Aus der Geschichte des Heilbades Neuenahr:
Grand Hotel Flora mit Dependence Villa Flora
Hubert Rieck
»Das im Jahre 1872 von meinen Eltern gegründete und später der Neuzeit entsprechend im großen Stile vollständig umgebaute und neu eingerichtete »Grand Hotel Flora« benannte Hotel- und Kuretablissement ersten Ranges, gelegen an der mit Baumpflanzungen und zahlreichen Villen geschmückten Hauptstraße -dem unstreitig bequemsten und schönsten, seiner erhöhten und freien Lage wegen auch gesündesten Punkte Neuenahrs – enthält außer Damen-, Lese-, Billard- und Rauchsalons 120 geräumige, luftige, mit großen Betten und allem Komfort der Neuzeit ausgestattete Zimmer- und Familienwohnungen, darunter 60 mit Balkons oder Terrassen.«1)
Mit diesen Worten pries der Eigentümer Franz Schroeder die Vorzüge seines Hotels in einem sehr ansprechend gestalteten Hausprospekt an. Fürwahr: Das Grand Hotel Flora hatte zu dem Zeitpunkt, als jene Werbeschrift entstand, vermutlich um 1906/07, schon eine bedeutende Vergangenheit hinter sich und eine äußerst wechselvolle Zukunft vor sich. Franz Schroeder konnte in der von ihm verfaßten Schrift auf viele Vorzüge seines »Hauses«, das aus dem Hauptgebäude »Grand Hotel Flora« und der »Dependence Villa Flora« bestand, verweisen:
»Bestrenommiertes erstes Haus des Bades in bevorzugter, ruhiger Lage, Zentralheizung, Personenaufzug, Bäder im Hause, moderne Gesellschaftsräume, große Restaurationsterrassen inmitten schattiger Gartenanlagen«. Jene Aufzählung war nicht Ausdruck maßloser Übertreibung eines Werbeprospektes, sondern real vorhandener Aktivposten eines renommierten Hauses in einem aufblühenden Heilbad.2)
Die Hotelier-Familie Schroeder entwickelte eine Vielzahl von baulichen Aktivitäten in Form von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten, z. B. 1894/95 Umbau des Hauptgebäudes an der Hauptstraße, bei dem u. a. ein im Rokokostil gehaltener, äußerst prachtvoller Speisesaal entstand, 1897 Errichtung des rechten Teils der Dependence; 1902 Neubau des Flügels der Dependence zur Telegrafenstraße; 1905 Errichtung eines Anbaus an der Nordstraße; 1907 Umbau des Dachgeschosses am Haupthaus sowie Vergrößerung der Fenster im Erdgeschoß.3)
Man beschäftigte bei den Baumaßnahmen Architekten aus Bonn, Köln und Krefeld, die dem Anwesen eine bauliche Eleganz verliehen, die noch auf alten Fotos zu betrachten ist.
In dem Streben seinem Hause ein »exklusives Image« zu geben, versprach Franz Schroeder einen sehr guten Service und eine überdurchschnittliche Küche, die den gehobenen Ansprüchen der Gäste und den Diätvorschriften seitens der Ärzte gerecht werden sollte. In der Sprache dieses alten Prospektes, die uns heute schmunzeln läßt, liest sich dies wie folgt: »In einem erstklassigen, diätischen Kur-Etablissement sollte sich der Verbrauch von minderwertigen, daher auch schwerverdaulichen Rohmaterialien, namentlich der billigen Fleisch- u. Fischsorten, von selbst verbieten. Es kommt daher in meinem Betriebe nicht vor, daß beispielsweise an Stelle der feineren und teueren Fische, wie Seezunge, Steinbutt (Turbot), Zander usw. hierfür die ähnlich aussehenden, geringwertigen Ersatzfische wie Rotzunge, Heilbutt, Schellfisch und Kabeljau, womöglich noch mit einer dicken Mehlsauce maskiert, unter allerlei feingewählten Bezeichnungen serviert werden.« Der Pensionspreis, Übernachtung mit Vollverpflegung, betrug in den Jahren 1906/ 07 M 7.50 bis M 9.- pro Tag. Größere Zimmer mit Balkon oder Terrasse kosteten einen Aufpreis.
Die Häuser »Flora l« und „Flora II“.
Das frühere Haus »Flora l“, heute Domizil der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler.
1877 verweilte Karl Marx mit Ehefrau Jenny und Tochter Eleanor in Neuenahr zur Kur. Sie bezogen Quartier im Hotel Flora,4) dessen Umbau zum Grand Hotel jedoch erst nach 1894 eingeleitet wurde.
Der rasante Aufstieg des Hotels und des gesamten Heilbades Neuenahr wurde durch den 1. Weltkrieg abrupt gestoppt. So diente das Haus als Lazarett, wurde eine Stätte, wo verwundete Soldaten Genesung finden sollten und bisweilen fanden, wo aber auch junge Menschen an ihren schweren Kriegsverletzungen qualvoll starben. Im Zweiten Weltkrieg kam wiederum der friedliche Kurbetrieb im Bade Neuenahr zum Erliegen, »Flora l« und »Flora II« dienten als Ausweichkrankenhäuser der Stadt Trier. Nach 1945 ging das Hotel in den Besitz der „Europäischen Gesellschaft für Kur-und Erholungshäuser e. V.« in Wiesbaden über. Diese wiederum verkaufte »Flora l« an die durch die Verwaltungsreform von 1969 neu gebildete Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Im November 1971 bezog die Stadtverwaltung ihre Amtsräume im Hause »Flora l«. Die alten Strukturen der Fassade sind auch heute noch unverkennbar, wenngleich sie im Laufe der Jahrzehnte verändert wurden. Der Erwerb des Geländes »Grand Hotel Flora« durch die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler sicherte den Erhalt eines geschichtsträchtigen Bauwerks, das ein selten gewordenes Element der Identität des Heilbades Neuenahr verkörpert. Die »Dependence Villa Flora«, jener formschöne Erweiterungsbau an der Ecke von Haupt- und Telegrafenstraße, wurde in den 60er Jahren abgerissen und mußte einem Zweckbau der »neuen Sachlichkeit« weichen, der den »betörenden Charme« eines Getreidesilos ausstrahlt.
Der Abriß der »Dependence Villa Flora« sowie weiterer markanter Hotelgebäude aus der Gründerzeit, z. B. des »Palast Hotels«, der »Germania«, »Bonns Kronenhotel«, des »Hotels Kaiserhof«, des »Hofs von Holland« beraubte das Heilbad Neuenahr eines Stückes seiner Identität aus der Gründerzeit. In den letzten Jahren begannen dankenswerterweise verstärkte Aktivitäten, zugunsten der Sicherung erhaltenswerter Gebäude, z. B. in Form des von der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ausgeschriebenen Fassadenwettbewerbs. Aber diese Maßnahmen sowie geglückte Sanierungsprojekte, so der Neubau des »Rheinischen Hofes«, können den Verlust an alter, schöner Bausubstanz nicht ausgleichen.
Anmerkungen:
- Grand Hotel Flora mit Dependence Villa Flora. (Hausprospekt) Neuenahr. vermutl. 1906/07. S. 16.
- Vgl. Hubert Rieck, Das Heilbad Neuenahr anno 1905. In: Heimatjahrbuch 1988. S. 156-160.
- Mein Dank gilt der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler. insbesondere Herrn Knechtges, die mir Einsicht in die Bauakten von „Flora l“ und „Flora II“ gewährten.
- Vgl. Heinrich Gemkow, Karl Marx letzter Aufenthalt in Deutschtand. Als Kurgast in Bad Neuenahr 1877. Wuppertal o. J.