Zukunft des ländlichen Raumes steht auf dem Prüfstand
Die Europäische Kampagne für den ländlichen Raum gab Impulse
Arnim Franke
Vor über einem Jahr ging eine Kampagne europäischen Zuschnitts zu Ende, von der die einen sagen »viel Geld für Schall und Rauch« und andere behaupten »es ist etwas in Gang gekommen.« Gemeint ist die vom Europarat initiierte Europäische Kampagne für den ländlichen Raum; sie begann im Frühjahr 1987 und endete im Oktober 1988.
Es wäre verfrüht, schon jetzt Bilanz zu ziehen, es waren und sind Weichenstellungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen, deren Auswirkungen sich nur langfristig bemerkbar machen.
Allerdings gab die Europäische Kampagne Impulse. Sie provozierte zum politischen Nachdenken und rückte den sogenannten ländlichen Raum für eine gewisse Zeit nicht nur in die Schlagzeilen, sondern auch in das Gedächtnis jener Polit-Profis, die sich offenbar mehr für die »hohe Politik« verantwortlich fühlen. So fand zum Beispiel eine Kommunaldebatte im Deutschen Bundestag statt. Eine Menge leerer Abgeordnetensessel verriet ein nicht gerade überschwengliches Interesse an den Sorgen und Nöten der Kommunen, doch konnte der aufmerksame Zuhörer zwischen den Zeilen der wohlfeilen Redebeiträge die Erkenntnis heraushören, daß es auch auf dem Lande Wählerpotentiale gibt und man sich folglich um diese verstärkt zu bemühen hat.
Diese Spitzfindigkeit soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele maßgeblichen Persönlichkeiten erkannt haben, daß ein lebensfähiger ländlicher Raum unverzichtbar ist für den Erhalt unserer Umwelt, der landschaftlichen und kulturellen Vielfalt sowie nicht zuletzt für eine gesunde und menschliche Sozialstruktur.
Die Lebensfähigkeit des ländlichen Raumes -und hier bildet der Landkreis Ahrweiler keine Ausnahme – ist unter anderem auch in besonderem Maße abhängig von der Aufrechterhaltung oder dem Abbau öffentlicher Dienstleistungen. Letzteres mag auf Rationalisierungsdruck zurückzuführen sein oder aber spiegelt eine deutlich zutage tretende Strukturschwäche vieler ländlicher Gebiete wider.
Da steht zunächst das kleine Postamt mangels Auslastung zur Disposition, der Bahnhof verliert seine Daseinsberechtigung, da aus Kosten- und Rationalisierungsgründen Schienenstränge gekappt werden; die Türen des Amtsgerichtes schließen sich ebenso für immer wie jene des Kultur- und Flurbereinigungsamtes:
Der Landkreis Ahrweiler ist in diesen Dingen leidgeprüft.
Die Dienstleistung für den Bürger schrumpft, der davon betroffene Raum verliert zunehmend an Attraktivität, insbesondere junge Menschen wandern ab oder ziehen erst gar nicht zu. Der Teufelskreis schließt sich, denn: Wird eine bestimmte Bevölkerungsdichte unterschritten, läßt sich ein flächendeckendes Netz von Einrichtungen der Infrastruktur nur noch schwerlich aufrechterhalten. Fehlen aber diese Einrichtungen in vertretbarer Entfernung, entwickelt sich ein Trend zur Abwanderung aus den ländlichen Gebieten hin in die Verdichtungsräume. Diese Entwicklungen dürften wiederum Auswirkungen auf die Ansiedlungs- und Investitionsbereitschaft der Wirtschaft haben und schließlich berechtigte Wünsche nach einem Ausbau öffentlicher Infrastruktur unterdrücken.
Ganz abgesehen von der durch die Wanderungsbewegungen verzerrten Altersstruktur in ländlichen Regionen, die zu sozialpolitisch unerwünschten Fehlentwicklungen führen kann. Insbesondere die älteren Menschen sind auf öffentliche Dienstleistung gerade im ländlichen Raum angewiesen.
Was die Bevölkerungsentwicklung im Landkreis Ahrweiler betrifft, so gibt es hier nach den Angaben des Statistischen Landesamtes gegenwärtig keinen Grund zur Sorge. Basierend auf der Volkszählung von 1987 läßt sich in puncto Wohnbevölkerung in den Ahrkreis-Grenzen ein Plus von 0,3 Prozent verbuchen. Dabei haben interessanterweise ländliche Gebiete in den Verbandsgemeinden Adenau, Al-tenahr, Bad Breisig und Brohltal teilweise recht ordentliche Zuwächse zu verzeichnen (zum Beispiel Qiddelbach + 10,3; Sierscheid + 18,7;
Altenahr + 10,8; Waldorf + 4,3; Hohenleimbach + 9,2 oder Brenk + 9,0), während in den Städten Bad Neuenahr-Ahrweiler, Remagen, Sinzig sowie in der Gemeinde Grafschaft durchweg Minuswerte zu verzeichnen sind.
Die Altersstruktur im Ahrkreis stellt sich im Vergleich zu anderen bundesdeutschen Landkreisen auch recht positiv dar. So bildet die Altersgruppe der 20- bis 25jährigen den Löwenanteil. Es folgt die Gruppe der 25- bis 30jährigen und schließlich die 30- bis 35jährigen. An vierter Stelle liegen die 50- bis 55jährigen Ahrkreisbür-ger und erst an sechster Stelle die 65- bis 70jährigen (Stand am 31. Dezember 1987).
Kurze Wege zu den Zentren — etwa Bonn oder Koblenz — kennzeichnen die vorteilhafte geographische Lage des Landkreises Ahrweiler. Die sogenannten peripheren Räume innerhalb der Kreisgrenzen übernehmen schließlich in Ergänzung den Part als Naherholungsgebiete. Wirtschaftliche Strukturveränderungen verbunden mit Arbeitslosigkeit, Geburtenstagnation und Bevölkerungsrückgang sowie ein Mangel an menschlicher Nähe und damit einhergehend eine wachsende kulturelle Uniformierung auf dem Weg in das Zeitalter des »Rund-um-die-Uhr-Fernsehens« sind Probleme, die vielfach diskutiert werden.
Kumulieren diese Tendenzen, beginnt unter Umständen eine Entwicklung, welche die europäische Landschaft und damit auch die europäische Gesellschaft ähnlich tiefgreifend verändern könnte, wie die Industrialisierung vergangener Jahrzehnte.
Ein bemerkenswertes Beispiel gravierender Strukturveränderungen bietet der Agrarbereich – das trifft auch auf den Landkreis Ahrweiler zu. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes gab es 1983 im Ahrkreis insgesamt 2 093 Bau-nerhöfe. Dagegen zählten die Statistiker im Jahre 1987 nur noch 1 838 landwirtschaftliche Betriebe, das entspricht einem Rückgang von 255 Höfen oder 12,2 Prozent – in nur vier Jahren.
Die meisten Agrarbetriebe befinden sich in der Verbandsgemeinde Adenau (567) sowie in der Verbandsgemeinde Altenahr (441). In den Regionen Adenau, Grafschaft und Brohltal wird das Landschaftsbild überwiegend durch die Landwirtschaft geprägt. 28,5 Prozent der Betriebe werden noch im Haupterwerb bewirtschaftet. Die durchschnittliche Betriebsgröße beläuft sich auf 10,8 ha und liegt damit um 9,4 Prozent unter dem Landesdurchschnitt (11,9 ha). Aber nicht nur die Landwirtschaft, auch der Weinanbau ist für den Landkreis Ahrweiler ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Immer dominanter im wirtschaftlichen Kräftespiel wird der Fremdenverkehr, und hier schließt sich der Kreis. Wird nichts unternommen gegen den Niedergang der bäuerlichen Strukturen, so ließe sich vielleicht schon in einem Jahrzehnt ein Szenario zeichnen, in dem dichtbesiedelte Industriegebiete mit Gegenden wechseln, in denen verlassene und funktionslose Dörfer in einer Landschaft verfallen, die ihrerseits erheblich an Attraktivität verloren hat. Und gerade die abwechslungsreiche und reizvolle Landschaft im Landkreis Ahrweiler ist dessen bedeutendstes Kapital.
Dies wiegt umso mehr, da sich der Ahrkreis in unmittelbarer Nähe zur Bundeshauptstadt Bonn befindet und somit auch für gewisse -ökologische – Ausgleichsfunktionen geradezu prädestiniert ist. Ökologische Ausgleichsfunktion heißt aber nicht »Müllabladeplatz« für Verdichtungsräume (sprich Großstädte), sondern bedeutet saubere Luft, sauberes Wasser sowie in Freizeit und Urlaub spürbare landschaftliche Schönheit.
Wenn diese nur ausschnittartig dargestellten Bedenken und Anregungen durch die Europäische Kampagne in politisches Handeln umgemünzt werden können, ist vieles erreicht.