Johann Wendelin Heydinger
ein vergessener Sagensammler der Eifel
Der am 20. 10. 1825 in Rodder, Pfarrei Reifferscheid, geborene Johann Wendelin Heydinger ist ein Mann, der nicht nur als Geistlicher und Wissenschaftler, sondern auch als großer Freund seiner Eifelheimat und ihrer Menschen verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden. Neben seiner Tätigkeit als Dorfpastor in Müden an der Mosel, Esch bei Jünkerath, Koxhausen bei Neuerburg und Schleidweiler bei Speicher hat er unermüdlich als Forscher und Schriftsteller gearbeitet, wovon sein umfangreicher wissenschaftlicher Nachlaß im Bistumsarchiv Trier und die Tatsache zeugen, daß er anläßlich seines goldenen Priesterjubiläums den Roten Adler=Orden 4. Klasse verliehen bekam als äußere Anerkennung seiner vielseitigen Verdienste.
Am 15. Oktober 1852, einen Tag vor seinem Dienstantritt in Müden, hat der von Adenau scheidende Kaplaii Heydinger auf der Hohen Acht das Vorwort geschrieben zu einer Sagensammlung, die 1853 bei J. Hölscher in Koblenz erschien und den Titel trägt: „Die Eiffel. Geschichte, Sage, Landschaft und Volksleben im Spiegel deutscher Dichtung.“ In diesem Buch legt uns der junge Geistliche die Ausbeute seines jahrelangen Suchens und Sammeins des Eifelsagengutes vor. So enthält das Buch über 200 Eifelsagen in Versform. Lag nur eine Prosaform vor, so hat Heydinger selbst die Verse geschmiedet. Der eifrige Sammler gibt uns eine Erklärung, warum er sich dieser mühsamen Arbeit unterzogen hat. Diese seine Begründung ist äußerst aufschlußreich. Es ist ihm weniger um Vollständigkeit getan, als vielmehr darum, das für ihn Greifbare festzuhalten und „unverzüglich die schnellbeflügelten Wesen einzufangen“, um sie vor dem Schicksal des Vergessenwerdens zu bewahren. Die ängstliche Sorge, es könne Sagengut versinken, begründet der Verfasser mit der damals durch die preußische Regierung geförderten verkehrsmäßigen Erschließung der Eifel durch Straßenbau, durch wachsenden „Handel und Wandel“, durch Einfluß des Fremden und die von ihm beobachtete Tatsache, daß die Sage „kein horchendes Ohr“ mehr finde bei den jungen Leuten und somit die Gefahr bestehe, daß die Generation der Großmütter Sagengut mit ins Grab nehme, das für die Nachfolgenden unwiederbringlich verloren sein müsse.
Weil für den jungen Geistlichen und Heimatfreund das Sagengut ein Spiegel der Volksseele ist, ein „Garten seiner Wesensart und seiner Weltbetrachtung“ und weil er diese Eifeler Wesensart für gut hält, will er sie in den Sagen festgehalten und bewahrt wissen, nicht etwa, um sie dem „Verstaubungstod“ zwischen Aktendeckeln in Archiven und Museen zu überlassen, sondern sie den Dichtern aller nachfolgenden Generationen darreichen zu können, zu immer neuer „Übersetzung des Guten in die Sprache der jeweiligen Zeit“ und so durch das Sagengut die alte Eifeler Wesensart wachzuhalten. Wir treffen hier auf ein volkserzieherisches Anliegen des Johann Wendelin Heydinger, wenn er sein Buch bescheiden „Stoffsammlung für Dichter“ nennt. So verwundert es auch nicht, daß Heydinger in seinem Buch nicht nur schon in dichterische Form gefaßtes Eifeler Sagengut zusammenträgt, sondern auch „Dichtwerke“ vorlegt, die in Verse gekleidetes Dorferzählgut darstellen, das eigens für sein Buch der „Bearbeitung durch Dichter“ überlassen wurde. Daß die so entstandenen „Werke“ von zweifelhaftem künstlerischen Wert sind, ändert nichts an der Tatsache, daß Heydinger im Prinzip und in der Methode auch heute noch, nach über hundert Jahren, als großer Anreger zu gelten hat, dessen Fundgrube des Eifel=Sagengutes doch allen jenen zugänglich gemacht werden sollte, die in seinem Sinne durch dichterische Aussage helfen können und wollen, auch in der heutigen Jugend Eifeler Art wach und lebendig zu halten.