Originale im alten Ahrweiler
Unser schnellebiges Zeitalter ist ihrer Entwicklung wenig hold, und doch war es so schön, daß die originellen Menschen im alten Städtchen uns in der Jugendzeit ein Stück Weges begleiteten. — War da in der Oberhut der alte Mattes=Josef M., ein biederer Junggesell, der in der guten Jahreszeit seiner Wingertarbeit nachging. Kam aber der Winter, den er bei seinem verheirateten Bruder in Köln verbrachte, so schickte er vorher sorglich ein Sack voll Bohnen mit Laub und Schoten voraus. „Datt ech en Kölle kein Langeweile kreihe, kierne (= aushülsen) ech dann de Bunne!“
Ebenfalls in der Oberhut wohnte der alte Sch., der eine große Liebe für Tiere, besonders für Pferde, hatte. Als an einem Frühlingssonntag eine schlanke Dame auf einem noch schlankeren Rassepferd vorbeiritt, ermahnte er sie, denn sein Geschmack war etwas rustikal: „Fräuleinche, Ihr mott datt Paid jett besse fordere, datt eß zo düen.“ Von seinem Schwiegersohn aufmerksam gemacht, daß die Dame die Prinzessin Viktoria zu Schaumburg=Lippe, die Schwester des Kaiser, sei, meinte er ungerührt: „Datt eß mir ganz egal, dat Dier eß och zu düen, dam stehe jo de Knoche eraus.“
Ebenfalls in der Oberhut, die ehemals eine stille Straße war und anscheinend das Gedeihen der Originalität begünstigte, wohnte eine alte Jungfrau, K.’s Billa, eine repräsentative Erscheinung mit Frauenschal und langen, goldenen Ohrgehängen. Billa aß gerne etwas vom „Condite“, was früher bei manchen Menschen etwas Spott auslöste. Ein paar Schelme kamen auf die verrückte Idee, ihr zu erzählen, der Conditer Heilmann — sein Haus stand in der Niederhut auf dem Einfahrtsgelände des Krankenhauses — habe einen Backofen voll leicht verbranntes Gebäck billig abzugeben. Das war für Billa eine erwünschte Gelegenheit, aber leider hatte der Conditer nicht genügend Verständnis für ihre Bitte, etwas von dem „verbrannten Geschirr“ abzulassen. So kam denn Billa schneiler aus dem Laden heraus, als sie hineingegangen war — ohne Gebäck. In der Adenbachhut wohnte eine wackere Frau, Mutter von vielen Kindern, mit denen sie, wenn sie auswärts wohnten, in fürsorgender Güte verbunden blieb durch ihre Briefe. Dann hieß es zu ihrer daheimgebliebenen Tochter: „Trin, holl mir ens e Sauebrud, ech moß en Breef schreiwe.“ Auf die Frage einer Außenstehenden, warum dazu ein Sauerbrot benötigt würd, kam die Antwort: „Wägen dem weiße Papier, wat dröm eröm eß, on wodrob ech schreiwe well.“ Als Reklamationen kamen, daß die Freimarken auf ihren Briefen nie ihr Ziel erreichten, weil sie nicht richtigt geklebt seien, nähte sie diese kurzentschlossen mit der Nähmaschine aufs Cuvert.
In der Niederhut war ein älterer Mann von etwa sechzig Jahren. Als er die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhielt, weinte er bitterlich und meinte Schluchzend: „Ech kreihe em Levve su en god Motte net mieh.“ Er hatte vergessen, daß ein Vater schon lange tot und er selber schon bald ein Greis war.
Als im ersten Weltkrieg gefangene Russen zu uns ins Städtchen kamen, fragte die alte Frau W. den Hausherrn, bei dessen Gattin sie wusch: „Saht ens, Herr B., senn die Russe Franzuse? Da Schnegge meint: „Enä!“
In den Wirtschaften nahm man es damals mit der Polizeistunde nicht so genau. Ausschreitungen kamen ja nicht vor. Als nun ein neuer Wächter der Ordnung, der sehr ge= wissenhaft war, nach Ahrweiler kam, mußte man sich etwas vorsehen, wenn die Polizeistunde überschritten wurde. In einem der alten Lokale saß man an einem Winterabend bei schon geschlossener Haustüre gemütlich beisammen und ärgerte sich ein wenig, daß der eifrige Beamte vor dem Hause trotz dichtem Schneegestöber Posten stand und anscheinend nicht gewillt war, diesen zu verlassen. Als es allmählich aber Zeit für die Gäste war, den Heimweg anzutreten, schlichen sie still und leise zum Scheunentor des Hauses, das auf eine andere Straße führte, hinaus. Etwas erbost über die Belagerung, füllte der Wirt die Lampe in der Gaststube frisch mit Petroleum und begab sich mit den Seinen zur Ruhe. Im Mädchenstübchen des Hauses, das nach der Straße zu lag, wurde zuweilen in der Nacht ein Gardinenzipfel gehoben und das Wirtstöchterlein flüsterte den Eltern zu: „A steiht noch do, et eß em kalt, a tritt von einem Foß ob de andere em Schnie!“ Den Bericht über Originale möchte ich mit einem Vers beschließen, der gewiß bei manchen Menschen ein Echo hervorruft:
„Ach, zu oft mich ein Sehnen faßt
Nach einer Stunde ohne Hast,
Nach einem Stückchen Innigkeit
Der guten Luwig Richter=Zeit!“