»Dieses Haus ist mein und doch nicht mein«
– Haussprüche aus dem Brohl- und Vinxtbachtal
Friedhelm Schnitker
»Dieses Haus ist mein und doch nicht mein und nach mir kommt ein Andrer rein und dem wird es auch noch nicht sein«. So mahnte es einst, tief eingekerbt in den altersgekrümmten Langbalken eines Fachwerkhauses in einem Dorf an der Ahr, Einheimische und Fremde. Die weiß ausgemalten Buchstaben, sich zu Wörtern zusammenfügend, zwangen die Vorbeieilenden zu einem Innehalten in der Hast des Alltags und zu einer besinnlichen Betrachtung des eigenen Lebensweges.
In unseren Tagen mahnt uns Erdenpilger ein nahezu gleicher Hausspruch an einem kleinen Fachwerkhaus in Brohl.
»Dieses Haus ist mein und doch nicht mein beim zweiten wird es auch so sein dem dritten wird es übergeben und der wird auch nicht ewig leben den vierten trägt man auch hinaus nun sag mein Freund wem gehört dieses Haus?«
Ein bekanntes Kirchenlied paraphrasierend, werden wir Menschen, eingebunden, ja zuweilen verstrickt in die Geschäftigkeit des irdischen Alltags, daran erinnert, daß wir nur Gast auf Erden sind; daß wir, ohne Ruh und mit mancherlei Beschwerden behaftet, der ewigen Himmelsheimat zustreben. In Niederzissen entdeckt man Wörter, die in ihrer tiefen, steilen Schnitzung in den wichtigen Tragbalken des Hauses Zeuge und Spiegel der aus ihnen sprechenden Unvergänglichkeit sind.
»Gott behut uns für Unglück und Brand am Gottes Segen ist alles gelegen je länger je mehr kehr dich zu Gott«. Der mit dieser Inschrift versehene Tragbalken weist die Menschen auf den Tragbalken ihres Lebens hin, Gott. Umkehr des Menschen bedeutet Rückkehr zu Gott. Hier begegnet der Mensch unserer Zeit der Ausprägung des um Gott als den Mittelpunkt allen Seins und Geschehens zentrierten Weltbildes des Mittelalters. Gottes Name steht zu Anfang der Zeile und an ihrem Schluß, sinnbildlich verdeutlichend, daß Gott Anfang und Ende, Alpha und Omega, ist.
An dem eingangs erwähnten kleinen Fachwerkhaus in Brohl kann der aufmerksame Betrachter weitere Haussprüche entdecken.
»Laß die Neider neiden
die Hasser hassen
was Gott dir gab
muß der Mensch dir lassen«.
Mögen die Wellen von Neid und Haß in ihrer scheinbaren Allgewalt auch drohen, den Menschen zu verschlingen, der Segen und die Gaben des Allmächtigen entziehen sich dem fordernden Zugriff der Menschen. In Waldorf im Vinxtbachtal lautet ein Hausspruch ähnlichen Gedankengehaltes:
»Wünsch mir ein jeder was er will
Gott gebe ihm sieben mal soviel«.
Hier bringt die kategorische Aussage, »wünsch mir ein jeder was er will«, die oftmals ach so lieben Mitmenschen unter den Zwang dem Haus und seinen Bewohnern förderlicher Wünsche; denn, wenn Gott den jeweiligen Wunschgehalt siebenmal vervielfältigen wollte – welch ein Gedanke.
Noch einmal nach Brohl zurückkehrend, mahnt es uns, den Menschen in seinem Sosein tief pessimistisch sehend, von eingangs erwähntem Fachwerkhaus:
»Wenn dieses Haus solange hält
bis Not, Hass, Neid und Leid verfällt
so steht es bis ans End der Welt«.
Gegenüber dieser pessimistischen Sicht und Einstufung weltlicher und menschlicher Grundhaltungen sticht ab ein kurzes, bündiges Wort an einer Grundstücksgrenzmauer in Brohl:
»Ost, West
To Hus am Best«.
Ein Fahrensmann, vertraut mit den vielfältigen Gefahren des großen Rheinstroms, der unendlichen Seen und Meere, würdigt das festgefügte Haus an Land als sicheren Anlaufhafen und ruhenden Mittelpunkt seines Lebens. In Norddeutschland, dem Land der meeresfahrenden und -vertrauten Menschen, begegnete mir an einem kleinen Fischerhaus über der gedrungenen Eingangstür ein ähnlicher Hausspruch:
»In Nord und Süd
de Welt ist wit
in Ost und West
dat Hus is’t best«.
Dort, wo am Rheinstrom zwischen dem heutigen Brohl und dem rheinaufwärts gelegenen Namedy die Rheinberge wieder fest an den Fluß herantreten, lag in früheren Zeiten der Ort Fornich.
»Hier sehen wir gewaltige Basaltblöcke, Reste und Zeugen eines Lavastroms, der sich von der Hohen Buche in das Rheintal ergoß«. (Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, S. 17) Am Ortsausgang von Brohl, rheinaufwärts im Bereich des früheren Fornich, erinnert eine Haustafel an den Ort und seine Bewohner.
»In Fornich am Rhein
ihr lieben Leut
da backt man den Kuchen
nur auf einer Seit«.
Sicherlich waren Fornichs Hausfrauen ausgezeichnet bewandert in der Kunst des Backens, doch Kuchen und Pfannkuchen nur auf einer Seite zu backen, wie das? Das Rheintal war bei Fornich durch Rheinstrom und Fuhrstraße (später kam noch der Schienenstrang hinzu) hinsichtlich der Bebauungsmöglichkeiten so eingeengt, daß es nur eine einseitige Straßenbebauung, nämlich die berg-(hang-)seitige, gab. Und ist es nicht zutreffend, der Schalk des Verfassers leuchtet uns aus den Zeilen entgegen, daß in Fornich also die Kuchen »nur auf einer Seite« gebacken wurden?
Unsere kleine Umschau einiger Spruchweisheiten im Vinxtbachtal und Brohltal rundet sich mit einem Hausspruch aus Niederzissen; er stammt aus der satirischen westfälischen Poesie des frühen 20. Jahrhunderts.
»Der liebe Gott mein Haus beschütz
vor Dieben, Wanzen, Sturm und Blitz.
Oh halte fern vom Leibe mir
den Doktor und Gerichtsvollzieher«. Weit spannt sich der Bogen – von der festgefügten Gottesgläubigkeit mittelalterlichen Gott-und Weltverständnisses, zum Ausdruck gebracht in den frühesten Haussprüchen, bis hin zu Entnahmen aus satirischer moderner Dichtung, in der der allgewaltige, schützende Gott als Beistand in elementarer Lebensnot zum Universalversicherer gegen Pein und Peinlichkeiten des irdischen Lebens gewandelt wird. Haussprüche – ein Spiegel ihrer Zeit – werden uns als Spiegel vorgehalten.