Der Natur geholfen – oder ins Handwerk gepfuscht?
Der Dreimühlen-Wasserfall bei Nohn wurde »saniert« Wolfgang Pechtold
»Am Ahbach, unterhalb der Nohner Mühle, ist der berühmte Nohner Kalkfelsen; über diesen fließt in einem Wasserfall kalkreiches Wasser; Moose, Flechten und Algen bekleiden den Felsen; sie werden aber nicht wie sonst üblich zu Humus, sondern durch das kalkreiche Wasser verkalken und vesintern sie und bilden eine kalktuffartige Schicht, die jedes Jahr den Felsen backofenartig und baumförmig vergrößert…« So steht es in der Heimatchronik des Kreises Ahrweiler, erschienen 1968. Und ein Foto zeigt das Naturschauspiel: In reichem Schwall ergießt sich das Wasser über die sieben Meter hohe Felswand, stürzt in einem einzigen Anlauf dem Ahbach entgegen.
Heute würden Nohn und sein Wassertall, der eigentlich „Dreimühlen-Wasserfall« heißt, in der Heimatchronik wohl gar nicht mehr erwähnt; denn beide liegen seit der Gebietsreform auf dem Boden des Kreises Daun. Und wenn man das Kapitel doch aufnehmen wollte, so müßte es neu geschrieben und bebildert werden. Denn heute sieht der Wassertall ganz anders aus – nach einem Eingriff von Menschenhand.
Die Entstehungsgeschichte des »wachsenden Felsens«, der je nach Wachstumsbildungen jährlich acht bis dreizehn Zentimeter »zulegt«, reicht nur bis um 1910 zurück. Einen Steinwurt vom linken Ahbachufer entfernt liegt eine Quelle mit einer Schüttung von 40 bis 60 Liter pro Sekunde oder 140 bis 220 Kubikmeter pro Stunde. Beim Bau der Bahnlinie Dümpelfeld -Lissendort – St. Vith, die es längst nicht mehr gibt, wurde ihr Ablauf unter den Schienen hindurch zur steilen Abbruchkante entführt, die an dieser Stelle das Bett des Ahbaches begrenzt. Seither stürzt das Wasser und wächst der Fels – vielmehr: »stürzte« und »wuchs«. Denn Mitte der achtziger Jahre zeigte sich plötzlich eine senkrechte Kluft parallel zur Abbruchkante, dehnte sich aus, reichte bald bis zur Talsohle. Sie verschluckte den Wassertall förmlich. Die charakteristischen Versinterungsvorgänge fanden nicht mehr statt. Schlimmer noch: das Wasser drohte, zumal in Frostperioden, den ganzen Felsen zum Ahbach hin wegzusprengen.
Ein Bild aus alten Tagen: In einem einzigen Anlauf stürzt das Wasser von der
Abbruchkante sieben meter tief dem Ahbach entgegen
Die Szenerie ist verändert. Heute überwindet das Wasser in zwei Kaskaden die Höhendifferenz
von sieben Metern
»Wir haben der Natur geholfen!« So kommentierte Landrat Karl Adolf Orth, was die Kreisverwaltung Daun daraufhin im Sommer 1986 unternahm. »Ihr habt der Natur ins Handwerk gepfuscht«, wetterten die Kritiker. »Ihr hättet sie einfach gewähren lassen sollen.«
»Genau das konnten wir nicht«, hält Landrat Orth dagegen. Sein Hauptargument heißt Ver-kehrssicherungspflicht. Die Einsturzgefahr des Felsens bedeutete für ihn zu allererst einmal Gefahr für Leib und Leben der vielen Besucher des pittoresken Fleckens, eine Gefahr, deres zu begegnen galt. Warntafeln, wie es seine Kritiker vorschlugen? »Meinen Sie, die Kinder, die hier überall herumspielen, beachten die?« fragte er. Und ein Zaun? »Wie sieht das denn aus? Und wen hält der fern?« konterte er. Die Verantwortung vor dem Staatsanwalt und der haftungsrechtliche Regreßanspruch könnten so einfach nicht abgewälzt werden.
Der Landrat begegnete aber auch dem Postulat, die Natur ihr Werk tun zu lassen, mit eigenen Argumenten und einem Vergleich: Schließlich habe Menschenhand das »Naturschauspiel« des Dreimühlen-Wasserfalls geschaffen; und ob wirklich verwerflich sei, einer kranken uralten Dorflinde mit den Mitteln der Baumchirurgie zu Hilfe zu kommen . . .
Und noch etwas durfte er sich und seinen Mitarbeitern zugute halten: Sie hatten sich wissenschaftlichen Rats versichert, ehe sie die Bagger und Betonmischer in Marsch setzten. Experten des renommierten Senckenberg-lnstituts schlugen ein ganzes Maßnahmenbündel vor: Vordere und seitliche Überhänge abschlagen; den Zulauf an der Felskante auffächern und die Fließgeschwindigkeit verringern; die Transversalkluft ausmauern; schattenspendende Bäume zu beiden Seiten abholzen und den Algen- und Flechtenwuchs fördern. Vor allem aber: die Tuffwand von ober her abbauen, so daß zwei Abstürze entstehen.
Und so geschah es. Der Zulauf ist verändert, der Lichteinfall verbessert, die Kluft untermauert, der Fels auf drei Meter Höhe gekappt, der Betonsockel gegossen und mit Gestein aus der Umgebung abgedeckt. 52 000 Mark hat die Operation gekostet, bei der nur ein Zugeständnis gemacht wurde: Entgegen dem Senckenberg-Konzept ist die Höhle, die das Wasser in Jahrzehnten in die Wand gewaschen hat, nicht ausgemauert worden.
Die Höhle, die gehörte für die Üxheimer zum Bild ihres Wassertalls. Die behielten sie. Aber in seiner sonstigen Gestalt hat er sich völlig verändert. Daß jetzt das Wasser besser verteilt wird und schleierförmig den Felsen benetzt, daß die wieder reicher wachsenden Moose, Flechten und Algen versintern und der Fels wieder wächst; daß diese besonders charakteristischen, weithin einmaligen natürlichen Prozesse erst jetzt wieder ablaufen; daß damit der Wassertall eines Tages wieder seine alte Gestalt gewinnen könnte – das alles leuchtet den meisten Bürgern ein.
Aber wenn sie davorstehen, dann schüttelt immer mal wieder einer den Kopf und seufzt! »Schön is et nimmieh.«