Eine Heimatdichterin des Ahrtals:
Emma Trosse (1863 – 1949)
Helmut Poppelreuter
Sie war mit vielen wertvollen Gaben ausgezeichnet und zu ihrer Lebzeit weitbekannt. Beim Lesen ihrer romantischen Heimatgedichte wird verständlich, daß diese die Zeitwirren der vergangenen Jahrzehnte überstanden haben und uns bis heute erhalten blieben. Einzelne Gedichte aus ihrem 1899 erschienenen Band »Was die Ahr rauscht« sind in den Heimatjahrbüchern des Kreises Ahrweiler unter dem Namen E. Trosse veröffentlicht worden. Bei vielen Lesern blieb die Frage offen: Wer war E. Trosse? War es ein Mann oder eine Frau? Des Rätsels Lösung wurde mit etwas Glück auf einigen Umwegen gefunden. Die erste Fundstelle war das im Jahre 1899 im Verlag von P. Plachner in Ahrweiler und Neuenahr erschienene Buch »Was die Ahr rauscht«, Gedichte von E. Trosse. Weiteren Aufschluß gaben die »Ahrweiler Zeitung« und die »Kur- und Fremdenliste« der Kurverwaltung von Bad Neuenahr, beide aus dem Jahre 1899.
Emma Trosse
Einen Hinweis gab auch das »Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten« mit folgender Eintragung: »Trosse, Emma, geb. in Gransee (Mark Brandenburg), besuchte die Schule in Bromberg und legte hier das Examen für höhere Töchterschulen ab. Sie war dann vorübergehend als Lehrerin an der Stadtschule in Gransee und an der höheren Töchterschule in Gnesen tätig, wirkte darauf als Erzieherin auf der Domäne Schneidlingen bei Magdeburg und später kurze Zeit als Lehrerin an der Stadtschule in Obernkirchen bei Bückeburg. Nachdem sie dann in Hannover die Prüfung als Schulvorsteherin bestanden hatte, übernahm sie ein höheres Töchterinstitut mit Pensionat in Würzburg und leitet gegenwärtig als Institutsvorsteherin ein größeres Pensionat in Bad Neuenahr. S: Was die Ahr rauscht (Ge.), 1899«.
Villa Carola, Hauptstraße 141
Schließlich kam gesprächsweise von Prof. Dr. med. Bernhard Kreutzberg der entscheidende Tip, als er an Dr. med. Horst Quednow verwies. Der Bad Neuenahrer Arzt, Dr. med. Horst Quednow, Inhaber und Leitender Arzt der Klinik Dr. Külz für Zuckerkranke, ein Enkel von Emma Trosse, berichtet folgendes aus dem Leben seiner Großmutter: »Im Jahre 1863 wurde Emma Trosse in Gransee in der Mark Brandenburg geboren. Bereits in der Schule stellte sie ein besonderes Talent zum Erlernen von Fremdsprachen fest, so daß sie im Laufe der Zeit nicht weniger als sieben Fremdsprachen perfekt beherrschte, was ihr auf Reisen im Ausland zugute kam. Besonders erwähnenswert sind hier Reisen per Kutsche und Schlitten quer durch Polen und Rußland. Als eine der ersten weiblichen Studenten schrieb sie sich in Berlin in der philologischen Fakultät ein. In der damaligen Zeit war »das Studieren« noch dem männlichen Geschlecht vorbehalten. Wir können es uns heute kaum mehr vorstellen, daß Fräulein stud. phil. Emma Trosse, wenn sie die von ihr belegten Vorlesungen hören wollte, 10 bis 15 Minuten vor Vorlesungsbeginn anwesend sein mußte, ihren Platz hinter einem Vorhang bezog und diesen Platz erst verlassen durfte, wenn die männlichen Kommilitonen den Hörsaal nach Vorlesungsschluß geräumt hatten. Als junge Lehrerin fand sie Anstellung in einer sogenannten Privatschule in Würzburg. In derartigen Schulen waren meist 2, 3 oder 4 Lehrkräfte angestellt und häufig wurden kaum mehr als 10 Privatschüler in einer solchen Schule unterrichtet. Sehr belesen, fiel Fräulein Trosse eines Tages eine Reisebeschreibung über ein kleines Gebiet in der Eifel – das Ahrtal – in die Hand. Sie las darin wie die Söhne von Robert Schumann, von einer Kunstmäzenin in Bad Godesberg veranlaßt, eine Ferientour durch das wildromantische Ahrtal unternommen hatten. Von dieser Reisebeschreibung fasziniert, entschloß sich Fräulein Trosse bereits in den nächsten Ferien diese Tour nachzuvollziehen. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. Bereits wenige Tage nach der Bekanntschaft mit der wildromantischen Ahr müssen die ersten Gedichte, zumindest die Entwürfe hierzu entstanden sein. In Bad Neuenahr fand sie sicherlich zunächst in einem Gasthof eine Bleibe. Von hieraus schrieb sie sofort nach Würzburg und ließ ihre Direktorin wissen, daß sie nicht mehr nach Würzburg zurückkehren werde, da ihr Herz jetzt für die Ahr und ihre Bevölkerung schlage. Da die Schulferien erst begonnen hatten, schlug sie ihrer Chefin vor, sich doch selbst von der Schönheit dieser Gegend zu überzeugen und diese Perle der Natur kennenzulernen.
Werbender Hinweis auf den Gedichtsband » Was die Ahr rauscht« in der Ahrweiler Zeitung vom 31. Januar 1899.
Es dauerte nicht lange und die beiden Lehrerinnen erlebten gemeinsam diese schöne Gegend. Eine zweite Lehrerin beschloß nicht mehr nach Würzburg zurückzukehren und an die Konrektorin der Privatschule in Würzburg erging der Auftrag, mit sofortiger Wirkung die Schulleitung zu übernehmen und für entsprechenden Ersatz der beiden im Ahrtal verlorenen Lehrkörper zu sorgen. Da der Mensch nicht nur von Schwärmerei oder vom Verfassen einiger kleiner Gedichte leben kann, mieteten die beiden Lehrerinnen eine Villa in Bad Neuenahr (jetzt Hauptstraße Nr. 120), die sogenannte »Storchenvilla«. Sie liegt gegenüber dem ehemaligen Hotel Zum Stern bzw. China-Restaurant und verdankt ihren Namen der Darstellung von Störchen im Giebel des Hauses, die heute noch zu sehen sind. Eine neue Privatschule mit noch geringerer Schülerzahl als in Würzburg war geboren. Sie existierte jedoch nur wenige Jahre; denn etwa im Jahre 1897 oder 1898 lernte Emma Trosse den eben aus Marburg nach Bad Neuenahr übergesiedelten jungen Arzt Dr. med. Constantin Külz kennen, mit dem sie bald den Ehebund schloß.
Der Lehrberuf wurde nun gegen eine Tätigkeit in der Praxis und in dem Labor des Ehemannes getauscht, der sich speziell mit der Behandlung von Zuckerkrankheiten befaßte. Zunächst war es nur eine ambulante Praxis in der Poststraße. Doch Arbeit, Fleiß und Ehrgeiz des jungen Paares führten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Erwerb einer kleinen Privatklinik und zur Gründung des Sanatorium Dr. Külz. Zuerst wurde die Villa Carola (heute Hauptstraße 141) eingeweiht. In den nächsten Jahren folgten noch verschiedene andere Häuser. So war Frau Külz-Trosse nicht nur als Poetin, Arzthelferin und Klinikleiterin erfolgreich, sondern entwickelte dazu noch große kaufmännische Fähigkeiten. Mit dem Ruf des Heilbades gewann auch das Sanatorium Dr. Külz weiter an Bedeutung.
Dieser Entwicklung bereitete der erste Weltkrieg 1914 – 1918 ein Ende. Aus dem Krieg kehrte Dr. Külz schwerkrank heim und starb plötzlich im Jahre 1923. Für Emma Külz-Trosse folgte nun eine schwere Zeit und erst 1926 kann die wirtschaftliche Leitung des Hauses von ihrer einzigen Tochter Dr. phil. Irmgard Quednow geb. Külz übernommen werden, während deren Ehemann Dr. med. Erwin Quednow-Külz die Behandlung der Diabetiker übernahm.
Auch in den folgenden Jahren wurde die wirtschaftliche Leitung mit Rat und Tat von der inzwischen 70jährigen unterstützt. Ihre Hauptaufgabe wurde jedoch in der nächsten Zeit die Betreuung ihrer fünf Enkelkinder und deren Spielgefährten aus der Nachbarschaft. Oft versammelte Oma Külz-Trosse abends bei Kerzenschein mehr als ein Dutzend Kinder in ihrem Zimmer und erzählte alte und neue, selbsterdachte Märchen. Nicht selten las sie auch selbstverfaßte Gedichte vor, die sie aus Sparsamkeitsgründen auf alte Kalenderblätter geschrieben hatte. Leider blieb so gut wie nichts mehr hiervon erhalten.
Doch die älteren Einwohner des Badestädtchens kannten alle die alte, grauhaarige Dame, die, egal ob Sonne, Regen, Sturm oder Eis, durch die Straßen schritt, um wenigstens einmal am Tage ihre geliebte Ahr zu sehen.
Bescheiden und in aller Stille verstarb sie 1949 und fand ihre letzte Ruhe auf dem alten Friedhof am Fuße des Neuenahrer Berges. Wenn du an ihrem Grab mit dem grobbehauenen Basaltkreuz und den spindelförmigen Wacholderbüschen stehst, wenn es dir gelingt, ein paar Minuten vom rauhen Alltag abzuschalten, wenn du dich umblickst, den Neuenahrer Berg, die Landskrone, das silberne Band der Ahr, Bad Neuenahr und das verträumte Städtchen Ahrweiler siehst, könnte man glauben, die romantischen Lobpreisungen dieser Landschaft noch einmal zu hören«.
«Aus dem Gedichtsband » Was die Ahr rauscht«.
Fotos: Archiv