»Wer nicht katholisch wird, muß auswandern«

Reformation und Gegenreformation in Niederiützingen

Achim Schmitz

»Pfarrer und Sendschöffen müssen genau darauf achten, daß alle Pfarrkinder sich auch wirklich zum katholischen Glauben bekennen. Diejenigen, die das nicht tun, werden bestraft und müssen innerhalb von drei Jahren Niederiützingen verlassen.« So steht es in einer Verordnung des Trierer Erzbischofs Carl Caspar von der Leyen vom 7. Januar 1658. Sie war eigens für die Pfarrei Niederiützingen sowie für ihre Nachbargemeinden Oberlützingen und Gönnersdorf erlassen worden und sollte in den drei Orten die zum Breisiger Ländchen des Fürstentums Essen gehörten, die Verkündigung des katholischen Glaubens gewährleisten.

Die Reformation im Breisiger Ländchen

Über Essen, daß sich zeitweise den Lehren Luthers zugewandt hatte, kam in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts der Protestantismus ins Breisiger Ländchen.

In Oberbreisig war Pastor Johannes Schwan, in Gönnersdorf Pastor Thomas von Hannebach Anhänger der neuen Lehre geworden. Auch in Niederiützingen hielten die reformatorischen Gedanken ihren Einzug. Hier erklärte am 19. Mai 1561 der in der Pfarrei tätige Kaplan Bal-thasar Stolzenberg in einem Schreiben an die Räte des Herzogs Wilhelm von Jülich, der Vogt über das Breisiger Ländchen war, daß er beabsichtige. »am Pfingstfeste (seinen) Pfarrkindern den höchsten und besten Trost der wahren katholischen Kirche zu geben, das Abendmahl in beiderlei Gestalt.« Stolzenberg wollte mit seiner Gemeinde zum Protestantismus übertreten. Aus dem Schreiben geht hervor, daß er bereits seit zwei Jahren die Gemeinde auf die, wie er sagt »wahre katholische Lehre« vorbereitet hatte. Von seinem Vorgesetzten, dem Landdechant von Ochtendung, war er deswegen mehrmals ermahnt und schließlich auf Weisung des Trierer Erzbischofs mit dem Kirchenbann belegt worden. Vom Herzog von Jülich. der zu dieser Zeit der protestantischen Lehre ebenfalls zugetan war, erbittet sich Stolzenberg Hilfe: er weiß sonst keinen anderen Ausweg mehr und will von seiner Gemeinde größeren Schaden abwenden.

Stolzenberg ist mit der Gemeinde zur evangelischen Lehre übergetreten. Wie lange der Seelsorger noch in Niederiützingen tätig war, ist nicht bekannt. Gesichert ist aber, daß der größte Teil der Pfarrangehörigen protestantisch wurde. Aus einer Notiz von 1570 geht hervor, daß in der Niederlützinger Pfarrkirche die evangelische Lehre verkündet wurde. Die wenigen Lützinger, die noch am katholischen Glauben festgehalten hatten, mußten ins Lammertaler Kapellchen ausweichen, das zur Pfarrei gehörte und etwa 1,5 km außerhalb des Ortes stand, und dort ihre Gottesdienste feiern.

1572 war in Niederlützingen der protestantische Pfarrer Tillmann Bocard tätig. Zu dieser Zeit war der größte Teil des Breisiger Ländchens protestantisch geworden.

Die Gegenreformation

Die Lage änderte sich, als das Herzogtum Jülich wieder in das katholische Lager schwenkte und in der Herrschaft Breisig die Gegenreformation einleitete. 1587 besetzten jülische Truppen das Ländchen. Alle protestantischen Prediger, darunter auch Tillmann Bocard, wurden vertrieben. Die Kirche in Niederiützingen wurde wieder den Katholiken gegeben. Die Bevölkerung mußte katholisch werden. Aber viele der Bewohner hielten sich nicht an die neuen Verordnungen. sondern blieben weiter dem evangelischen Glauben treu. Die Protestanten feierten nun im Lammertaler Kapellchen ihre Gottesdienste.

1611 wirkte Thomas Dom als protestantischer Prediger in Lützingen. Er war gleichzeitig auch zuständig für die Evangelischen in Breisig und Sinzig. Auch zu den Protestanten in Oberwinter unterhielt die evangelische Gemeinde Nieder-lützingen Beziehungen. 1616 predigte Baltha-sar Melchior im Niederlützinger Bürgerhaus die neue Lehre, da »der mehrenteil der Einwohner reformierter Religion wahren«.

Inzwischen wurde auch Essen aktiv und beteiligte sich an der Rekatholisierung seiner Besitzungen im Rheinland. Zunächst wurden sämtliche protestantischen Prediger vertrieben. Die Bevölkerung forderte man auf, sich zur römischen Kirche zu bekennen. Diese Maßnahme hatte aber keinen großen Erfolg, denn noch immer hielten viele an der evangelischen Lehre fest. 1628 folgte daher ein Religionsedikt, nach dem jeder Einwohner des Breisiger Ländchens mit einer Geldstrafe von bis zu 25 Goldgulden belegt wurde, wenn er an einem protestantischen Gottesdienst teilnahm. 1/2 Pfund Wachs mußten alle die bezahlen, die sich weigerten. eine katholische Meßfeier zu besuchen. Insgesamt 26 Familien wurden zu Geldstrafen verurteilt, darunter vier aus Oberlützingen und sogar elf aus Niederlützingen. Der Niederlützinger Leonhard Knaudt mußte mit 45 Goldgulden die höchste Strafe bezahlen, was damals gewiß ein Vermögen war. Trotzdem blieben viele Bewohner evangelisch.

Der Erzbischof von Trier als kirchliches Oberhaupt von Niederlützingen hatte jahrzehntelang versucht, den Protestantismus in der Brohltalgemeinde auszumerzen, jedoch ohne Erfolg. Im Jahre 1658 erließ Erzbischof Carl Casper von der Leyen daher das eingangs erwähnte Statut.

Vorausgegangen war die Festlegung des »Normaljahres« durch den Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendet hatte. Diese Festlegung hatte zum Inhalt, daß Bewohner von Gebieten, die im Jahre 1624 unter katholischer Herrschaft gewesen waren, für immer katholisch sein sollten. Gebiete, die dagegen in diesem Jahr einen protestantischen Landesherren gehabt hatten, sollten evangelisch bleiben. Da Niederlützingen zu dieser Zeit in der Fürstäbtissin von Essen eine katholische Landesherrin gehabt hatte, sollte es fortan katholisch sein. Nur hielten sich große Teile der Bewohner nicht daran, sondern hingen nach wie vor an der evangelischen Glaubenslehre. Mit einem Statut wollte Erzbischof von der Leyen diesen »Mißstand« beseitigen.

Die Verordnung

In seiner Verordnung erwähnt der Erzbischof die Zustände, die in Niederlützingen und den Nachbarpfarreien Oberlützingen und Gönnersdorf herrschten: Noch immer bekennen sich viele Bewohner zur protestantischen Lehre, obwohl es ausdrücklich verboten ist. Katholische Gottesdienste werden boykottiert und oftmals auch gestört. Während der Messen kommt es häufig vor, daß »unkatholische“, wie von der Leyen sagt, sich vor dem Gotteshaus aufhalten »und mit ungestümen Geschrei und Gesängen und sonstigen schlimmen Dingen den Gottesdienst stören«. Andere sitzen während der Meßfeieren »bei Brandtenwein in Wirtshäusern! Heimlich werden von den Protestanten Gottesdienste abgehalten. Viele Eltern lassen ihre Kinder „in heimlichen Schulen von fremden Lehrern unterrichten“. Außerdem lassen sich viele Lützinger nicht in der heimischen Pfarrkirche, sondern »an fremden Orten“ trauen.

Um diese Mißstände abzustellen, soll ab sofort folgendes Statut in Niederlützingen, Oberlützingen und Gönnersdorf gelten: 1. Die Pfarrer haben ihre Pfarrdienste nach dem Ritus der römischen (katholischen) Kirche sowie nach den im Erzbistum Trier und den im Landkapitel Ochtendung geltenden Gesetzen abzuhalten. 2. Alle Pfarrangehörigen der drei Orte müssen jeden Sonn- und Feiertag dem Gottesdienst vom Anfang bis zum Ende beiwohnen. Keiner darf eine Meßfeier in vorsätzlicher Weise versäumen. 3. Keiner darf sich während der Hl. Messe vor der Kirche oder gar im Wirtshaus aufhalten. 4. An Sonn- und Feiertagen findet um ein oder zwei Uhr nachmittags in der Kirche eine christliche Glaubensunterweisung statt. Zu dieser müssen alle Kinder kommen, die das siebte Lebensjahr vollendet haben, Heimliche Schulen sind verboten. 5. Alle Pfarrkinder haben die Pflicht, in ihrer Pfarrkirche wenigstens einmal im Jahr, in der vorösterlichen Zeit, zur Beichte zu gehen und die Hl. Kommunion zu empfangen. 6. Niemand darf sich ohne die besondere Erlaubnis des Pfarrers außerhalb der Pfarrei trauen lassen.

7. Die Pfarrer und die Sendschöffen der drei Ortschaften sollen die Einhaltung der Verordnung überwachen. Bewohner, die gegen die Bestimmungen verstoßen, sollen zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. Personen, die nach Ablauf einer Zeit von drei Jahren immer noch am Protestantismus festhalten, sollen ausgewiesen werden.

Das Statut des Trierer Erzbischofs scheint seine beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt zu haben, zumal von der erzbischöflichen Behörde in der Folgezeit Seelsorger in die Pfarreien beordert wurden, die sich die Mission der Bevölkerung als vorrangiges Ziel gesetzt hatten. Viele Protestanten konvertierten. In Niederlüt-zingen waren auch einige darunter, die 1653 noch zu hohen Geldzahlungen bestraft worden waren. In Sterbebüchern der Pfarrei tauchen bis Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder Namen von Personen auf, die ehemals evangelisch waren und zum katholischen Glauben wechselten. 1704 wird im Taufbuch der Gemeinde die letzte Taufe eines Protestanten erwähnt. Danach scheinen keine evangelischen Christen mehr hier gewohnt zu haben.

Fast 150 Jahre hatte der Glaubenskonflikt gedauert. Er war sicherlich weit über die religiösen Streitigkeiten hinausgegangen und hatte das ganze Leben in der Gemeinde beeinträchtigt.

Literatur:

Karl Sinemus:
Die Reformation und Gegenreformation in der ehemaligen Herrschaft Breisig am Rhein. Barmen 1883.

Johann Jakob Blattau:
Staluta Synodolia ordinationes et mandata ar-cnidiocesis Trevirensis. Band 3, Trier 1844.

Leonard Ennen:
Geschichte der Reformation der Bereiche der alten Erzdiozesse Köln. Köln 1843

Peter Schug:
Geschichte der Pfarreien der Dekanate May-en und Burgbrohl. Trier 1961.

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