die Möglichkeiten der PS berücksichtigen.
Als Lohn für seine Mühe, auch seiner Beredsam- und Freundlichkeit, klimperte manches Geldstück im Säckel und in seiner Freude über den Verdienst, war er der Meinung, daß nun ein Gläschen fällig sei. Gedacht, getan. Aber ohne die Rechnung seiner Frau Kätt, die dann jedesmal fuchsteufelswild wurde, wenn Bätes singend die Gasse herunterzockelte, gefahren vom müden Gaul, der den Weg zum Stall von selber fand, auch er, in der Vorfreude auf eine gute Portion Hafer und die ersehnte Ruhe, der er so sehr bedurfte. Kätt war eine gute und hilfsbereite Frau, hatte aber ein gutes weit zu hörendes Organ. So war es kein Wunder, wenn die Nachbarn über die Unmoral des Bätes, sie meinte wohl die Unmäßigkeit des Trinkens — dabei genügten schon 3 – 4 Gläschen, um den Bätes auf den Füßen etwas unsicher werden zu lassen — erfuhren. Meistens trieb sie ihn mit ihrem Schelten auch zum Haus heraus, und plötzlich konnte er wieder laufen und jagte die Gasse hoch, um aus dem Gefahrenbereich zu gelangen.
Die Kätt vergaß aber wieder schnell und war auch nicht nachtragend. Als der Bätes einmal wieder so die Gasse hochrannte, rief ihm ein Mädchen nach: »Bätes, ist das die Flucht nach Ägypten?«. Er hatte nämlich das Mädchen, als es in die Christmette ging und auf schneeglatter Straße ausgerutscht und hingefallen war, mit den Worten bedacht: »Ja, ja, nach Bethlehem zu eilen«. Nun waren sie also quitt. Kätt hatte auch die Haltung des örtlichen Ziegenbocks, den sie mit viel Liebe pflegte, gut in Futter hielt und als Nebeneinnahmequelle sehr schätzte. Sie pflegte ihn »mei Bocki« zu nennen, da Kätt nicht aus der hiesigen Gegend stammte. Zu dieser Zeit gab es noch viele Ziegen, da das Einkommen klein, die Kinderzahl groß und der Anspruch der Ziegen mäßig war. Jeder hatte seinen Garten oder Pachtfeldchen und war so letztlich Selbstversorger in Fleisch und Naturalien.
Gegen eine Gebühr konnte man seiner Ziege, auch zum Zwecke der Beschaffung des Oster-lamms, die Dienste des Bockes gewährleisten. Die Ziege wurde zur gegebenen Zeit dem Bock vorgeführt. Die Halterin stand dann, den Bock am Halsband haltend, wartend an der Tür und pries die Vorzüge ihres Pfleglings. Einmal aber war der Bock so stürmisch, daß er gar nicht die Lobeshymnen seiner Herrin abwartete und angesichts eines Techtelmechtels mit der vorgeführten Ziege losstürmte, seine Herrin mitriß und im Nu kugelten sich in dem kleinen Hofplatz Herrin, Bock und Ziege an der Erde. Da lachte Kätt nur herzhaft, rappelte sich hoch, klopfte sich die Kleider ab und sagte zu ihrem Bocki: »Wirst doch wohl noch warte könne« und stimmte ein in das fröhliche Lachen der anwesenden Ziegenhalter.
Kinder hatten die beiden nicht, aber ein Herz für Kinder, die ein offenes Ohr und eine gebende Hand fanden, so erzählte man mir.