Lebendiges Brauchtum
Die Ahrweiler Hüten und ihr Wirken heute
Josef Müller
Seit Jahrhunderten bestehen im alten Städtchen Ahrweiler vier »Hüten«, gleichsam vier Nachbarschaftsbezirke, die sich ursprünglich wohl zum Schutz der Bevölkerung innerhalb des Mauerberings gebildet hatten. Es sind dies die Adenbachhut im Norden, die Ahrhut im Süden, die Niederhut im Osten und die Oberhut im Westen der Stadt. Diese vier Hüten pflegen gerade heute ein mannigfaches Brauchtum, das sich im Jahreslauf an bestimmten Festtagen zeigt.
Die Hüten wählten sich einstmals Heilige, welche ihre segnende und schützende Hand über die Hut und ihre Einwohner halten sollten. So ist die Schutzheilige der Adenbachhut die hl. Maria, welche die Schutzpatronin der schon 1372 bestehenden Ahrweiler Winzerbruderschaft ist. Die Patronin der Ahrhut ist die hl. Barbara, die Beschützerin der Bergleute und der Artillerie. Sie sollte die Hut und damit auch die Stadt im größten der vier Tore vor jeglichen Angriffen der Feinde bewahren und beschützen. Die Niederhut hat als Patronin die hl. Katharina mit dem zerbrochenen Rade. Die Legende erzählt, das Folterrad sei unter ihr zerbrochen, und deshalb sei Katharina durch das Schwert gestorben. Schließlich ist die hl. Ursula die Schutzpatronin der Oberhut. Sie war eine kölnische Heilige, die in der ehemals kurkölnischen Stadt Ahrweiler entsprechend verehrt wurde. Die Statuen dieser vier Hutenheiligen standen früher in den Nischen der vier Stadttore. Es waren Wachsfiguren, die mit kostbaren Gewändern bekleidet waren. Drei dieser Wachsfiguren werden im Heimatmuseum im Weißen Turm in der Altenbaustraße aufbewahrt. Die Wachsfigur der hl. Katharina wurde in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg leider eingeschmolzen. Heute befindet sich am Ahrtor stadtwärts das Standbild der hl. Barbara und am Obertor, ebenfalls stadtwärts, das der hl. Ursula, während die Statuen der hl. Maria und der hl. Katharina in geschützten Nischen der Tore untergebracht sind. Auch sind noch Silberkronen erhalten, welche die Wachsfiguren ehedem trugen. Zu Ehren ihrer Schutzheiligen feiern nun die Hu-tengemeinschaften Patronatsfeste, so am 2. Februar, Maria Lichtmeßtag, die Adenbachhut, am 21. Oktober, Ursulatag, die Oberhut, am 25. November, Katharinentag, die Niederhut und am 4. Dezember, Barbaratag, die Ahrhut. Der Ablauf dieser Feste gleicht sich in etwa: Sie beginnen mit einem feierlichen Amt für die Lebenden und Verstorbenen der Hutengemeinschaft in der Pfarrkirche St. Laurentius oder in der Niederhut in der Kapelle des Alten- und Pflegeheims St. Maria-Josef. Daran schließt sich ein Frühschoppen an. Hierbei wird Rückblick gehalten auf besondere Ereignisse innerhalb der Hut während des vergangenen Jahres sowie über Geburt und Tod innerhalb der Hutengemeinschaft. Seit vielen Jahren spricht dann auch der Bürgermeister der Stadt über durchgeführte und noch geplante Bauvorhaben im Hutenbereich und im gesamten Stadtteil. Auch der Pfarrherr der Pfarrgemeinde St. Laurentius berichtet über aktuelle Vorhaben in der Kirchengemeinde. Die Hutenfeste enden dann abends mit einem geselligen Ausklang in einem Lokal. Ein besonderes Gewicht legen die Vorstände der Hutengemeinschaften auch auf ein gemütliches Beisammensein der Senioren und Seniorinnen, mit denen sich jede Hut besonders verbunden fühlt. Zu erwähnen bleibt, daß innerhalb der Hutengemeinschaft der lobenswerte Brauch besteht, den Alten zu besonderen Geburtstagen zu gratulieren und auch »Altenfahrten« mit den Senioren und Seniorinnen durchzuführen.
St.-Katharina-Statue im Ahrweiler Niedertor
Die Patronatsfeste vereinen so die Einwohner einer Hut zu einer festen Gemeinschaft, die sich schon immer bewährt hat. An der Spitze der Hutengemeinschaft steht der Hutenmeister, ein Ehrenamt, das seit eh und je von großem Ansehen in der Stadt begleitet war. Im Schütze ihrer Heiligen beweisen die Bewohner der Hüten immer aufs neue ihre religiöse Verbundenheit mit der Kirche sowie Bürgersinn, Gemeinschaftsgeist und Nachbarschaftsbewußtsein. Die kommunal- und sozialpolitische Funktion der Hutengemeinschaften kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Die Hutenfeste sind der Kern des Brauchtums der Hüten. Aber damit erschöpft es sich noch nicht. So bestehen in den vier Hüten vier Junggesellenvereine: die »Addemechshöde Jonge«, die »Ahrhöde Jonge«, die »Niddehöde Jonge« und die »Ovvehöde Jonge«. Sie pflegen ihr eigenes Vereinsleben mit bestimmten Bräuchen, die z. B. sichtbaren Ausdruck am Vorabend des 1. Mai in der Aufstellung eines großen Maibaumes vor den Stadttoren finden. Am gleichen Abend noch versteigern die Junggesellen in ihren Vereinen die schönsten Mädchen der Hut als »Mailehen«. In der folgenden Nacht stellen sie dann der Auserwählten eine Birke ans Haus zum Zeichen der Verehrung. Früher besaß jede Hut ein eigenes Backhaus, das »Backes«. Während die Niederhut über kein eigenes Backes mehr verfügt, sind in den drei anderen Hüten die alten Backhäuser in den letzten Jahren sehr wohnlich und gemütlich für Geselligkeitsabende der Junggesellen, ja der Hutengemeinschaft hergerichtet worden.
Letztlich ist auch das Martinsfest mit seinen einzelnen Bräuchen ein Fest der Hüten. Die Junggesellen und Jugendlichen einer jeden Hut brennen am Martinsabend auf den vier Bergen große Martinsfeuer ab. Die Hut, die das größte Feuer hat, erhält einen Preis. Seit den 60er Jahren stellen die Hüten als Ersatz für die früheren »Lumpenfackelzüge« vom Martinsfeuer hinunter ins Tal an ihrem Berghang »Fackel-Schaubilder« dar, die im Text und in der Darstellung meist ein heimatbezogenes Motiv bedeuten. Die Hut, welche das schönste Schaubild zeigt, erhält ebenfalls einen Preis. Es liegt in der alten Tradition des Martinsbrauchtums, daß am Martinsabend die Hüten untereinander im Wettstreit liegen. Sobald die Preise bekannt und verteilt sind, ziehen die Schulkinder — die Kleinkinder für sich — hutenweise im Fackelzug unter Absingen auch alter Hutenlieder durch die Stadt.
So hat sich die Bevölkerung des mittelalterlichen Städtchens Ahrweiler ein reiches Brauchtum bewahrt, das religiös tief verwurzelt und verankert ist und die Stürme der Zeit überstanden hat, das die Menschen immer in der Liebe zu ihrer Heimat gebunden hält und ihnen eine sichere Geborgenheit in der Gemeinschaft bietet.
Die Statuen (v. I.) St, Ursula, Maria, Barbara, im Heimatmuseum