Auswirkungen der Revolution von 1848 an der Oberahr
Peter Weber
Durch den Rückzug Napoleons aus Rußland, im Jahre 1812, wurde das Ende der französischen Vorherrschaft in Europa eingeleitet. In Preußen führte 1813 eine Volkserhebung zu den Befreiungskriegen. Diese endeten mit der Niederlage Napoleons. Der Wiener Kongreß sollte nach jahrelangen Kriegswirren Europa friedlich ordnen.
Für die »Deutsche Frage« gab es jedoch keine befriedigende Lösung. Die deutschen Fürsten und die europäischen Staaten fürchteten um ihren Einfluß. Es entstand der »Deutsche Bund«, ein Zusammenschluß der 35 deutschen Fürsten und der vier Reichsstädte. Zum Schutz von Thron und Altar schlössen sich Preußen, Österreich und Rußland zur Heiligen Allianz zusammen.
Die Verfechter der Volkssouveränität waren über diese Entwicklung enttäuscht. Es kam in Europa zu Aufständen, die auch auf Deutschland übergriffen. Ludwig Uhland drückte seine Enttäuschung in den folgenden Gedicht aus:
»Ihr Fürsten! Seid zuerst befraget:
Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht, An dem ihr auf den Knien läget Und huldiget der höhern Macht? Wenn eure Schmach die Völker lösten, Wenn ihre Treue sie erprobt, So ist’s an euch, nicht zu vertrösten, Zu leisten jetzt, was ihr gelobt.« Am 18. Mai 1848 trat in Frankfurt am Main die Nationalversammlung zusammen. Die Verhandlungen zogen sich bis Frühjahr 1849 hin. Nach der Weigerung des Preußenkönigs, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen, kam es zu weiteren Volksaufständen. Diese geschichtlichen Ereignisse blieben auch in unserer Heimat nicht ohne Auswirkungen, wie man in der Wershofener Pfarrchronik nachlesen kann.
»1848. Der Ruf nach Freiheit tönt auch in unserem Dorfe, ohne daß die Leute recht wissen, was sie wollen. Die erste Aufklärung darüber gab der Freiheitsapostel und das Haupt der Eifeler Demokraten Nicola Baur in Adenau. Jeden Sonntag hielt er Predigt in Adenau, wozu alle Bauern der Nachbarschaft eingeladen waren. Von Wershoven gingen an jedem Sonntage zwei in diese Predigt, ebenso von Ohlenhard. Das allda Gehörte wurde dann am Abende der Rückkunft wiedergekaut und andächtiger angehört als die Predigt am Morgen in dei« Kirche.«
»1849. Der Redakteur der westdeutschen Zeitung flüchtet aus Köln. Dies an und für sich uns Eifeler nicht berührende Ereignis wurde dennoch für Wershoven von Bedeutung. Denn das Zeitungsblatt der dunkelroten Revolution wird jetzt die hiesigen Köpfe nicht mehr verrücken. Seit einigen Tagen ist in Folge dieses Ereignisses die Demokraten Versammlung nicht mehr in Tätigkeit gewesen und der Tempel geschlossen. Dieser Freiheitstempel befand sich im Saale der Nesselweberfabrik. Peter Nohles war der Freiheitspriester, (unleserlich gemacht) sein Küster. Ihr Andachtsbesuch das rothe Blatt der westdeutschen Zeitung, die der Lector (unleserlich gemacht) interpretierte. Die Vikarii des Nohles waren Josef (unleserlich gemacht), ehrsamer Schreinermeister und Fuhrmann Vin-cenz Auel. (Vincenz Auel zog später nach Amerika). Ihr Gottesdienst wurde abends gehalten und Allen der Eintritt erlaubt. Bei ihren Concilien aber duldeten sie keinen Ungläubigen, d. h. Nichtdemokraten. Von den vielen Canones ist nur einer bemerkenswerth, nämlich Der Wald von Wershoven muß unter die Bürger gleichmäßig verteilt werden.‘
Dieser Canon ist glücklicherweise nicht zur Ausführung gekommen, nicht promulgirt (verbreitet/veröffentlicht) worden. Nohles hat noch viel Verderbliches gepredigt, was aber auch nicht zur Ausführung kam, weil er an dem guten Sinn der meisten Wershovener scheiterte. Seine Demokratenversammlung ist nun zu Grabe gegangen. Stehet sie noch einmal auf, dann muß sie sicher in einer verklärten Gestalt erscheinen.«
„In Hummel hat man den von der Regierung angestellten Lehrer heimgesandt und sich einen eigenen gewählt, der zwei Jahre lang die Schule behielt bis er selbst abdankte. Hier in Wershoven blieb alles sehr ruhig, obgleich man den schweren Druck der beträchtlichen Steuern hart fühlte. Die Alten sehnten sich nach jener, wie sie meinten, glücklichen Zeit zurück, wo das ahrenbergische Zepter regierte und die Jungen sangen zuweilen ein sogenanntes Freiheitslied wie zum Beispiel: Was ist des deutschen Vaterland etc. oder
Die Freiheit wohnt am Don, am Belt, sie trinkt aus unserem Rheine.
Die Freiheit schläft im Wüstenzelt und glänzt im Sternenscheine;
Doch muß man um sie werben wo’s immer sei –
Doch muß man für sie sterben, dann wird man frei.
Die Wahlen der Abgeordneten werden öfter wiederholt, daher eine Kälte gegen die Aufforderung zu wählen.« „Wenn es von anderen Seiten erschallte: Nicht wählen! so hat man dahier und in Hummel die Sache in’s Lächerliche gezogen und auf eine ganz untaugliche Person ja sogar einen Narren hingestimmt.
Auch bedauerte man es sehr, daß die Gemeinden, die dahier dem Ärmsten wie dem Reichsten gleiche Rente einräumten, jetzt bei den höchsten Interessen nach dem Mehr- oder Minderbesitz von ein paar rotbackigen Groschen oder einiger Schollen Land in Klassen voneinander gerissen sind. Ebenso hält man es für sündhaft, sich auf einen halben Tag in ein leeres Wahlspiel einzulassen, da sie sonst jede Stunde gewissenhaft zur Arbeit benutzen müssen um den Gerichtsvollzieher aus dem Hause zu halten. Den Alten kommt jetzt mehr wie früher ein lebhaftes Andenken, die milde Regierung der ahrenbergischen Herrschaft, die wahrhaft väterliche Behandlung ihrer liebevollen Herzöge, die allzeit für Ruhe und Frieden sorgten, das Wohl der Untertanen emsigst beförderten, für passable Wege, die uns am meisten noththun, die Kräfte in Anspruch nahmen, die alljährlich die Gemeinden ihres Territoriums bereisten, nach ihren Bedürfnissen und Wünschen sich erkundigten und die selbst jetzt, wo das Schicksal sie so weit und lange von ihren ehemaligen Unterthanen entfernt hat, ihre mildthätig Hand noch nicht verschließen. So erhielt Antweiler im vorigen Jahre 25 Thaler, Ahrenberg im Jahre 1847 hundert Thaler.«
»1851. Der 18. März, welcher in den vorigen Jahren in unseren Kneipen bei einem Kännchen Schnaps gefeiert wurde, ist heuer ganz unbemerkt dahin geschlichen. Den preußischen Soldaten ist an selbigem Tage verboten worden, die deutsche Farbe zu tragen.
Jetzt werden unsere deutschen dreifarbigen Fahnen auch auf die Rumpelkammer verwiesen werden, die im Jahre 1848, im Jahre großer Hoffnungen und tiefer Schmach auf allgemeine Kosten angeschafft und selbst in Prozessionen vorgetragen wurden. In politischer Hinsicht stehen wir jetzt auf demselben Punkte oder besser noch etwas tiefer als vor 3 Jahren, so daß auch auf unsere Zeit die Strophe aus dem Guckkastenlied Anwendung findet:
Hier ist zu sehn die Stadt Paris, wo man den König köpfen ließ, wo man die Welt solang gedreht, bis auf dem alten Dreck sie steht. In Adenau, wo Kaufmann Nicola Baur schon eine geraume Zeit als patronus plebis aufgetreten war, brach auch plötzlich offene Unordnung aus. Ein großer Haufen vom gemeinsten Lumpenvolk zog vor das Haus des Landrathes Gattermann und pochte so ungestüm an dessen Tür, daß dieser mit seiner Familie die Flucht ergriff.
Auf dem Marktplatz pflanzte man einen mit der deutschen Fahne und dem deutschen Adler geschmückten Freiheitsbaum auf, an dessen Fuß der Friedensrichter H. Vogt als Praedicant den Umstehenden die hohe Bedeutung dieses Ereignisses verkündete.«
Herr Gattermann kehrte nicht mehr zurück. Bürgermeister v. Meurers, der auch die Flucht ergriffen hatte, wurde von der Regierung wieder eingesetzt.
»In Antweiler hatte ein dürrer Schneider die Kühnheit, offen und gewaltthätig als Freiheitsmann aufzutreten. Michels, so hieß dieser Freiheitsmann, zog mit seinen Gesellen das Lied singend »Was ist des Deutschen Vaterland« vor die Bürgermeisterei und riß den preußischen Adler vom Hause um, wie er sagte, den schwarzen Raubvogel in den Ahrfluten zu ersäufen.
Das dürre Männlein verursachte große Angst, polizeiliche Hülfe wird requiriert und plötzlich erscheinen 18 (achtzehn) Königl. Preußische Gendarmen. In der hastigsten Eile und auf Nebenwegen hatten sie von Adenau den Weg zurückgelegt und fanden den Schneider auf dem hohen Aremberg in tiefem Schlummer auf dem Nachtlager. Michels wurde nach Koblenz geführt und zu einer halbjährigen Zuchthausstrafe verurtheilt.«
»Im Jahre 1850 zahlte der Pfarrer von hier zum erstenmal die Klassensteuer mit 4 preußischen Thalern. Vom Jahre 1854 an zahlte der Pfarrer jährlich 6 Thaler Klassensteuer und in einem Jahre 15 Sg. Kriegssteuer. Durch die Kriegsrüstung wurde von hier viel Hafer fortgeschleppt in die Militärmagazine. Auch sollen bald Kriegssteuern ausgeschrieben werden. Gott sei Dank, daß diese Freiheitszeiten unserer Gegend kein Menschenleben gekostet hat.«
Die Bemühungen freiheitlich gesinnter Menschen schlugen damals fehl. Eines aber ist sicher, ihr Streben nach Volkssouveränität blieb nicht ohne Folgen. Wir leben heute in einem Deutschland, dessen Bürger an der Gestaltung des staatlichen Lebens mitbeteiligt sind.
Dessen sollten wir uns stets bewußt sein und nach besten Kräften im Rahmen unserer Möglichkeiten unseren Beitrag dazu leisten.