366 Tage unterwegs für den deutschen Wein
Eine erlebnisreiche Zeit als Deutsche Weinkönigin 1984/85
Ursula Maur
Unmöglich – unmöglich kommt es mir vor, alles zu beschreiben oder auch nur auszuwählen, was sich zwischen dem 5. Oktober 1984 und dem 6. Oktober 1985 ereignete. Ein wenig greife ich heraus, vieles mehr behalte ich in schöner Erinnerung. Aber ich fange von vorne an. Den Sommer 1984 verbrachte ich mit Lernen für das Vordiplom, welches alle meine Gedanken in Anspruch nahm. Mit diesem in der Tasche blieben mir nur noch 10 Tage bis zur Wahl der Deutschen Weinkönigin in Trier. Dementsprechend kurz fiel die intensive Phase der Vorbereitung aus. Das, was mein Vater mir als Kind über Weinbau erzählt hatte, aktuelle Themen, auf die Herr Biesenbach mich hinwies, gespickt mit ein paar Zahlen und Statistiken, damit mußte ich eben durchkommen. Trier mit seiner 2000jährigen Geschichte bot dem Anlaß einen würdigen Rahmen. Am bewußten Wochenende ballte sich alles, -Fahrt, Zimmer beziehen, umziehen, Arbeitsessen mit Vorstellung, Gespräche, Stellprobe, Durchsprechen des Abendprogramms, Mittagessen, einmal Luftholen – die fachliche Prüfung begann!
Gleich als erste wurde ich ausgelost, stellte mich der 70köpfigen Jury vor, stand Rede und Antwort. – Abendessen, Umziehen, Galaabend.
War es tatsächlich Wirklichkeit, als Carola Geiger aus Württemberg mir die Krone aufsetzte? Das dem so war, konnte ich spätestens in dem Moment merken, in dem Mayschosser und Ahrtaler mir einen wahrhaft »königlichen« Empfang bereiteten. Kreis, Verbands- und Ortsgemeinde stärkten mir den Rücken für das, was auf mich zukam, – wofür ich auch jetzt nochmals herzlich danke! Während zu Hause das Telefon heißlief und Berge Post eintrafen, erhielt ich meine ersten Termine:
Große Pfälzer Weinprobe in Neustadt, Sommelier-Wettbewerb in Frankfurt/M., Eröffnung einer Ausstellung in Kassel, Besuch einer Weinbruderschaft in Braunschweig, in sieben Städten der Niederlande Preisübergabe an Gewinner eines Preisausschreibens. Im Januar folgte die »Grüne Woche«. Ich sah außer Messegelände, Kongreßzentrum und Flughafen kaum etwas von Berlin, doch auch so gab es genug zu erleben. – Der Abschiedstag bleibt mir besonders unvergeßlich. Der Berliner Physikprofessor Willer – selbst ein Weinfreund – hatte von meiner Wahl gelesen. Daß eine Deutsche Weinkönigin Physik studierte, hielt er für eine solche Seltenheit, daß er mich bereits im Oktober des Vorjahres einlud, während der Grünen Woche das Phys.-lnstitut Berlin zu besuchen. Zwischen Frühstück und Ab-flug nutzte ich die Zeit. Im Kreise einiger Professoren und Studenten erlebte ich eigens für dieses Treffen gehaltene Vorträge und Versuche. Anschließend an den schnell verstrichenen Vormittag brachte mich Herr Prof. Willer zum Flughafen. – Doch auch ansonsten kam die Physik nicht zu kurz. Die mir verbleibende Zeit nutzte ich zum Studium, was sich auch im Nachhinein als richtig erwiesen hat. Wie bewandert Japaner bei deutschen Volksliedern sind, konnte ich anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels erfahren. Bundeskanzler Kohl hatte den japanischen Ministerpräsidenten Nakasone und Gattin zu einer Rheinschiffahrt geladen. Als Begrüßungstrunk reichte ich einen überdimensionalen weingefüllten Römer und schon nahten wir uns jenem besonders von Japanern so geliebten Rheinfelsen. Die japanische Delegation stimmte das Lied der »Loreley« an – und ich war heilfroh, den Text am Vorabend gelernt zu haben. Zurück nach Bonn ging es dann per Hubschrauber. Unvermittelt merkte ich, daß mein Nebenmann Herr Nakasone jun. war.
Wahl der Deutschen Weinkönigin in Trier: Herzliche Gratulation der Mitbewerberinnen lür die neue Deutsche Weinkönigin Ursula Maur aus Mayschoß
Ein paar Wochen später brachte mir ein deutscher Geschäftsmann von einer Japanreise einen Zeitungsartikel über die Schiffahrt mit, ein anderer wurde mir aus Indien zugeschickt, übrigens mit der Bitte um Mitgift für die zu verheiratende Tochter. Scheinbar wurde ich mit einer herrschenden Regentin verwechselt! Mitte Mai packte ich dann die Koffer zum Abflug nach Brasilien.
Die ersten Tage verbrachte ich in Sao Paulo -einer pulsierenden, überall ausufernden Stadt. Zwischen riesigen Betonklötzen drängten sich bunte Märkte. Übergangslos war das Nebeneinander von großem Reichtum und hoffnungsloser Armut. Die beiden Extreme fand ich auch in Rio de Janeiro, der zweiten Station dieser Reise wieder, doch lenkte hier die bezaubernde Landschaft davon ab. Die »weinköniglichen Verpflichtungen« nahmen meist nur die Abende in Anspruch und so blieb mir glücklicherweise Zeit für eigene Erkundungen. Ich besuchte meine Verwandten, welche seit 30 Jahren in Rio wohnen, »bezwang« den Zuckerhut und bei einer Bootsfahrt schwamm ich im Atlantik. Der Juni war dicht mit Terminen belegt. Die Weinwochen in Essen, Hamburg und Bielefeld lösten einander fast nahtlos ab. Mit diesen alljährlich stattfindenden Aktionen wird versucht, die nicht weinbautreibenden Regionen Deutschlands für uns, beziehungsweise für unseren Wein zu gewinnen. Man bedenke: Dort, wo 2/3 der deutschen Bevölkerung leben, wird nur 1/3 unseres Weines getrunken! Um dieses Mißverhältnis auszugleichen, sind die Mitarbeiter des Deutschen Weininstitutes, der Gebietsweinwerbung und auch die Weinköniginnen im Einsatz. Was dazu an Vorarbeit geleistet wurde, war beeindruckend. Im Gegensatz zu den großen Reisen war und ist dies sozusagen Arbeit an der Basis.
Empfang im heimischen Weinanbaugebiet: Ursula Maur mit zwei ehemaligen Deutschen Weinköniginnen von der Ahr, Marita Mies (r.) und Ingrid G/es (I.)
Foto: Kreisbildstelle
In Spitzenzeiten konnten 3 – 5 Veranstaltungen an einem Tag liegen. Z. B. sah mein Zeitplan am 31. Mai folgendermaßen aus: 11.00 Uhr:
Moers-Repelen, Besuch eines Weinbergs auf der Abraumhalde der Zeche Friedrich-Heinrich;
15.00 Uhr:
Herten, Eröffnung des Weinmarktes;
16.00 Uhr:
Besuch der Fa. Herta;
18.30- 18.50 Uhr:
Recklinghausen, Überreichen eines Weinpräsentes an Gewinner des Trabrennens;
20 Uhr:
Duisburg, Festliche Probe deutscher Weine
Ende ca. 22.30 Uhr, Rückfahrt nach Essen. Wenn es auch manchmal anstrengend wurde, die Abwechslung und vor allem die freundliche Aufnahme, die ich immer wieder erfuhr, ließen alles andere vergessen. So auch in Moers-Repelen: Die Müdigkeit verflog schnell, als ein Film über den rheinischen Bergbau vorgeführt wurde, dem Gespräche über Weinbau, Erläuterung und Besichtigungen der Rekultivierungsmaßnahmen der Abraumhalden folgten. Zu letzterem gehörte die Anlage des 99-Stock großen Weinbergs »Monte Schlacko« – mehr Reben dürfen es außerhalb der Weinbaugebiete nicht sein -, zu dessen Füßen ich den hier gewonnenen Wein probieren konnte. Ich hatte oft den Eindruck, daß die liebevolle Pflege einiger Reben eine persönliche Beziehung zum Wein schafft, die letztendlich allen Winzern zugute kommt; denn erst auf den Geschmack gekommen . ..! Als Vorarbeit zu den Weinwochen besuchten die Herren des DWI und ich manche Zeitungsredaktion – was hilft die beste Veranstaltung, wenn nicht darauf aufmerksam gemacht wird! Bei einer Tasse Kaffee wurde über das anstehende Programm und das Amt der Weinkönigin geplaudert. Neu für mich war eine Telefonaktion mit der »Welt«. Sie bot Hamburger Bürgern die Gelegenheit, zum Auftakt der »Deutschen Weinwoche« Fragen rund um den Wein an mich zu richten. Ungewiß, was mich erwartete, wünschte ich mir eine Störung der Telefonleitung herbei. Doch als ich den ersten Anrufer zufriedenstellen konnte, ließ die Anspannung nach.
Deutsche Weinwoche Hamburg 1985: Unterstützt von Senator Lange und den Majestäten der deutschen Anbaugebiete pflanzt Ursula Maur Reben im Botanischen Garten
Von Hamburg selbst sah ich leider recht wenig. Um so intensiver nutzte ich meinen freien Tag von Anfang an: Um 6 Uhr wanderte ich über den Fischmarkt, mittags segelte ich auf der Außenalster, nachmittags lauschte ich in der Oper den Meistersingern und beschloß den Tag mit einem Fischessen. Eine andere Abwechslung bescherte mir ein Hamburger Bürger, als er, meine knappe Zeit ahnend, mich zu einem Rundflug in seinem Sportflugzeug einlud, um mir so wenigstens einen »Überblick« der Weltstadt zu ermöglichen. Nicht eingeplant hatte er, daß ich in Begleitung eines Herrn des DWI’s erschien.
Weinblütenfest Mayschoß 1985: Von einem Festwagen grüßen die Deutsche Weinkönigin Ursula Maur und Gebietsweinkönigin Birgit Ley
Foto: Fix
Empfänge bei Bürgermeistern, Senatoren und Regierungspräsidenten lösten sich in jenen Monaten ab. Wir fanden gegenseitige Begrüßungsworte, ich überreichte ein Weinpräsent für einen sozialen Zweck, Fotos für die Zeitungen und Gespräche beim Wein folgten. Obwohl äußerlich vieles ähnlich schien – oder gerade deswegen – kam regional Typisches zum Tragen. Manchmal galt es regelrecht Neuland zu gewinnen: »Ach, die Wahl der Weinkönigin erfolgt nach fachlicher Prüfung? – Sie stammen also aus einem Winzerbetrieb! Wie ist denn der 84er geraten?. ..,- ab hier wurden die Gespräche ungezwungener.
Das Mayschosser Weinblütenfest holte mich zwischenzeitlich für ein paar Tage nach Hause. Die Freude und Begeisterung, mit der dieser erste Umzug gestaltet wurde, ist mir heute noch gut in Erinnerung. Was konnte die Sonne anderes tun, als dazu zu strahlen?! Im Juli hatte ich frei. Die Entspannung tat gut; denn bei all den Begrüßungs-, Eröffnungs- und Abschiedsreden fand ich keinen neuen Gedanken mehr.
Mit frischem Elan konnte ich mich so in die Ereignisse des Augusts stürzen. Der importierte Weinskandal, der bei uns nur ein Skandal einiger Weinhändler war, weitete sich gerade aus.
Während der Weinwoche in Augsburg, bei der wie üblich auch Veranstaltungen in den Städten der Umgebung stattfanden, wurde ich des öfteren mit der Bemerkung vorgestellt, man möchte jetzt nicht mit der Weinkönigin tauschen. Mein darauffolgendes »Jetzt erst recht« verfehlte seine Wirkung nicht. Bei zahlreichen Gesprächen erfuhr ich, wie notwendig erklärende Worte waren. Dort, wo sich dazu Gelegenheit bot, führten sie auch zum Erfolg. Ein besonderes Anliegen war es mir, alle unsere 11 Weinbaugebiete während meiner Amtszeit zu besuchen. Dies fand seinen Abschluß, als ich auf Einladung der ehemaligen badischen Weinkönigin Beate Hildwein nach Baden fuhr. Schon vorher hatten wir uns wiedergesehen, als alle Mitbewerberinnen um die Krone ’84 sich zu einem Spargelessen trafen. Unterwegs begegneten mir viele engagierte Menschen, die auch ihre freie Zeit für den Wein einsetzen, so auch die ehemalige Deutsche Weinkönigin Friedlinde Gurr-Hirsch, welche mich einige Tage durch ihre Heimat führte. Während der Reisen durch die deutschen Lande lernte ich auf diese Weise typische Landschaften, Betriebe, vor allem aber das Wesen der Menschen und ihren Wein kennen und schätzen.
Noch kurz vor Ablauf meiner Amtsperiode konnte ich einen Blick in die Villa Hammerschmidt werfen. Frau von Weizsäcker gab einen Empfang für die Damen des Diplomatischen Corps. Hierbei versuchte ich, ihnen Botschafterin des deutschen Weines zu sein, indem ich sie beim Probieren des Rebensaftes beriet. Eine freudige Überraschung war es für mich, welches Interesse unser vielbelasteter Herr Bundespräsident von Weizsäcker im Gespräch unseren Anliegen entgegenbrachte. Durch die spätsommerlichen Ereignisse schob sich der Zeitpunkt der geplanten Japanreise immer weiter hinaus. Schon frühzeitig ließ ich mir meine Ansprache in die Landessprache übersetzen. Würde ich sie noch halten können? – Freitags, 5 Minuten vor meiner Abfahrt nach Neustadt zur Wahl der Deutschen Weinkönigin 1985/86, kam das endgültige Ja! -. Samstags erhielt ich das Flugticket, Veranstaltungsprogramme und gute Hinweise. Sonntagabend, nach der Rückkehr aus Neustadt, packte ich die Koffer, und Dienstag flog ich bereits über den Pol.
Beim Empfang der Damen des diplomatischen Corps in der Villa Hammerschmid: Weinfachliches Gespräch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker
Fotos: Archiv
Allein die 20stündige Reise war ein Erlebnis für sich. Auf einen Tip von Herrn Minister Kiechle hin besorgte ich mir beim Zwischenstopp in Anchorage einen Eisbärstempel im Paß. Vom ersten Moment an auf japanischem Boden betreuten mich die Mitarbeiter des für die deutsche Weinwerbung zuständigen Büros zuvorkommend. Durch diese persönlichen Kontakte hörte ich viel über Japan und hatte sogar das seltene Glück, ein Abendessen im Familienkreis mitzuerleben. Unendlich viel gab es zu entdecken – zuviel für 13 Tage! Ein jahrzehntelang in Asien lebender Amerikaner erklärte mir, daß selbst diese Zeit nicht dazu reiche. In Brasilien waren noch europäische Einflüsse zu erkennen; aber hier spürte ich deutlich, auf einem anderen Kontinent zu sein. Mit Vergnügen aß ich die mit Liebe fürs Detail zubereiteten Mahlzeiten, im Hocken und mit Stäbchen versteht sich. Roher Fisch auf Reisbällchen hatte es mir besonders angetan.
Nachdem ich mich in der Tokioer Unterwelt, sprich U-Bahnnetz, zurechtfand, fragte ich mich zum klassischen Theater, dem Kabuki durch. Wenn ich dort auch kein Wort verstand, so waren allein Gestik und Tonfall der Schauspieler, Kostüme und Bühnenbild beeindruckend. Mein Terminkalender führte mich über Tokio, Yokohama nach Sendai und Morioka. War ich von amtswegen unterwegs und damit meine Nationalität erkennbar, schickten Eltern ihre Kinder zu mir, um mich deutschsprachig und mit Händeschütteln zu begrüßen. Der japanische Weinmarkt erholte sich gerade langsam von der Glykolaffäre, die um so bedauerlicher war, wenn man bedenkt, in welchem Aufschwung sich unser Weinabsatz befand. Ein Wunsch hatte sich mir zum Ende der Reise noch nicht erfüllt: Ich hatte den Fujijama nicht gesehen!
Da einer meiner Bekannten in Nagoya Japanisch studierte, schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe, reiste in meiner freien Zeit dorthin und hatte gleichzeitig aus dem rasanten Shinkansen den ersehnten Anblick.
Reich an Eindrücken kehrte ich heim, um nach einem Tag Pause mein Studium weiterzuführen. Mich hatte der Alltag wieder, die Krone hatte Mechtild Meyer aus dem Ruwertal. Ich wünsche ihr eine ebenso glückliche Zusammenarbeit mit dem Deutschen Weininstitut, wie ich sie erlebte.