Unfreiwilliger Zwischenstopp in Nürburg auf dem Wege von Paris nach Warschau
Karlheinz Korden
Häufig tauchen aus dem Schöße der Vergangenheit vergilbte Zeitungen auf, die nicht nur oft Anlaß zum Schmunzeln geben, sondern auch einen Hauch jener Zeit verspüren lassen, die mit der Gegenwart nichts mehr gemeinsam hat oder in einem solch krassen Gegensatz steht, der kaum verständlich ist. Ein unlängst aufgetauchtes Exemplar der »Adenauer Zeitung« vom April 1913 berichtet über eine Pioniertat der Fliegerei aus dieser Zeit, die mit dem heutigen Flugverkehr so wenig zu tun hat, wie ein Fahrrad mit einem Formel-1-Rennwagen.
Die Adenauer Zeitung berichtet über jenen Flug der von Paris nach Warschau führen sollte und bei dem es um den bekannten »Pommery-Preis« ging. Ein Foto zeigte den gebrechlich wirkenden Flugapparat, bestehend aus Rohr, Holz, Leinwand, vielen Drähten, einem zeitgemäßen Motor und einem beachtlichen Holzpropeller. Der Pilot, damals häufig Aviateur genannt, ragte von der Hüfte an aus dem Aero-plan. Selbstverständlich war er mit Ledermantel und Schirmmütze bekleidet und ein prächtiger Schnurrbart, Modell »Es ist erreicht«, unterstrich den Wagemut des Flugpioniers. Wenn man bedenkt, daß der erste Flug über den Ärmelkanal im Jahre 1909 noch nicht lange zurücklag, so schien das Wagnis, von Paris nach Warschau zu fliegen, mehr als abenteuerlich.
Der Flieger Constant Schemmel war am 30. April in Paris gestartet und bereits nach drei Stunden in Blankenheim, aus einer schwindelnden Höhe von 1 200 m im Gleitflug gelandet, weil das Benzin zur Neige gegangen war. Nachdem er mittels einer Kanne den durstigen Holzvogel getränkt hatte, stieg er unter dem Staunen der Massen wieder gen Himmel und schwebte um die Mittagszeit in 500 bis 600 Meter Höhe über Adenau. Wie die alte Zeitung berichtet, entrang sich den staunenden Bürgern ein begeistertes »Ah!«, was man heute von den Bewohnern nicht mehr vernimmt, wenn dröhnende Düsenflugzeuge der Nato-Partner im Tiefflug die Fensterscheiben klirren lassen.
Kurze Zeit später verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, daß der Flugapparat an der Nürburg gelandet sei. Flugs eilte alles nach Nürburg. Selbst der Landrat Dr. Schellen begab sich dort hin, um die nötigen Formalitäten zu erledigen.
Der Flieger hatte die Strecke von Ripsdorf bei Blankenheim bis zur Nürburg in 30 Minuten zurückgelegt und war hier, da er in Ripsdorf zu wenig und dazu unreines Benzin erhalten hatte, gezwungen, abermals zu landen. An den Nürburgring dachte damals noch niemand und so war der französische Flieger gezwungen, auf unebenem Gelände eine Landung zu wagen, die ihm das Gestänge seines Apparates übelnahm. Der Aeroplan wurde beschädigt. Der »Piloteur« gab über alle Einzelheiten bereitwilligst Auskunft. Er erklärte den gebannt Lauschenden, daß er auf dem Fluge von Blankenheim bis zur Nürburg mit sehr mißlichen Windverhältnissen zu kämpfen hatte, daß sich sein Flugzeug ständig aufgebäumt, bald mit dem rechten, bald mit dem linken Flügel fast senkrecht in die Höhe gekommen sei und daß er nur mit äußerster Kraftanstrengung unter ständigem Rühren mit dem Steuer das Flugzeug in der Horizontalen halten konnte. Erst in Höhen über 1 500 m sei es etwas ruhiger gewesen.
Der mutige Mann nächtigte im Gasthof Pauly in Nürburg und entschloß sich am nächsten Tag, nachdem das Wetter noch schlechter geworden war, die Reise nach Warschau aufzugeben. Sein Apparat wurde demontiert und mit einem Fuhrwerk zum Bahnhof gebracht und dort zur Heimreise nach Paris verladen. Beim Abschied von der begeisterten Landbevölkerung erklärte er, daß der Pommery-Preis in keinem Verhältnis zum Risiko und vor allem zum Kraftaufwand stehe. Während ich schmunzelnd in der alten Zeitung blätterte und mich in das Jahr 1913 zurückversetzte, dröhnt ein Tornado der Bundesluftwaffe mit röhrenden Triebwerken über die Eifelhöhen und seine Besatzung ahnt nichts von den Problemen des Monsieur Constant Schemmel, der am 30. April 1913 auf dem Wege von Paris nach Warschau zwischen Adenau und Nürburg notlandete.