Die Spillahulla an der Friedhofsmauer
Eine gruselige Spinnstuben-Geschichte. Dem Volksmund nacherzählt v. Alfons Hayduk
Mit den langen Abenden begann daheim noch weit in unser schnellebiges Jahrhundert hinein die Zeit der Spinnstuben, in denen von jung und alt mancherlei Garn gesponnen wurde. Es wurde nicht nur fleißig geschafft, sondern darüber hinaus auch wirkliche Volkskultur in Wort und Lied gepflegt. Die alten Mären und Sagen gingen hier noch von Mund zu Mund, Schwanke und Schnurren wurden belacht und — vor allem in der Faschingszeit — mancher Spaß getrieben.
Mit gruseligen Gespenstergeschichten versuchten vor allem die Mannsbilder das „Froovulk“ zu schrecken. So erzählte im schlesischen Gebirgsvorlande ein Bauer Hansel den Mägden, die Spillahulla — die Spinnholle —, die in alten Zeiten die fleißigen Spinnerinnen belohnt, die faulen aber bestraft habe, gehe noch immer um. Freilich müsse sie den Bezirk der geweihten Erde, den Kirchhof, einhalten. „Do fercht ich mich oaber nicht!“ trumpfte die Hedla auf und erklärte sich bereit, gleich dreimal mitternachts um die alte Schrotholzkirche zu gehen, die inmitten des dörflichen Friedhofes liegt.
Als die Uhr mitternächtig zwölfmal geschlagen hatte, machte sich die forsche Hedla auf, die Spillahulla im Friedhof zu besuchen. Zweimal hatte das furchtlose Mädchen die Reihen der Gräber bereits umschritten, ohne irgend etwas Verdächtiges zu bemerken. Da plötzlich — beim dritten Umgang — kam an der Kirchhofsmauer eine gruselige weißgekleidete Gestalt auf Hedla zu und hob beschwörend die Arme, sagte dabei aber kein Sterbenswörtchen.
„Willst mich wohl foppen, ha?“ lachte die unerschrockene Magd und drang, ohne sich viel zu besinnen, auf das Gespensterwesen ein, um ihm mit kühnem Griff die Vermummung wegzureißen.
„Die Spillahulle willst du aales Gestecke sein, die Spillahulle? Na, wart ock! Dich kenn ich schon! Du bist kein anderer als der Hansel-Bauer!“
Die vermummte Gestalt schüttelte in heftiger Verneinung das Haupt und streckte dabei abwehrend die Hände aus, nach denen Hedla sofort mutig langte. „Und da fiel etwas uff de Ärde“, so erzählte sie hinterher, „a Gegenstand, nach dem ich mich gleich bücken tat. Ich fand ihn aber erst nach einer Weile. Und als ich mich wieder aufrichtete, do sah ich keen Gespente nimmeh. Nur als ich schon am Friedhofstürla war und eben ’naus wollte, da schrie eine schrecklich heisere, ganz unheimlich klingende Stimme hinger mir her.“
Allen, die der tapferen Hedla zuhörten, lief eine Gänsehaut kalt über den Rücken, und die jüngste Spinnerin fragte schüchtern, was die Spillahulle denn eigentlich gerufen habe. Einen drohenden Fluch? Eine gräßliche Verwünschung? „Och, viel schlimmer!“ antwortete die schlagfertige Magd. „Es ging mir gruselig durch Marks und Knucha, was da die Spillahulle barmte. Sie schrie nämlich immerzune: Gib mer ock meine Tabackfeife wieder! Gib mer ock meine Tabackfeife wieder! Ohne die koan ich nicht läben . . .!“