Aus dieser Quelle trinkt die Welt – Vor 150 Jahren begann der Siegeszug des Neuenahrer Wassers
Im Jahre 1852 legte der Ahrweiler Winzer und Kaufmann Georg Kreuzberg in der Nachbargemeinde Wadenheim – heute Bad Neuenahr – den Grundstein für zwei sprudelnde Unternehmen. Er gründete den Apollinarisbrunnen an der Grenze zu Heppingen und das Heilbad Neuenahr im Dörfchen Beul. Beide Unternehmen wurden weltberühmt. Das eine löschte mit seinem Wasser den Durst der Welt, das andere heilte mit seinem Wasser die echten und vermeintlichen Zipperlein der Welt.
Beide Unternehmen veränderten in rasantem Tempo die Topographie zwischen Landskrone und Neuenahrer Berg. Beide Unternehmen brachten einer bitterarmen Bevölkerung in ehedem armseligen Bauern- und Winzerdörfern an der Ahr, einen bescheidenen Wohlstand. Hohen und höchsten Kreisen aus dem In- und Ausland prickelte das Mineralwasser auf der Zunge und im Whisky, wärmte und umschmeichelte das Heilwasser die Glieder.
An der unteren Ahr wusste man seit Jahrhunderten von vorhandenen Mineralquellen. Sie waren jedoch nur bescheiden gefasst, aber nicht nach wissenschaftlich geologischen Verfahren aufgespürt, tiefgründig erbohrt und vor allem nicht wirtschaftlich genutzt. Dazu bedurfte es des Weitblicks eines zielstrebigen Kaufmannes, aber auch seiner Zähigkeit und Verbissenheit. Georg Kreuzberg ging den Dingen im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Grund”. Unter wissenschaftlicher Beratung der Bonner Geologen Professor Dr. Gustav Bischof und dessen Sohn Professor Dr. Carl Bischof wurde im Frühjahr 1852 die später sogenannte Apollinarisquelle erbohrt und sorgfältig gefasst.
Im gleichen Jahre begannen Georg Kreuzberg und Gustav Bischof auch, das Gebiet der heutigen Kuranlagen systematisch nach Mineralquellen zu durchforschen. Mit großem Erfolg, der Georg Kreuzberg ermutigte, 1857 eine Gesellschaft zur Gründung des Bades Neuenahr zu konstituieren. Über Leben und Wirken Georg Kreuzbergs, über seinen Apollinarisbrunnen und das Heilbad Neuenahr sind eine Vielzahl profunder Aufsätze und Gesamtdarstellungen erschienen, so dass es an dieser Stelle nicht nötig erscheint, den Leser mit längst Bekanntem zu langweilen.
Hier soll vielmehr versucht werden, einige Kuriosa, Streiflichter und Impressionen aus der Frühzeit für sich sprechen zu lassen.
Unter der Leitung von Georg Kreuzberg wuchs der Apollinarisbrunnen zu einem blühenden Unternehmen heran. Schon nach 20 Jahren erreichte die Produktion einen Jahresabsatz von fast 2 Millionen Flaschen. Das weitere Anwachsen der Nachfrage bedingte einen professionell geführten Versand mit Kontakten in der ganzen Welt. Hier bot sich ein deutschstämmiger englischer Kaufmann aus London an, Eduard Steinkopff, der im November 1873 einen Vertrag mit dem Sohn Georg Kreuzbergs, Anton Kreuzberg, der in der Leitung des Brunnens tätig war, schloss. Anton Kreuzberg übertrug ihm zunächst versuchsweise und ab 1878 endgültig den Auslandsvertrieb. Die Apollinars Company Limited war gegründet. Sie unterhielt in Remagen ein Comptoir, von dem aus der Versand nach England gesteuert wurde.
Und so meldet die Ahrweiler Zeitung im März 1875:
Remagen. In dieser Woche nahm hier ein kleines Seeschiff direct eine Ladung unverpackten Mineralwassers vom Apollinarisbrunnen ein. Es ist dies der erste Fall, daß ein Seeschiff hierorts ladet. Wie man hört, sollen, wenn dieser Versuch gelingt, jeden Monat mehrere kleine Seeschiffe zur Einladung von dem in England so sehr begehrten Apollinariswasser hierher kommen.
Nun, der Versuch gelang, der Auslandsabsatz boomte. Die Chronik der Bürgermeisterei Neuenahr (ab 1875) notiert:
Der Versand von Apollinaris Mineralwasser betrug im ers-ten Quartal 1881 1744403, im zweiten Quartal 1881 3537910 Flaschen und Krüge. Das Absatzgebiet für das Mineralwasser erstreckt sich fast über die ganze bewohnte Erde, die größte Absatzquelle ist Amerika, vorzüglich die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, hierauf folgt England, demnächst Deutschland, Holland mit den Indischen Besitzungen, Frankreich, Belgien, Österreich, Italien.
Arbeitspersonal 49 männliche und 54 weibliche Personen, die erwachsenen Leute vom männlichen Personal sind mit Packen von Flaschen und Krügen in Kisten und Körbe beschäftigt, während die jüngeren Leute größtentheils am Bahnhof Neuenahr mit Ein-und Ausladen der ankommenden resp. der zur Versendung gelangenden Gefäße theils aber am Apollinarisbrunnen zur Verrichtung kleinerer Dienstleistungen verwendet werden. Das weibliche meis-tentheils aus Mädchen im jugendlichen Alter bestehende Arbeitspersonal findet Beschäftigung ausschließlich in der Anfertigung von Strohhülsen in dem Gebäude am Landskronerbrunnen.
Die hier angeführten Beschäftigungszahlen dürften sich nur auf die mit Versandarbeiten beschäftigten Kräfte beziehen, denn die Gesamtzahl der Arbeiter ist mit 225 angegeben. Erwachsene Arbeiter erhielten 2,50-3,00 Mark, während jüngere Kräfte je nach Leistung 1,20-1,50 Mark pro Tag „während der günstigen Jahreszeit” erhielten. Das heißt, dass bei Rückgang der Produktion entweder niedrigere Gehälter gezahlt oder auch Arbeiter entlassen wurden.
Vor Eröffnung der Bahnlinie Ahrweiler-Remagen 1880 wurde das Mineralwasser von Fuhrleuten nach Remagen transportiert, später dann zum Bahnhof Neuenahr. Einer von ihnen war Jean Giffels aus Neuenahr, der Georg Kreuzbergs Tatkraft auch seinen später erworbenen Reichtum als Hotelier im Heilbad Neuenahr verdankt. In einer Eingabe der Aktiengesellschaft Bad Neuenahr aus dem Jahre 1908 lesen wir:
Jean Giffels, Eigentümer des Hotels Kaiser Friedrich und Park-Hotel, war Fuhrknecht, der Flaschen zwischen dem Apollinarsbrunnen und der Bahn gefahren hat. Er heiratete vor etwa 12 Jahren die Tochter eines Sattlers und Polsteres in Coblenz, etablierte sich als Möbelhändler (Anm.: in der Mittelstraße) hat jetzt drei eigene Häuser, viele Baustellen, wird auf M 150000 Vermögen und ein jährliches Einkommen von ca. M 15000 geschätzt.
Der geneigte Leser möge dieses Einkommen mit dem eines am Apollinarisbrunnen beschäftigten Arbeiters vergleichen. Er rechne die Woche mit sechs Arbeitstagen! Und Jean Giffels war nur einer von vielen Großverdienern in dem von Georg Kreuzberg nach dem Apollinarisbrunnen gegründeten Bad Neuenahr bei Beul an der Ahr.
Blick in die Flaschenabteilung von Apollinaris, Holzstich von 1877. Stündlich wurden dort 4000 Flaschen gespült.
Wie sieht nun ein Arbeitsalltag in dieser Zeit „am Brunnen” aus – entnehmen wir die Atmosphäre einem zeitgenössischen Reisebericht:
Ein Blechhut ist über die Brunnenschale gestülpt und ein breites Leitungsrohr führt empor zum Füllraum. Neben der Brunnenstube befinden sich die Dampfpumpen, welche das Wasser sowohl als die Kohlensäure emporheben. Welche Prozesse beide durchzumachen haben, ehe sie in den Füllraum gelangen, ist natürlich Geheimnis der Gesellschaft. In dem Füllraum sind die Spülmaschinen interessant, welche einen großen, sich beständig drehenden Kranz von Flaschen tragen, die Flaschen auf den Kopf gestellt und durch einen sich in ihrem Innern kreuzenden Wasserstrahl ausgespült. Sie werden von Mädchen bedient; die eine, vor der ein elektrisches Glühlicht brennt, hat nur die Exaktheit der Reinigung zu prüfen, und wo sie auch nur ein Fleckchen oder Stäubchen entdeckt, scheidet sie die Flasche aus. An den Füllhahnen, die eine fortlaufende Nummer tragen, sind nur Männer beschäftigt – das ganze Personal ist mit Drahtschutzbrillen versehen gegen die Splitter der etwa zerspringenden Flaschen. Das knallt dann jedesmal wie ein Pistolenschuss, so scharf ist die eingepresste Kohlensäure gespannt. Ein Röhrensystem führt das Wasser und die Kohlensäure her, beide werden in die Flasche eingeführt, diese dann sogleich gekorkt und gedrahtet. Auf Schienen, die alle Räume durchqueren, rollen die flaschenbeladenen Wagen in den Packraum; dort wird nochmals jede einzelne Flasche gegen das Licht gehalten und auf ihre Reinheit geprüft. Dann geht es an das Etikettieren. Alle möglichen Länder sind da vertreten; sogar malaische Inschrift fand ich neben den kleinen roten Dreieck der Trade mark. Für den Kontinent geschieht der Versand waggonweise ab Bahnhof Neuenahr, der sich ganz in der Nähe befindet. Für Schiffsladungen werden die sauber gehobelten, länglichen Kisten per Achse nach Remagen befördert und dort direkt in die Seeschiffe von geringerem Tiefgang verladen. … Im Winter müssen die Lager- und Packräume geheizt werden, denn bei großer Kälte würden die gefüllten Flaschen zerplatzen. Während der strengsten Wintermonate ruht Füllung und Versand.
(Undatierter Nachdruck aus dem Neuen Tagblatt, Stuttgart, Ende 19. Jhdt.).
Georg Kreuzberg starb am 24. Dezember 1873 im 78. Lebensjahr. Sein Sohn, Direktor des Apollinarisbrunnens Anton Kreuzberg im März 1899 im 72. Lebensjahr. Ein Nachruf in der Ahrweiler Zeitung, 6. März 1899, würdigt sein und seines Vaters Lebenswerk:
Die Wichtigkeit des Apollinarisbrunnens für die Arbeiterklasse und die ganze wirthschaftliche Entwicklung der Umgegend tritt um so mehr hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, daß vor der Entdeckung des Brunnens die wirthschaftlichen Zustände an der unteren Ahr außerordentlich trübe gewesen sind. … Diese traurigen Verhältnisse haben sich an der unteren Ahr mit der Entdeckung des Apollinarisbrunnens geändert. Eine immer mehr wachsende Zahl von Arbeitern und Arbeiterinnen (bis 500) haben dort Jahrzehnte hindurch dauernde Beschäftigung gefunden und durch das Emporblühen desselben haben sich für unsere ganze Gegend neue Quellen lohnenden Verdienstes eröffnet, so daß sich nach und nach ein erfreulicher Wohlstand wieder eingefunden hat. Und, in welcher Weise hat der Verstorbene für seine Arbeiter und deren Fortkommen gesorgt! Schon lange vor der Einführung der staatlichen Arbeiterschutzgesetzgebung hat er Einrichtungen in’s Leben gerufen, welche Zeugniß dafür ablegen, daß er ein Herz für seine Arbeiter hatte. Der Gründung einer Krankenkasse, die er reichlich dotirte, folgte die Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle, später richtete er, um den Arbeitern die Lust am Sparen zu fördern, eine Arbeitersparkasse ein, zu welcher vom Geschäft erhebliche Zuschüsse flossen.
Ob der Prinz von Wales oder Reichskanzler Fürst Bismarck jemals den Namen Kreuzberg gehört haben, wissen wir nicht. Dass beide aber zu den unzähligen Genießern auf der ganzen Welt gehörten, die ein gepflegtes Tafelwasser, die Queen of table waters, neben Champagner zu ihrem Leibgetränk erkoren, lesen wir mit Schmunzeln:
Verladung von Apollinaris-Flaschen auf Segelschiffe in Remagen. 1875 wurden sechs Millionen Flaschen nach England verschifft, eine Million nach Holland und eine Million nach verschiedenen Gebieten Deutschlands versandt.
Welchen Weltruf der Apollinarisbrunnen sich bereits errungen, geht recht deutlich aus den nachstehenden Mittheilungen der in London erscheinenden „Morning Post” hervor. Der Prinz von Wales befindet sich bekanntlich gegenwärtig auf einer Reise von England nach Indien. Die „Morning Post” gibt nun im Bezug hierauf dem englischen Publikum die beruhigende Versicherung, daß der Vicekönig von Indien für die Reise des Prinzen von Wales alle möglichen Vorbereitungen getroffen hat, welche ihm nur immer die gewünschte Bequemlichkeit zusichern, oder ihn vor Krankheiten zu schützen geeignet sind, und sagt dann weiter: Der Vicekönig hat die Vorsorge so weit getrieben, daß er sogar nach allen Punkten, welche der Prinz zu gerühren gedenkt, ein genügendes Quantum Apollinariswasser vorausgesandt hat. Allerdings wird Trinkwasser in heißen Klimaten und also auch in Indien leicht zur Krankheitsursache. Apollinariswasser, aus der Apollinarisquelle bei Ahrweiler, wird hier sehr viel getrunken und gilt als das reinste, gesundeste, verdaulichste und zugleich schmackhafteste Getränk seiner Art.
Außer der bereits gebrachten Notiz, wonach der Vicekönig von Indien Vorsorge getroffen hat, daß der Prinz von Wales auf seiner Reise stets Apollinariswasser finde, dürfte die Mittheilung auch interessant sein, daß dieses Wasser seit vielen Jahren das tägliche Getränk des Fürsten Bismarck ist, der seinen Bedarf mitunter eigenhändig in Auftrag gibt.
(Beide Notizen aus der Ahrweiler Zeitung, Oktober 1875)
Als Seine Majestät der Kaiser am 17. Oktober 1906 auf einer Fahrt durch das Ahrtal nach Maria Laach im langsamen Tempo den Apollinarisbrunnen passierte, begrüßten die in ihrer Tätigkeit einen Moment innehaltenden Arbeiter ihren kaiserlichen Herrn mit kräftigem Hurra, was seine Majestät sehr zu erfreuen schien. Sicherlich hat er huldvollst lächelnd höchst eigenhändig gewunken und sich erinnert, dass sein seliger Großvater die Verdienste Georg Kreuzbergs schon mit Verleihung des Roten Adlerordens gewürdigt hat. Ob seine Majestät allerdings schnell noch eine Kiste Apollinariswasser mitgenommen hat, wissen wir nicht. Wir können uns aber vorstellen, dass der Genuss dieses Tafelgetränks sicherlich mäßigend auf manchen seiner politischen Schnellschüsse gewirkt hätte. Leider haben seine Majestät auch nie das Heilbad Neuenahr, das Rheinische Karlsbad, mit allerhöchstem Besuch beehrt, was der Wunsch der Bevölkerung gewesen war. Die Untertanen seiner englischen Verwandtschaft jedoch waren sich der wohltuenden und heilenden Wirkung der Quellen aus dem Ahrtal durchaus bewusst und strömten in jeder Saison nach Neuenahr.
Georg Kreuzberg hat für sein segensreiches Wirken im Ahrtal posthum viele Ehrungen erhalten. An ihn erinnern das Monument über dem Apollinarisbrunnen, eine Büste im Kurpark Neuenahr, eine Erinnerungstafel an seinem Geburtshaus in der Niederhutstraße in Ahrweiler und auch die Georg-Kreuzberg-Straße in Bad Neuenahr. Auch wir heutigen Bewohner des Ahrtals sollten uns im Jubiläumsjahr 150 Jahre Apollinarsbrunnen dankbar seiner erinnern.