Großer Rhein, saurer Wein Kleiner Rhein, süßer Wein

Sprichwörter und Redensarten gehört und gesammelt im Kreis Ahrweiler 

Leonhard Janta

In dem oben zitierten Spruch, der noch oft am Rhein zu hören ist, wird ein Zusammenhang zwischen dem Wasserstand des Rheins und der Güte des Weines aus dem jeweiligen Jahre hergestellt. Die Redensart konstatiert einen Tatbestand, der wohl oft beobachtet wurde, jedoch auch Ausnahmen kennt, denn nicht jedes Hochwasserjahr war ein schlechtes Weinjahr.

Dieser Spruch kann schon einige wesentliche Kennzeichen von Sprichwörtern verdeutlichen: er ist im Volke verbreitet und wird mündlich überliefert. In volkstümlicher Weise – also in einfacher Form, wobei der Spruch im vorliegenden Falle noch gereimt ist, wird eine Lebensweisheit, -regel- erfahrung oder -lehre einprägsam zusammengefaßt.Die Themenkreise der Sprichwörter sind vielfältig. In unserem Raum, in dem die Bewohner früher hauptsächlich von der Landwirtschaft und dem Weinbau lebten, überwiegen heute noch die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten aus dem Bereich des Wetters, die teilweise auch als Bauernregeln bekannt sind. Im folgenden führe ich eine Auswahl von Sprichwörtern aus unserer Gengend an und kommentiere sie kurz.

Für den Winzer gab es u. a. die einprägsame Regel:
Zu Johannis (24. Juni) aus den Reben gahn und die Reben blühen lahn. 

Auch ist unumstritten:
Den Reben und der Geiß wird es nie zu heiß. 

Daß ein früher Lenz durch Fröste gefährdet ist, wie wohl jeder schon einmal erlebt hat, resümiert der Spruch:
Ein grüner März erfreut kein Bauemherz, 
denn für den nachfolgenden Monat April gilt: Kein April so gut – er schneit dem Schäfer auf den Hut.

Launisch verweisen andere Redensarten auf späte Wintereinbrüche: 
Es gibt auch im Juni noch Maifr
öste. Ein dummes Schaf läßt sich vor Johannis (24. Juni) scheren.

Einige Sprüche deuten Zeichen in der Natur und wollen damit die Zukunft erhellen: 
Mai k
ühl und naß füllt die Scheuer und das Faß. Gibt es ein Gewitter über einem dürren Dollen, dann gibt es alles im vollen. 
Dieser Spruch besagt, daß warmes Wetter im Frühjahr das Wachstum besonders fördert und eine reiche Ernte bescheren kann. Als »dürrer Dollen (Dolde)« wird im Dialekt ein Baum oder Ast bezeichnet bevor er belaubt ist.2. Als Richtschnur für die Aussaat des Hafers merkte man sich, daß dieser vor dem Georgstag (23. 4.) gesät werden mußte, weil das Georgspferd sonst die Saat frißt. Der Tag des Heiligen Matthias (24. 2.) wurde besonders beobachtet, weil er als Wendepunkt des Winters angesehen wurde: Matthes micht oder bricht Eis. Die Hochwässer des Rheins lehrten die Uferbewohner:
Man kann den Rhein wohl schwellen, aber nicht stellen.

Der Vergleich mit dem Rindvieh führte zu der Aussage über einen Menschen, der überrascht dreinschaut.
Er guckt wie ein Ochs‘ bei jung Licht. 
Von einem besonders klugen Mitmenschen wurde behauptet, daß er zweimal mit zur Heiligen Kommunion gegangen sei, es also darum genau wissen müsse. Hoffnungslosen Fällen konnten aber nach der Meinung vieler auch keine geweihten Kerzen mehr helfen. Über das Glück einiger konnte nur resigniert bemerkt werden:

Dem einen kalbt der Ochse, dem anderen will auch die Kuh nicht kalben. Zwischen Nutzen und Schaden muß immer eine vernünftige Relation bestehen. Wat nützt mer en Kuh, die drei Eimer Milch git, und stüß vier ömm.

Der wirtschaftliche Erfolg des Herrn kann auch Segen für den Untergebenen mit sich bringen, was die folgende Lebensregel mitteilen will. Ränt et up de Herr, dann dröp et up de Knecht. Von einem Menschen, dem man sofort alles ansieht, dem seine Gedanken und Vorhaben guter und schlechter Art ins Gesicht geschrieben sind, heißt es: Er hat ein Gesicht wie ein Beichtspiegel.3

Bei allen Unternehmungen muß man sich darüber im klaren sein:
Wer sich unter die Kleie mischt, wird von den Säuen gefressen.

Als lustige überzeitliche Verdauensregel kann von jedem beherzigt werden: Brumme (Pflaumen) für den Gang Bunne (Bohnen) für den Klang Ölisch (Zwiebeln) für den Gestank. Von gut verdienenden Saisonarbeitern – z. B. von Maurern, die früher im Winter kein Schlechtwettergeld erhielten und darum oft darben mußten, wenn sie in Zeiten der Arbeit verschwenderisch gelebt hatten, hieß es: Im Sommer kein Schöppchen zu teuer, im Winter keine Krume zu hart. Aus dem Munde eines Pfarrers oder frommen und pünktlichen Kirchgängers konnte der Spruch über einen in der Nähe des Gotteshauses wohnenden Mitchristen lauten: Je näher die Kirche, je später hinein. Da oft neben der Kirche auch ein Wirtshaus anzutreffen ist, wird behauptet: Wo Gott eine Kirche baut, stellt der Teufel eine Kapelle daneben.

Unanfechtbar sind die Lebensweisheiten: Lieben ist nicht Sund‘ – und Küssen macht kein Kind.
Lieb‘, Feuer, Husten, Kratz und Gicht lassen sich verbergen nicht.
Über ein gefallenes Mädchen wurde gelästert: Die Lieb‘ ist süß, bis ihr wachsen Hand‘ und Fuß‘.

Wenn auch heute lebensrettende Medikamente und Apparate zur Verfügung stehen, so bleibt jedoch weiterhin gültig: Wider des Todes Kraft hilft kein Kräutersaft/Rebensaft.

Stellvertretend für die zahlreichen Necksprüche, in denen die Bewohner der Nachbarorte der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, führe ich einen alten Spruch über Brohl, Breisig und Sinzig an, der nur schriftlich überliefert ist: 
Wer durch Brohl kommt ohne St
öbb (Staub), Durch Breisig ohne Spott, Durch Sinzig ohne Klopp (Prügel), Der dank es seinem Gott!“ 
Über den Wahrheitsgehalt dieses Spruches mag jeder Bewohner der genannten Orte selber entscheiden.

Die vorgestellten Sprichwörter begleiteten früher die Menschen im Jahreslauf. Durch sie wurde das Wetter gedeutet und das Verhalten der Mitmenschen in allen Lebenslagen kommentiert; oft handelte es sich aber nur um lustige oder geistreiche Redensarten. Sprichwörter waren im Volksleben fest verankert, da sie ja aus der Landschaft und ihren klimatischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen entsprangen. Heute können sie uns deshalb Einblicke in die Lebensbedingungen und Denkweisen führerer Zeiten gewähren, wobei gerade ihre praktische und oft persönliche und unverblümte Art den heutigen Hörer immer wieder überraschen kann. Leider werden Sprichwörter heute vielfach nur noch als kuriose Überbleibsel einer untergegangenen Welt angesehen und belächelt, obwohl viele sprichwörtlichen Redensarten einen tieferen Wahrheitsgehalt enthalten. Die mündliche Überlieferung und das Erzählen sind immer mehr im Rückgang begriffen. Aus diesem Grunde sind auch die Sprichwörter immer mehr vom Aussterben bedroht. Es liegt an uns, ob wir nicht wenigstens einen Teil dieses Schatzes bewahren.

Anmerkungen:

  1. Lutz Röhrich, Wolfgang Mieder: Sprichwörter. Stuttgart 1977.
  2. Rheinisches Wörterbuch. Erster Band A – D. bearbeitet und herausgegeben von Joset Müller. Bonn 1928. (Dollen siehe Dolde)
  3. Beichtspiegel: Sündenverzeichnis als Hilfe zur Gewissensprüfung.
  4. Josef Breitbach: Vom alten Breisig. 1950. S. 103 Für Hinweise und Auskünfte danke ich u. a. Frau Katharina Rock, Frau Juliane Ritzdorf und Herrn Herbert Schneider.