Landkreis Ahrweiler setzt ein Zeichen der Erinnerung und Versöhnung

Rede von Landrat Joachim Weiler anläßlich der Enthüllung der Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus im Kreis Ahrweiler am Montag, 3. Juli 1989, im Altgebäude der Kreisverwaltung Ahrweiler

Es ist ein schmerzhaftes, weil mit viel Blut und Tränen verbundenes Erinnern, wenn wir jener Menschen gedenken, die Opfer eines Gewaltregimes wurden, wie es kein vergleichbares je gegeben hat. Daher tun wir uns schwer mit unserer Vergangenheit. Wo andere Völker in Stolz zurückblicken, wie etwa die Franzosen auf das 200jährige Jubiläum ihrer Revolution, da herrscht bei uns vielfach Verdrängung vor. Es ist eine natürlich menschliche Reaktion, das Positive eher und dominierender in den Vordergrund zu stellen. Das mag grundsätzlich richtig sein. Für uns Deutsche ist es jedoch kein Weg der Auseinandersetzung mit unserer jüngsten Vergangenheit.

Die Anbringung einer Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus im Kreis Ahrweiler hat eine längere Vorgeschichte. Es war der Kreistag Ahnweiler, der sich im Juli 1987 auf Antrag der SPD-Fraktion einvernehmlich für ein nach außen deutliches Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Kreis Ahrweiler aussprach. Den Fraktionsvorsitzenden wurde es übertragen, gemeinsam mit dem Landrat einen geeigneten Standort für die Gedenktafel auszuwählen.

An dieser Stelle möchte ich den Herren Wirz, Dr. von Stackelberg und Dr. Stange danken. Ich habe die Überlegung zur Gedenktafel von meinem Vorgänger Dr. Plümer übernommen und konnte feststellen, daß man sich in bester demokratischer Manier intensiv und in tiefem Ernst mit dieser notwendigen Erinnerung an die damalige Zeit auseinandergesetzt hat. Es waren das Erich-Klausener-Gymnasium Adenau und der Ehrenfriedhof in Sinzig-Bad Bodendorf als Standorte im Gespräch gewesen. Letztlich hat man sich für das alte Landratsamt entschieden, wo mehrere Jahre der Kreisleiter der NSDAP und NS-Landrat seinen Sitz hatte. Der Ort der Gedenktafel ist auch in einem weiteren Zusammenhang zu sehen. Die Antwort der Deutschen auf das damalige Unrechtssystem ist die Bundesrepublik Deutschland – ein freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat, in dem jedem Bürger Grundrechte verbrieft sind, in dem der Rechtsweg offen steht gegen jede staatliche Maßnahme. Ebenso wie der Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland unsere Antwort auf das damalige Unrechtssystem ist, so ist die heutige Kreisverwaltung mit ihren vielen jungen Beamten, deren Ausbildung auf Rechtsstaat und Bürgernähe ausgerichtet ist, unsere Antwort auf ein NS-Verwaltungssystem. Gleichsam symbolisch kommt das in der räumlichen Trennung des ehemaligen Landratsamtes zur heutigen Kreisverwaltung zum Ausdruck.

Ein erneutes Gedenken an eine Zeit, die längst vorüber ist – so werden vielleicht einige sagen, die unser Bemühen um Geschichtsaufarbeitung skeptisch beobachten. Im Kreis Ahrweiler wird seit einigen Jahren intensiv angestrebt, vor allem die jüngste deutsche Vergangenheit offen und objektiv darzustellen. Ich nenne das Heimatjahrbuch, in dem seit der Ausgabe 1987 regelmäßig Beiträge zum Nationalsozialismus erscheinen. Wir haben Ausstellungen zur NS-Zeit gezeigt – auch die hier präsentierte unter dem Thema »Die Zeit des Nationalsozialismus im Kreis Ahrweiler: Verfolgung und Widerstand« gehört dazu -, ein heimatkundliches Studienbuch speziell zum Thema Nationalsozialismus befindet sich in Vorbereitung.

All diese Mosaiksteine des Gedenkens an die NS-Zeit sind notwendig. Wir können und dürfen vor dem schwärzesten Kapitel unserer Geschichte überhaupt die Augen nicht verschließen. Wer die Geschichte nicht kennt, wiederholt ihre Fehler. Das sollten wir bedenken. Wer heute den Rückblick auf die Jahre von 1933 bis 1945 wagt, der kommt an einer Rede nicht vorbei, der historischen Rede von Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, die er am 8. Mai 1985 gehalten hat. Darin hat er aufgeräumt mit dem Irrglauben, daß jede Generation sich ihre eigene Geschichte macht, die losgelöst ist von ihren Vorfahren und deren Erfahrungs- und Erlebniswelt. Vergangenheit zu bewältigen, darum kann es nach seiner Auffassung nicht gehen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich, wie er sagt, nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Bundespräsident von Weizsäcker zieht daraus den Schluß, daß es Versöhnung ohne Erinnerung nicht geben kann. Die Inschrift im Mahnmal des ehemaligen KZ Bergen-Belsen bringt gleiches mit einer jüdischen Weisheit zum Ausdruck: »Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung«.

Wir wollen uns erinnern an jene Zeit, wir wollen all der Menschen gedenken, die vom NS-Regime verfolgt, unterdrückt, getötet wurden. Unser Gedenken gilt den politisch Verfolgten gleich welcher Richtung. Es gilt in besonderem Maße den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, den Kriegsgefangenen, Verschleppten, Zwangssterilisierten, es gilt den Verfolgten in Verbänden und Kirchen.

Ihre genaue Zahl und ihre Namen sind heute nicht mehr festzustellen. Deshalb trägt die Gedenktafel die Inschrift »Den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Gedenken – Der Landkreis Ahrweiler.«

Unser Vorstellungsvermögen versagt, wenn der Schrecken und das Unrecht zahlenmäßig solche Dimensionen annimmt. Bei dem Ausmaß der Verbrechen dürfen wir aber nicht vergessen, daß hinter jeder Zahl Einzelschicksale stehen.

Die Gedenkstunde mit der Enthüllung der Gedenktafel wurde auf den 3. Juli 1989 terminiert in Erinnerung eines Mannes, der vor nunmehr 55 Jahren als Opfer des Nationalsozialismus sein Leben lassen mußte. Am 30. Juni 1934 wurde Dr. Erich Klausener, der vormalige Landrat von Adenau, in Berlin von Schergen des NS-Regimes umgebracht. Er war den Machthabern schon seit längerem unbequem, man suchte und fand mit dem sog. Röhm-Putsch eine Gelegenheit, sich dieses in seiner Verweigerungshaltung standhaften Mannes zu entledigen. Erwähnt werden muß auch der Pfarrer von Wassenach, Josef Zilliken, der am 3. Oktober 1942 im Konzentrationslager Dachau starb.

Mit der Gedenktafel will der Landkreis Ahrweiler ein Zeichen setzen, ein Zeichen der Versöhnung und ein Zeichen der Erinnerung. Die junge Generation ist in dieses Bestreben nach Aufarbeitung der Geschichte eingeschlossen. Das Studienbuch über die NS-Zeit richtet sich insbesondere an die jüngere Generation. Erinnern darf ich auch daran, daß der Kreis zum 50. Todestag von Dr. Klausener eine Veranstaltung durchgeführt hat, die unter dem Motto »Politische Kultur und Wertorientierungen Jugendlicher heute« die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen hat. Wer sich die aktuelle politische Landschaft ansieht, der weiß, daß gerade heute die Erinnerung not tut.

Wir können uns eben aus der eigenen Geschichte nicht ausklinken. Ich zitiere dazu den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der vor einer Kommandeurstagung der Bundeswehr sagte: »Ihre Söhne werden schon Generäle sein und noch immer wird von Auschwitz die Rede sein.«

So schrecklich jene Zeit war und so fürchterlich das Wort Auschwitz in unseren Ohren klingt – stehen wir dazu und tragen wir dazu bei, daß jene Vergangenheit niemals vergessen wird.

Im Beisein der Fraktionsvorsitzenden im Kreis Ahrweiler enthüllte Landrat Joachim Weiler (rechts) die Gedenktafel für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft

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