Spürbarer Klimawandel im Weinbau der Ahr

Paul Gieler

Kaum eine Pflanze reagiert auf den Klimawandel so empfindlich wie die Weinrebe. In der Geschichte zeigt sich der Weinbau immer wieder als Klimaindikator. Das Wetter und seine Komponenten wie Temperatur und Niederschlag sind der wichtigste fördernde und limitierende Wachstumsfaktor für alle Pflanzen in der Natur. Steigende Durchschnittstemperaturen, veränderte Niederschlagsmuster und die Zunahme von Extremereignissen haben in den letzten Jahren das Wetter in Deutschland mitgeprägt.

In der mittelalterlichen Warmzeit erstreckte sich der Weinanbau bis zur Ostseeküste. Die Kleine Eiszeit etwa von 1550 bis 1850 drängte ihn immer weiter nach Süden ab, was auch die Rebfläche erheblich schrumpfen ließ. Dank des Klimawandels erleben wir heute wieder die umgekehrte Entwicklung. Kleine, feine Areale in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zählen heute zu den geografisch geschützten Landwein-Anbaugebieten.

Auch an der Ahr hat sich das Klima seit Mitte des letzten Jahrhunderts nachweislich verändert. Dabei gibt es positive wie auch negative Effekte. Positive Auswirkungen schlagen sich in der Weinqualität nieder, die merklich gestiegen ist. Allzu oft haben Schlechtwetterkapriolen in den letzten beiden Jahrhunderten dem Ahrweinbau seine Grenzen aufgezeigt.

Während die Jahresdurchschnittstemperatur an der Ahr von 1950 bis 1980 nur 9,6 Grad Celsius betrug, ist dieser Wert in den letzten 15 Jahren (2006 bis 2020) auf 11,1 Grad Celsius angestiegen.1) Nimmt man den Fünfjahreszeitraum von 2016 bis 2020, so zeigen die Temperaturen mit 11,6 Grad Celsius weiter nach oben. Der Anstieg der Werte während der Vegetationsperiode (April bis September) ist mit 2,2 Grad Celsius (14,7 C auf 16,9 C) noch höher. Das zweite Element, das es zu betrachten gilt, ist der Niederschlag. In Deutschland fallen im Mittel 837 mm/Jahr Niederschlag. Das Ahrtal liegt im Schutz von Eifel und Ardennen. Die vom Atlantik kommenden Feuchtwinde regnen sich in der Eifel und dem Hohen Venn ab und erreichen niederschlagsarm das Ahrgebiet. Volksläufig spricht man an der Ahr von einem Regenschattengebiet. Hier sinkt die Niederschlagsmenge von durchschnittlich 1.400 mm/Jahr (Hohes Venn) auf 638 mm (Ahrtal). Diese Niederschlagsmenge ist für die Rebe ausreichend. Gleichwohl gibt es immer mehr Trockenjahre wie 2018 und 2020 mit rund 25 % weniger Niederschlag. Höhere Temperaturen führen auch zu zunehmender Verdunstung. Wasser, das der Rebe verloren geht. Immer häufiger geht die Tendenz zu Gewittern mit Starkregenfällen. Das Niederschlagswasser führt dann zu Erosion, die die Weinbergsböden abschwemmt, zu Sturzbächen führen, die zu Tal fließen und für die Rebe nicht zur Verfügung stehen. Auch sind Hagelniederschläge vermehrt festzustellen.

Langfristige Jahrestemperaturabschnitte von 30 Jahren: Die Weinqualität stieg in 70 Jahren beim Spätburgunder um 20 Grad Oechsle.

Ein neuer Weinjahrgang entsteht: Vegetationsbeginn im Ahrtal

Temperaturextreme von bis zu 40 Grad Celsius, wie in den Jahren 2019 und 2020, führen überdies zu einem bisher nicht gekannten Sonnenbrand an den Trauben. Die so geschädigten Trauben sind für die Weinproduktion nicht mehr zu verwenden. Junganlagen und solche Weinreben, die auf feinerdearmen, felsigen Böden stehen, leiden mehr und mehr unter Trockenstress. Die Winzer gehen zunehmend dazu über, die Reben zu bewässern.

Phänologie

Die heutigen Klimaverhältnisse haben zwangsläufig Auswirkungen auf die Phänologie der Reben. Die wichtigsten Entwicklungsstufen von Austrieb, Blüte, Reifebeginn und Lesereife sind Veränderungen unterworfen. Der Austrieb findet gegenüber 1950 etwa 10 Tage früher statt, womit Spätfröste zu einem relevanten Risiko werden. Spätfröste sind an der Ahr seit vielen Jahren nicht mehr aufgetreten, traten aber in den Jahren 2014 und 2020 mit großen, wenn auch lokal begrenzten Schäden auf.

Der Blütebeginn rückt in den meisten Jahren von Mitte auf Anfang Juni vor. Mit steigenden Temperaturen, insbesondere im Mai, wird sich diese Entwicklung fortsetzen.

Der Reifebeginn setzt beim Frühburgunder Mitte bis Ende Juli ein. Beim Spätburgunder weniger als 10 Tage später. Die Lesereife tritt bis zu einem Monat früher ein. Während die Lese in früherer Zeit regelmäßig Ende September bis Anfang Oktober begann, beginnt sie beim Frühburgunder schon in den letzten Augusttagen. Auch hat sich der Leseabstand vom Frühburgunder zum Spätburgunder, der regelmäßig 10 bis 14 Tage betrug, auf weniger als eine Woche verringert.

Die Entwicklung der Traube von der Blüte bis zur Lesereife hat sich um 10 bis 15 Tage verkürzt. Die im südlicheren Weinbau geltende 100-Tage-Regel verlängerte sich an der Ahr regelmäßig auf 110 bis 120 Tage. Die Vorteile liegen in der Entwicklung und Einlagerung von Aroma, Mineralien, Phenolen und sonstigen Inhaltsstoffen in den Trauben. Zukünftig werden die Winzer auf ein individuelles, jahrgangsbedingtes Blattmanagement als weiteres Element der Qualitätsteuerung zurückgreifen. Im Klartext: Weniger Blätter verlangsamen die Zuckerproduktion und verzögern folglich die Reife.

Weinqualität

Positiv wirkt sich der Klimawandel auf die Weinqualität aus. 1950 betrug das Mostgewicht der Spätburgundertrauben im Durchschnitt 65 Grad Oechsle. Ohne eine Anreicherung des Mostes mit Zucker hätte der Wein einen Alkoholgehalt von gut 8 Volumenprozent gehabt. In den letzten 15 Jahren sind die Oechslegrade dieser Rebsorte auf durchschnittlich 85 Grad und in den letzten 5 Jahren auf 90 Grad gestiegen. Dies ergibt einen Alkoholgehalt von 12 bis 12,5 Volumenprozent.

Während noch in den 1970er- und 1980er- Jahren der Most regelmäßig mit Zucker angereichert wurde, um auf 12 Volumenprozent Alkohol im Wein zu kommen, sind inzwischen 14 Volumenprozent ohne Zuckerzusatz keine Seltenheit mehr. Um den Zuckergehalt zu drosseln und die geschmacksgebende Säure zu erhalten, haben beispielsweise die Winzergenossenschaften die Bezahlung der jeweiligen Traubenanlieferung auf einen bestimmten Reifegrad (z.B. 92 Grad Öchsle) gedeckelt. Dies bremst das Bestreben der Winzer zu einem Optimum an Oechsle, denn je höher die Öchsle, desto höher die Traubengelder. Für die physiologische Reife der Trauben ist nicht allein der Zucker maßgebend, sondern der Zeitpunkt, an dem dieser sich mit Säuren und Aroma am ausgewogensten gegenübersteht, denn mit der Zunahme des Zuckers verringert sich im gleichen Maße die Säure. Es besteht die Gefahr, dass sie oft in einen mikrobiologisch instabilen Bereich sinkt. Zusätzliche Säuerung wird dann erforderlich.

Es wäre allerdings zu einfach, den Qualitätsanstieg allein auf den Klimawandel zurückzuführen. Das Bewusstsein der Winzer zum Qualitätsweinbau mit gezielten Maßnahmen wie Ertragsteuerung schon beim Anschnitt, Laubmanagement, Traubenhalbierung und Grünernte und die Verschärfung weinrechtlicher Vorschriften (Weingesetz und Weinverordnungen) leisten ebenfalls ihren Beitrag dazu, gleichwohl hat der Temperaturanstieg den größten Anteil.

Schaderreger

Geeignete Bedingungen in wärmeren Regionen finden auch Schaderreger vor. Sie wandern mit dem Klimawandel in den Norden. Bereits ansässige fühlen sich hier wohler. Insekten und Pilzarten beschleunigen ihren Entwicklungszyklus. Zu nennen ist hier der Traubenwickler, der bisher nur in Form von Heu- und Sauerwurm auftrat, inzwischen aber durch eine dritte Generation, den Süßwurm, auftritt. Im Jahr 2014 schlug zum ersten Mal an der Ahr die aus Asien stammende Kirschessigfliege zu. Zunehmend gute Lebensbedingungen findet auch die Glasflügelzikade, Auslöser der Schwarzholzkrankheit. Bisher wenig erforscht ist die Esca-Krankheit, ein Mittelmeerfeuerschwamm, der ganze Reben zum Absterben bringt. Auch Pilzarten entwickeln sich beschleunigt. Im Jahr 2016 überfiel der unechte Mehltau (Peronospora) bereits die Blütenstände (Gescheine) der Reben, ein Schadbild, das in der Vergangenheit nur in der Phase der Nachblüteentwicklung der Trauben bekannt war.

Rebsorten

Steigende Temperaturen werfen auch Fragen nach der Eignung der Rebsorten auf. Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil die heutigen Anpflanzungen die Erträge in den kommenden 30-40 Jahren liefern müssen, das heißt eine Anbaueignung auch noch im Jahr 2060 gegeben sein muss. Der Franzose Pierre Huglin hat die Temperatursummen über einer Temperaturschwelle von 10 Grad Celsius im Zeitraum vom 1. April bis 30. September ermittelt. Da jede Rebsorte eine bestimmte Wärmesumme benötigt, hat er verschiedene Rebsorten für einen erfolgreichen Anbau abgeschätzt. In der Grafik sehen wir unter anderem den Index für Geisenheim (Rheingau), was in etwa dem von Bad Neuenahr-Ahrweiler entspricht. Danach liegt unser Spätburgunder auch im Jahr 2050 noch im grünen Bereich. Rebsorten mit höherem Wärmebedarf sind z.B. Merlot, Caber- net Sauvignon und Sauvignon blanc, die sich inzwischen auch im Anbau der Ahr befinden.

Bisher wenig erforscht ist die Esca-Krankheit, ein Mittelmeer- Feuerschwamm, der ganze Reben zum Absterben bringt.

In anderen deutschen Weinanbaugebieten wird beispielsweise der Tempranillo, der in Spanien seine Heimat hat, auf 13 Hektar Rebfläche angebaut.

Im Index ist offengelassen, wann für eine Rebsorte das Wärmeoptimum erreicht ist. Damit verknüpft sich die Frage, wie „coolclimate“-Sorten wie Spätburgunder, Frühburgunder und Riesling reagieren. Sicherlich stellt sich auch die Frage, ob temperaturbedingt der Ahrweinbau in höhere Lagen der Grafschaft ausgedehnt werden sollte. Ahrweinbau findet zurzeit in einer Höhe von 90 Metern (Heimersheim) bis 310 Metern (Mayschoß) über NN statt. Denkbar wäre es, die flache Ebene der Grafschaft mit in den Weinbau einzubeziehen. In die Produktspezifikation für die geschützte Ursprungsbezeichnung eines Ahrweines2) ist die Gemeinde Grafschaft bereits eingeschlossen.

Werden unsere Ahrweine in 30 Jahren noch so schmecken wie heute?

An der Ahr stehen rund 25 Rebsorten auf einer Gesamtfläche von 562 Hektar im Anbau.3) Spätburgunder, Riesling und Frühburgunder werden auf einer Fläche von 447 Hektar angebaut, das sind 80 % der Rebfläche. Schreitet die Klimaerwärmung im bisherigen Tempo weiter nach Norden, werden wir im Jahr 2050 etwa die Temperaturen von heute in Burgund erreichen. Der Jahresmittelwert beträgt hier 12 Grad Celsius gegenüber 11 Grad Celsius an der Ahr. Für den Spätburgunder ist dies kein Problem. Sinkende Säurewerte könnten dem Riesling seine feinfruchtige Eleganz nehmen und ihn in seiner Haltbarkeit beeinträchtigen. Auch der Anbau des als „launische Diva“ geltenden arbeitsaufwendigen Frühburgunders ist zu überdenken, zumal der Abstand zur Lesereife des Spätburgunders auf wenige Tage geschrumpft ist und er an Aroma und den phenolischen Ausprägungen verlieren wird.

Pierre Huglin hat die Temperatursummen über einer Temperaturschwelle von 10 Grad Celsius im Zeitraum vom 1. April bis 30. September ermittelt. Da jede Rebsorte eine bestimmte Wärmesumme benötigt, hat er verschiedene Rebsorten für einen erfolgreichen Anbau abgeschätzt (Huglin-Index): Pisa (Toskana), Alghero (Sardinien), Eisenstadt (Burgenland), Geisenheim (Rheingau), Potsdam.

Kellerwirtschaft

Veränderte Rahmenbedingungen während der Lese und unterschiedliches Lesegut stellen den Kellermeister vor neue Herausforderungen. Die Winzer sprechen vom leichten Herbst, wenn das Lesegut gesund eingebracht werden kann (z.B. 2018) oder vom anstrengenden Herbst, wenn durch plötzlich eingetretene Fäulnis (z.B. 2014) oder Sonnenbrand (z.B. 2019 und 2020) eine selektive Handarbeit das Auslesen einzelner Beeren erfordert.

Haben die Trauben in heißen Jahren genug hefeverwertbaren Stickstoff, wie groß ist die Gefahr einer Fehlgärung oder nimmt das mikrobiologische Risiko durch hohe pH-Werte zu? Alles das sind Fragen, die sich heute stellen und die sich vom Weinausbau nach den klaren Vorgaben des vergangenen Jahrhunderts abheben.

Vermarktung

Heiße Sommer haben nicht nur Auswirkungen auf die Reben, sondern auch auf das Konsumverhalten der Weingenießer. So wird in heißen Sommermonaten kaum Rotwein konsumiert. Die Nachfrage nach hellen Weinen ist in den letzten 10 Jahren gestiegen. An der Ahr hat man die Produktion von Blanc de Noir, das heißt von hellem Wein aus dunklen Beeren forciert.

Lage Mayschosser Mönchberg: Bewässerung mit einer Demo für den WDR im Juni 2020

Fazit

Sieht man auf den Weinbaugürtel der Erde, so gedeihen die deutschen Weine im Norden. Die hier angebauten Rebsorten haben sich dem kühleren Klima angepasst. Die Leitrebsorte der Ahr, der Spätburgunder, zeigt, dass er auch in wärmeren Standorten (Österreich, Italien, Frankreich) zurechtkommt. Die Zuckerwerte (Oechsle) sind in den letzten 70 Jahren um bis zu 20 Grad Öchsle (Spätburgunder) angestiegen. Es ist zu erwarten, dass die Weinqualität bis Ende des Jahrhunderts weiter ansteigen wird. Bei den heute angebauten Rebsorten sind allenfalls beim Riesling und Früburgunder geschmackliche Beeinträchtigungen zu erwarten. Die Winzer müssen mit höheren existenziellen Risiken wie neuen Schaderregern und Wetterbeeinträchtigungen rechnen. Lösungen zur Bewässerung der Weinberge werden zunehmend in den Mittelpunkt der Bewirtschaftung rücken. Professionalität im Weinberg und Keller werden immer wichtiger.

Anmerkungen:

  1. Alle Wetterdaten aus Agrarmetrologie – Wetterstation Bad Neuenahr – 121m üb. NN
  2. „AHR“ Qualitätswein, Prädikatswein, Sekt b.A. und Qualitätsperlwein Produktspezifikation für eine geschützte Ursprungsbezeichnung.
  3. Stand: 2019

Weitere Quellen:

  • REISS, NARTIN; BERNHARD, Barbara; BAEDEKER, CARONLIN „Klimaanpassungen in Weinbaulandschaft“ In: Deutsches Weinbaujahrbuch 2021, S. 97 – 107
  • STOLL, MANFRED „Weinbau im Klimawandel“ Abschlussveranstaltung Hochschule Geisenheim 10.10.2017
  • EIZINGER, JOSEF u.a. Wein und Klima Symposium Bodensee 6. April 2019 In: Schriften zur Weingeschichte Nr. 198
  • GIELER, PAUL „Gelebter Weinbau an der Ahr“ Manuskript zum Buch 2021

Der Beitrag entstand vor der Flutkatastrophe an der Ahr am 14. und 15. Juli 2021.